Am Anfang war der Erfolg. Er kam schnell und war berauschend. Dabei hatte die Medienbranche Guido Eckert nicht einmal besonders interessiert, als er Ende der achtziger Jahre seine Karriere als freier Journalist begann. Eckert war 1964 in Aachen geboren, er lebte zeitweise in München und wohnt heute in Köln. Er sah sich als Autor, als Literat. Ein junger Grenzgänger, der Neues ausprobieren wollte, je ungewöhnlicher und kreativer desto besser. Die Medien empfingen Typen wie ihn grade mit offenen Armen. Der Printjournalismus gestattete sich eine experimentelle Phase, Lifestyle-Magazine wie Tempo schossen aus dem Boden, die große Reportage war zurück.
Guido Eckert hatte ein Gespür für begehrte Themen, und er konnte schreiben. Ein Naturtalent ohne journalistische Ausbildung. Jemand, der nach einem Studium der Sinologie und Japanologie und verschiedenen Jobs von Buchhändler bis Spendeneintreiber einfach seine Texte machte und sie dem gesamten „Who‘s Who“ der damaligen Printszene anbot: Seine erste große Reportage erschien bei Tempo; das Jetzt-Magazin der Süddeutschen druckte seine Texte ab; er arbeitete für das Kulturmagazin TransAtlantik, die Wochenpost, das ZEIT-Magazin, den Spiegel. Er gewann 1991 den Axel-Springer-Preis und 1996 den Theodor-Wolff-Preis für literarischen Journalismus. Alles war möglich.
Alle wollten etwas Neues machen
Die ganzen neunziger Jahre über lief es für den freien Journalisten rund: „Die Themen lagen quasi auf der Straße. Ich hatte eine Idee und begann einfach zu schreiben. Wenn der Text gut war, wurde er gedruckt“, erinnert er sich. „Außerdem habe ich relativ schnell und problemlos Radio und Fernsehen gemacht. Es gab überall Möglichkeiten, Experimentierfelder waren die dritten Programme. Da konnte man einfach so mitmachen, Reportagen drehen. Überall, selbst im Privatfernsehen, gab es Geld und den Willen, etwas Neues zu machen.“
Eckert liebte die Freiheit und die kreativen Möglichkeiten, die ihm der Beruf bot. Er verdiente gutes Geld. „Da war finanziell kein Unterschied zwischen fest und frei“, sagt er. „In den Neunzigern gab es genügend Freie, die sogar mehr verdient haben als Festangestellte.“ Dass er einige Jahre später von dem Job seine Familie nicht mehr würde ernähren können, wäre ihm im Traum nicht eingefallen.
Und doch kam es so. Zur Jahrtausendwende lief sich der Hype um die neuen Formate tot. Die spannenden, nicht mehr ganz so neuen Magazine gaben eines nach dem anderen auf. Verlage zogen die Experimentierhosen aus und steuerten um auf einen rigiden Sparkurs. Der Markt für Texte mit Ecken und Kanten wurde spürbar enger, Guido Eckerts Budget deutlich kleiner. Zunächst war das für ihn kein großes Problem, denn er nahm eine Festanstellung bei Vanity Fair an. Als das Magazin 2009 ebenfalls eingestellt wurde, holte ihn Stefan Aust in eine Entwicklungsredaktion. Doch diese beendete ihre Arbeit nach einem Jahr.
Danach wurde es eng für Eckert. Dabei brauchte er das Geld nötiger denn je: Sein Sohn war geboren, und er war Alleinverdiener für seine Familie. „Das schaffen heute im Printsektor wohl nur noch Festangestellte“, musste er ernüchtert feststellen. „Es gibt ja kaum noch Magazine, für die man arbeiten kann und dafür ein angemessenes Honorar kriegt.“ Guido Eckert, Edelfeder und preisgekrönter Journalist, gab seinen Traumjob schweren Herzens auf und heuerte als Verkäufer in einem großen Möbelhaus an. Nach zwei Jahren hörte er damit auf, sich einzureden, dass das nur für eine Übergangszeit so sein würde.
