Hasserfüllte Diskussionen, weniger Moderation, undurchschaubare Algorithmen und Besitzer auf Abwegen: Allen Einwänden zum Trotz können Redaktionen nicht ganz auf soziale Netzwerke verzichten und müssen einen Umgang damit finden. Darüber hat das JOURNAL mit Annette Kalscheur, Lokalredakteurin bei der WAZ in Duisburg, gesprochen.
JOURNAL: X, Facebook und Instagram sind stark in die Diskussion geraten, aber trotzdem nicht aus dem Redaktionsalltag wegzudenken.
Annette Kalscheur: Das stimmt, und das predige ich in meinen Volokursen: Ihr müsst wach und offen für alle Social- Media-Kanäle sein. Ihr müsst nicht Euer Mittagessen auf Insta posten oder anderweitig mitspielen. Aber Ihr müsst die aktuellen Kanäle wenigstens kennen und dort recherchieren können. Für die Themenfindung und das Aufspüren von Protagonisten können sie sehr hilfreich sein.

JOURNAL: Sind in der Duisburger Redaktion alle Kolleginnen und Kollegen in die Social-Media-Arbeit eingebunden?
Kalscheur: Alle haben die Zugänge und könnten eingreifen. Das ist vor allem am Wochenende und in den Randzeiten wichtig. Es gibt aber einige, die zusätzlich zu ihrer eigentlichen journalistischen Arbeit schwerpunktmäßig das Community Management übernehmen.
JOURNAL: Wie sieht die grundsätzliche Strategie aus?
Kalscheur: Wir sind freundlich, aber auch relativ rigide. Das heißt, wir löschen, verbergen oder gehen entschieden dazwischen, wenn es hitzig wird. Das, was Fake-News-Schleudern in Diskussionen unter unsere Texte schreiben,
soll keinesfalls stehen bleiben. Natürlich ist uns klar, dass wir diese Leute nicht bekehren. Aber es geht ja um die anderen: Diejenigen, die mitlesen, sollen die Fakten zu sehen bekommen.
Wo die WAZ mitmischt
Für Instagram gibt es einen gemeinsamen Account fürs Ruhrgebiet, ebenso auf Threads. Mit Pottlust besteht zusätzlich ein Account für Ausgehtipps im Ruhrgebiet. Bei TikTok unterhält die WAZ einen gemeinsamen Account zu politischen und lokalen Themen, die Redaktionen Gelsenkirchen und Dortmund haben eigene Accounts. Bei Pinterest gibt es Einträge zu Themen wie Gärtnern und Kochen. Wie viele andere Medien setzt die WAZ zudem auf die Kommunikation per WhatsApp-Channel. Bluesky und Mastodon scheinen noch nicht erschlossen.
JOURNAL: Seid Ihr schon immer so konsequent gewesen?
Kalscheur: Es gab ehrlich gesagt eine Zeit, da hat die Lokalredaktion es etwas schleifen lassen, weil alle der ewigen Diskussionen müde waren. Aber dann haben wir einen neuen Anlauf genommen, bei unseren Userinnen und Usern unsere Regeln durchzusetzen. Möglich war das auch dank einer kleinen personellen Aufstockung. Aber wir achten auch darauf, dass unsere Moderation freundlich bleibt und dass wir diejenigen positiv einbinden, die einen guten Umgangston pflegen. Das hat etwa ein halbes Jahr gedauert, aber dann gut funktioniert. Seither gibt es immer wieder Nutzende, die unseren Job übernehmen und uns gegen Angriffe verteidigen.
JOURNAL: Also ein richtig gelungener Community-Aufbau.
Kalscheur: Ja, die Arbeit hat sich wirklich gelohnt. Da ist tatsächlich eine Community entstanden. Durch den Einsatz von Werkstudenten bekommen sie mit Reels seit einem Jahr auch viele zusätzliche Inhalte. Aber wir profitieren zum Beispiel bei Facebook auch von den Meta-eigenen Bots. Die KI erkennt bestimmte Begriffe von Hass und Extremismus und blockiert diese Inhalte.
JOURNAL: Klassische Themen für lebhafte und teils giftige Diskussionen sind im Lokalen vermutlich Geflüchtete, Klima und – Verkehr?
Kalscheur: Ja, genau. Da treffen dann renitente Radfahrende auf renitente Autofans. Die Klimadebatten lassen wir manchmal auch bewusst laufen, weil da durchaus sinnvolle Informationen geteilt werden.
Ein weiteres Triggerthema ist natürlich Kriminalität. Da wir hier in Duisburg sind, wird dann sofort über die Herkunft der Tatverdächtigen gemutmaßt. Und klassischerweise kommt bei solchen Diskussionen die Vielzahl der Kommentare von Menschen, die den Artikel offensichtlich nicht gelesen haben, sondern nur die Überschrift. Generell tummeln sich in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke viele Menschen mit wenig Wissen und sehr viel Meinung.
JOURNAL: Dann greift sicher das oben erwähnte konsequente Vorgehen gegen Trolle und Regelverstöße – also Ermahnen, Verbergen und Löschen. Was tut die Redaktion darüber hinaus, damit solche Diskussionen nicht aus dem Ruder laufen?
Kalscheur: Bei besonders kritischen Themen achten wir darauf, dass wir die eher nicht abends posten, sondern am nächsten Morgen, damit wir die Kommentarspalte im Blick behalten können. Denn in solchen Fällen wollen wir lieber etwas zu früh reingehen als zu spät. Trotzdem verpasst man diesen Zeitpunkt auch mal, weil es gerade woanders brennt. Dann muss man das nachträglich auffangen. Teilweise schränken wir auch die Kommentarfunktion ein, sodass nur bekannte Userinnen und User kommentieren können. Auch daran gibt es dann natürlich Kritik, aber wenn wir die Gründe erläutern, dann wird es auch angenommen.
Wir posten im Einzelfall auch noch mal einen Hinweis auf die Netiquette – auch wenn wir nicht davon ausgehen, dass diejenigen, die gemeint sind, sie dann wirklich lesen. Aber es zeigt, dass in der Diskussion um unsere Beiträge auch unsere Regeln gelten. Und dass wir da sind.
JOURNAL: Untersuchungen belegen ja, dass entscheidend ist, in welchem Tonfall Diskussionen moderiert werden: also sachlich und wertschätzend kommunizieren, transparente Entscheidungen, konstruktive Stimmen stärken, die Community einbinden.
Kalscheur: Das stimmt. Auch Humor kann helfen, eine Situation zu entspannen. Und manchmal ist es auch sinnvoll, einzelne direkt anzusprechen. Viele sind erstaunt, dass ihnen kein Bot gegenüber steht, sondern echte Menschen.
JOURNAL: Und wie sieht es mit persönlichen Angriffen aus?
Kalscheur: Natürlich werden wir als Journalistinnen und Journalisten auch persönlich angegriffen. Aber ich fühle mich unterstützt und auch geschützt. Dafür geht ein großes Lob an meine Kolleginnen und Kollegen, die das Community Management ja parallel zu ihrer Arbeit machen.||
Das Interview ist gehört zum Beitrag „Die richtigen Kanäle finden“.
Ein Beitrag aus JOURNAL 1/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2025.