Reibungslose Wahlen, die Debatten weitgehend konzentriert, engagiert und konstruktiv: Der Verbandstag 2017 in Würzburg wird in guter Erinnerung bleiben. Zweieinhalb Tage lang befassten sich die 220 Delegierten mit den aktuellen tarif-, berufs- und medienpolitischen Themen und stellten einige wichtige Weichen für die Zukunft des DJV. Etwa mit der Erweiterung des Grundsatzprogramms und dem Ziel, nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in der eigenen Mitgliedschaft mehr Vielfalt abzubilden.
Diese fortlaufende Modernisierung ist erforderlich, weil heute nicht nur Biografien und Lebensentwürfe vielfältig sind. Auch die Medienbranche ist weit facettenreicher als früher: nicht im Sinne publizistischer Vielfalt, sondern durch die Ausdifferenzierung der Medienberufe und journalistischen Tätigkeiten. Mehr denn je stellt dies den DJV vor die Herausforderung, alle Medienbereiche zu beackern und verschiedene Interessen innerhalb des Verbands zu wahren.
Sachlich statt schrill
Ein Klassiker ist seit Jahren der Spagat im Bereich Rundfunk. Angesichts der aktuellen Strukturdebatte nahm die Diskussion zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in diesem Jahr breiten Raum ein. Anders als bei den schrillen, oft polemischen Einlassungen, die den öffentlichen Diskurs gerade im Oktober und November prägten, blieben die Delegierten bei ihrem Meinungsaustausch sachlich. Sie zeigten, dass es sehr wohl möglich ist, beide Seiten des Systems im Blick zu haben – die gebührenfinanzierten Anstalten genauso wie die werbefinanzierten Medienhäuser, egal ob Rundfunk, Print oder Online.
Die Kernforderung der rundfunkpolitischen Anträge: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss weiterentwickelt, seine Finanzierung zukunftssicher gemacht werden. Getragen wird das allerdings nicht von blindem Vertrauen, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio schon alles richtig machen, sondern von einer Haltung kritischer Wertschätzung. Zahlreiche Redebeiträge belegten: Es ist ist vereinbar, den Wert der Öffentlich-Rechtlichen hoch zu schätzen und trotzdem deren Unzulänglichkeiten zu sehen. Man muss nicht jeden Kritiker zum Feind stempeln, und umgekehrt können auch die echten Gegner mit Teilen ihrer Kritik recht haben.
Schon in seiner Eröffnungsrede hatte der Bundesvorsitzende Frank Überall auf beide Teile des Rundfunksystems geschaut und für beide gleichermaßen professionell gemachten und anständig bezahlten Journalismus gefordert. Zwar sei die gesetzliche Finanzierungsgarantie für die Öffentlich-Rechtlichen Bestandteil der Rundfunkfreiheit. Es brauche in diesem Bereich aber „einen fairen Wettbewerb – und dazu gehören ausdrücklich auch private Sender“.
Kritisch beäugt wurden in der Diskussion die Sparvorschläge der Intendanten genauso wie die aus Politik und anderen Medienhäusern. Was fehle, seien überzeugende Konzepte, wo es journalistisch und publizistisch hingehen solle, bemängelte zum Beispiel der NRW-Vorsitzende Frank Stach, der selbst als Freier beim WDR arbeitet. Nicht Quoten, sondern Relevanz sollte die Messlatte für die Sender sein.
Die Liebe des Publikums
Für Stachs Stellvertreterin Andrea Hansen, ebenfalls WDR-Freie, bewegt sich das Denken der ARD-Anstalten in den aktuellen Strukturen, statt um „die Liebe des Publikums“ zu kämpfen. Dem DJV dürfe es nicht darum gehen, „die Zahl der Intendanten zu erhalten“. Ihr Vorschlag: weniger Führungsebene, Stärkung der journalistischen Inhalte, etwa durch einen Ausbau der Regionalberichterstattung.