Hohe Identifikation mit dem Beruf
Journalismus hat eine große Fallhöhe. Wenn es gut läuft, kann es der schönste Beruf der Welt sein. Für viele ist es weit mehr als „irgendwas mit Medien“. Man identifiziert sich als ganze Persönlichkeit damit, lässt sich davon einnehmen, geht darin auf. Viele engagieren sich mehr und länger, als sie müssten. Wenn es der Sache dient, nehmen sie, ohne zu zögern, Überstunden in Kauf, stellen das Privatleben und manchmal sogar die Gesundheit zurück, um immer wieder eine gute Geschichte zu erzählen. Es ist ein besonderer Beruf. Für viele gilt er immer noch als Berufung: Als Journalist arbeitet man nicht, Journalist ist man. Diese Distanzlosigkeit macht oft brillanten Journalismus erst möglich, aber in ihr steckt auch eine Gefahr. Wenn man beruflich scheitert – sei es, weil die Auftragslage nicht mehr stimmt, weil die befristete Stelle bei einem Sender endgültig ausläuft oder weil ein Medienhaus ganze Redaktionen entlässt – fühlt man sich oft, als sei die eigene Person gleich mit gescheitert. Das Selbstbild verrutscht, man muss sich neu erfinden.
Durch Abgucken lernen
Seit Medienhäuser auf Sparbetrieb umgestellt haben, kennt in der Branche vermutlich jeder Kolleginnen und Kollegen, die in den vergangenen Jahren auf die eine oder andere Weise gescheitert sind. Sei es, dass sie vom Arbeitgeber vor die Tür gesetzt wurden oder dass wichtige Aufträge schleichend oder ganz plötzlich ausblieben. Mancher hat sich erfolgreich auf eigene Beine gestellt, andere haben einen neuen Job gefunden – wahlweise in einer Redaktion oder einer Pressestelle. Und manche haben der Medienbranche den Rücken gekehrt, um „doch noch was Ordentliches“ zu machen, wie dann gerne augenzwinkernd gesagt wird.
So verbreitet solche Erfahrungen heute sind: Richtig auseindersetzen wollen sich viele Journalistinnen und Journalisten trotzdem nicht mit der Frage, wie sie selbst mit einer vergleichbaren Situation umgehen würden. Zu eng sind viele mit ihrem Beruf verwoben, um sich vorstellen zu können, dass der sie sozusagen ausspucken könnte. Dabei kann man durch Erfahrungen anderer lernen. Man kann sich abgucken, wie andere es geschafft haben, einen Weg aus der Misere zu finden – auch wenn der bei manchen vielleicht holprig war.
Womit Journalistinnen und Journalisten sich schwertun, ist in der Gründerszene verbreiteter. Dort wird über das Scheitern geredet – verpackt als gute Geschichte, aus der man gelernt hat, um danach doch noch was auf die Beine zu stellen. Weltweit präsentieren gescheiterte Unternehmensgründer bei sogenannten FuckUp-Nights ihre Misserfolge, reflektieren über Fehler und die eigene Blauäugigkeit, um andere an ihrem Lernerfolg teilhaben zu lassen.
Ein Beispiel für die Medienbranche? Auf jeden Fall eine Ermunterung, miteinander nicht nur über Erfolge zu sprechen. /cbl.
Die Jahre als Verkäufer in einem Möbelhaus, in dem Mobbing und üble Geschäftspraktiken an der Tagesordnung waren, bedeuteten eine echte Prüfung für das Selbstbewusstsein von Guido Eckert. „Das kann man vielleicht nur verstehen, wenn man selber in einem Kreativberuf gearbeitet hat“, sagt er. „Es geht nicht darum, dass man einen anderen Beruf macht. Sondern darum, dass man als Autor mit Leib und Seele dem Autorensein verschrieben ist – und dann so etwas machen muss, zu dem man überhaupt keinen Bezug hat. Ich wollte nur schnell wieder weg.“ Einmal bekam er noch ein Angebot, als Textchef zu arbeiten. Das musste er aus privaten Gründen ausschlagen. Ein neuer Tiefpunkt.
