AUS- UND WEITERBILDUNG

Abgründe und Leuchttürme

Wie gut bereitet das Volontariat auf den Beruf vor?
15. Juni 2017, Anna von Garmissen

Eigentlich wollen sie nur lernen, wie man gute Geschichten erzählt. Dazu brauchen sie solides journalistisches Handwerk, zeitgemäße technische Fähigkeiten, etwas kreativen Freiraum. Und eine Bezahlung, von der man leben kann. Mehr wollen Volontäre eigentlich nicht, wenn sie ihren Berufsweg in einem Medienunternehmen starten. Aber die Realität sieht oft anders aus, wie der DJV-NRW aus Beratungsgesprächen weiß, aber zum Beispiel auch bei Volotagen merkt, die der Fachausschuss Junge Journalistinnen und Journalisten (FA 3J) in unregelmäßigen Abständen ausrichtet.

Nach wie vor gilt das Volontariat als Königsweg in den Journalismus. Älteren DJV-Schätzungen zufolge vergeben deutsche Medien insgesamt etwa 3 000 Volontärsplätze. Etwa 20 Prozent davon dürften auf NRW entfallen. Doch noch immer bleiben viele Häuser hinter der Erwartung, adäquat und zukunftsgewandt auszubilden, zurück. „In den vergangenen 20 Jahren scheint sich an der Ausbildung in vielen Redaktionen fast nichts geändert zu haben“, kritisiert Ulrike Kaiser, Sprecherin der Initiative Qualität im Journalismus (IQ).

Ihre Aussage bezieht sich auf eine Volontärsumfrage aus dem vergangenen Jahr. IQ hat dazu knapp 400 Teilnehmer von Volontärskursen anonymisiert über ihre Ausbildung befragt, in der Mehrzahl angehende Zeitungsjournalisten. Unter den sieben beteiligten Instituten waren auch zwei aus Nordrhein-Westfalen: das Journalisten-Zentrum Haus Busch in Hagen und die inzwischen geschlossene Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage (ABZV) in Königswinter.

Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sind ein Thema für viele Volontäre, wie auch der Volotag 2015 zeigt. Im Bild Nicolas Parman, Vorsitzender des FA 3J. | Foto: Arne Pöhnert
Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sind ein Thema für viele Volontäre. Im Bild Nicolas Parman, Vorsitzender des FA 3J, beim Volo-Tag. | Foto: Arne Pöhnert

Von wegen crossmedial

Die Ergebnisse der Umfrage sind ernüchternd. Nur 44 Prozent der befragten Volontäre geben an, dass sie mehrmedial – in der Regel für Print und Online – ausgebildet werden. Der überwiegende Teil (56 Prozent) hingegen durchläuft nur zwei Ressorts: Lokales und Mantel. Und das in einer Branche, die auf Kongressen gerne den Eindruck vermittelt, schon lange in der cross- und multimedialen Medienwelt angekommen zu sein. Offenbar gilt das nicht für alle.

Auch bei externen Schulungen und Praktika zeichnet die Umfrage ein eher trauriges Bild: 51 Prozent der Befragten besuchen demnach nur einen Grundkurs – weitere Schulungen außerhalb ihres Betriebs erhalten sie nicht. Externe Praktika – etwa in Redaktionen anderer Mediengattungen – absolviert nur ein Drittel der Befragten.

Aufrüttelnder noch als die Zahlen sind die persönlichen Anmerkungen der Nachwuchsjournalisten. „Man sollte Volontäre nicht einfach als Lückenfüller dorthin schicken, wo es brennt – und das ständig“, kritisiert ein Teilnehmer. Begriffe wie „Notstopfen“, „Lückenbüßer“ oder „Redaktionsfeuerwehr“ fallen gleich dutzendfach. Ebenso beklagen viele Befragte fehlende oder nicht eingehaltene Ausbildungspläne. „Bis zum 16. Monat meiner Ausbildung gab es keinerlei Struktur“, schreibt eine Nachwuchsjournalistin. Ein anderer gibt an, seit 15 Monaten im gleichen Ressort zu arbeiten. Auch die Bezahlung sorgt für Unzufriedenheit. Fast 45 Prozent der Umfrageteilnehmer verdienen unter Tarifniveau.

Der Berufsnachwuchs fühlt sich in den unter Spardruck stehenden Redaktionen alleingelassen, liest Ulrike Kaiser daraus, die neben ihrer IQ-Tätigkeit viele Jahre lang die AG Bildung und Qualität im DJV geleitet hat. Schon länger warnt sie davor, dass ein großes Nachwuchsproblem auf die Zeitungshäuser zukommt. Denn wenn sich am Umgang mit Volontären nicht bald etwas grundlegend ändere, gingen die jungen Talente in andere Branchen, die ihnen mehr Wertschätzung entgegenbringen. Auch wenn viele Medienhäuser selbst mit dem Rücken zur Wand stehen und sicher nicht in böser Absicht handelten, gehe es nicht an, dass teilweise nicht mal Mindeststandards wie etwa die überbetriebliche Ausbildung eingehalten würden.

