Bei einer Veranstaltung sitzen Menschen von jung bis alt eng in Zuschauerreihen. Der Blick fällt vorne links auf eine Gesprächssituation zwischen zwei jungen Frauen und einem jungen Mann, der sich zu ihnen herüberbeugt.
Auftakt zum Journalistentag 2025 des DJV-NRW, der am 29. November in Dortmund stattfand. | Foto: Udo Geisler
 
THEMA | Journalistentag 2025

Was fehlen würde

Wie sähe die Gesellschaft ohne Journalismus aus? Ein Essay
21. Dezember 2025, Frank Überall

Auf Journalismus zu verzichten – das hört sich so einfach an. Manche Menschen wollen das Leid auf der Welt nicht mehr in ihr Wohnzimmer oder in ihren Kopf lassen und vermeiden es – zumindest zeitweise –, sich durch Nachrichten zu informieren. Für sie steht die Zerstreuung im Mittelpunkt, die zwar auch der Journalismus bietet, vor allem aber eben andere Angebote wie etwa soziale Netzwerke.

Nicht umsonst zu haben

Zerstreuung gibt es häufig für umsonst, die viel beachteten Katzenvideos zum Beispiel. Ernsthafte Information dagegen wird professionell erarbeitet, und das ist nicht umsonst zu haben. Zwar gibt es Angebote, bei denen man nicht direkt bezahlen muss, aber auch sie müssen finanziert werden – durch Werbung, Daten oder Spenden zum Beispiel. Kosten entstehen also immer. Und doch wird von interessierter Seite gerne über die Kosten geklagt, die für Journalismus aufgewendet werden müssen – vom Einzelpreis etwa für eine Zeitung über das Abonnement, von Paywalls bis zum Rundfunkbeitrag. Der persönlich empfundene Nutzen wird zugespitzt abgewogen gegen den finanziellen Aufwand. Was aber passiert, wenn Journalismus teilweise oder ganz verschwindet: Welche Kosten verursacht das?

Dazu muss man sich bewusst machen, was Journalismus als Profession abgrenzt von anderen Arten der Veröffentlichung. Natürlich können Informationen auch von Laien verbreitet werden. Selbst investigative Recherchen und Veröffentlichungen sind nicht alleine dem Journalismus vorbehalten. Journalismus aber kann mehr. Viel mehr.

Überprüfte Information

Zum einen kommt es darauf an, dass Journalistinnen und Journalisten Informationen und Nachrichten nicht nur sammeln und aufbereiten, sondern auch überprüfen. Die so professionell und unabhängig zusammengestellte Gesellschaftsbeobachtung dient dazu, dass die Öffentlichkeit sich eine Meinung bilden kann – und das nicht nur hin und wieder. Denn ein Kern der journalistischen Arbeit ist die regelmäßige Information. Das wiederum kostet Zeit, Personal und Geld. Gerade in Krisenzeiten ist nachvollziehbar, dass manche diese Kosten nicht mehr aufwenden wollen. Umso wichtiger ist es, sich den Wert des Journalismus für die Gesellschaft bewusst zu machen.

Brustbild eines lächelnden Mannes. Er hat dunkle Haare und trägt ein blaues Hemd unter grauem Jacket. Der unscharfe Hintergrund ist sommerlich hell.
Frank Überall ist Chefreporter der Köl­nischen Rundschau und Buchautor („Deadline für den Journalismus? Wie wir es schaffen, nicht zur Desinformationsgesellschaft zu werden“). Zuvor hatte er 28 Jahre frei gearbeitet und an der Media University in Köln gelehrt. Von 2015 bis 2023 war er DJV-Bundesvorsitzender. |Foto: Alexander Schneider

Wo gesellschaftliche Entwicklungen nicht mehr professionell begleitet werden, bleibt die Kontrolle auf der Strecke. Auch die kann im Einzelfall von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern geleistet werden. Aber sie wird dann kaum eine breite Öffentlichkeit erreichen. Zudem besteht immer die Gefahr, dass das Ergebnis nicht auf der Grundlage gut recherchierter Fakten zustande kommt.

Wie gute Recherche aussieht, zeigen zum Beispiel die preisgekrönten Beiträge, die die Friedrich und Isabel Vogel-Stiftung auf dem diesjährigen Journalistentag als herausragenden Wirtschaftsjournalismus auszeichnete (siehe „Herausragend verfasst“, Seite 25). Oder der jüngst verliehene Kölner Recherchepreis, der unter anderem an Sophie Sommer von der WAZ für eine aufwühlende Reportage über Kinderprostitution in der Dortmunder Nordstadt verliehen wurde.