Irgendwann begann er, seine Geschichte für ein Buch aufzuschreiben. Alter Autorenreflex. „Möbelhaus“ hieß der Tatsachenroman, in dem er unter dem Pseudonym Robert Kisch schilderte, wie er von den Höhen des Journalismus in den Untiefen des Geschäftemachens mit Möbeln gefallen war. Nach einigen Wochen bekam sein Arbeitgeber Wind von den Enthüllungen. Eckert verlor den Job im Möbelhaus, aber er gewann eine neue Perspektive: Er ist seitdem wieder sein eigener Herr, arbeitet als freier Buchautor. Sein nächstes Buch hieß: Glück.
Eine Branche, die ihre Besten achselzuckend ziehen lässt
Der Roman, von dem mancher Journalist heimlich träumt, wenn die Mühen des Alltags zu sehr drücken, bot hier den realen Ausweg. Aber was ist das für eine merkwürdige Branche, die viele ihrer Besten schlecht bezahlt und dann auch noch achselzuckend ziehen lässt. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern zum Beispiel auch in den USA. Rob Kuznia wurde im April 2015 für seine lokale Berichterstattung in der Zeitung Daily Breeze in Torrance, Kalifornien, mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Mehr geht im Journalismus nicht.
Als die Auszeichnung kam, arbeitete Kuznia allerdings schon nicht mehr als Journalist. Weil er als festangestellter Redakteur zu wenig verdiente und auch noch eine allgemeine Gehaltskürzung des Verlags hatte akzeptieren müssen, war er einige Monate zuvor in die PR gewechselt. „Ich konnte die Miete bezahlen, aber ich konnte nichts sparen“, erklärte er Kollegen in einem Interview. Ein eigenes Haus sei stets nur ein Wunschtraum geblieben. Wäre er noch 20, hätte ihn das nicht so besorgt, sagte Kuznia. Aber jetzt, wo er 40 werde, mache ihm das Angst.
Burgel Langer, eine etablierte, freie Radiojournalistin aus Köln, trieben mit Ende 40 ganz ähnliche Gedanken um: Sie hatte sich mit gut recherchierten sozial- und frauenpolitischen Radiofeatures im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Namen gemacht und wäre gerne als freiberufliche Autorin alt geworden. Aber vor einigen Jahren mehrten sich bei ihr die Zweifel, ob sie sich das wirklich leisten kann.
Die Auftragslage für ihr Spezialgebiet, die langen Hintergrundstücke, wurde schleichend schwieriger, Zweitverwertungen machten Probleme, sie verdiente immer schlechter. „Ich wusste nicht, ob das daran lag, dass es immer weniger Sendeplätze für meine Themen gibt, oder ob meine Themen einfach nicht mehr so gut ankamen.“ Dann löste sich auch noch das Journalistenbüro auf, zu dem sie lange Zeit gehört und das ihr viel Rückhalt gegeben hatte.
Keine vorübergehende Flaute
Kolleginnen sprachen sie darauf an, dass sie so unzufrieden mit ihrer Arbeit wirke. All das trug dazu bei, dass Burgel Langer sich immer häufiger mit ihrer beruflichen Zukunft beschäftigte. Eines Tages war ihr sehr klar: Es geht nicht mehr. „Ich habe die Situation analysiert und mir gedacht: Die Lage wird sich nie mehr verändern. Es ist keine vorübergehende Flaute, das liegt in der Struktur, am Medienwandel. Ich kann mich vielleicht noch ein paar Jahre über Wasser halten, aber damit ist die Entscheidung nur rausgeschoben.“ Doch was jetzt? PR?
