Was können Redaktionen tun, um die AfD nicht durch ihre Berichterstattung zu stärken? Darüber hat das JOURNAL mit Cord Schmelzle, Politikwissenschaftler am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt an der Goethe-Universität Frankfurt, gesprochen.

JOURNAL: Wie unterscheidet die Politikwissenschaft zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus?
Cord Schmelzle: Sowohl rechtspopulistische als auch rechtsextreme Parteien haben als ideologischen Kern ein hierarchisches Gesellschaftsbild und die Ablehnung des Pluralismus. Wir fassen das unter dem Begriff „radikal rechte Parteien“ zusammen. Beim Rechtsextremismus kommt die kämpferische Einstellung gegen die Grundlagen des bestehenden Systems hinzu, also gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
JOURNAL: Wo ist da die AfD einzuordnen?
Schmelzle: Dass sie von ihrer Ideologie eine radikal rechte Partei ist, ist in der wissenschaftlichen Betrachtung unbestritten. Ob bei ihr diese kämpferische Einstellung gegen das bestehende System gegeben ist, ist der entscheidende Punkt, der im Hinblick auf ein Verbotsverfahren diskutiert wird.
Worauf sich das Gutachten des Verfassungsschutzes hauptsächlich bezieht, ist der „völkische Volksbegriff“. Nach dem gäbe es verschiedene Kategorien von Staatsbürgerinnen und Staatbürgern, und manche Menschen könnten sich ihrer Staatsbürgerrechte nicht mehr sicher sein. Das wäre natürlich ein Anschlag auf die demokratische Ordnung.
JOURNAL: Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wie die Berichterstattung der Medien zum Erstarken der AfD beiträgt. Welche Faktoren spielen da mit?
Schmelzle: Aus Sicht der Politikwissenschaft sind drei Effekte für den Aufstieg der AfD und anderer radikal rechter Parteien in ganz Europa verantwortlich. Bei allen dreien spielt die Medienberichterstattung tatsächlich eine Rolle: die Normalisierung rechter radikaler Positionen, die Salienz, also das, worauf Aufmerksamkeit gelenkt wird, und die Mobilisierung von Personen, die bisher eher nicht gewählt haben.
JOURNAL: Welchen Einfluss hat die Berichterstattung der Medien auf die Normalisierung rechter radikaler Positionen?
Schmelzle: Jede Berichterstattung über die Positionen und Politikangebote der AfD – und sei sie noch so sachlich – trägt faktisch dazu bei, dass diese Ideen und Haltungen in den öffentlichen Diskurs eingespeist und damit normalisiert werden. Indem seriöse, als seriös wahrgenommene Medien sie darstellen, werden sie Teil des legitimen Meinungsspektrums. Und sie gewinnen damit auch selbst an Legitimität, weil die Glaubwürdigkeit der Medien auf sie übergeht.
JOURNAL: Aber Medien können ja nicht auf die Berichterstattung verzichten. Da sind sich Fachleute doch einig.
Schmelzle: Nein, und das ist das Dilemma, vor dem die Redaktionen stehen.
JOURNAL: Wie lässt sich das lösen?
Schmelzle: Durch das, was ich einen „normalisierungsbewussten“ Journalismus nenne. Redaktionen müssen diesen Mechanismus der Normalisierung verstehen. Sie müssen sich sehr bewusst sein, dass jede Berichterstattung über die AfD mit Kosten verbunden ist. Dass sie damit unweigerlich einen Beitrag zur Normalisierung leisten, auch wenn sie neutral inhaltlich darüber berichten. Vielleicht sogar gerade, wenn sie neutral inhaltlich darüber berichten. Deswegen sollte die Berichterstattung immer auch das Normbrechende der Positionen der AfD vermitteln.
JOURNAL: Wie sähe das konkret aus?
Schmelzle: Es reicht nicht, wenn ich es so formuliere: „Die AfD hat eine andere Vorstellung des Staatsbürgerschaftsrechts, und die steht im Kontrast zu dem der anderen Parteien.“ Sondern ich muss explizit herausarbeiten, dass die Vorstellung der AfD zum Staatsbürgerschaftsrecht der Verfassung widerspricht. Denn sie würde bedeuten, dass Millionen von Menschen ausgebürgert werden könnten, was ebenfalls der Verfassung widerspricht.
Es ist wichtig, solche Positionen in einen Kontext zu setzen und das Nicht-Normale, das Normbrechende der jeweiligen Position deutlich zu machen.
JOURNAL: Dass die Medien jetzt zunehmend die Floskel „gesichert rechtsextrem“ nutzen, dürfte wohl kaum reichen.
Schmelzle: Genau, das floskelhaft Benennen reicht nicht. Es nutzt sich ab und wird in manchem Fall auch lächerlich, wenn es etwa in einer Meldung über Forderungen zum Tempolimit auftauchen würde.
Aber überall da, wo es angemessen ist, sollte ich konkret hinterlegen, was diese jeweiligen Positionen bedeuten: Warum stehen diese in Konflikt oder brechen sogar mit Normen des Grundgesetzes? Warum unterscheiden sie sich fundamental von Einstellungen anderer Parteien? Nicht zuletzt: Welches Menschen- und Weltbild steht dahinter?
JOURNAL: Könnte man sagen: Das wäre in dem Sinne neutral, dass man dann Ungleiches auch ungleich behandelt? Die andere Herangehensweise entspricht ja eher dem False-Balance-Prinzip.
Schmelzle: Genau, das ist dasselbe wie bei False Balance im Wissenschaftsjournalismus. Man stellt den Klimaleugner, der wissenschaftliche Erkenntnis abstreitet, und die Professorin für Klimawissenschaften ja auch nicht unkommentiert als quasi gleichberechtigt nebeneinander.
