Das Licht wird der Wirtschaftsberichterstattung in Regionalzeitungen nicht abgedreht. Aber die Redaktionen müssen kämpfen. |Foto: HerrSpecht
Das Licht wird der Wirtschaftsberichterstattung in Regionalzeitungen nicht abgedreht. Aber die Redaktionen müssen kämpfen. |Foto: HerrSpecht
 
THEMA | Wirtschaft im Regionalen

Darf‘s was mehr sein?

Die Wirtschaftsberichterstattung im Lokalen muss kämpfen
15. Dezember 2017, Werner Hinse

Vom Kartell in der Autoindustrie handelt der „beste Wirtschaftstext des Jahres“, der im Oktober im Spiegel erschienen ist. Die Autoren Dietmar Hawranek und Frank Dohmen haben dafür Ende November den Georg-von-Holtzbrinck-Preis bekommen. Neben den Spiegel- Autoren zeichnete die Jury drei weitere Arbeiten aus: eine Gemeinschaftsarbeit von ZEIT, Zeit Online und dem NDR in der Kategorie Audio-visuell, eine „Visual Story“ von Spiegel Online in der Kategorie Interaktive Multimedia-Speziale. Der Nachwuchspreis ging an Zeit Online.

Ähnlich sieht die Struktur der Preisträger anderer Jahrgänge aus. Nicht nur beim Holtzbrinck-Preis, auch bei anderen Preisen für Wirtschaftsjournalismus stellen eher die überregionalen Medien die Preisträger. Wer mit Jury-Mitgliedern spricht, hört viel von Spitzenbeiträgen und dem „großen Gefälle“ zu den journalistischen Beiträgen in regionalen Medien. Regionalzeitungen haben es schwer im Reigen der Großen. Das gilt keineswegs nur beim Schaulaufen um die Journalistenpreise, sondern das gilt auch längst fürs Alltagsgeschäft. Wo Redaktionen bis zum Anschlag runtergespart sind, bleibt wenig Luft für großartige Geschichten.

Unter Druck von allen Seiten

Dabei stehen Wirtschaftsjournalisten sowieso von vielen Seiten unter Druck. Von großen Unternehmen und kleine Firmen, von Bürgern ebenso wie von bestimmten Akteuren, etwa den Gewerkschaften. Politisch reicht der Druck von rechts bis links. Als unkritische „Diener des Mainstreams“ gelten sie den einen. Den anderen als Nachplapperer der Ökonomen, die unbegrenztes Wirtschaftswachstum propagieren.

Wie arbeitet es sich mit so einem Fremdbild? Und wie sieht das von innen aus? Klaus Möller (Name geändert), Wirtschaftsredakteur einer Regionalzeitung in Nordrhein-Westfalen, versteht das schlechte Image nicht. Er ist der Überzeugung, dass seine Zeitung in den vergangenen Jahren viel über Wirtschaft berichtet hat, vor allem über die regionale. Und dass er über mehr als zwei Jahrzehnte einen guten Job gemacht hat.

Der tägliche Börsenbericht, die Meldungen und Berichte aus Wirtschaftsunternehmen haben den journalistischen Berufsalltag von Zeitungsredakteur Möller begleitet. Er weiß genau, wie in seiner Region gewirtschaftet wird. Die Banken in der Region und ihre Verbände hat er ebenso im Blick wie die vielen regionalen Unternehmen mit ihren Erfolgsgeschichten rund um den Globus. Er kennt auch seine großen Unternehmen, die Aktiengesellschaften: „Wenn da jemand hustet, dann pustet es ganz schön.“
Es ist kein leichter Job, seine Arbeit zwischen mächtigen Polen zu machen.

Wirtschaftsjournalisten haben ein breites Themenspektrum abzudecken – von Finanz-, über Wirtschafts- bis hin zu Verbraucherthemen. Reden will der eine oder andere vielleicht noch über seinen Job, aber nur im privaten Rahmen. Keinesfalls möchten sie öffentlich mit ihrem Namen für ihre Meinung einstehen. Oder sie lassen sich bestenfalls, wie Klaus Möller, anonymisiert zitieren. Zu fragil erscheinen ihnen ihre Jobs, ihre Kontakte in die Wirtschaft und ihr Ruf in der Branche.