Burgel Langer ist in den Achtzigern mit großen Idealen in den Beruf gestartet. „Ich habe mir wie viele angehende Journalistinnen und Journalisten gedacht, dass ich mit guten, engagierten Artikeln oder Radiobeiträgen die Welt verbessern kann. Dass ich in dem Bereich, wo ich lebe, Missstände aufdecke und dagegen schreibend und sendend angehen möchte.“
Langer hatte in Freiburg das erste und zweite Staatsexamen gemacht und hätte sofort ins Lehramt starten können. Es zog sie aber zum Radio. Sie probierte sich im lokalen Stadtradio Freiburg aus, und als der Sender Freies Berlin ihr ein Volontariat anbot, zog sie nach Berlin. Sie lebte in einem besetzten Haus und arbeitete neben der Ausbildung beim SFB auch an „Radio 100“ mit, einem alternativen Radioprojekt aus der Hausbesetzerszene. „Es ging uns um Gegenöffentlichkeit, um Aufklärung im Radio. Wir wollten etwas bewegen.“
Anfang der neunziger Jahre zog Burgel Langer als Freie nach Köln, auch wegen der großen Sender. Der WDR und der Deutschlandfunk wurden ihre Stammkunden. Sie fand ein Journalistenbüro, indem sie über ein Jahrzehnt lang arbeitete. „Wir teilten nicht nur die Räume, sondern oft auch unser Wissen, unsere geistigen Ressourcen, das lief wunderbar.“ Ihre Auftragslage war stabil, sie hatte feste Abnehmer, kam mit ihrem Honorar aus. „Aber ich habe auch immer viel gearbeitet, und man muss einfach immer sehr gut sein, sonst klappt es nicht“, erzählt sie. Lange Zeit lief es gut, dann musste sie die Notbremse ziehen und aussteigen. „Es ist ein wunderbarer Beruf, und ich hätte das wirklich gerne mein ganzes Leben lang weitergemacht“, sagt sie. „Doch ich musste einfach immer mehr für immer weniger Geld arbeiten.“ Es sind diese prekären Verhältnisse, die viele Freie frustrieren und zum Handeln zwingen.
Praxisferne Entscheidungen
Bei festangestellten Journalistinnen und Journalisten bilden dagegen oft falsche unternehmerische Entscheidungen den Quell beruflicher Enttäuschungen und persönlicher Krisen. Gerade in NRW gibt es zahlreiche Beispiele, wie Verlage durch praxisferne Umstrukturierungen, eiserne Sparpläne und Massenentlassungen Schockwellen durch die Reihen ihrer Beschäftigten sandten und selbst die motiviertesten Journalistinnen und Journalisten tief ernüchtert zurückließen.
So musste unter anderem der ehemals starke Zeitschriftenmarkt in NRW heftig bluten. Etwa als die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr nach der Jahrtausendwende im Zuge von Sparmaßnahmen den Zeitschriftenstandort Köln ausdünnte, um ihn 2009 ganz dichtzumachen und die verbliebenen Wirtschaftstitel in Hamburg zusammenzulegen. Im gleichen Jahr zog die damalige WAZ-Gruppe (heute Funke Mediengruppe) ihre Zeitschriftentochter, den Westdeutschen Zeitschriftenverlag (WZV) mit Titeln wie Das Goldene Blatt und Echo der Frau, aus NRW ab, um ihn nahe München mit der dortigen Gong-Gruppe zu verschmelzen. Beide Fälle kosteten zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in NRW den Job.
Kein bisschen vertrauenswürdiger agierten die NRW-Medienhäuser in den vergangenen Jahren bei den Tageszeitungen. Etwa 2007 bei der Münsterschen Zeitung, wo Verleger Lambert Lensing-Wolff die Redaktion handstreichartig zunächst freistellte und einige Monate später rausschmiss. Er hatte heimlich eine nicht-tarifgebundene Tochter aufgebaut und dieser von einem Tag auf den anderen den Produktionsauftrag übertragen. Dass auch diese Lösung nicht von Dauer sein sollte, dürfte kein Trost sein für die 18 geschassten MZ-Redakteure. Das Blatt wurde 2014 an den einstigen Konkurrenz-Verlag Aschendorff verkauft und wird heute mit Inhalten anderer Redaktionen befüllt.
Auch die WAZ-Gruppe traf mit ihren tiefen Einschnitten bei den NRW-Zeitungen zahllose Redakteurinnen und Redakteure bis ins Mark. Wie ohnmächtig man den Planspielen der Chefetage ausgesetzt ist, musste Barbara Merten-Kemper feststellen – nicht nur als betroffene Redakteurin, sondern auch als freigestellte Betriebsratsvorsitzende. Die neue stellvertretende Landesvorsitzende des DJV-NRW hat ihr ganzes berufliches Leben bei der WAZ verbracht. 1979 trat sie dort gleich nach dem Abitur ihr Volontariat an und wurde anschließend Redakteurin – die meiste Zeit war sie in ihrer Heimatstadt Dortmund tätig.
