Lokalkompetenz auf dem Podium mit (v.l.) Frank Überall, Ulrike Kaiser, Thomas Schwarz, Klaus Rieping, Georg Watzlawek und Horst Röper. | Foto: Anja Cord
Lokalkompetenz auf dem Podium mit (v.l.) Frank Überall, Ulrike Kaiser, Thomas Schwarz, Klaus Rieping, Georg Watzlawek und Horst Röper. | Foto: Anja Cord
 
Unter Uns

Reden ohne Tabus

Nachdenken über die Zukunft des Lokaljournalismus
15. August 2019, Werner Hinse

Das ist selten: Aus einer Podiumsdiskussion zum Zustand des Lokaljournalismus in Nordrhein-Westfalen wurden zwei spannende Stunden öffentlichen Nachdenkens. Der Dortmunder Presseverein Ruhr hatte im Juni fünf Kenner des Lokalen ins Dortmunder Kulturdepot geladen. Eine Veranstaltung im Rahmen der World-Press-Photo-Ausstellung, die den Besucherinnen und Besuchern auch für eine Führung offenstand.

Wie düster sind die Aussichten für den Journalismus in und aus Dörfern, Stadtteilen und Regionen? Das lotete das Podium mit Moderator Thomas Schwarz vor mehr als 50 Besucherinnen und Besuchern aus. Die Fehlstellen des lokalen Journalismus und die kleinen Lichtblicke für seine Zukunft analysierten der WDR-Lokalreporter und DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall aus Köln, Zeitungsforscher Horst Röper aus Dortmund und die Remscheider Journalistin Ulrike Kaiser von der Initiative Qualität im Journalismus.

Zwei weitere Teilnehmer brachten die unternehmerische Perspektive in Gespräch: Als Verfechter der harten Bezahlschranke („Bei uns gibt es nichts für lau“) war Klaus Rieping vertreten, Geschäftsführer der Ibbenbürener Volkszeitung. Die Gegenposition vertrat Bürgerportal-Macher Georg Watzlawek aus Bergisch Gladbach. DJV-Mitglied Watzlawek lässt seine Leser für die Arbeit seiner zum Teil freien Mitarbeiter spenden. Rieping und Watzlawek stehen für neue Ansätze in der Debatte um die Zukunft der lokalen Öffentlichkeit.

Die Gesellschaft und die Demokratie brauchen auch und gerade im Social-Media-Zeitalter professionellen Journalismus. Da waren sich alle auf dem Podium einig. Fehlende öffentliche Kontrolle fördere beispielsweise Korruption, zeigte Überall am Beispiel von US-Städten ohne Lokaljournalismus auf. So schlimm stellt sich die Situation in Deutschland noch nicht dar. Noch gewährleisten die Verlage im Lokaljournalismus flächendeckende Strukturen. Allerdings müssen immer kleinere Redaktionen in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten. Das ist der Qualität der Arbeit nicht förderlich. Aber, das machte Röper als wohl bester Kenner der deutschen Zeitungs- und Medienlandschaft klar, an trimedialem Arbeiten geht kein Weg mehr vorbei: „Dieser Weg ins Digitale ist ein zwingender.“

Eine Frage der Finanzierung

Die zentrale Frage schälte sich im Laufe der Diskussion heraus: Wer bezahlt dauerhaft für den gesellschaftlich wichtigen Lokaljournalismus? Die Unterneh­mer Rieping und Watzlawek können von den Erlösen ihrer verschiedenen Modelle von Lokaljournalismus leben. Dabei sagte Rieping jedoch auch: „Bis in alle Ewigkeit klappt das nicht.“ Von staatlichen Subventionen halten beide nichts, wie sie betonten. Rieping stellte heraus: „Ich möchte nicht subventioniert werden.“ Das möchte auch Watzlawek nicht. Er plädierte allerdings dafür, dass eine öffentliche Ko-Finanzierung die Qualität im Lokaljournalismus stärkt. Das gehe aber nicht über Subventionen für die bisherige Verlagsstruktur. Er warb vielmehr dafür, die Privilegien von Verlagen zu streichen.

„Wir kommen um eine ehrliche Debatte nicht herum“, stellte Ulrike Kaiser fest. Das Einzelkämpfertum von Lokaljournalismus-Portalen sorge in Nordrhein-Westfalen in der Fläche nämlich nicht für die gewünschte Vielfalt im Lokalen. Kaiser: „Wir müssen ohne Tabus reden.“ Watzlawek sieht in Start-ups wie in seinem Bürgerportal auch nicht die Zukunft des Journalismus. Sie sind für ihn aber ein weiteres Modell neben den etablierten Verlagen, die weiterhin wichtig sind.

„Lokaljournalismus hat Zukunft“, warb Frank Überall. „Es gehört nur ein bisschen Mut dazu, um neue Wege zu gehen. Leider lassen sich deutsche Verleger Chancen entgehen. Verlage in anderen Ländern setzen längst neue Formate wie Podcasts oder Lernspiele ein, um junge Leute zu erreichen.“ Überall setzt sich für eine Debatte über Finanzierung von Lokaljournalismus ein. Unterschiedliche Mehrwertsteuersätze für analoge und digitale journalistische Produkte nannte er „absurd“. Es gehe um eine faire Finanzierung von Journalismus. Der DJV-Vorsitzende warnte dabei vor politischer Einflussnahme auf diesen Prozess: „Die Begehrlichkeiten sind groß.“

Der öffentliche Dialog in den regionalen Ortsvereinen des DJV-NRW über neue Wege für das Lokale geht weiter: Jörg Prostka vom Märkischen Presseverein lud für den 17. September zu einer weiteren Diskussion über die Zukunft des Lokaljournalismus nach Gevelsberg. ||

Öffentliche Förderung für Zeitungen?

In vielen europäischen Ländern werden Zeitungsverlage öffentlich unterstützt, etwa in Österreich, den Niederlanden und in Frankreich. Sollte es in Deutschland auch eine öffentliche Förderung für Tageszeitungen geben? Mit dieser Frage hat sich Christoph Sterz in der Sendung @mediasres des Deutschlandfunks am 25. Juni 2019 befasst.

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.