Ein neues Plug-in für Internetbrowser soll seriöse von unseriösen Medienangeboten unterscheiden. Das Zusatzprogramm funktioniert wie eine Ampel ohne Gelbphase. Grün steht für „alles gut soweit“, rot für „mit Vorsicht zu genießen“. Dahinter steckt das Start-up NewsGuard aus den USA. Seit Mai gibt es die App auch für deutsche Medien. Wer steckt dahinter und wie hilfreich ist NewsGuard?
Caroline Lindekamp sitzt in ihrer Düsseldorfer Wohnung. Mehr als ihr aufgeklapptes Notebook und Internet braucht die freie Journalistin nicht, um im Auftrag von NewsGuard die Analysen zu schreiben. Im Moment untersucht sie das Lifestyle-Onlinemagazin Vice. Ihr erster Blick gilt dem Impressum. „Wer steht dahinter, wie sind die Eigentumsverhältnisse?“, erklärt die 34-Jährige ihren Fokus.
Punktesystem entscheidet über Bewertung
Lindekamp ist eine von zehn Journalistinnen und Journalisten, die in Deutschland Online-Nachrichtenseiten für NewsGuard untersuchen. Dafür haben sie von der Zentrale in den USA einen genauen Kriterienkatalog bekommen. Geprüft wird unter anderem, wer die Macher eines Medienauftritts sind, ob Sachbericht und Meinung getrennt werden, sowie der Umgang mit fehlerhaften Meldungen. Nach einem Punktesystem wird dann entschieden, ob die Nachrichtenseite grün oder rot bewertet wird.
Für die Nutzer funktioniert das recht einfach. Sie müssen sich das kostenlose Plug-in nur für ihren Browser herunterladen. Bei Google-Suchergebnissen oder auch im Adressfeld sowie in der Facebook-Timeline erscheint dann bei bereits untersuchten Seiten ein kleines grünes oder eben rotes Symbol. Der Onlineauftritt der FAZ zum Beispiel ist insgesamt grün bewertet. Wer mit der Maus auf das Symbol geht, sieht sogar: Das Angebot hat in allen Kategorien positiv abgeschnitten.
Facebook und Co. sollen zahlen
NewsGuard wurde von zwei US-Journalisten gegründet. Ihr Start-up finanziert sich aus unterschiedlichen Quellen. Unter anderem wird es von Microsoft unterstützt. In der Mobilversion des hauseigenen Internet-Browsers ist das Plug-in bereits standardmäßig an Bord. Das noch nicht vollständig umgesetzte Geschäftsmodell für NewsGuard sieht außerdem vor, dass Unternehmen zahlen, wenn sie ein Interesse daran haben, unseriöse Medienangebote im Netz zu erkennen.
Das könnten Suchmaschinen wie Google und Social-Media-Unternehmen wie Facebook sein. Aber auch die Werbeindustrie will ihre Anzeigen offenbar ungern neben Fake News platzieren. Schon jetzt ist unter den Geldgebern auch ein großer Werbedienstleister. Wenn die Finanzierung so klappt, wie NewsGuard sich das vorstellt, soll das Plug-in für den Endbenutzer kostenlos bleiben. Ganz sicher ist das nach Angaben der Europavertretung des Start-ups noch nicht.
Nicht ausreichend differenziert
Dass NewsGuard ein kommerzielles Angebot ist, betont auch Philipp Müller, Medienwissenschaftler an der Universität Mannheim. Er findet das Plug-in im Grundsatz gut. Aus seiner Sicht wäre es aber sinnvoller, wenn zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung einen solchen Nachrichtenwächter anbieten würde. Müller ist außerdem aufgefallen, dass alle gängigen Seiten deutscher Medien mit „grün“ bewertet werden. Dabei gebe es doch „große qualitative Unterschiede zwischen Bild.de, Focus Online und Süddeutsche oder Spiegel Online“. Der Wissenschaftler meint, dass NewsGuard diese Unterschiede nicht widerspiegele.