Keine Frage: Auch professionelle Journalistinnen und Journalisten machen im Einzelfall Fehler. Dazu gehören etwa die immer wiederkehrenden unerlaubten Abbildungen Beschuldigter oder vorverurteilende Verdachtsberichterstattung beispielsweise in der BILD. Aber für diese Missgriffe gibt es Kontrollinstanzen wie den Presserat oder die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender. Um die eigene Fehlerkultur ringt die Branche auch in ihren internen Diskussionen.

Glaubwürdigkeit und Präsenz

Die Kontrollfunktion des Journalismus kann nur funktionieren, wenn er glaubwürdig und als kontinuierliche Stimme in einer breiten Öffentlichkeit präsent ist. Extreme Kräfte versuchen, beides zu unterlaufen. Politisch Radikale stellen die Glaubwürdigkeit von Fakten grundsätzlich in Frage. Journalistische Veröffentlichungen werden lächerlich gemacht, als Fake News geschmäht, zudem von sozialen Netzwerken in ihrer Sichtbarkeit eingeschränkt.

„Alternative Medien“ verzerren Informationen oder verbreiten gleich komplett ausgedachte Geschichten. Für manche Nutzerinnen und Nutzer ist kaum zu unterscheiden, was seriös ist und was nicht. Alle diese Maßnahmen sollen unabhängige Berichterstattung verdrängen. Auch die ständigen Angriffe von interessierter Seite auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehören zu diesem Konzept. Die Folgen sind dramatisch – und genau darin steckt die Absicht.

Gesellschaftliche Meinungsbildung stören

Denn wenn nicht mehr kritisch hingeschaut wird, wenn Recherchen, Berichte und Einordnungen ihre gesellschaftliche Anschlussfähigkeit verlieren, hat die Demagogie freien Lauf. „Flood the zone with shit“ lautet das bekannte Rezept, das Steve Bannon dem US-Präsidenten Donald Trump bereits in dessen erster Amtszeit mitgegeben haben soll. Das Konglomerat aus unbewiesenen Behauptungen, irrwitzigen Verzerrungen und handfesten Lügen soll gezielt dazu beitragen, dass eine gesellschaftliche Meinungsbildung nicht mehr auf der Grundlage von Fakten und begründeter Kritik zu organisieren ist.

Dazu werden etablierte professionelle Medien vielfältig unter Druck gesetzt. Im Gegenzug werden „alternative Medien“ gestärkt, die unkritisch den Kurs des Präsidenten bejubeln. Keine Frage: Die USA richten sich so in Richtung autokratischer (Medien-)Systeme aus. Journalismus gerät zunehmen unter Druck, auch durch Klagen um Milliardensummen, und er läuft Gefahr, als Verbrechen eingestuft zu werden.

Korruption und Machtmissbrauch

Schon vor Trump hatten es journalistische Medien in den Vereinigten Staaten nicht leicht. In manchen Gegenden gibt es längst keine lokalen oder regionalen Redaktionen mehr. Studien belegen, dass dies die Wahrscheinlichkeit Korruption und Machtmissbrauch in den Rathäusern erhöht. Ohne journalistische Kontrolle vor Ort können Führungspersönlichkeiten und -cliquen machen, was sie wollen. Auch hier gilt: Natürlich können Einzelne genau hinschauen und Fehlentwicklungen beispielsweise im Internet thematisieren. Da sie das aber nicht regelmäßig machen und keine breite Öffentlichkeit erreichen, bleibt das in der Regel nahezu wirkungslos.

In anderen Ländern ist die Situation noch bedrohlicher: Da wird Journalismus konsequent als Verbrechen geahndet, wenn er nicht vollends auf Regierungslinie liegt. Die gesellschaftlichen Kosten sind enorm: Während die Freiheit vieler eingeschränkt wird, setzen Einzelne zügellos ihre Interessen durch. Im Zweifel verbinden sich politisch Mächtige mit Kreisen aus der Wirtschaft und aus der organisierten Kriminalität. Gewalt wird auch physisch spürbar – wer sich nicht wohl verhält, wird eingesperrt, gequält, womöglich getötet.