Das Entsprechende gilt, wenn die AfD über die Ausbürgerung von Millionen von Menschen nachdenkt. Diese Position darf nicht als legitimer Beitrag zu politischen Diskurs behandelt werden.
JOURNAL: Parteien, aber auch Medien sagen häufig, dass sie die AfD inhaltlich stellen wollen. Aber dann greifen sie oft deren Themen auf, vor allem die irreguläre Zuwanderung. In der Folge denken auch Menschen, die der AfD überhaupt nicht zugeneigt sind, an irgendeinem Punkt, Migration sei eins der wichtigsten Probleme im Land.
Schmelzle: Das ist der zweite erwähnte Faktor: die Salienz. Wenn Themen medial in den Vordergrund gestellt werden, dann werden sie als wichtig wahrgenommen und auch als wahlentscheidend. Die politische Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, ist eben eine medial vermittelte.
Natürlich ist Migration ein Thema in dieser Gesellschaft. Aber es geht um die Verteilung von Aufmerksamkeit. Wenn man sich etwa die Redezeiten im Kanzlerduell vor der Bundestagswahl anschaut, dann nahm dieses Thema fast ein Viertel der Redezeit ein. Das halte ich für unverhältnismäßig. Das lässt sich im Sinne des normalisierungsbewussten Journalismus auch auf andere Berichterstattung übertragen.
JOURNAL: Zumal man inzwischen doch weiß, dass so eine Themensetzung der AfD zugutekommt.
Schmelzle: Ja, die Politikwissenschaft nennt das Issue-ownership: Parteien „besitzen“ Themen. Die AfD hat sich so positioniert, dass die Beschäftigung mit Migration und innerer Sicherheit auf sie einzahlt.
JOURNAL: Wie ginge es besser?
Schmelzle: Im Kanzlerduell zum Beispiel hätte man dem Thema weniger Zeit geben und es weniger prominent platzieren können. Zusätzlich kann man bei Migration und anderen AfD-Themen Kontrapunkte in der Tonalität setzen. Es wird ja nicht nur abstrakt über Migration gesprochen, sondern es wird fast nur über Probleme der Migration gesprochen.
Heruntergebrochen wird das nach meiner Beobachtung vor allem auf Kriminalität, also innere Sicherheit, und auf die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur wie etwa Wohnungen und Kita-Plätze.
JOURNAL: Diesen anderen Fokus, den differenzierten Blick darauf, wo Integration gut funktioniert, wie die Gesellschaft von Zuwanderung auch profitiert, wo sie die Arbeitskräfte braucht – alles das behandeln Journalistinnen und Journalisten ja durchaus. Warum reicht das als Gegengewicht nicht aus?
Schmelzle: Es stimmt, die Themen kommen medial vor, aber eben wenig prominent. Da stellt sich natürlich die Anschlussfrage: Was ist eigentlich die Aufgabe von Medien? Wissen sie um die politische Wirkung ihrer Berichterstattung? Müssen sie das reflektieren? Oder ist dieser politische Anspruch an Medien vielleicht auch eine Überfrachtung, die sie unfrei machen würde? Das ist eine interessante Frage, finde ich.
Am leichtesten zu beantworten ist sie vielleicht für die öffentlich-rechtlichen Medien, die da in der besonderen Verantwortung sind. Denn Existenzgrundlage ihrer Berechtigung ist ja, demokratische Diskurse zu ermöglichen. Dafür sollen sie eine vertrauenswürdige und ausgewogene Informationsquelle sein, aber auch Orientierung geben.
JOURNAL: Wir haben bisher über die Rolle der Medien bei der Normalisierung und der Salienz gesprochen. Als dritten Faktor haben Sie die Mobilisierung genannt. Worum geht es da?
Schmelzle: Personen, die bisher eher nicht gewählt haben, nehmen plötzlich am politischen Prozess teil. Hier spielt es eine wichtige Rolle, dass die AfD es geschafft hat, sich als Protestpartei gegen das System zu positionieren. Gegen ein System, in dem „die Eliten korrupt“ seien. Auch für diese Wahrnehmung sind die Medien wichtig, weil Berichterstattung eher von Krise und Konflikten geprägt ist.
JOURNAL: Auch hier die Frage: Wie können Medien es besser machen?
Schmelzle: Es darf nicht allein beim Fokus auf die Krisen bleiben. Da fehlt der Blick auf die Ambivalenzen, die strukturellen Zwänge, denen Politik sich gegenüber sieht: Politisch Handelnde müssen ständig Kompromisse eingehen. Es gibt immer nur suboptimale Lösungen, mit denen einige am Ende unzufrieden sein werden. Im politischen Alltag ist man eben eingebunden in ein Mehrebenensystem von Lokalpolitik bis europäische Ebene und Völkerrecht. Alles das engt den Handlungsspielraum von politischen Akteurinnen und Akteuren stark ein, ist aber der Bevölkerung in der Regel nicht klar.
Wichtig ist, diesen Kontext zu erklären – zu zeigen, dass das eben nicht alles „korrupte Idioten“ sind, sondern Personen, die in Zwänge und Strukturen eingebunden sind. Sie müssen weitreichende Entscheidung treffen, die immer Pro und Contra haben werden. Wenn Journalismus das besser erklärt, trägt es hoffentlich dazu bei, dass so eine Systemopposition, wie die AfD sie verkörpert, weniger attraktiv erscheint.
Das wäre aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt für die Medien: dieses Bewusstsein für Ambivalenzen und strukturelle Zwänge zu stärken.||
Das Interview ist Teil der Titelstrecke zum journailstischen Umgang mit der AfD.
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juli 2025.