Der Stammtisch hatte die Heuschrecken-Plage bei Springer („Die tun nix, die wollen nur fressen“) sowie den beginnenden Blätter-Ausverkauf bei DuMont („Für ’n Kölsch und ’n halven Hahn“) schon durch und feierte gerade die öffentlich-rechtlichen Kolleginnen und Kollegen, die in ihrem Tarifstreit so wunderbar aktiv waren. Da rief Paul: „Stellt Euch mal vor …“ Wir zuckten zusammen, Andrea verschlabberte vor Schreck ihr Bier. Das war Pauls üblicher Einstieg in gefürchtete Abfragerunden. „Wenn ihr IHK-Präsident wärt“, fuhr er fort, „wie würdet ihr euch den Firmen, die ihr repräsentiert, zeigen – als guter oder als böser Chef?“
Angelika plapperte sofort los: „Natürlich als guter, als Vorbild eben.“ Okay, wir alle hielten sie für ein wenig naiv. Offiziell sagten wir: idealistisch. Hansi hielt auch gleich dagegen: „Nein, er muss böse wirken. Sonst fühlen sich andere Chefs bloßgestellt.“ Paul schluchzte: „Dann machen die Kerle bei Aschendorff in Münster ja alles richtig.“ Was war denn passiert? „Ach“, erzählte Paul, „die Betriebsräte wollten die Arbeitsbelastung in der Redaktion zum Thema machen und eine Arbeitsgruppe zum Thema Arbeitszeiterfassung gründen.“ Wir nickten: sehr vernünftig, endlich.
„Und dann haben die Chefs, also der IHK-Präsident und sein Cousin, immerhin ein Jurist, kategorisch erklärt: Falls der Betriebsrat da aktiv wird, werden wir sofort bis zu 15 Arbeitsplätze abbauen.“ Hä? Wir waren geschockt, Andrea schlabberte vor lauter Empörung schon wieder. Das ist doch Erpressung. Die können doch dem Betriebsrat und der Belegschaft nicht die Pistole auf die Brust setzen – wenn die nur ihr gutes Recht einfordern. Paul beruhigte uns: „Richter haben den Chefs jetzt solche Drohungen verboten. Die konnten nicht einmal sagen, wieso Zeiterfassung schädlich wäre.“ Wir grinsten breiter, als die Theke lang war.
Aaaapropooos Richter, meldete sich Kathi langgezogen zu Wort. „In Dortmund versuchen die Ruhr Nachrichten immer noch per Gericht, der Stadt zu verbieten, ihr Online-Portal zu einem besseren Lokalteil zu machen, als die Ruhr Nachrichten ihn haben.“ Das war natürlich leicht überspitzt. „Kommunen dürfen den Verlagen keine Konkurrenz machen – ich sage nur: Staatsferne der Presse“, dozierte Gaby. „Aber wenn es in einer Großstadt nur noch einen einzigen Lokalteil gibt – und der nicht alles abdeckt?“ Wir fragten uns: Ist dann kommunale Notwehr erlaubt? Wie die Richter wohl entscheiden werden? „Stellt Euch mal vor …“ Nee, Paul, heute nicht mehr.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2019.