Anna-Sophie Harling leitet die NewsGuard-Geschäfte in Europa und kann die Kritik des Wissenschaftlers ein Stück weit nachvollziehen. „Wir haben lange darüber nachgedacht, neben roten und grünen auch gelbe Bewertungen als weitere Abstufung einzuführen“, sagt sie. Man habe sich dann aber aus Gründen der Anwenderfreundlichkeit dagegen entschieden. Allerdings müsse man ja nur mit der Maus auf das Ampelsymbol fahren, um Details der Untersuchung zu sehen. Dort können Nutzer schauen, wie die Analyse in den einzelnen Kategorien ausgefallen ist.
Politische Ausrichtung soll keine Rolle spielen
„Man kann sogar noch tiefer gehen“, ergänzt Alina Fichter. Die 38 Jahre alte Journalistin war früher Mitglied der Chefredaktion von Zeit Online, jetzt ist sie für NewsGuard in Deutschland zuständig. Fichter erklärt, dass Nutzer sich auch noch die Mediensteckbriefe ansehen können, die von den Analysten erstellt wurden. In der Tat öffnet sich per Mausklick ein umfangreiches Dokument. Es folgen Informationen unter anderem zur Geschichte des jeweiligen Mediums, aber auch zur Frage, ob es mal Rügen des Deutschen Presserates kassiert hat.
Medienexperte Müller sorgt sich ein wenig, dass alternative Medienmacher unter anderem aus dem rechten Spektrum die Ampel als Beleg für Meinungsunterdrückung sehen könnten. Tatsächlich macht auf einschlägigen Seiten bereits jetzt das Wort „Zensur“ die Runde. Alina Fichter glaubt dagegen, dass die klaren Qualitätskriterien den objektiven Blick der Analysten schärfen. „Das hat mit rechts oder links nichts zu tun“, sagt sie. „Sondern einfach nur mit der Frage, wie transparent oder glaubwürdig ein Medium arbeitet.“
Auch Analystin Caroline Lindekamp meint, dass die politische Ausrichtung eines Mediums für NewsGuard keine Rolle spiele. Selbst stark polemische Angebote würden mit „grün“ bewertet werden, wenn sie journalistische Standards einhielten. Nicht der Fall sei das zum Beispiel bei RT Deutsch (früher Russia Today). Der deutsche Onlineauftritt des russischen Senders kassiert ein „rot“, erklärt Lindekamp. Die Gründe: „Keine Unterscheidung zwischen Nachricht und Meinung, die Quellen sind in den Artikeln nicht immer angegeben und so weiter.“
Eine Art Qualitätskontrolle
Es ist die Frage, ob es einen Verschwörungstheoretiker interessiert, wenn diejenigen, die aus seiner Sicht Verschwörer sind, seine Quellen als unseriös einstufen. Medienwissenschaftler Müller hat da seine Zweifel. Allerdings könne es gut sein, dass NewsGuard in die Branche hinein wirke. Als Qualitätskontrolle für die Medien sozusagen. Alina Fichter von NewsGuard Deutschland sieht dafür erste Anzeichen. Einige Medien hätten ihr Angebot nach der Kritik der Analysten überarbeitet. So erwähne RT Deutsch mittlerweile, dass die Seite von der Russischen Föderation finanziert wird.
NewsGuard hat in Deutschland mittlerweile rund 100 Nachrichtenseiten analysiert (Stand Juni 2019). Laufend kommen neue hinzu. In Europa funktioniert das System mittlerweile auch in England, Italien und Frankreich. Im Herbst sollen weitere Staaten folgen, zum Beispiel Georgien. Es gehe darum, Transparenz in der Medienlandschaft zu schaffen, sagt Analystin Caroline Lindekamp. Und um die Frage „Who is watching the watchdog?“, also „Wer überwacht den Wachhund?“.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.