Ein Reigen von Umstrukturierungen
„Ich habe immer in einer Kampfredaktion gearbeitet“, erzählt sie. Neben dem Platzhirsch Ruhr Nachrichten und der Westfälischen Rundschau lag die WAZ mit der Auflage stets auf Platz drei in Dortmund. „Es schwebte immer wie ein Damoklesschwert über uns, dass man uns zumachen würde“, erzählt die 58-Jährige. Als 2005 Ulrich Reitz den Chefredakteursposten bei der WAZ übernahm, begann ein jahrelanger Reigen von Umstrukturierungen. Verkauft wurde das als Versuch, das Rad des Lokaljournalismus neu zu erfinden – freilich, ohne dabei die Erfahrungen und Ideen der Beschäftigten zu berücksichtigen.
Statt wie bisher WAZ, WP, WR und NRZ als eigenständige Titel unter dem WAZ-Dach auszubauen, fing der Zeitungskonzern an, die Grenzen zwischen ihnen zu verwischen und Redakteurinnen und Redakteure wie auf einem Verschiebebahnhof hin und her zu bewegen. Zentralisierung war das Gebot der Stunde. Die Lokalredaktion Dortmund wurde von elf auf vier Schreiber geschrumpft und zur „Brandingredaktion“ umgemodelt. Das sollte den verbleibenden Journalisten Freiraum für Recherchen schaffen. Für die Routineberichterstattung, mit der man die Seiten füllte, bediente man sich fortan bei der Westfälischen Rundschau.
Schwierige Umstellung
Ein Kulturbruch. „Das war total schwierig – von jetzt auf gleich musst du mit deiner ärgsten Konkurrenz zusammenarbeiten“, erklärt Barbara Merten-Kemper. „Wir wollten das nicht, aber mit uns hat keiner darüber gesprochen, bis alles schon in trockenen Tüchern war. Die Chefredaktion hatte auch schon bestimmt, wer in der Redaktion bleibt und wer woanders hingehen muss. Es hieß: Seien Sie froh, dass Sie Ihren Job nicht verlieren!“
Die eingespielte Dortmunder Redaktion wurde in alle Winde verteilt. „Das war richtig schlimm, weil wir so lange zusammengearbeitet hatten“, berichtet die Redakteurin und wirkt dabei immer noch traurig und wütend, weil es in ihren Augen eine falsche Entscheidung war. Sie und ein WAZ-Kollege fanden sich in Rheinhausen wieder, in einer Gemeinschaftsredaktion von NRZ und WAZ. „Dieser Cut war schlimm“, sagt sie heute. „Wir mussten uns in einer anderen Welt zurechtfinden, nicht nur in einer anderen Stadt, sondern auch in einer Zeitung, die anders sozialisiert war als wir von der WAZ.“
Doch das alles war nur ein Vorspiel, wie sich herausstellte. Die heftigsten Erschütterungen folgten noch. Im September 2008 lasen die Kollegen staunend in der Süddeutschen Zeitung, dass die WAZ-Gruppe von ihren 900 Beschäftigten in NRW angeblich 300 entlassen wollte. Zum Jahresende wurde daraus eine bittere Gewissheit. Ein Sozialplan musste her, und für Barbara Merten-Kemper, die sich seit 1994 im Betriebsrat engagiert hatte, begann eine der stressigsten Phasen ihres Lebens. Alles drehte sich fortan darum, die Kündigungen abzuwenden.
Doch auch diese Zeit hatte gute Momente: Die Betriebsräte arbeiteten eng und konstruktiv zusammen, ein engagiertes Beraterteam machte viele neue Vorschläge, um die Jobs zu retten. „Wir haben ein Konzept entworfen, wie die Arbeit in Zukunft funktionieren könnte, neue Ideen entwickelt, Vorschläge gemacht.“ Am Ende stand ein großer Erfolg: „Wir haben den Sozialplan ohne betriebsbedingte Kündigungen hingekriegt“, fasst die Betriebsrätin zusammen.