Denn Tageszeitungen sehen sich in einem Kampf ums Überleben. Da ist kein Wunder, was Volker Wolff, ehemals Chefredakteur der Wirtschaftswoche und später Journalismus-Professor in Mainz, herausgearbeitet hat: „Viele Regionalzeitungen fallen heute als Anbieter relevanter Wirtschaftsinformationen jenseits schlichter Agenturbeiträge aus.“ Er hat Zeitungen wie die von Möller unter die Lupe genommen und bescheinigt den regionalen Wirtschaftsredaktionen „enge redaktionelle Kapazität, wenig Fachkompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen, häufig zu geringe professionelle Distanz“.

Solide 1:0-Berichterstattung

Ein Blick in den Alltag: Die Rheinische Post berichtet Ende November aus Mönchengladbach. Bei einem insolventen Hosenhersteller gibt es Entlassungen, jede dritte Stelle soll gestrichen werden. Die beiden Autoren liefern Fakten, sagen, wie viele Entlassungen es geben wird, wie die Wechsler in einer Transfergesellschaft bezahlt werden. Sie lassen die Gewerkschaft die Lage einschätzen, erwähnen in ihrem Bericht mit beachtlichen 4.226 Zeichen die ebenfalls von der Insolvenz bedrohten Mitarbeiter in Tunesien und beleuchten die Suche nach einem neuen Investor. Den Gerüchten um Eigentümer-Gehälter setzen sie Zahlen entgegen. Ein ordentlicher Job – wie die 1:0-Ergebnisberichte im Sport. Sauberes Handwerk.

Wieviel Orientierung gibt der Wirtschaftsjournalismus in Regionalzeitungen den Leserinnen und Lesern? Zu wenig, lautet der Vorwurf. | Foto: Seleneos
Wieviel Orientierung gibt der Wirtschaftsjournalismus in Regionalzeitungen den Leserinnen und Lesern? Zu wenig, lautet der Vorwurf. | Foto: Seleneos

Den meisten Lesern von regionalen Zeitungen dürften solche Berichte reichen. Wer mehr will, muss meist zu überregionalen Zeitungen oder Wirtschaftsmagazinen greifen. Wenn denn dort die Insolvenz des Hosenherstellers berichtet und eingeordnet wird. Aber was ist mit dem kleinteiligeren Wirtschaftsgeschehen in der Region? Auch hier muss es jemand für den Leser journalistisch aufarbeiten, wenn im Lokalen zum Beispiel Wirtschafts- und Politikinteressen ineinander übergehen. Oder sich Wirtschaft und Soziales vermischen. Wie mutig berichten lokale Medien dann?

Wachstum als politischer Leitbegriff

Kritikern wie dem Wirtschaftswoche-Redakteur Ferdinand Knauß reicht die solide Standard-Berichterstattung jedenfalls nicht. Der als eher konservativ geltende Wirtschaftsjournalist hat im vergangenen Jahr mit seinem Buch „Wachstum über alles?“ für Furore gesorgt. Sein Vorwurf: Die Kollegen der Branche hätten sich mit Wirtschaftswissenschaft und Politik gemein gemacht. Aus einem allgemeinen Wunsch nach mehr Wohlstand hätten sie im Gleichschritt den modernen Glauben ans Bruttoinlandsprodukt und seine ewige Zunahme befördert. Der Wirtschaftsjournalismus habe in Deutschland eine zentrale Rolle dabei, dass Wachstum ein politischer Leitbegriff wurde und bis heute blieb.

Auch andere sehen die Kollegen aus der Wirtschaft in einem schlechten Licht. Ganz bitterböse ging „Die Anstalt“ jüngst mit ihnen um. Journalisten tauchten für Max Uthoff und Claus von Wagner in der Politsatire im ZDF vom 7. November nur noch als Teil eines mächtigen neoliberalen Räderwerks auf. Sie beleuchteten die Mont-Pèlerin-Society (MPS) von 1947 und ein von ihr beeinflusstes global agierendes Netzwerk. Jenseits aller Verschwörungstheorien blieb der Eindruck hängen: Journalisten lassen sich von Wirtschaft manipulieren, sind nur Spielmaterial der Mächtigen.