Gezielt auf den Nutzen schauen

Das demokratische und mediale System muss nicht überall so weit entgleisen, die Gefahr aber liegt auf der Hand. Um gewappnet zu sein, brauchen wir in Deutschland eine Debatte darüber, was Journalismus für die Gesellschaft leistet, welchen Nutzen er hat und warum er deshalb auch Geld kosten darf. Denn gäbe es ihn nicht mehr, wären die Kosten unerträglich hoch. Die Anfänge eines Angriffs auf Journalismus, Demokratie und Freiheit sind längst auch in unserem Land zu spüren.

Respektlosigkeit und Einschüchterung sind derzeit (noch) die vorrangigen Mittel der Wahl (siehe dazu auch Interview „Dem Druck widerstehen“, Seite 6). Darüber hinaus ist eine hybride Form der Auseinandersetzung zu beobachten, wie sie von faktisch staatlicher Seite wie Russland praktiziert wird. Dabei sollen zum Beispiel gefälschte Nachrichtenseiten dazu dienen, unabhängige Berichterstattung systematisch zu unterlaufen.

Aber Störversuche gibt es in vielfältigen Ausprägungen: Die platten Ausrufe „Lügenpresse“, die wir auf Demonstrationen der vergangenen Jahre gehört haben, die gewalttätigen Übergriffe auf Medienschaffende und die potenziell zerstörerisch wirkenden Einschüchterungs-Klagen („SLAPP“) finanzstarker Akteure sind da nur einzelne Beispiele unter vielen.

Lieber selbst an die Öffentlichkeit senden

Längst träumen viele Verantwortliche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft davon, sich vom professionellen Mediensystem zu entkoppeln. Selbst der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz hat einst öffentlich darüber philosophiert, dass man professionelle Medien für den Austausch mit der Öffentlichkeit nicht mehr brauche.

Es ist heute sicher ein wichtiger Teil von Öffentlichkeitsarbeit, über soziale Netzwerke direkt mit den Menschen zu kommunizieren. Dabei aber lästige Anfragen von Medienschaffenden zu umgehen, mit Falschnachrichten und Verzerrungen Stimmung zu machen und dabei den Duktus des Journalismus nachzuahmen – das alles hat wenig mit der eigentlichen PR-Profession zu tun. Vielmehr geht es in solchen Fällen einem Teil der Unternehmen, Parteien, Organisationen oder Interessengruppen darum, mit Emotionalität und gelegentlicher Pseudo-Ausgewogenheit Stimmungen zu erzeugen oder zu beeinflussen.

Im schlimmsten Fall werden Fakten neu interpretiert, als „alternative Wahrheiten“ verbrämt, unter dem Motto: „Das muss man doch auch mal sagen dürfen!“ Das darf man in einer Demokratie – innerhalb der Grenzen von Verfassung und Strafrecht. Man muss aber die Gegenrede aushalten. Das wiederum wollen viele nicht mehr hinnehmen. Sie erheben den Anspruch, ihre Meinung absolut zu äußern, ohne Widerspruch ertragen zu müssen. Wer dagegen mit Fakten argumentiert, wird niedergeschrien. Das bereitet den Boden für handfeste Übergriffe – sei es mit Beleidigungen, Bedrohungen oder eben auch konkreten Angriffen im realen Leben.

Kein Zustand, sondern ein Prozess

So darf Gesellschaft nicht funktionieren. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Unsere Art zu leben, unsere Freiheit, unsere Informiertheit, alles das müssen wir ständig neu erstreiten und verteidigen. Feindinnen und Feinde der Demokratie können nichts anfangen mit dem unabhängigen Journalismus. Deswegen verfolgen sie ihn.

Auch unterhalb dieser dramatischen Bedrohung gibt es Entwicklungen, die teuer für uns als Bürgerinnen und Bürger werden können. Wenn etwa im Verbraucherjournalismus die wesentlichen Internetportale von Unternehmen mit Eigeninteresse betrieben werden, droht die kritische Prüfung von Angeboten auf der Strecke zu bleiben. Günstig sind diese nur für die Betreiber. Manche Nutzerinnen oder Nutzer müssen es schon teuer bezahlen, dass sie auf solche pseudoredaktionellen Angebote hereingefallen sind.

Unter Druck geraten journalistische Medien auch von anderer Seite: durch kommunale Behörden, die mit ihren Amtsblättern, mit Internet- oder Social-Media-Auftritten den Eindruck seriöser journalistischer Berichterstattung erwecken. Hier besteht die Gefahr, dass sie damit die kommerziellen oder auch gemeinnützigen Angebote von Profis verdrängen (siehe dazu auch Meldung „Lokalmedien kritisieren behördliche PR auf Social Media“, Seite 31). Dabei ist gerade der Lokaljournalismus eine entscheidende Säule im Mediensystem, wie unter anderem die bereis erwähnten Zustände in US-Regionen mit weißen Flecken zeigen.

