Ein kleines Blatt wie die Ibbenbürener Volkszeitung (IVZ) schafft es eher selten in die Süddeutsche Zeitung. Das Experiment der digitalen Themenwelten hat im vergangenen Jahr dafür gesorgt. Und zwar in die Rubrik „Zukunft von Regionalzeitungen“. Dabei wirkt diese „Zukunft“ im Tecklenburger Land auf den ersten Blick eher konventionell. Konkurrenz im Printbereich gibt es seit Jahren nicht mehr. Ibbenbüren ist eine Ein-Zeitungs-Stadt. Aber in digitalen Lokaljournalismus zu investieren und damit zu experimentieren, das ist derzeit schon besonders. Vor allem, wenn andernorts in Nordrhein-Westfalen Zeitungen verkauft, zusammengelegt oder dicht gemacht werden.
Die Sehnsucht nach Lösungen
Daher die Aufmerksamkeit: „Die Branche sehnt sich nach Lösungen“, weiß IVZ-Geschäftsführer Klaus Rieping. Der 56-Jährige hat eine klare Grundhaltung: Bei ihm gibt es nichts umsonst. „Ich kann mich auf den Marktplatz stellen und sagen: Meine Leistung kostet Geld“, sagt er. „Bei mir arbeiten Journalisten, und die muss ich bezahlen. Und ich kann nicht anders, als dass der Leser für das Produkt bezahlen muss.“ Das haben auch schon andere Verleger gesagt. Rieping aber verteidigt die Kostenpflicht aktiv, seit sechs Jahren mit einer harten Paywall, hinter die ausschließlich Abonnenten kamen; „Wer nicht unser Kunde war, konnte nicht hinein.“
Seit November 2017 unterbreitet die IVZ den Noch-Nicht-Kunden in der Region mit den Themenwelten ein digitales Angebot, für das es kein Vorbild gab und das in der Branche aufmerksam wahrgenommen wird. Das Konzept: Die lokalen Inhalte werden Rubriken wie Sport, Vereinsleben, regionale Wirtschaft, Blaulicht, Schule, Gesellschaft oder Soziales zugeordnet, die einzeln für je 3 Euro gebucht werden können. Wer alle neun Welten abonniert, zahlt 15 Euro.
Die Vision dahinter erklärt Rieping so: „Wie ein lokaler Verlag in einem urlokalen Markt, der nicht nationale Größen und Perspektiven erreicht und nicht werbefinanziert werden kann, möglichst über Inhalte und viele Kundenbeziehungen das gute, alte Abonnement in eine digitale Welt herüberrettet.“ Und damit überlebt.
Geht das Konzept des digitalen Lokalmodells auf? Rieping verrät nach knapp eineinhalb Jahren erste Zahlen. Die IVZ-Paywall wurde 2013 hochgezogen. Der Abo-Preis liegt bei 40,90 Euro. Dafür gibt es die Tageszeitung und abends ab 21 Uhr das ePaper im Web und als App, darüber hinaus Zugang zum Webauftritt IVZ-aktuell, die Live-App, Lokalvideos und unbeschränkten Zugang zum digitalen Zeitungsarchiv. Rund 13 500 der mehr als 17 000 Abonnentinnen und Abonnenten sind auch digital registriert. Sie können per Flatrate alle Haushaltsmitglieder mitlesen lassen. Und haben 10 500-mal die Apple-App heruntergeladen sowie 6 000-mal die für Android-Geräte.
Klaus Rieping hat eine Wette laufen, sagt er, ab wann BILD nicht mehr gedruckt vertrieben wird. Mehr sagt er nicht und lächelt. Er hofft aber, dass er verliert. Denn er mag das analoge Medium Zeitung. „Ich hoffe, dass wir noch ganz lange Zeitungen drucken. Auf dem Land dauert alles noch ein wenig länger.“
Weniger Geduld hatte Rieping aber wohl, als er die Themenwelten in der Redaktion eingeführt hat – mit dem „Holzhammer“, wie er zugibt. Das Rubriken-Abomodell ist sein Gegenentwurf zum verbreiteten Ortsfürstentum im deutschen Lokaljournalismus. „Das ist auch für die Orte komisch“, erzählt Rieping, wenn anstelle des gewohnten Lokalredakteurs auch mal der Themenwelt-Redakteur kommt. Einer, der die Materie nicht nur in der Breite, sondern auch in der inhaltlichen Tiefe aufarbeiten kann. Das passiert nicht nur im Sport, sondern auch bei Themen wie Bildung oder Wirtschaft.