So ein Verdacht trägt dazu bei, dass sich Leser, Hörer und Zuschauer schwer tun mit der Berichterstattung über Wirtschaftsthemen. Seit viele Anleger in der Telekom- und Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende hohe Verluste einfuhren, müssen die Wirtschaftsredaktionen kämpfen. Denn mit dem Geld verloren die Menschen das Vertrauen in den Wirtschaftsjournalismus, von dem sie sich nicht ausreichend gewarnt fühlten. Die Enttäuschung wirkt lange nach.

Als „tumbe Trendverstärker“ hat der Mannheimer VWL-Professor Thomas Schuster die Wirtschaftsjournalisten nach der Dotcom-Blase bezeichnet. Das seien sie nicht, nimmt der ehemalige Wiwo-Chef Wolff die Branche in Schutz. Schusters pauschaler Kritik attestierte Wolff aber einen wahren Kern: „Zu viele Wirtschaftsjournalisten hatten im Tanz um das Goldene Kalb der Neuen Märkte ihre Distanz zur Unternehmenskommunikation verloren. Sie plapperten zu häufig nach, was ungemein smarte Vorsprecher verkündeten.“

Um die Basis für Vertrauen beim Mediennutzer wieder zu stärken, hat der Presserat regulierend eingegriffen. Vor neun Jahren wurde die Richtlinie 7.4 des Pressekodex geschaffen, die sich allein mit der Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung beschäftigt. Sie legt fest, dass Journalisten und Verleger nicht über Wertpapiere berichten sollen, die sie halten oder kaufen. Die Botschaft ist angekommen, bis runter in die kleinen Wirtschaftsredaktionen: Das hat auch Klaus Möller seinem Arbeitgeber zugesagt und unterschrieben.

Die Leser werden allein gelassen

Vor allem kleinere Regionalblätter wie Möllers fallen bei der Wirtschaftsberichterstattung nahezu komplett aus, meint Volker Wolff. Sein hartes Urteil: „Die Regionalpresse ist zwar immer noch für die Information von rund 32 Millionen Rezipienten verantwortlich, ihre Leser werden aber in Wirtschafts- und Finanzfragen zunehmend allein gelassen, weil die Wirtschafts- und Finanzkompetenz der Redaktionen gering ist. Dies gilt besonders für Redaktionen mit Newsdesk-Workflow.“ Diese Zeitungen überließen Wirtschaftsthemen den überregionalen Abonnementzeitungen, den großen Regionalzeitungen und Zeitschriften. Sich selbst reduzierten sie auf die Rolle als Lieferanten lokaler, aber nicht-ökonomischer Informationen. Sie lieferten ihren Lesern zudem oftmals PR-durchsetzte Stücke als Serviceangebot.

Damals, bei Möllers Start im Bereich Wirtschaft, gab es noch die klassischen Ressorts, keinen Newsroom. Wirtschaft war eine Nische gegenüber der „übermächtigen Politik“. Ende der 1990er Jahre „kamen große Themen auf uns zu“, erinnert er sich stolz. Die Blase am Neuen Markt, das Kommen und Vergehen der Telekom-Aktie. Mit der Bedeutung des Aktienmarkts für Otto Normalverbraucher wuchs auch die Rolle des Wirtschaftsressorts. In vielen Blättern gab es mehr Platz, aber weder mehr Personal noch mehr Zeit für Recherchen. Die Börsenteile wurden von Lesern nachgefragt und entsprechend ausgeweitet.

Die von Wolff monierte geringe Wirtschafts- und Finanzkompetenz der Redaktionen ist ein Faktor. Hinzu kommt die Tendenz, dass kleinere Redaktionen sich in Deutschland sowieso gerne an den Trends und Meinungen der überregionalen Medien orientieren. Das gilt auch für Wirtschaftsjournalisten. Bei seiner Arbeit hat Klaus Möller neben Agenturen auch täglich den Wirtschaftsteil der FAZ und die Wirtschaftsblätter im Blick, sagt er.

Nur: Die überregionalen Zeitungen – FAZ, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung und taz – stehen selbst unter einem Druck besonderer Art. Zwar erfüllen sie nach Ansicht von Medienbeobachtern ihre Rolle als kompetente Lieferanten von Wirtschaftsinformation. Aber sie stehen heute bei ihren Recherchen oft einer Wand aus professionellen Presseabteilungen und Justiziariaten gegenüber. Zudem sind sie „das Objekt konkreter Informationssteuerung durch große Wirtschaftsunternehmen geworden“, hat Wolff herausgearbeitet.

