JOURNALISTENTAG

Jede Diktatur beginnt mit Angst und der Kontrolle des Worts

Impuls der EJF-Direktorin Renate Schroeder
16. Dezember 2019, Christian Schlichter

Gründe, warum Europa für Journalistinnen und Journalisten wichtig ist, wusste Renate Schroeder genug zu benennen. Beim Eröffnungsimpuls des Journalistentags 2019 rüttelte die Direktorin der Europäischen Journalisten Föderation EJF die mehr als 500 Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal auf. An unzähligen Stellen brenne es in Europa in Sachen Pressefreiheit, mahnte sie. Der Journalismus in Europa werde von vielen Seiten bedrängt, zugleich würden die Korrespondentennetzwerke dünner, das Medieninteresse an europäischen Themen immer nationaler. Europäische Geschichten „werden nur noch aus der Perspektive des eigenen Lands erzählt“, bemängelte die EJF-Chefin.

Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten

Renate Schroeder von der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) beim Journalistentag 2019 des DJV-NRW in Dortmund. Foto: Udo Geisler
Renate Schroeder von der Europäischen Journalisten Föderation (EJF) beim Journalistentag 2019 des DJV-NRW in Dortmund.
Foto: Udo Geisler

Dabei wird es an vielen Stellen schwieriger mit der Pressefreiheit und der journalistischen Arbeit, wie die Rednerin aufzeigte. Immer häufiger sähen Politiker in Journalistinnen und Journalisten ihre Gegner und scheuten sich nicht, offene Angriffe zu fahren. Schroeder nannte den fehlenden Schutz italienischer Journalisten vor der Mafia, große Demos gegen Journalismus in Barcelona und direkte Angriffe der Gelbwesten auf Redaktionen in Paris – bis hin zu tödlichen Anschlägen gegen Kolleginnen und Kollegen in Russland und Malta. Im vergangenen Jahr seien fünf Journalisten in Europa ermordet worden, 14 gewalttätige Attacken seit 2015 seien in Polen, Dänemark, auf Malta und in Frankreich registriert worden. Die angegriffenen Kolleginnen und Kollegen „versuchten, dunkle Ecken auszuleuchten, in denen Korruption, Verbrechen und Politik miteinander verschmelzen“.

Dass auch in Deutschland nicht alles zum Besten bestellt ist, wurde vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Journalistentags deutlich, als der ehemalige WDR-Redakteur Horst Kläuser sich mit einem Zwischenruf aus dem Publikum meldete und auf die zeitgleich stattfindende NPD-Kundgebung gegen drei Journalisten in Hannover hinwies. Es brauche ein klares Signal vom Journalistentag dorthin: „Wir müssen zeigen, dass wir es nicht dulden, wenn eine Partei gegen Journalisten auf die Straße geht und sie in der Öffentlichkeit anprangert.“ Dieser Forderung kam der Journalistentag später mit einer Fotoaktion nach (siehe auch Haupttext zum Journalistentag: Innovationstreiber sein).

Jede Diktatur beginne mit der Angst und der Kontrolle des Worts, mahnte Schroeder. Nach Bedrohungen und Gewalt, juristischer Verfolgung bis hin zu Verurteilungen nehme die Selbstzensur von Kolleginnen und Kollegen zu. Die EJF setze dagegen, ihr aktuelles Manifest trage den Namen „Europa braucht den Journalismus“ und versuche, mit acht Aktionspunkten aktiv zu werden. „Wir brauchen mehr Farbe, mehr Stimmen, mehr Frauen in den Newsrooms“, zitierte sie aus den Forderungen. Die Rechte der Freien, die Forderung nach Sicherheit, die Notwendigkeit finanzieller Nachhaltigkeit des Journalismus seien dabei führend.

Rolle der EJF besser deutlich machen

Dabei wünschte sie sich, dass die EJF als Stimme des Journalismus auf europäischer Ebene besonders im DJV öfter mal erwähnt werde. „Es wird oft so dargestellt, als ob europäische Lobbyarbeit von deutschen Journalisten geleistet wird“, sagte sie. Dabei sei genau das Aufgabe ihrer Organisation. Die vertrete 300.000 Journalistinnen und Journalisten in 72 Verbänden aus 45 Ländern Europas und führe in Brüssel zusammen, was europaweit passiere. Das reiche vom Norden Europas mit millionenschweren Zuschüssen etwa für die schwedischen Lokalzeitungen bis hin zu den 4.000 Kolleginnen und Kollegen, die in Spanien ihren Job verloren hätten und nun versuchten, in kleinen Teams lokal zu arbeiten.

Renate Schroeder zeigte, dass sich in den vergangenen Monaten auf EU-Ebene bereits eine Menge getan habe, etwa mit drei Anhörungen zu Medien seit September. Die Hoffnung sei, dass die neue EU-Kommissarin Vera Jourova mit einem klaren Mandat für Medienpluralismus und Medienfreiheit ausgestattet werde. Doch trotz solcher Bemühungen seien die Fake-News-Vorwürfe die größte Herausforderung. Journalismus müsse ein öffentliches Gut bleiben, bei dem auch in Diversität, Recherche und lokale Redaktionen investiert werden müsse.

Und was können die deutschen Journalistinnen und Journalisten aus ihrer Sicht besser machen? Das formulierte Renate Schroeder auf Nachfrage von Moderatorin Andrea Hansen ganz vorsichtig: Sie wünsche sich mehr und bessere Hintergrundberichte über die europäische Politik und weniger „Copy and Paste“ aus den Pressemitteilungen der Brüsseler Bürokratie.||

Ein Beitrag in Ergänzung zu JOURNAL 6/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2019