THEMA | TV-Produktionsfirmen

TV-Produktionen: Gestiegene Ansprüche, komplexere Abläufe

Warum Sender heute überwiegend auf Produktionsfirmen setzen
10. August 2017, Andrea Hansen

JOURNAL: Das ZDF ist vom Auftragsvolumen der größte Einzelauftraggeber bei TV-Produktionen. Ist das schon immer so gewesen, oder steht dahinter eine Entwicklung?

Peter Ahrens
Prof. Peter Arens ist Leiter der Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft beim ZDF. Die Hauptredaktion umfasst sieben Redaktionen (nano, Terra X, Wissen, Zeitgeschichte, Naturwissenschaft und Technik, Kirche & Leben Katholisch, Kirche & Leben Evangelisch) sowie eine Abteilung „Zentrale Aufgaben“. Arens leitet zudem den Studiengang „Fernsehjournalismus: Kultur, Bildung, Wissenschaft“ an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

Peter Arens: Insbesondere bei Reportagen und Dokumentationen ist das ZDF in der Tat stark aufgestellt. Und vielleicht hat auch die Quantität der Formate zugenommen, bedingt durch neue Plattformen wie ZDFinfo und ZDFneo, zumal wir 3sat und Phoenix ebenfalls mit Dokumentationen beliefern. Hier liegt einer der maßgeblichen Vorteile dieser Formate, weil sie etwas „repertoirefähiger“ sind als moderierte Magazine.

JOURNAL: Welche Gründe gibt es für die Entwicklung weg vom Autorenfernsehen – gleich, ob mit festen Redakteuren oder festen Freien mit ZDF-Teams – hin zu Auftragsproduktionen?

Arens: Das ist ein Prozess, der vor vielen Jahren eingesetzt hat. Zum einen haben wir im ZDF einen Personalabbau hinzunehmen, und zum anderen sind die Arbeiten am Programm wesentlich komplexer als in den neunziger Jahren. In der alten Terra-X-Zeit konnte ein kleines Team in die Welt reisen und mit dem gedrehten Material Einzelfilme oder Mehrteiler produzieren, die ein großes Publikum fanden. Heute sind die Ansprüche an Narration, Bildästhetik und Postproduktion wesentlich höher.
Nehmen wir das aktuelle Beispiel Europasaga, ein Terra-X-Sechsteiler über die Kulturgeschichte Europas mit Christopher Clark: Allein die Drehbuchentwicklung hat fast ein Jahr in Anspruch genommen. Das Programm wird bestehen aus Dokumentaraufnahmen, Inszenierungen, Moderation mit Clark (double shooting in Deutsch und Englisch), dazu kommen Archiv-Footage, Grafiken und Computer Generated Images (CGI). Ein solcher Aufwand ist für kleine Teams nicht mehr machbar.
Aber Sie haben Recht, auch bei den schnelleren Reportagen sind kaum mehr Redakteure oder Freie als Autoren für eine Eigenproduktion im Einsatz. Die Redakteure sind als Autoren kaum mehr abkömmlich, und viele Freie arbeiten mittlerweile mit Produktionsfirmen zusammen, wo die Workflows in einer Hand liegen. Natürlich haben die Firmen ein Interesse daran, gute Filmemacherinnen und -macher an sich zu binden. Ich habe an dieser Vergabekonstellation in einem veränderten Markt nichts auszusetzen. Was qualitativ hochwertiges Fernsehen betrifft, brauchen wir ja auch Auftragsproduzenten, die unter guten infrastrukturellen Bedingungen und einer verlässlichen Auftragslage erfolgreich arbeiten können.

JOURNAL: Welche Rolle hat denn heute der Redakteur, wie hat sich seine Arbeit verändert? Welchen Einfluss auf die Produktion hat er?

Arens: Nehmen wir noch einmal das Beispiel Europasaga: Filmemacher waren hier nicht ZDF-Redakteure, sondern die Kreativen von Gruppe 5 in Köln und Interscience in Heidelberg. Die Redakteure haben die Reihe aber maßgeblich mitkonzipiert und intensiv an den Drehbüchern mitgearbeitet. Sie sind heute Programmmanager, haben aber immer noch in einem beträchtlichen Umfang inhaltliche, gestalterische Aufgaben. Oft arbeiten meine Redakteure zudem als Ko-Autoren für andere ZDF-Produktionen. In der Zeitgeschichte oder bei „Leschs Kosmos“ stammen manche Filme ganz aus der Fachredaktion. Das Gros der Mitarbeiter jedoch betreut Filme, gestaltet Sendeplätze, konzipiert Schwerpunkte, koproduziert mit ZDFneo, ZDFinfo oder 3sat und ist zunehmend in ZDF-Online-Angebote eingebunden.