Was er damit meint: Viele Großunternehmen, in der Regel die Dax-Konzerne, hätten inzwischen ein weitgespanntes, höchst professionelles Kontroll- und Steuerungssystem aufgebaut, mit dem sie Berichterstattung über sich und ihre Branchen beurteilen und auch beeinflussen wollen. Wolff ist überzeugt, dass die Wirtschaftsberichterstattung in der Wahnehmung der Handelnden in diesen Konzernen heute in die Nähe eines „steuerbaren Kommunikationsinstruments mit anschließender Kosten-Nutzenanalyse“ gerückt ist.

Ziegruppengerechte Ansprache

Ein Ungleichgewicht zwischen Pressestellen und Redaktionen spürt auch Petra Hoffknecht, Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit beim Sparkassenverband Westfalen-Lippe in Münster, in ihrem Berufsalltag. Sie kennt beide journalistischen Seiten des Schreibtischs und bestätigt, dass Journalistinnen und Journalisten aus den Pressestellen längst zielgruppengerecht angesprochen werden – in den regionalen genauso wie in den überregionalen Medien.

Klaus Möller und seine Kolleginnen und Kollegen aus den kleinen Wirtschaftsredaktionen bekommen Informationen längst anders aufbereitet als ihre Kolleginnen und Kollegen der überregional beachteten Medien. Es gibt sogar schon Unternehmen, die getrennte Bilanz-Pressegespräche für regionale und überregionale Berichterstatter anbieten. Das Ziel mit Blick auf die kleineren Zeitungen mit den knappen Personalressourcen: Informationen so aufbereiten, dass sie ins Blatt gehoben werden können. Ohne weitere Recherchen oder andere Arbeit.

Freiräume finden für anderes als Berichte von Bilanzpressekonferenzen und Ladeneröffnungen. | Foto: Anja Cord
Freiräume finden für anderes als Berichte von Bilanzpressekonferenzen und Ladeneröffnungen. | Foto: Anja Cord

Seinen etwa gleich alten Berufskollegen Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt dürfte Klaus Möller sowieso eher als „Diener des Mainstreams“ gelten. Dieses harte Urteil über Wirtschaftsredakteure haben Storz und Arlt, die beide ursprünglich aus dem Zeitungsjournalismus kommen, 2010 in einer Studie für die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung gefällt: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik“. Dafür haben sie Berichte über die Finanzkrise rund um das Jahr 2008/9 analysiert.

Ihr wissenschaftlich fundiertes Urteil hat das Ressort unter Generalverdacht gestellt: „Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus hat als Beobachter, Berichterstatter und Kommentator des Finanzmarktes und der Finanzmarktpolitik schlecht gearbeitet,“ urteilten sie. „Pfusch am Bau nennt man das im Handwerk.“ Und weiter: Ein „mächtiger Mainstream von verantwortlichen Akteuren aus Politik und Wirtschaft“ habe ausschließlich die Vorteile der neuen Finanzindustrie betont und bis zuletzt die Möglichkeit von krisenhaften Entwicklungen verneint.

Weder kleinreden noch groß machen

Der regionale Wirtschaftsredakteur Möller widerspricht energisch: „Wir haben vor den Folgen gewarnt. Gerade auch in der Kommentierung.“ Das sei damals eine Weltwirtschaftskrise gewesen, kurz vor der Kernschmelze, betont Möller. „Wir haben die Dramatik gespürt.“ Es sei allen darum gegangen, „Panik zu verhindern“. Die Marschrichtung seines Blattes sei dabei klar gewesen: „Wir wollten es nicht kleinreden, aber es auch nicht groß machen.“

Zumindest in dieser Finanzkrise haben nach Überzeugung Arlt und Storz auch die Überregionalen versagt. Die nationalen Medien seien damals ihrer Leitfunktion nicht gerecht geworden, schreiben sie in ihrer Studie. „Die besten Tageszeitungen dieser Republik sind erst mit dem Krach der Krise publizistisch und journalistisch ‚erwacht‘.“ Und weiter: „dpa und ARD-Aktuell machten auch dann in ihrer handwerklich schlechten Alltagsroutine einfach weiter wie zuvor.“ Andere Medienbereiche kommen bei Arlt und Storz also nicht besser weg als die Zeitungen.

