Selten hat eine TV-Dokumentation für so viel medialen Wirbel gesorgt wie „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ von Joachim Schroeder und Sophie Hafner: Erst, weil sie nicht gesendet werden sollte. Dann, weil sie einen Tag lang von BILD im Netz gezeigt wurde. Und schließlich wegen der Art und Weise, wie sie doch noch im WDR und auf Arte zu sehen war.
Den Stein ins Rollen brachte die Arte-Programmkonferenz. Sie hatte sich dagegen gesperrt, die von Schroeder und Hafner gelieferte und durch die zuständige Arte-Redakteurin im WDR, Sabine Rollberg, abgenommene Dokumentation auszustrahlen. Ihr Argument: Der Film entspreche nicht den Vereinbarungen. Man habe eine Dokumentation zum Antisemitismus in Europa in Auftrag gegeben, geliefert worden sei aber ein Film, der einen thematischen Schwerpunkt auf die Situation in Gaza und Israel lege.
Nachdem epd Medien im Mai darüber berichtet hatte, brach in Medien und Öffentlichkeit eine heftige Diskussion darüber aus, ob der Film gesendet werden sollte oder nicht. Besonders laut waren die Stimmen, die eine Ausstrahlung forderten. Tenor: Wir wollen selber entscheiden, ob der Film gut oder schlecht ist. Der Vorwurf der „Zensur“ durch die öffentlich-rechtlichen Sender kam auf.
Mit zeitlicher Verzögerung schalteten sich schließlich auch WDR und Arte in die Diskussion ein und kündigten an, den Film nicht zu zeigen. Der WDR nannte dafür handwerkliche und Arte formale Gründe. Beide Sender verwahrten sich gegen den Verdacht, sie wollten die Dokumentation wegen der Kernaussage nicht ausstrahlen, dass der Antizionismus von Linken und Muslimen eine moderne Form des Antisemitismus sei.
Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder verwies auf die „editoriale Linie“, in die Programme sich einfügen müssten und die ein Produzent nicht einfach ändern könne. „Kein Rundfunksender und keine Zeitung würde eine derartige, eigenständig vorgenommene Abweichung vom vereinbarten Konzept akzeptieren.“
Der WDR kritisierte, der Film weise zahlreiche Ungenauigkeiten und Tatsachenbehauptungen auf, wichtige journalistische Standards seien nicht eingehalten worden.
Ungewöhnlich war, wie der WDR die erfahrene Redakteurin Rollberg öffentlich anging. Dass sie den Film „ohne weitere Abstimmung abgenommen hat“, werde im WDR „derzeit kritisch diskutiert“, hieß es in einem Pressestatement. Kein guter Stil, finden Beobachter. Man dürfe wohl erwarten, dass ein Sender sich in so einem Fall vor seine Redakteurin stellt und ein mit ihr abgestimmtes Statement herausgibt, heißt es unter Kolleginnen und Kollegen. Oder dass er sich zumindest darauf berufe, die Vorgänge erst intern genau zu prüfen.
Auf dem Höhepunkt der Debatte stellte Bild.de einen Tag lang eine noch unfertige Version der Doku auf der eigenen Website „redaktionell eingebettet“ online und gerierte sich als Verfechter der Pressefreiheit. In einem Begleittext schrieb Chefredakteur Julian Reichelt, der Verdacht liege „bitter nah, dass diese Dokumentation nicht gezeigt wird, weil sie politisch nicht genehm ist, weil sie ein antisemitisches Weltbild in weiten Teilen der Gesellschaft belegt, das erschütternd ist“. Dass Bild.de die Erstausstrahlungsrechte für die Doku nicht hatte, thematisierte Reichelt nicht.
Weder der WDR noch Arte leiteten rechtliche Schritte ein. Sie gerieten allerdings so unter Zugzwang, dass sie „Auserwählt und ausgegrenzt“ nun doch in ihre Programme nahmen. Der WDR tat das am 21. Juni in denkwürdiger Weise: Er sendete den Film, distanzierte sich aber gleichzeitig von ihm, indem er schriftliche Richtigstellungen und Kommentare einblendete. So kam es zu der absurden Situation, dass man in vielen Punkten dem widersprach, was man gerade verbreitete.
Diese Art der Ausstrahlung stand genauso in der Kritik wie die im Anschluss gesendete Talkshow von Sandra Maischberger – unter anderem, weil man zwar den WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn dazu eingeladen hatte, nicht aber die kritisierten Filmemacher und die zuständige Redakteurin. Schönenborn verteidigte die ungelenke inhaltliche Einbettung der Doku mit dem hohen Zeitdruck nach der Veröffentlichung auf Bild.de. Es sei das gewesen, was unter diesen Umständen „aus Transparenzgründen“ nötig und machbar gewesen sei.
Im WDR zieht die Aufarbeitung des Vorfalls seither Kreise: Unter anderem hat sich der Rundfunkrat in seiner Sitzung vom 30. Juni mit der Dokumentation und anschließenden Talkrunde befasst.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/17, dem Mitglieder- und Medienmagazin des DJV-NRW.