Die IQ-Sprecherin setzt nun auf den neuen Ausbildungstarifvertrag, den Gewerkschaften und BDZV jüngst miteinander ausgehandelt haben. Darin steht etwa der Satz: „Das Volontariat erstreckt sich auf mindestens drei Ressorts und/oder Themenfelder.“ Außerdem ist festgehalten, dass „die Volontäre und der Ausbildungsredakteur regelmäßig, mindestens aber einmal monatlich“ zusammenkommen. Auch die außerbetriebliche Bildung ist geregelt: Vorgesehen sind wenigstens vier Wochen im ersten Jahr und zwei im weiteren Verlauf. Im Musterausbildungsplan – erstmals Bestandteil des Tarifwerks – sind crossmediale Produktionen sowie technische Fähigkeiten in den Bereichen Print, Online und audiovisuelle Medien ausdrücklich als Teil der innerbetrieblichen Bildung genannt.

Bekanntmachen und umsetzen

Doch Papier ist geduldig. Nun kommt es darauf an, den neuen Ausbildungstarifvertrag in den Redaktionen bekannt zu machen und flächendeckend anzuwenden. Eine Aufgabe für beide Tarifparteien. Denn was nützt das beste Regelwerk, wenn man sich nicht danach richtet?

Die Medienakademie Ruhr ist über den neuen Tarifvertrag im Bilde. „Wir stehen in ständigem Austausch mit den Chefredakteuren und erhalten immer wieder neue Impulse“, sagt Dr. Sabine Roschke, Mitglied der Geschäftsleitung des Essener Aus- und Weiterbildungsinstituts für Journalisten. Roschke betreut mit ihrem Team unter anderem die Volontäre der Funke-Gruppe. Die Medienakademie Ruhr, früher als Journalistenschule Ruhr selbst Teil der Funke-Gruppe, wirtschaftet heute komplett eigenständig.

Funke ist nach wie vor größter Kunde der Akademie, die insgesamt etwa 180 Volontäre pro Jahr schult. Der Medienkonzern schickt seine rund 80 Nachwuchsjournalisten nicht nur zu Grund- und Aufbaukursen nach Essen, sondern überträgt der Akademie zugleich auch einen großen Teil der Volontärsbetreuung. So führen Roschke und ihre Mitarbeiter die Auswahlgespräche mit den Bewerbern, sie entwickeln Ausbildungspläne und vermitteln die Jungjournalisten in ihre verschiedenen Stationen.

„Zeitungsvolontäre bilden wir schon seit vielen Jahren mindestens bimedial aus, also für Print und Online“, sagt Sabine Roschke. „Heute sind auch Mobile Reporting, interaktiver Journalismus und crossmediale Projekte feste Bestandteile des Curriculums.“ Ihr Haus organisiert für Volos zudem Hospitanzen etwa im Lokalfunk oder in der Unternehmenskommunikation. Auch Beratungs- und Feedbackgespräche gehören zum Service der Akademie. Fehlt da nicht die innerbetriebliche Anbindung? Alles geschehe in enger Abstimmung mit den Redaktionen, in denen die Volontäre ihre praktische Ausbildung erhalten, sagt Roschke.

Journalistenschule statt Volo

Große Teile der Ausbildung und damit verbundene Entscheidungen in die Hände einer Akademie oder Journalistenschule zu legen, ist in Nordrhein-Westfalen inzwischen keine Ausnahme mehr. Man denke nur an die renommierte RTL-Journalistenschule in Köln oder die erst vor drei Jahren gegründete Journalistenschule der Rheinischen Post in Düsseldorf. Das mag sinnvolle Effekte haben wie die, Ausbildungsinhalte zu systematisieren und dynamische Lerngruppen zu schaffen.

Zugleich ist aber immer auch der Verdacht im Spiel, dass ein Medienhaus sich mithilfe solcher Tochterunternehmen aus der Tarifbindung schleicht. Der Website der RTL-Journalistenschule etwa ist zu entnehmen, dass die Vergütung, hier „Lehrgangsbeihilfe“ genannt, 870 Euro pro Monat beträgt (plus Weihnachtsgeld in gleicher Höhe). Viel ist das nicht in einer Stadt wie Köln.

Bei der Rheinischen Post hat man das Volontariat in der hauseigenen Journalistenschule auf 30 Monate verlängert – das ist ein halbes Jahr mehr, als Volontäre üblicherweise ableisten müssen, bis sie den Titel Redakteur tragen dürfen. Die Ausdehnung stieß zunächst auf Unverständnis und Kritik, nicht zuletzt seitens des DJV. Allerdings zeigt sich inzwischen auch, dass das Zeitungshaus die Ausbildungszeit sinnvoll füllt – etwa mit medienübergreifenden Schulungen, externen Praktika bei Sendern oder Zeitschriften sowie Kursen zu neuen Gebieten wie Datenjournalismus oder interaktivem Storytelling.