Mehr Vielfalt

Die Wirklichkeit wird auch im Wirtschaftsjournalismus viel zu oft, aus dem Blickwinkel weißer, mittelalter Männer abgebildet. Und das, obwohl die Wissenschaft längst belegt hat, dass diverse Teams komplexe Probleme besser lösen können und dass sie innovativer sind. Um sich für mehr Vielfalt im Wirtschaftsjournalismus stark zu machen, haben Susanne Amann vom Spiegel und Astrid Maier von der Wirtschaftswoche die Plattform Dverse Media gegründet. Das Ziel: mehr Vielfalt in der Berichterstattung, vielfältigere journalistische Innovationen und Geschäftsmodelle sowie mehr Frauen in den Entscheidungs- und Führungsgremien.

„Wir wollen Chefredakteure, Ressortleiterinnen, Verlagsmanager, Reporterinnen sowie Entscheider und Vordenker anderer Industrien zusammenbringen, um uns gemeinsam über konkrete Lösungen auszutauschen“, heißt es auf der Seite. Man wolle Lösungen finden, „die wirklich helfen, die Gender- und Diversity-Lücke in Wirtschaftsmedien wie in der Wirtschaft zu schließen. Wir wollen helfen, diese Lösungen dann auch praktisch umzusetzen.“

Ein Mittel sind hochrangig besetzte Konferenzen – etwa im Dezember 2016 in Hamburg und im November 2017 in Berlin. Konferenzen, bei denen Podien und Reihen deutlich weiblicher besetzt sind als bei anderen Gelegenheiten./cbl
https://dverse.media/

Blick auf Tarifverhandlungen

Eine Anlehnung der Wirtschaftsberichterstattung an die Sichtweise der Unternehmen und Verbände kritisieren auch heute noch Christina Kohler und Pablo Jost vom Institut fur Publizistik der Johannes Gutenberg-Universitat Mainz in ihrer Studie „Tarifkonflikte in den Medien“ (Otto-Brenner-Stiftung 2017). Die beiden Kommunikationswissenschaftler haben erforscht, warum manche Tarifverhandlungen eine hohe Aufmerksamkeit bekommen und andere kaum medial beachtet werden. Dafür haben sie neun sehr unterschiedliche Tarifauseinandersetzungen untersucht und neben der Medienberichterstattung auch Pressemitteilungen von Arbeitgeberverbanden und Gewerkschaften unter die Lupe genommen.

Köhler und Jost zeigen: Journalisten bewerten die Angebote der Arbeitgeberseite tendenziell wohlwollender als die Forderungen der Gewerkschaften. Und sie konzentrieren sich vor allem auf solche Tarifauseinandersetzungen, deren Konsequenzen in der breiten Öffentlichkeit spurbar sind. Ist das der Fall, wird kontrovers diskutiert und problematisiert. In der Berichterstattung wird den Eindruck erweckt, es sei an den Gewerkschaften, die Auseinandersetzung beizulegen. Dieses Sichtweise werde vor allem im Boulevard, aber auch in den Qualitats-zeitungen prasentiert.

Die Medien zeichnen demnach ein sehr konflikttrachtiges und kritisches Bild von Tarifverhandlungen und Tarifpolitik. Vor allem die Konzentration auf Warnstreiks und Streiks vermittele den Eindruck, die öffentliche Ordnung werde gestort.
Interessante Erkenntnis der Streik-Forscher: Die Gewerkschaften machen den Journalisten wesentlich mehr Kommunikationsangebote und „gestalten diese personalisierter, emotionaler und konflikthaltiger als die Gegenseite“. Die Arbeitgeberverbande konzentrieren ihre Pressearbeit hingegen vor allem auf Streikphasen – „vermutlich, um einen kommunikativen Gegenpol zu den offentlichkeitswirksamen Streikaktionen der Arbeitnehmerseite zu schaffen“.

Allerdings endet auch bei den Gewerkschaften die große Transparenz gegenüber den Medienvertretern oft mit den Streikzeiten: Im Alltag stellen Wirtschaftsjournalisten fest, dass es eher schwierig ist, Betriebsräte zum Reden zu bringen. Dabei bräuchten Redaktionen dringend den Draht zu möglichen Whistleblowern aus der Belegschaft, um Missstände in Unternehmen vor Ort aufzudecken.

