MEDIENPOLITIK |

In der Zwickmühle

Warum digitale Souveränität gerade für Medien wichtig ist
21. Dezember 2025, Corinna Blümel
Auf einem Podium diskutieren drei Personen, links und rechts außen jeweils eine Frau, in der Mitte ein Mann.
Was digitale Souveränität für Medien bedeutet, diskutierten DJV-Justiziarin Hanna Möllers, Kai Heddergott und Esther Menhard. | Foto: Udo Geisler

Europa hat sich ziemlich blindlings in eine extrem schwierige Situation gebracht: Technologieanbieter aus den USA und aus China kontrollieren zentrale Punkte der digitalen Infrastruktur und könnten im Konfliktfall vieles einfach abstellen – von der einfachen Mail-Kommunikation bis zu ganzen Systemen der kritischen Infrastruktur.

Regulierung wird (nicht nur deshalb) schwierig, und der Aufbau einer eigenen, unabhängigen Infrastruktur ist bisher mehr guter Vorsatz als ernsthafter Prozess. Längst müssen Europa und Deutschland sich eingestehen, dass sie politisch, wirtschaftlich und technologisch erpressbar sind, dass Wettbewerbsfähigkeit und Datensicherheit auf dem Spiel stehen. Und was macht das mit den Medien? Darauf fokussierte ein spannendes Panel beim JoTag.

Kampf um Deutungshoheit

Moderator Kai Heddergott lotete mit seinen Podiumsgästen – DJV-Justiziarin Hanna Möllers und Esther Menhard, freie Autorin bei netzpolitik.org – zunächst aus, was genau unter dem Begriff digitale Souveränität zu verstehen ist. Denn der ist uneindeutig, wie Esther Menhard erklärte. Natürlich könne man darunter alles rund um Open Source verstehen. Aber wenn im politischen Raum über digitale Souveränität gesprochen werde wie etwa beim Digitalgipfel Mitte November in Berlin, dann stehe oft das Wirtschaftliche im Fokus, also die Idee, europäische Technologien zu fördern oder auch nur den Wirtschaftsstandort zu stärken. Dabei seien europäische Big-Tech-Unternehmen nicht per se besser als die aus den USA.

Wer welche Infos bekommt

Den Gipfel nannte Hanna Möllers enttäuschend und ergänzte: „Da findet gerade ein Kampf um Deutungshoheit statt. Big Tech versucht den Begriff so umzudeuten, dass es reicht, mehr Server in Deutschland aufzustellen.“

Aus journalistischer Perspektive gehe es um die Entscheidung, wie Medien souverän bleiben. Darin stecke die Frage: Wie viele und vor allem welche Informationen werden wem zugänglich gemacht? An wen werden sie verteilt?

„Diese mediale Souveränität geben wir mit KI und den Algorithmen gerade immer weiter ab“, kritisierte Möllers. Dass soziale Netzwerke darüber bestimmen können, welche Informationen und Meinungen geteilt werden, gefährdet die Meinungsfreiheit und auch den Journalismus in seinem Kern.

Auch denen, die der spannenden Diskussion folgten, war klar warum: Journalismus kann seine unerlässlichen Funktionen für die Demokratie nur dann erfüllen, wenn er in der Öffentlichkeit stattfindet, wenn also die Bürgerinnen und Bürger die Ergebnisse der Recherchen und Analysen auch zur Kenntnis nehmen könnten. Digitale Verbreitungswege sind heute für Medien ein entscheidender Faktor, um ihr Publikum zu erreichen. Je stärker das Netz von Kräften dominiert wird, die – sei es aus kommerziellen, aus politischen oder aus beiderlei Gründen die Auslieferung journalistischer Informationen manipulieren, desto prekärer wird die Situation für die Medien, aber auch für die Demokratie.

Das Zeitfenster schließt sich

Die Gesellschaft sei auf Kommunikation angewiesen, betonte Möllers. „Das heißt, wir brauchen Plattformen, aber mit den vorhandenen sind wir abhängig.“ Eine digitale Zwickmühle.

Was das für die Pressefreiheit heißt, machte Möllers deutlich: Es gehe längst nicht mehr nur um eine Abwehrpflicht gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber den Techgiganten. „Der Staat muss die Infrastruktur sicherstellen, damit alle ihre Meinung sagen können.“ Und sie warnte: Obwohl die Erkenntnis nicht neu sei, schließe sich das Zeitfenster gerade: „Wir haben das verschlafen und müssten jetzt in Riesenschritten vorwärtsgehen, um das noch glattzuziehen.“

Als ein positives Beispiel nannte sie das von der damaligen Ampel-Regierung initiierte Unternehmen Zentrum für digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung GmbH (ZenDiS), das als 100-prozentige Tochter des Bundes an einer datensicheren Open-Source-Software für die Verwaltung arbeite.

Es braucht einen Notfallplan

Es gehe nicht darum, keine US-Technologie mehr zu verwenden, betonten die beiden Fachfrauen auf dem Podium. Menhard: „Das Ziel ist ja nicht, dass wir jetzt protektionistisch werden. Es geht darum, eine größere Klarheit herzustellen, wo man in welcher Form abhängig ist. Und dann sollten alle natürlich auch einen Notfallplan haben.“

Auch Möllers warb in diesem Sinne dafür, „zweigleisig zu fahren“. Die Politik in Deutschland und Europa müsse sich entscheiden, wie viel Big-Tech-Einfluss sie zulasse, sagte Möllers und verwies auf das Thema Transparenz zum Trainingsmaterial für KI. Da sei die Kommission vor dem Big-Tech-Einfluss eingeknickt, sodass ein Bruchteil von dem offen gelegt werden müsse, was wichtig gewesen wäre. Da erschwere künftige Klagen.

Kritisch sahen Möllers und Menhard insgesamt den jetzt von der EU-Kommission vorgelegten „Digital-Omnibus“, der von Wirtschaft und Politik für Bürokratieabbau und Innovationsfreundlichkeit gelobt wird. Möllers: „Mit diesem Gesetzespaket unter anderem zu Digitalen Diensten, DSA, AI-Act und Datenschutz werden jetzt lang erkämpfte Rechte geschleift.“ Sie forderte, dass die EU viel stärker den „Brüssel-Effekt“ nutzen sollte – „wie bei anderen Produkten darauf bestehen, dass zum Beispiel auch Software den europäischen Vorschriften entspricht“. ||

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2025.