Für die Nutzer direkt erreichbar
Der Ansprechpartner der Redaktion ist nach außen erkennbar – mit Foto, Telefonnummer und Mailadresse. So teilt nicht mehr nur der Redaktionsleiter Termine und Kontakte zu. Auch Nutzerinnen und Nutzer können etwas anbieten, und die jeweiligen Themenwelt-Leiter entscheiden darüber. Hat sich das Modell über die Zeit aus Verlegersicht bewährt? „Absolut.“
Wie es für die Redaktion funktioniert, hatte die Süddeutsche sich einige Monate nach dem Start der Themenwelten en detail schildern lassen. „Man kann nicht sagen, dass dieses Umschalten bei laufendem Betrieb nur auf Begeisterung stößt“, wurde die stellvertretende Redaktionsleiterin Sabine Plake damals zitiert. Sie sah aber schon erste Erfolge: „Wir entwickeln jetzt viel mehr eigene Ideen.“
„Für uns als Haus“, sagt Geschäftsführer Rieping häufig, wenn er die Ibbenbürener Volkszeitung (IVZ) oder die Ibbenbürener Vereinsdruckerei (IVD) meint. Das Haus steht für die besondere verlegerische Tradition der kleinen Region vor den Toren Osnabrücks, und es hat viele Eigentümer. Denn es waren rund 40 Ibbenbürener Bürger, Bauern und Kaufleute, die vor 121 Jahren die Ibbenbürener Volkszeitung samt Druckerei gründeten. Viele der Gründerfamilien von 1898 sind heute noch Gesellschafter. Zeitung und Verlag sind weitgehend im Streubesitz, 19 Prozent gehören dem Verlag Aschendorff in Münster, der auch den Mantel liefert.
Klaus Rieping selbst hält drei Prozent der Anteile an Zeitung und Netzauftritt. Er ist ein Ur-Enkel von Theodor Rieping – 1898 einer der beiden Herausgeber, Verleger, Redakteur und Drucker in Personalunion. Wie seine Vorfahren sieht sich der heutige Geschäftsführer in einer Art Existenzkampf – allerdings „in einem nie gekannten Ausmaß“. Die Antwort der IVZ auf diese Herausforderungen lautet nach Riepings Worten: „Bestmögliche Rahmenbedingungen für guten Journalismus bieten.“
Die Ibbenbürener Medienmacher zeigen Mut, vielleicht weil sie Erfahrung mit grundlegendem Wandel haben. Ihr Druckhaus gehörte einmal zu den großen Formular-Druckereien in Deutschland. „Das sind wir vielleicht auch heute noch“, sagt Rieping ironisch lachend: „Nur heute braucht kaum noch einer gedruckte Formulare.“ Auch das hat die Vereinsdruckerei überstanden. Jetzt wird zentral in der Ibbenbürener Innenstadt ein neues Medienhaus geplant. Redaktion und Verkauf sollen ein modernes Zuhause finden. Und Rieping plant für eine größere Redaktion, sucht nach interessierten Journalisten, um die digitalen Pläne umsetzen zu können. „Wir möchten die Redaktion aufstocken. Mit Leuten, die hier gerne Lokaljournalismus machen wollen. Dieses Konzept muss man wollen.“
Berichterstattung mit Tiefgang
Im Lokalen konzentriert sich die IVZ auf Berichterstattung mit Tiefgang, ohne darüber Kernaufgaben wie Nachrichten und Aktualität für die Region zu vernachlässigen. Aber dafür reicht es aus Sicht des Geschäftsführers, den digitalen Auftritt zweimal täglich zu aktualisieren. „Warum soll ich eine Redaktion auf höchste Aktualität trimmen, wenn mein Kunde nur ein Mal am Tag kommt?“ Das verraten die Zugriffszahlen über die 4 500 Nutzerinnen und Nutzer, die derzeit jeden Tag auf die IVZ-Seiten kommen.