Latentes Misstrauen
Im Sommer 2009 herrschte kurz Ruhe, sie ging wieder in die Redaktion arbeiten. „Aber wenn du einmal so etwas mitgemacht hast, fragst du dich schon: Wann ist es wieder soweit?“ 2012 war wieder so ein Jahr: Es folgen Redaktionsschließungen, der Umbau des Content Desks in Essen und die sogenannte lokale Offensive. Wieder gelangen die Umstrukturierungen ohne Kündigungen.
Der nächste Einschnitt kam am 15. Januar 2013. Mit aller Macht. Das war der Tag, an dem die Geschäftsführung den Mitarbeitern der Westfälischen Rundschau ohne Vorwarnung mitteilte, dass sie bis zum Monatsende ihren Job verlieren würden. Ihr Blatt würde ohne sie als Geisterzeitung weiterexistieren und aus anderen Quellen befüllt. Der DJV-NRW prägte damals den Betriff der Zombiezeitung.
Der Betriebsrat erfuhr von den Plänen gerade mal eine Stunde, bevor sie öffentlich wurden. „Das war einer der schlimmsten Momente in meinem Arbeitsleben“, sagt Barbara Merten-Kemper. „Wir haben geheult. Wir haben mit den Kollegen der WR Widerstand und Protest organisiert. Die Betriebsräte haben versucht, WR-ler bei der WAZ oder der WP unterzubringen. Das hat leider nur in Einzelfällen funktioniert.“
Seit dieser Erfahrung sei sie misstrauischer geworden, erzählt sie. „Aber das ist keine Verbitterung, auf keinen Fall. Auch in anderen Bereichen des Lebens machst du Erfahrungen, die dich prägen. Aber diese hier kostete wirklich erhebliche Kraft.“ Nach dem WR-Aus empfand sie Enttäuschung, Wut, Frustration, fühlte sich hintergangen. Aber alles hinschmeißen wollte sie nie. „Ich habe immer irgendwann gedacht: So, jetzt geht’s weiter“, sagt Barbara Merten-Kemper. „Frei nach der Rockband Herne 3: Immer wieder aufsteh‘n!“
Sich nicht unterkriegen lassen und nicht die Hoffnung aufgeben – das ist auch das Motto von Katrin Kroemer, die nach einer längeren Pause vor zwei Jahren als Beisitzerin in den Landesvorstand des DJV-NRW zurückgekehrt ist. Am besagten 15. Januar 2013 verlor die Dortmunderin ihre journalistische Heimat bei der Westfälischen Rundschau (WR). Katrin Kroemer war schon als junge Redakteurin vom Soester Anzeiger nach einem Studium zur WR gewechselt, arbeitete zuerst in der Lokalredaktion in Wetter und dann lange Jahre in Dortmund. „Ich bin ganz bewusst zur WR gegangen, weil ich genau für diese Zeitung arbeiten wollte und nicht für irgendeine.“ Insgesamt 25 Jahre hat sie dort gearbeitet. Bis zum bitteren Ende.
2013 teilte sie sich eine halbe Redakteursstelle in der Stadtteilredaktion mit einer Kollegin. Sie fühlte sich wohl dort und sah die Kündigung nicht kommen. „Ich hätte die Schließung nicht für möglich gehalten, ganz ehrlich nicht. Im Grund genommen sind wir davon ausgegangen, dass der WAZ-Konzern etwas Unerschütterliches ist“, erzählt sie. „Ich habe einfach gedacht, das ginge immer so weiter.“
„Noch nicht einmal wütend“
Die Betriebsversammlung am 15. Januar fand sie „unwirklich“. „Da war völlige Fassungslosigkeit. Ich war noch nicht einmal wütend. Was da geschah, konnten wir alle so schnell gar nicht aufnehmen. Jeder hat sich irgendwie an die Hoffnung geklammert, dass man da noch etwas machen könnte.“
An der heftigen Gegenwehr beteiligte Katrin Kroemer sich leidenschaftlich: Es gab Demos, eine Protestzeitung, den Blog Medienmoral, wo bis heute auch die Entwicklungen in der Funke-Gruppe beobachet werden. „Irgendwie war es ein Gefühl wie bei einer Beerdigung. Wenn du am Anfang etwas tun kannst, so hilft dir das ein bisschen über dieses Loch hinweg“, sagt die ehemalige WR-Redakteurin. Doch irgendwann sickerte das Gefühl ein, „dass das Ding nie wieder leben wird“. Es drehte ihr den Magen um, als ihre Zeitung kurz nach ihrer Freistellung mit dem Lokalteil der bisherigen Konkurrenz befüllt wurde. „Ich habe sie abbestellt, ich kann das nicht sehen. Das ist für mich immer noch eine Pseudozeitung.“
Katrin Kroemer musste sich als freie Journalistin neu aufstellen. Ein gutes Netzwerk, das durch ihre langjährige gewerkschaftliche Arbeit entstanden war, half ihr, rasch wieder Fuß zu fassen. Sie bekam einen Vertrag als feste Freie beim TopMagazin Ruhr, arbeitet als Dozentin an der Westfälischen Hochschule für den Studiengang Journalismus und PR, macht Moderationen.