JOURNAL: Läuft der Sender Gefahr, von externen Anbietern abhängig zu werden durch Abbau von redaktionellen und/oder technischen Kapazitäten, wenn er selbst weniger produziert?

Arens: Definitiv nein. Bei 37° zum Beispiel arbeiten wir immer wieder mit neuen Produktionsfirmen und Autoren zusammen, je nach eingehenden Themenangeboten. Wer mit einem guten Stoff kommt und einer Mindesterfahrung bei längeren Formen, bekommt den Zuschlag, natürlich unter enger Betreuung durch die Redaktion.
In den inhaltlich sehr differenzierten Sparten wie Geschichte oder Naturwissenschaft greifen wir allerdings in der Regel auf vertraute Partner zurück, weil deren Erfahrung für die hochpreisigen, produktionell komplexen Filme unentbehrlich ist. Aber auch hier verfügen wir über genug Firmen, um nicht in Abhängigkeiten zu geraten. Aber noch einmal: Heute entstehen die anspruchsvollen Programme durch eine enge vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Seiten – heroische Autorenpersönlichkeiten, die alles können, gibt es kaum. Es geht eher um Multi-Authorship (mehrere Autoren schreiben an einem Programm) und das Orchestrieren verschiedener Gewerke.

JOURNAL: Ein öffentlich-rechtlicher Sender wird ja immer etwas strenger beäugt als ein Privatsender. Wie gewährleisten Sie, dass die Arbeitsbedingungen im Haus und extern gleich oder zumindest ähnlich gut sind? Ist das für das ZDF überhaupt ein Kriterium bei der Auswahl?

Arens: Das ZDF hat 2015 nach Verhandlungen mit dem Berufsverband Regie die Honorare für Autoren und Regisseure in drei Schritten um 14 Prozentpunkte angehoben (die letzte Erhöhung erfolgt ab 1. Januar 2018). Das war meines Erachtens dringend erforderlich, weil die professionellen, produktionellen und intellektuellen Anforderungen im non-fiktionalen Produzentenmarkt gestiegen sind. Ich gehe natürlich davon aus, dass unsere Produzenten für ihre Kreativen faire Arbeitsbedingungen schaffen. Unermesslich reich wird in unserem Genre keiner, das ist ja bekannt, dafür aber ist die Tätigkeit spannend ohne Ende.

JOURNAL: Gibt es bei dieser Entwicklung denn auch Dinge, die Ihnen Sorge machen? Wie können Sie in Personalfragen überhaupt auf Produzenten einwirken?

Arens: Normalerweise beantworten Sendeplatzverantwortliche solche Fragen gerne mit der Sorge, dass ihre Formate irgendwann mainstreamigen Angeboten weichen müssten. Ich vermag das bei uns nicht zu erkennen, ganz im Gegenteil.
Meine Sorge gilt eher dem Nachwuchs, der nicht mehr mit gleicher Wucht in meinen Bereich zu strömen scheint. Dass Masterabsolventen eines natur- oder geisteswissenschaftlichen Studiums ins Fernsehen drängen, um dort das Autoren- und Regiehandwerk zu erlernen, hat nachgelassen. Was schade ist. Die seriösen Informationsmedien mit hoher Absenderglaubwürdigkeit sind auch in Zukunft dringend auf professionell ausgebildete, inhaltssichere TV-Journalisten angewiesen, davon bin ich überzeugt. Fake News sind hier nur ein Stichwort…

JOURNAL: Was raten Sie jungen Fernsehmachern, die mit Ihrem Haus zusammen arbeiten möchten?

Prof. Arens: Ich rate ihnen, sich auf hochwertige Ausbildungen zu bewerben, wie für Volontariate von ARD und ZDF. Oder für Filmhochschulen in München oder Babelsberg oder die Filmakademie Ludwigsburg. Wenn es um erste längere Formate geht, und da bieten sich Reportagen eher an als Dokumehrteiler oder Dokudramen, dann ist es sicher am besten, bei angesehenen Produktionsfirmen unterzukommen. Dort können erste Filme entstehen, unterstützt vom Produzenten und der Redaktion. Sendeplätze, auch auf neuen Plattformen, gibt es heute in der modernen Medienwelt sicher genug, wohl mehr als früher. Auch das ist ein Befund, der nach vorne weist.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/17, dem Mitglieder- und Medienmagazin des DJV-NRW.