Denn natürlich wollen auch Kolleginnen und Kollegen in den regionalen Wirtschaftsredaktionen einen anderen Wirtschaftsjournalismus machen, als nur von Bilanzpressekonferenzen und Ladeneröffnungen zu berichten. Ab und zu gelingt so ein kleiner, lokaler Scoop.

Sie würden auch gerne mit anderen Darstellungsformen experimentieren. Oder mit Daten spielen, wie es ein Workshop der Landesanstalt für Medien NRW beim Journalistentag in Duisburg gezeigt hat (siehe Seite 35 im Beitrag zum Journalistentag 2107 (pdf) ). Aber klar ist auch: Je kleiner die Besetzung, je länger die Ausbildung zurückliegt, desto unwahrscheinlicher werden solche Ausbrüche im Blatt.

Checks für die Verbraucher

Unterhaltung mit Nutzwert für den Konsumenten steht bei Lesern und Zuschauern hoch im Kurs. Stiftung Warentest, einst der unbestrittene Platzhirsch, hat reichlich Konkurrenz in Sachen Verbraucherjournalismus bekommen. Getestet wird in allen Medien, alten und neuen. Auch die Springer-Gruppe ist in diesem Jahr mit dem Printmagazin Test-BILD, markig angekündigt als „Deutschlands härtestes Test-Magazin“, auf den Zug aufgesprungen.

Der Verbraucher, der Rankinglisten in Zeitschriften, Bewertungen und Themenseiten im Internet besucht, um wahre Informationen und das möglichst günstigste Angebot zu finden, interessiert sich auch für Check-Sendungen im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen. Die journalistische Antwort: Kaum eine Woche ohne Verbraucherchecks im Fernsehen. Da wird von Discountern über große Drogerie- und Lebensmittelketten bis zu Möbelhäusern und Handelsmarken alles getestet, mit dem Label vermeintlicher Objektivität versehen.

Vor lauter Begeisterung für die Check-Sendungen strich die ARD vor gut drei Jahren den letzten Primetime-Sendeplatz für Dokumentarfilme. Der TV-Kritiker Peer Schader, der über Handel, Logistik, Gastronomie und Medien schreibt, monierte schon 2013 in der FAZ: „Die ‚Markenchecks’ verschenken haufenweise Sendezeit, um immer wieder dieselben Banalitäten herunterzubeten, anstatt ausführlich auf die wirklich wichtigen Punkte einzugehen.“/whi

Globalisierung im Blick

Geändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch der Blickwinkel: Nach der Jahrtausendwende versuchten viele regionale Zeitungen, sich der Wirtschaft aus der volkswirtschaftlichen Perspektive zu nähern. Das boten bis dahin eher überregionale Zeitungen. Aber mit der fortschreitenden Globalisierung war auch regional stärker zu spüren, wie sich internationale Wirtschaftsentscheidungen vor Ort auswirken.

Diesen wirtschaftsjournalistischen Blick in die Region gab es noch nicht, als Klaus Möller nach dem Volontariat langsam in sein heutiges Ressort schlidderte. Zwar hatte er nicht Betriebs- und Volkswirtschaft studiert, aber er legte sich „eine solide Grundausstattung“ zu, bildete sich autodidaktisch fort. „Den Gabler. Einführungen in BWL und VWL. Wie lese ich eine Bilanz?“, listet er die Buchtitel in seinem Regal neben dem Arbeitsplatz auf. In 1990er Jahren hat er Fortbildungen besucht, „aber nicht allzu viele“. Damit sei der Verlag immer sehr sparsam gewesen.

Vermutlich dürfte Leon Hohmann nach dem Ende dieses Wintersemesters mehr Wissen um Wirtschaftsjournalismus mit in eine Redaktion bringen, als es Möller seinerzeit hatte, als er in „die Wirtschaft“ wechselte. Der 21-Jährige lernt den Wirtschaftsjournalismus gerade im fünften Semester seines Bachelor-Studiengangs „Journalismus und Public Relations“ an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen kennen.