Die Themenwelten haben wohl nicht so eingeschlagen, wie sich Rieping das erhofft hatte. „Ich weiß jetzt schon nach eineinhalb Jahren, dass wir nicht den Stein der Weisen gefunden haben.“ 100 Abonnentinnen und Abonnenten wollte er innerhalb eines Jahres über das digitale Wunsch-Angebot außerhalb der Paywall gewinnen. 50 sind es geworden. Jetzt starten Kurskorrekturen, weil das Produkt noch zu wenig vom Nutzer her gedacht worden sei. Rieping: „Das müssen wir besser machen.“
Noch nicht ausreichend beworben
Einer der Knackpunkte: Bisher lebten die Themenwelten mit ihrem sperrigen Namen in einer Art Parallelwelt neben der Tageszeitung und dem Internet-Auftritt IVZ-aktuell. Einer Welt, die kaum beworben und vermarktet wurde, stellt Rieping selbstkritisch fest. „Wir haben es dahingestellt: Friss oder stirb. Wir haben das Marketing nicht auf die Straßen gebracht.“ Eine weitere Erkenntnis: Es war bislang nicht einfach genug, einzelne Themenwelten zu buchen.
Künftig wird das Themenwelt-Prinzip mit dem Internetauftritt, der nach Riepings Aussage in der Region beliebt ist, hinter der Paywall zusammengelegt. Die bisher neun Themenwelten werden auf fünf komprimiert: Gesellschaft und Politik, Wirtschaft, Schule, Blaulicht sowie Gesundheit, Fitness, Landlust. Blaulicht-Berichte über Polizei- und Feuerwehreinsätze haben bisher den stärksten Zuspruch. Das Segment Vereine wurde dagegen ganz schlecht geklickt. Die ungeliebten Vereinsberichte ganz außen vor zu lassen, traut sich Rieping aber nicht: „Das geht auf dem Land nicht.“
Eine aktuelle Überlegung ist auch, hinter der Paywall komplett auf nationale Werbung zu verzichten. „Formate, die mein digitales Produkt stören, die wollen wir nicht.“ Die Angebote von Handel und Wirtschaft in der Region würde Rieping dagegen digital gerne mit den Nutzern zusammenbringen. Denn ihm ist klar: „Das Bezahlmodell der Zeitung wird man nach der Zeitung nicht wiederbeleben können.“ Wie viele deutsche Medienmacher und Verlagsmanager hat er bei Besuchen in Skandinavien gelernt, sagt Klaus Rieping: „Ich möchte meinen Leser kennenlernen. Und ich möchte ihn ansprechen, ihm ein individualisiertes Produkt anbieten können.“
Was erst einmal bleibt, ist der Preis von monatlich 3 Euro pro Themenwelt. Damit gibt es eine Alternative zu den 40,90 Euro, die das IVZ-Komplettpaket aus Print und Digital kostet. Rieping hat einsehen müssen: „Je höher der Preis, desto schwieriger ist es, Neukunden zu generieren. Und 40 Euro scheinen eine Marke zu sein, die wehtut.“
Nach dem Spotify-Prinzip können sich künftig bis zu fünf Haushaltsmitglieder unter dieser Flatrate mit bis zu zwei Geräten anmelden. „Schwarzseher“ wurden bislang mehr oder weniger toleriert. Das wird sich aber wohl bald ändern. Zudem wird es künftig kein kostenloses Probe-Abo mehr geben. Vielleicht noch Rabatt-Angebote, um neue Leser zu gewinnen. Denn Rieping ist weiterhin überzeugt: „Wer sich für unsere Inhalte interessiert, wird irgendwann auch mein Kunde. Unser Geschäftsmodell stimmt bis heute.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2019.