Thema war auch die Staatsferne in den Gremien der Sender. Einstimmig verabschiedeten die Delegierten den entsprechenden Leitantrag des Bundesvorstands. Um das Ziel der Staatsferne zu stärken, fordert der Antrag, „eine Karenzzeit zwischen staatsnahen Ämtern und Organ-funktionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von 60 Monaten“ festzulegen. Zudem sollen die Anstalten effizienter untereinander kooperieren, ohne journalistische Arbeitsplätze abzubauen. Die geforderte Programmqualität basiere auf hauptberuflicher journalistischer Tätigkeit mit angemessener Bezahlung.
Für Wertschätzung werben
Überhaupt: die Bezahlung! Journalismus ist nicht zum Null- oder Billigtarif zu haben, machte Überall deutlich – gleich, ob man fest oder frei arbeitet. Das ist die wichtigste Herausforderung dieser Zeit: für Wertschätzung werben, Geringschätzung engagiert entgegentreten, die Rolle von professionellem Journalismus ins Bewusstsein rufen. Dieser Gedanke hat seine erste Amtszeit als Bundesvorsitzender geprägt, für die Überall Bilanz zog.
Eines seiner Kernthemen waren und sind die tätlichen Übergriffe auf Journalisten: Polizei, Politik und Öffentlichkeit sind heute aufmerksamer, nachdem der DJV – durch Gespräche und den Watchblog augenzeugen.info – für das Thema sensibilisiert hat. Gut sichtbar hat der DJV sich für Pressefreiheit in der Türkei stark gemacht und die entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gpfel kritisiert. „Klinken geputzt“ hat er zu Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht, Schutz von Informanten, zur unseligen Tarifeinheit und dem längst überfälligen Presseauskunftsgesetz. Vorwärts gekommen ist der DJV bei den innerverbandlichen Strukturen, um als Gewerkschaft und Berufsverband weiterhin durchsetzungsfähig zu bleiben.
Die Delegierten würdigten die gute Arbeit bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden mit rund 85 Prozent Zustimmung für Frank Überall, der als freier Journalist in Köln arbeitet und eine Professur an einer privaten Hochschule hat. Auch die stellvertretenden Bundesvorsitzenden, die freie Journalistin Kathrin Konyen aus Baden-Württemberg und der Zeitungsredakteur Wolfgang Grebenhof aus Bayern, wurden trotz Gegenkandidaturen im Amt bestätigt. Die alte und neue Schatzmeisterin Katrin Kroemer, freie Journalistin aus Dortmund, konnte sich über ein gutes Ergebnis freuen. Die Beisitzer Christoph Holbein aus Baden-Württemberg und Peter Jebsen aus Hamburg wurden im Amt bestätigt. Neue Beisitzerin ist die Pressesprecherin Anne Jacobs aus Berlin.
Noch höher als bei der Wahl fiel die Zustimmung für Katrin Kroemer beim Etat für das kommende Jahr aus: Er wurde einstimmig, mit nur wenigen Enthaltungen, verabschiedet. Bei der Einbringung hatte sie deutlich gemacht, dass der DJV diszipliniert spart, aber eben nicht allein unter Kostenaspekten agieren darf. Klar wurde dabei allerdings auch, dass der Bundesverband strukturell unterfinanziert ist. Die Landesverbände, von denen das Geld in Form einer Pauschale pro Mitglied kommt, werden sich etwas überlegen müssen.
„Wir werden mit Engagement und frischen Ideen für die Sache des Journalismus und für die Kolleginnen und Kollegen streiten“, versprach Überall nach der Wahl. Das konstruktive Streiten für die Sache war denn auch das Leitmotto während der Antragsdebatte, durch die das dreiköpfige Tagungspräsidium führte. In neuer Besetzung, aber mit reichlich Gremien- und Verbandstagserfahrung arbeiteten Jörg Prostka und Nicola Balkenhol aus NRW sowie Michael Anger aus Bayern das Antragspaket durch. Das war nicht riesig, umfasste aber vielfältige Themen von Tariffragen, Vergütungsregeln, Vologehältern und Alterversorgung, über Tendenzschutz und den dienstlichen Gebrauch privater Technik bis zu computergenerierten Texten und Content Marketing.