Das Wahlpflichtangebot verschafft den Studierenden geballtes Fach- und Methodenwissen zum Ressort Wirtschaft und macht mit spezifischen Darstellungsformen und Recherchewegen vertraut. Und doch hat Leon Hohmann bei seinen Mitstudierenden festgestellt: „Für viele ist es kein sehr beliebtes Fach.“ Der Grund: „Es ist abschreckend, wenn es nur um Zahlen geht.“

Das lang gepflegte Vorurteil

Da blitzt wieder das immer schon gepflegte Vorurteil auf: Journalisten haben es ja oft nicht so mit Mathe. Bis heute nehmen Journalistinnen und Journalisten ihre Fehlstelle mit Humor. Wer in der Lokalzeitung sitzt, überlässt die Zahlen oft gerne anderen: den Wirtschaftsexperten in den Fernseh- und Rundfunksendern. Oder den überregionalen und spezialisierten Printobjekten wie Handelsblatt, Wirtschaftswoche oder Capital.

Dem Leser geht es ähnlich. Dabei mangelt es trotz des gesellschaftlichen Gegenwinds aus mehreren Richtungen generell nicht an Interesse für Wirtschaftsberichterstattung, stellt die Medienwissenschaftlerin Claudia Mast fest: „Mehr wissen will die Bevölkerung vor allem zu den gesellschaftspolitischen Auswirkungen unternehmerischer Aktivitäten, weniger aber zu der früher ausufernden Berichterstattung über Quartalszahlen, Unternehmensstrategien und geschäftspolitische Konzepte.“

Mehr Bezug zum Alltag

Das heißt: Weniger Börsenberichterstattung oder Beiträge, die sich aus Pressekonferenzen speisen, mehr Bezug zum Alltagsleben. Diese Suche nach vertrauenswürdigen Informationen mit Relevanz für den Einzelnen erklärt auch, warum Verbraucherjournalismus in allen Facetten gerade boomt (siehe Kasten „Checks für die Verbraucher“). Was einerseits ein attraktives Arbeitsfeld für Redaktionen und freie Journalisten entstehen lässt, aber andererseits Seitenplatz, Sendezeit und andere Ressourcen bindet, die für andere Wirtschaftsberichterstattung fehlen.

Nicht nur in Richtung Nutzwertjournalismuns zerfasert das einst klassisch fest gefügte Ressort: Redaktionelle Berichterstattung über Wirtschaftsthemen gibt es längst nicht mehr nur in den Publikums- und Fachmedien, sondern zunehmend auch in Magazinen und Zeitungen von Innungen, Kammern, Berufs- und Branchenverbänden. Entsprechend differenziert sich der Beruf des Wirtschaftsjournalisten weiter aus, wie Fachjournalisten seit einigen Jahren feststellen. Große Unternehmen oder einzelne Branchen geben eigene Kundenzeitschriften mit wirtschaftlichen Branchen- und Verbrauchernachrichten heraus.

Mit solchen Medien und eigenen Redaktionen findet die Wirtschaft ihre Antwort auf eine Misere, die auch Wolff kritisiert: Es gibt in den meisten Wirtschafts- und Finanzressorts der Regionalzeitungen keine fachlich ausgewiesene Betreuung der Finanzthemen mehr. Nach einer Untersuchung von Michael Haller an der Universität Leipzig hatte schon vor einem Jahrzehnt rund ein Drittel der Regionalzeitungen keinen Wirtschaftsredakteur mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung. In sieben von zehn Redaktionen kümmere sich demnach in den Wirtschaftsressorts niemand speziell um den Finanzbereich. Jedes Ressortmitglied befasse sich auch mit den Finanzthemen. Diese Art der Arbeitsteilung entspringe „vielerorts der Not“.

NRW bildet viel Nachwuchs aus

Dabei mangelt es nicht an Nachwuchs für die Branche. Gerade in Nordrhein-Westfalen werden viele von Deutschlands Wirtschaftsjournalisten ausgebildet. In den Wirtschaftszentren am Rhein sitzen zwei Einrichtungen, die sich selbst wahlweise als „führende Ausbildungsstätte für Wirtschaftsjournalisten“ (Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf) oder als „erste Adresse für die Ausbildung von Wirtschaftsjournalisten“ (Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft, KJS) anpreisen.