Und dann auch noch die KI

Und nun setzt auch noch die Künstliche Intelligenz dem Journalismus zu. KI kann großen Nutzen für die Menschheit haben, aber ebenso hohe gesellschaftliche Kosten erzeugen. Dabei schauen wir nicht in erster Linie, ob KI-Anwendungen Arbeitsplätze in der Medienlandschaft und in den Redaktionen vernichten können. Das ist aus gewerkschaftlicher Sicht natürlich ein sehr unerfreulicher Effekt.

Aber gesellschaftlich betrachtet ist das nicht die wesentlich bedrohliche Hauptwirkung. Schlimmer ist die Gefahr, dass wir uns generativen Sprachmodellen vollends ausliefern, dass sie bestimmen, wie wir die Welt wahrnehmen.

Denn abgesehen von umstrittenen Fragen des Urheberrechts geht es auch darum, mit welchen Informationen diese Modelle „gefüttert“ werden. KI-Sprachmodelle können eben nicht denken, sie berechnen nur Wahrscheinlichkeiten einer korrekten Antwort aus dem, was sie „gelernt“ haben.

Trainiert werden sie dafür vor allem mit frei zugänglichen Inhalten aus dem Internet. Je mehr Menschen und Organisationen sich entschlossen haben, diese Zone mit Unrat zu fluten, umso schneller werden auch die „Gedächtnisse“ der KI-Sprachmodelle verschlammt. Wird im Netz etwa oft genug geschrieben, dass es den Holocaust im Dritten Reich nicht gegeben habe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Sprachmodell eine entsprechende Antwort gibt.

Hinzu kommen die mittlerweile bekannten Halluzinationen, wenn das Modell nicht über genügend Informationen verfügt: Dann setzt die KI munter Inhalte zusammen oder erfindet neue, die nur auf den ersten Blick Sinn ergeben. Jüngst hat eine internationale Studie öffentlich-rechtlicher Sender, unter anderem auch ARD und ZDF, belegt, dass KI-Assistenten in 45 Prozent der Fälle Nachrichteninhalte fehlerhaft wiedergeben. Das muss umso mehr Besorgnis erregen, weil Nutzerinnen oder Nutzer solche Tools zunehmend als Ersatz für Suchmaschinen, wissenschaftliche Aufsätze oder redaktionelle Berichterstattung sehen.

Das zeigt: Mit der Seriosität des Journalismus haben generative Sprachmodelle rein gar nichts zu tun. Die gesellschaftlichen Kosten aber können schnell ins Unermessliche steigen, wenn Menschen sich ohne Nachhaken auf die Ergebnisse von ChatGPT & Co. verlassen – was durchaus im Sinne mancher Tech-Giganten sein kann. Denn die in Vergangenheit und Gegenwart oft genug bewiesen, dass sie mehr Interesse an klickfördernder Emotionalität als an valider Information haben.

Nimmt man alle diese Tendenzen zusammen – Nachrichtenmüdigkeit, Finanzierungskrise, unkontrollierbare KI, die Verdrängung des journalistisch-publizistischen Gedankens durch wirtschaftliche und politische Interessen und die Versuche, Journalismus durch Bedrohung und Einschüchterung zu beschneiden –, so sieht man: Unsere Öffentlichkeit steckt mitten in einem tiefgreifenden Wandel ihrer Strukturen. Deren Auswirkungen können wir erst ansatzweise abschätzen.

Das Gut des Journalismus besser schützen

Umso zwingender brauchen wir endlich ernsthafte Debatten darüber, wie das Gut des Journalismus geschützt werden kann. Schon 2022 hat der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas in einer Bestandsaufnahme des beginnenden digitalen Strukturwandels eindringlich davor gewarnt, dass das Interesse des Gemeinwohls zugunsten privater Ansichten auf der Strecke bleiben kann.

Zu funktionierenden Debatten gehört nicht nur die persönliche Freiheit, dazu gehören auch Faktentreue und Vernunft. Das gesellschaftliche System Journalismus ist das Bindeglied dieser Interessen, und es ist akut bedroht, wenn wir uns nur mit den Kosten, aber nicht mit dem Nutzen beschäftigen.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2025.