THEMA | Über die AfD berichten

Cool, calm & collected

Erfahrungen aus zehn Jahren Berichterstattung über die AfD
29. Juli 2025, Julia Rathcke

Zwischen Lüge und Wahrheit liegt manchmal nur ein Blatt Papier: ein Parteibuch, ein Anwaltsschreiben, eine eidesstattliche Versicherung. Das ist keineswegs das Alleinstellungsmerkmal der 2013 im Taunus gegründeten AfD. Intrigen, Machtmissbrauch und Manipulationen sind quer durch die deutsche Parteienlandschaft zu finden, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg und Aufsehen. Bei der AfD richten sich diese Gepflogenheiten entgegen des üblichen politischen Stils häufig, vielleicht sogar vor allem gegen den publizistischen „Mainstream“: gegen uns Medienschaffende.

Eine Frau blickt lächelnd in die Kamera. Sie trägt eine magentafarbene Bluse und hat ihre längeren dunkelblonden Haare hinten zusammengenommen.
Julia Rathcke von der Rheinischen Post berichtet seit zehn Jahren über die AfD. Jüngst wurde sie für ihre Text über erhebliche Widersprüche im Lebenslauf eines AfD-Landtagsabgeordneten in NRW überzeugte mit dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet. Sie belegte den dritten Platz. | Foto: Rheinische Post

Gegen „Establishment“ und Medien

Die Alternative für Deutschland war neu, aber sie tat nichts, was neue Wettbewerber in Politik oder Wirtschaft für gewöhnlich tun: sich strukturieren, sich organisieren, sich der Öffentlichkeit (vor)stellen. Angetreten war sie laut, schrill, krawallig – zunächst mit eurokritischen, ab 2015 mit asylfeindlichen Parolen. Und wurde immer schriller. Ob auf Demonstrationen, auf Plakaten oder in sozialen Medien, der Protest drang dieser Partei immer aus allen Poren: gegen das „Establishment“, provozieren aus Prinzip.

Im Nachhinein und aus AfD-Sicht war es also nur folgerichtig, diese Haltung auch gegenüber Medienhäusern zu verteidigen. Schon bei einem meiner ersten Pressetermine für die AfD in NRW war eines deutlich zu spüren: die Überheblichkeit gegenüber allem. Der Landesverband hatte im Februar 2016, gut ein Jahr vor dem Wahlkampfstart für die Landtags- und für die Bundestagswahl, das gesamte Kongresszentrum in Düsseldorf gemietet für eine Veranstaltung mit dem Titel „Visionen für Europa“, an der die rechtspopulistische Prominenz Österreichs teilnahm, unter anderem Heinz-Christian Strache, der damalige Vorsitzende der rechten FPÖ. Ansonsten: ein paar Parteimitglieder mit Deutschlandfahnen in den ersten beiden Saalreihen. Und ein eigener Livestream mit allerlei Pathos für die Anhängerschaft. Die Presse? Eine Randnotiz.

Der Gegenwind hat nicht geholfen

Dieses Selbstverständnis und Selbstbewusstsein hat über die Zeit eher zu- als abgenommen, und man muss deutlich sagen: wegen und nicht trotz des Gegenwindes von Großdemonstrationen bis Verfassungsschutz. Zum einen hat die AfD dazugelernt, zum anderen wird ihre Basis breiter und stabiler.

War es anfangs auf Landes- wie Bundesebene chaotisch nach außen und innen, hat die AfD ihren Einzug in sämtliche Parlamente als Blaupause genutzt, zunächst im Saarland (März 2017) sowie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (Mai 2017), dann im Bundestag (September 2017) und in der Folge in allen anderen Landtagen. Auf Parteitagen in den Anfangsjahren brauchte man extrem viel Zeit, Nerven, eigenes WLAN und Basisverpflegung. Vor allem den Landesverband NRW habe ich damals als Sammelbecken für Karrieristen und Gescheiterte aller Art beobachtet. Viele kannten die Abläufe nicht, viele wollten gute Posten, manche um jeden Preis.