Bei der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten lernt der Nachwuchs für Zeitungen und Magazine des Handelsblatt-Verlags mit Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Der Betrieb, vdi Nachrichten und Absatzwirtschaft sowie für deren Onlineportale berufsbegleitend zum Volontariat.

Die Kölner Schule setzt auf einen Verbund mit den Wirtschaftsstudiengängen der Universität zu Köln. Das KJS-Absolventenverzeichnis liest sich wie das „Who’s who“ des deutschen Journalismus und der Pressestellen. Die Schule finanziert sich nach eigenen Angaben aus Studiengebühren von bis zu 500 Euro pro Monat (ein Drittel der Gesamteinnahmen) sowie aus Spenden und Sponsoring von Unternehmen, die auch ausgewiesen sind.

Petra Hoffknecht hat Studium plus Journalistenschule durchlaufen. | Foto: Arne Pöhnert
Petra Hoffknecht hat Studium plus Journalistenschule durchlaufen. | Foto: Arne Pöhnert

Petra Hoffknecht aus der Pressestelle des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe hat die Kölner Schule absolviert. Sie hat nach ihrem Volkswirtschaftsstudium an der Uni Köln ab 1998 für drei Jahre beim Wirtschaftnachrichtendienst VWD und dann in der Finanzredaktion des Handelsblatts in Düsseldorf und in Frankfurt gearbeitet. Verbunden ist sie mit der Schule bis heute über einen Alumni-Verein und ein Stammtisch-Netzwerk quer durch die Zentren der Republik: Köln, Frankfurt, Hamburg, München – und natürlich Berlin. Es ist ein Gegenstück zum einflussreichen Netzwerk, das um die Münchner Journalistenschule entstanden ist.

Petra Hoffknecht ist im Rückblick zufrieden mit der Kölner Mischung aus Studium, Journalistenschulausbildung und Praktika, die ihr einen hervorragenden Berufseinstieg als Wirtschaftsjournalistin ermöglicht haben. Und nach Familiengründung sowie Elternzeiten boten sich der dreifachen Mutter, wie sie sagt, „reelle Chancen zum Wiedereinstieg“.

Das Semester Wirtschaftsjournalismus ist bei vielen unbeliebt, stellt Student Leon Hohmann fest. | Foto: Arne Pöhnert
Das Semester Wirtschaftsjournalismus ist bei vielen unbeliebt, stellt Student Leon Hohmann fest. | Foto: Arne Pöhnert

Eine Chance auf einen Einstieg in den hauptberuflichen Journalismus hat der Student Leon Hohmann. Seit zwei Jahren schreibt er meist an den Wochenenden für die Lokalzeitungen im Bergischen Land. Allerdings kommen ihm Wirtschaftsthemen bisher selten unter, erzählt er. Klar, mal ein Termin bei einem Start-up oder ein kurzer Text für die Rubrik „Neues aus der Geschäftswelt“. Für Hohmann, der auch schon als Beisitzer im Vorstand des Bergischen Journalistenvereins mitarbeitet, bleibt es derzeit meist noch bei den „klassischen Wochenend-Terminen“ der Freien. Aber nächstes Jahr nach dem Bachelor-Abschluss wird er als Volontär zum Tageszeitungsverlag B. Boll (Remscheider Generalanzeiger / Solinger Tageblatt) gehen, den Vertrag hat er schon unterschrieben.

Zeit und Geld für echte Recherchen

Und vielleicht wird Hohmann dann in seinem Volontariat erleben, was die Medien-Praktiker Arlt und Storz in ihrer Studie den Chefredakteuren und Verlagen vorschlagen. Neben viel Kritik gibt es nämlich auch Konstruktives von ihnen: „Organisation, Ausstattung und Arbeitsabläufe in den Redaktionen müssen so ausgerichtet werden“, fordert das Wissenschaftler-Duo, „dass sie kritische Diskussionen, Widerspruch und das Überprüfen des anscheinend Selbstverständlichen alltäglich machen“. Untypische Quellen, sperrige Informationen und Gegenargumente müssten in Redaktionen eine größere Chance erhalten. Nur brauchen Wirtschaftsjournalisten dafür auch mehr Ressourcen. Sprich: Mehr Zeit und Geld, die angesichts der Rotstift-Politik in vielen Verlagen und Sendern knapp sind. ||