Als Beisitzerin im Vorstand des DJV-NRW erlebte Katrin Kroemer vor einigen Wochen eine weitere Erschütterung: als sich herausstellte, dass der Geschäftsführer den Landesvorstand und den gesamten Verband hintergangen hatte. Durch eigene Recherchen hatte sie – zusammen mit Vorstandskollegen – maßgeblich dazu beigetragen, dessen Gebaren zu entlarven.
Auch wenn einige Landesvorstandsmitglieder durch den Vertrauensbruch nach eigener Aussage persönlich getroffen und erschüttert sind: Für Katrin Kroemer war der mutmaßliche Betrugsfall nicht mit dem Bruch bei der WR vergleichbar. „Wenn dein Arbeitgeber deine Zeitung dicht macht, trifft dich das ganz persönlich im Kern, in deiner Existenz. Das ist im Fall von unserem ehemaligen Geschäftsführer anders“, erklärt sie. „Natürlich guckst du fassungslos darauf, dass es so etwas geben kann. Das ist irreal und eine Enttäuschung. Aber sie ist doch von einer anderen Qualität, weil sie dein persönliches Leben nicht betrifft. Da ist man distanzierter.“
Die Schließung der Redaktion, in die sie so viel Herzblut gesteckt hatte, war ein emotionaler Tiefpunkt. Nachhaltig hat sie das nach ihrer eigenen Einschätzung allerdings nicht verändert, sagt Katrin Kroemer im Rückblick: „Es war einfach eine Frechheit und ein Beispiel, wie unsozial Verleger heutzutage agieren. Aber ich hoffe und glaube ganz fest, dass solche Erlebnisse im Leben Einzelfälle sind. Man kann sogar Stärke daraus ziehen, wenn man diese Krisen bewältigt.“
Anders, nicht schlechter
Auch die Radiojournalistin Burgel Langer hat neue Stärke daraus gezogen, den unsicheren Schwebezustand aus eigenem Entschluss zu beenden und einen anderen Weg zu gehen. 2006 besann sie sich auf ihre Wurzeln und arbeitet seitdem als Lehrerin für Deutsch und Geschichte am Abendgymnasium der Stadt Köln. Dass sie den Beruf hinter sich lassen musste, in den sie mit so viel Idealismus gestartet war, hat sie ernüchtert. Doch dass sie gescheitert ist, findet sie nicht. „Ich mache jetzt nichts Schlechteres. Ich übe einen Beruf aus, der absolut sinnvoll ist, in dem ich jungen Menschen etwas geben und für den ich auskömmlich bezahlt werde.“
Außerdem hat sie jetzt endlich Zeit dafür, ohne Druck gute Radiofeatures zu machen. In ihrer Freizeit, als Hobby. Jedes Jahr hat sie sich ein bis zwei Themen gewidmet, die sie besonders umtreiben – und will das weiterhin so halten. „Das kann ich jetzt machen und bin nicht mehr darauf angewiesen, dass ich davon leben muss. Deshalb habe ich das Gefühl des Scheiterns nicht. Ich finde erstaunlicherweise sogar, dass ich journalistisch noch besser geworden bin, seit ich diesen Druck nicht mehr habe, damit Geld verdienen zu müssen.“
Ein Beruf, den man erst als Liebhaberei so richtig gut machen kann? Das gibt es auch nur bei „was mit Medien“.