Medien waren anfangs eher lästig

Journalistinnen und Journalisten schienen der Partei in dieser Phase eher lästig zu sein, weshalb viele Mitglieder und Funktionäre sie bestenfalls ignorierten. In meinem Fall wurden persönliche Angriffe zum Alltag, von öffentlichen Schmähungen bis zu juristischen Verfahren. Das hat sich bis heute nicht geändert, allerdings in einer beispielhaften Weise professionalisiert: Bei kritischen Anfragen kommt die Antwort heutzutage direkt von der Kölner Kanzlei Höcker, und zwar in einer Schriftsatzlänge und Tonart, die in erster Linie eines zum Ziel hat: Einschüchterung. Eine Taktik, die sich die AfD wohl einiges kosten lässt. Und die durch stärkere Wahlergebnisse und den damit verbundenen zusätzlichen Einnahmen jetzt erst möglich ist. Es fällt immer schwerer, standzuhalten, wenn etwa ein Anwalt am Telefon auf eine kritische Recherche antwortet: „Ich glaube meinem Mandanten, und ich hoffe, Sie können noch ruhig schlafen, wenn Sie es nicht tun.“

Keine Rücksicht auf Medien

An dem unerlässlichen zwischenmenschlichen Kontakt mit Menschen aus der AfD oder ihrem Umfeld ändert aber auch ein Gutachten nichts. Immer wieder wird diskutiert, ob und wie der 1 000-Seiten-Bericht des Verfassungsschutzes den Umgang mit der AfD beeinflusst. Nach knapp zehn Jahren kann ich persönlich sagen: Er verschriftlicht lediglich vieles, was im Alltag immer deutlich war und ist. Dass die AfD in Teilen rechtsextrem ist – und keine Rücksicht nimmt auf Medien, die sie ohnehin nicht (mehr) braucht. Längst haben sich ihre eigenen Kanäle etabliert, in denen nicht wenige ihrer Anhänger informationstechnisch ganz abgeschottet sind.

Um aus der Partei überhaupt noch berichten zu können, bleibt nichts anderes übrig, als mit allen zu sprechen, von denen man sich Erkenntnisgewinn verspricht. So sieht es auch meine Kollegin in der Berliner Parlamentsredaktion der Rheinischen Post, Mey Dudin, die zu denjenigen gehört, die sich in eine schon erstarkte Bundespartei mit inzwischen verdoppelter Abgeordnetenanzahl mühsam einarbeiten musste. Bei der AfD im Bundestag gebe es unter einigen Spitzenleuten durchaus einen professionellen Umgang mit Journalisten, berichtet meine Kollegin, was ich auch für den Landesverband unterschreiben kann.

Wächterpreis: Alle drei Auszeichnungen für NRW-Zeitungen
In einem repräsentativen Saal sitzen zwei Frauen und zwei Männer nebeneinander. sie lauschen offensichtlich einer Rede.
Mit ihrem Text über erhebliche Widersprüche im Lebenslauf eines AfD-Landtagsabgeordneten in NRW überzeugte Julia Rathcke (v.l.) von der Rheinischen Post in diesem Jahr beim Wächterpreis der Tagespresse. Sie belegte den dritten Platz. Neben ihr sitzt WAZ-Reporterin Sophie Sommer, die für ihre Reportage über Kinderprostitution mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde. Der zweite Preis ging an Volker Votsmeier und Sönke Iwersen vom Handelsblatt für ihren Text über den Widerstand, mit dem Staatsanwältin Anne Brorhilker bei der Aufklärung des Cum-Ex-Skandals zu kämpfen hatte. Verliehen wurde der Preis im Kaisersaal des Frankfurter Römer. | Foto: Helmut Frick/picture alliance/

Teil der Inszenierung

Geht man allerdings auf die Pressekonferenzen, kann man Teil einer Inszenierung werden: Die AfD streamt solche Veranstaltungen live für ihre Basis. Vor laufender Kamera gehen Anwesende besonders stark auf Konfrontation mit der vermeintlichen „Lügenpresse“. Einzelne Journalisten werden vor laufender Kamera angeschnauzt, weil sie vermeintlich hinterhältige Fragen stellen. Das müssen wir aushalten. Nicht hingehen ist aber keine Option – gerade, wenn man öffentliche Antworten auf Fragen haben will. Gelassen bleiben, akribisch arbeiten und immer wieder Rat aus der Rechtsabteilung einholen – es bleibt alles beim Alten bei der AfD-Berichterstattung.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juli 2025.