JOURNALISTENTAG 2022

Ohne Gefahr berichten können

Vieles könnte noch besser funktionieren
19. Dezember 2022, Uwe Tonscheidt

Bedrohte Berichterstattende und polizeilicher Schutz: Beim Umgang mit Anfeindungen, Attacken und Drohungen gibt es noch viel zu tun. Das zeigte das Panel „Auf der sicheren Seite? Wie Journalist:innen ohne Gefahr berichten können“ auf dem Journalistentag des DJV-NRW in Dortmund. Die Gesprächsrunde mit Moderator Johannes Meyer zeigt Positives und Negatives: von „Der Schutz bei Demos klappt gut“ bis „Ratlosigkeit über das Schweigen der Polizei“.

Das Schweigen hat Benjamin Piel erlebt. Als dem Chefredakteur des Mindener Tageblatts per Mail „körperliche Maßnahmen“ angedroht wurden, setzte er umgehend die Kreispolizeibehörde in Kenntnis. Auf eine Reaktion der Ordnungshüter wartete er allerdings vergebens. „Es kam nichts“, macht er seiner Unzufriedenheit Luft. Wenigstens eine Einordnung der Gefährlichkeit hatte er sich erhofft – nicht ohne Grund: Die Post kam, so Piel, von einem bekennenden Neonazi, vorbestraft wegen Körperverletzung.

Eine Bedrohungslage der Redaktion nicht auf die leichte Schulter nehmen ist beim Mindener Tageblatt zur geübten Praxis geworden. Anlass war eine Todesdrohung. 2020 knüpften Unbekannte eine Schaufensterpuppe an einer Brücke auf – mit dem Schild „Covid Presse“ um den Hals. „Das hat wirklich gesessen“, sagt Piel über die Wirkung auf die Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion. Verlag und Chefredaktion reagierten, boten per Supervision Hilfe im Umgang mit der Situation an.

Heute wird dem Bedrohungsszenario auch bei Arbeitseinsätzen Rechnung getragen. Die Berichterstattung über die Montagsdemonstrationen der örtlichen Querdenkerszene etwa übernehmen nur noch diejenigen, die das wirklich wollen. Auch beim Demo-Thema machte der Chefredakteur keine allzu positiven Polizei-Erfahrungen.
„Bei uns ist das anders“, berichtet eine Journalistin aus dem Landkreis Hildesheim von ihren Erfahrungen mit der Polizei. „Mir passiert nichts, ich halte mich immer nahe bei den Polizeibeamten auf“, berichtet sie über ihre Einsätze bei Montagsdemos.

Beim Umgang mit Bedrohungen ist Polizeibehörde offensichtlich nicht gleich Polizeibehörde. Keine Überraschung für den Berliner Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski, Gründer und Sprecher der Initiative „BetterPolice“. Er sieht flächendeckenden Handlungsbedarf. Auf allen Ebenen der Polizei sei es wichtig „Verständnis für die Arbeit der Presse zu vermitteln“. Es gelte „ein altes Freund/Feind-Bild“ zu verändern und eine Fehlerkultur zu entwickeln. Bei Fragen, „was die Presse darf“, wünscht von Dobrowolski sich eine „kontinuierliche Fortbildung der Polizei“.
Eine Baustelle, die der DJV-NRW bereits eingerichtet hat. Mit der Polizei in Nordrhein-Westfalen fänden regelmäßig Gespräche darüber statt, wie „unsere Anliegen bei der Ausbildung mehr Berücksichtigung finden“, berichtet der Justiziar und stellvertretende Landesgeschäftsführer Christian Weihe.

Angesichts der massiven Zunahme verbaler und körperlicher Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten hat der DJV-NRW bereits Anfang des Jahres reagiert und zusammen mit dem Innenministerium eine Informationsbroschüre aufgelegt, die beim Umgang mit Bedrohungslagen hilft. Ist es zu tätlicher Gewalt gekommen, so Weihe, „setzen wir uns dafür ein, dass das seitens der Staatsanwaltschaft verfolgt wird.“ Auch spreche der DJV-NRW mit den örtlichen Polizeibehörden und helfe im Bedarfsfall beim Materialersatz. Ist Rechtsbeistand vonnöten, werde er gestellt. Und man gehe da, wo es nötig ist, sofort auf die Landespolitik zu.

Auch bundesweit mangelt es nicht an Bereitschaft, die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schutz der freien Berichterstattung zu verbessern. Die Innenministerkonferenz habe dazu geltende Beschlüsse gefasst, berichtet Polizeihauptkommissar von Dobrowolski. „Die sind nur den meisten Kolleginnen und Kollegen nicht bekannt“, unterstreicht er seine Forderung nach mehr Fortbildung.
Nicht nur bei der Polizei gibt es Verbesserungspotenzial. Die Polizeiperspektive kennenzulernen, das wäre auch etwas für die Fortbildung von Journalistinnen und Journalisten. Wie viele Anfragen es bislang von Journalistenschulen gegeben habe, will Moderator Meyer vom „Better Police“-Gründer wissen. „Bislang null.“

Wie es in NRW gehen könnte, Redaktionen und Polizei zügig und flächendeckend ins Gespräch zu bringen, dazu hat Chefredakteur Piel eine Idee. Wie es wäre, die guten Kontakte ins Innenministerium zu nutzen, um künftig ein bis zweimal im Jahr in allen Polizeibehörden einen Austausch mit der örtlichen Presse veranstalten.
Sinnvoll wäre es, so ein Hinweis aus dem Plenum. „Denn eigentlich sitzen wir doch in einem Boot.“||