Aachener Multimediavolontariat

Einen ähnlichen Weg, allerdings ohne eine eigene Schule zu gründen, geht schon seit fünf Jahren das Medienhaus Aachen. Bernd Mathieu, Chefredakteur der Aachener Zeitung und der Aachener Nachrichten, entwickelte 2012 das sogenannte Multimediavolontariat. Seither gehören neben den üblichen Printstationen nicht nur mehrere Monate in der Onlineredaktion zur hauseigenen Ausbildung, sondern auch mindestens vier Wochen bei einem Fernsehsender, ein weiterer Monat beim Radio und sieben Tage technische Schulung in der RTL-Jour-nalistenschule. Feste Kooperationen gibt es zum Beispiel mit dem WDR-Fernsehen, mit Phoenix und der Produktionsfirma Ansager und Schnipselmann („Hart aber fair“).

Das multimediale Know-how ist nicht nur für die Volontäre selbst von Vorteil: „Wir haben nun eigene Leute, die moderieren, Videos und Live-Streams produzieren sowie News-Apps bedienen können“, erzählt Bernd Mathieu. Mit der erneuerten Ausbildung hat der langjährige Aachener Chefredakteur einen Wettbewerbsnachteil ins Gegenteil verkehrt. Die Idee kam ihm an der FH Aachen, wo er im Studiengang Media and Communications for Digital Business lehrt. „Im Umgang mit den Studenten fiel mir auf: Wir als Zeitungshaus haben gar keine Bewerber aus diesem Bereich. Sie dachten alle, das sei nur verstaubtes Papier.“

Mittlerweile, so Mathieu, bekommen die Aachener Zeitungen mindestens doppelt so viele Bewerbungen wie vor 2012. Und das, obwohl auch dieses Volontariat auf zweieinhalb Jahre ausgedehnt wurde. „Der DJV hat das anfangs nicht gerne gesehen, aber es sind so viele Inhalte dazugekommen, dass es nicht anders möglich war“, sagt Mathieu. Bislang hat sein Haus fast alle Volontäre übernommen – bei insgesamt elf Volontärsstellen keine Selbstverständlichkeit. Zum Sommer sind wieder drei Stellen zu besetzen.

Ines Kubat gehört zu denen, deren Stelle frei wird. Die fast ausgelernte Volontärin absolviert gerade einen Selbsttest: eine Woche ohne Auto. Gar nicht so einfach, denn währenddessen macht sie drei Tage Krankheitsvertretung in der Geilenkirchener Lokalredaktion. Ihre Erfahrungen und Gespräche mit Fahrgästen in Bus und Bahn filmt Kubat mit dem Handy und lädt sie auf der Facebook-Seite der Aachener Zeitungsvolontäre „Wir hier“ hoch. „Wir Volontäre haben samstags unsere eigene Zeitungsseite und seit etwa einem Jahr auch die Facebook-Seite, die wir frei bespielen können“, erzählt Kubat.

Mit ihrer Ausbildung ist sie zufrieden. „Wenn wir im Volontärskurs mit Leuten aus anderen Verlagen zusammenkommen, merkt man: Wir haben es gut.“ Zum einen finanziell: Die Aachener liegen deutlich über Tarif. Im zweiten Ausbildungsjahr bekommen die Volontäre 2 500 Euro brutto. Zum anderen aber vor allem wegen der externen Praktika. „Das ist etwas, worum uns viele Volontäre beneiden“, sagt Ines Kubat. Sie selbst hat vier Wochen beim WDR in Aachen gearbeitet – eigentlich ein Konkurrent ihres Verlags.

Feste Ansprechpartner

Erfreut ist sie über die Betreuungssituation: Seit diesem Jahr haben die Volontäre wieder einen festen Ansprechpartner, und einmal im Monat gebe es ein Treffen unter Beteiligung der Chefredaktion. Vorher sei das alles etwas unstrukturierter abgelaufen. Möglicherweise schon eine erste Wirkung der IQ-Umfrage, deren Ergebnisse auf einer Ausbilderkonferenz im vergangenen Herbst vorgestellt worden sind.

Mit der langen Ausbildungsdauer hat Ines Kubat kein Problem: „Ich persönliche sehe darin keinen Nachteil“, sagt sie. „Ich habe aber auch extra keinen Master gemacht und mir so im Studium Zeit gespart, die ich nun ins Volontariat stecke.“ Fühlt sie sich denn jetzt als Zeitungsjournalistin oder als Multimediajournalistin? Kubat zögert, dann sagt sie: „70 zu 30. Man lernt schon viel im Bereich Multimedia, aber im Alltag kommt es trotzdem häufig noch zu kurz.“