Konstruktiv streiten
Kleine Reibereien gab es am ehesten bei der Diskussion um die Erweiterung des Grundsatzprogramms, mit der der DJV die aktuelle Diversity-Debatte in den Medien in die eigenen Reihen holte. Einmal mehr galt es zu erklären, dass es zum Beispiel älteren Kolleginnen und Kollegen nichts wegnimmt, wenn der DJV sich bemüht, verstärkt Jüngere in seine Strukturen einzubinden. Insgesamt zeigten sich aber die meisten Delegierten überzeugt, dass der DJV mit gutem Beispiel vorangehen muss, wenn er Vielfalt in den Redaktionen und der Berichterstattung fordert und befördern will. Dabei gilt für den DJV wie für die ganze Branche: Nur wenn sie selbst vielfältiger werden, wenn sie unterschiedliche Perspektiven und Themen abbilden, bleiben journalistische Angebote für einzelne, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes relevant.
Mit wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen verabschiedet der Verbandstag die neue Passage für das Grundsatzprogramm: „Der DJV verpflichtet sich, die Vielfalt in seiner Mitgliedschaft zu fördern und auf eine ausgewogene Zusammensetzung der Gremien zu achten“, heißt es dort nun. „Der DJV duldet weder Benachteiligungen oder Abwertungen noch verletzendes Verhalten in Bezug auf Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität oder Behinderung.“
Gemessen daran, wie lange der DJV in früheren Zeiten für manche Entwicklungsschritte gebraucht hat, kann man den Beschluss getrost als verbandspolitischen Meilenstein bezeichnen. Klar ist aber auch: Die Veränderungen müssen heute schneller vorangehen. Nur so bleibt der DJV am Puls der rasanten Entwicklungen in der Branche und damit auch attraktiv für jetzige und künftige Mitglieder.
Ehrenmitglied Ulrike Kaiser
Eine einzige Ehrenmitgliedschaft verlieh der DJV in diesem Jahr, und die ging nach NRW: Für ihr großes Engagement wurde Ulrike Kaiser geehrt, bis vor zwei Jahren stellvertretende Bundesvorsitzende, davor langjährige Chefredakteurin des journalist und DJV-Pressesprecherin. Bis heute macht sie sich in der von ihr mitbegründeten Initiative Qualität stark.
Konzepte entwickeln
Zu den immer noch nicht abgearbeiteten Ideen gehören das Stimmrecht für die Vorsitzenden der Bundesfachausschüsse und die Idee, den DJV deutlicher als bisher für andere Medienberufe zu öffnen. Beides war in der Vergangenheit Anlass zu erbitterten Kämpfen und Zerwürfnissen. In diesem Jahr wurden die beiden Anträge nach sachlichem Austausch der Argumente überwiesen: Mit dem Stimmrecht wird sich der Bundesgesamtvorstand befassen. Für die Idee des Medienverbands („eine unfassbar gute Idee“, fand Frank Stach) will der Fachausschuss Junge Journalisten bis zum nächsten Verbandstag ein Konzept erstellen.
In mehreren Anträgen und Resolutionen befassten sich die Delegierten mit der Presse- und Meinungsfreiheit im In- und Ausland. Einstimmig forderten die Delegierten unter dem Eindruck der entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gipfel in Hamburg, die Bundesregierung solle prüfen, „inwieweit Journalisten zu Unrecht in eine Straftäterdatei des Bundeskriminalamtes eingetragen werden konnten“. Für die ungehinderte Berichterstattung über Parteiveranstaltungen plädiert ein weiterer Antrag, basierend auf Erfahrungen mit AfD-Parteitagen in jüngerer Vergangenheit: Der Gesetzgeber solle das Parteiengesetz so ändern, dass Journalistinnen und Journalisten „nicht von der Berichterstattung über Parteitage oder ähnliche Veranstaltungen ausgeschlossen werden können“.
Neben der Pressefreiheit in Osteuropa war vor allem die Türkei im Blick: Einmütig und dringlich forderte der Verbandstag die Bundesregierung auf, sich für die dortigen Journalistinnen und Journalisten einzusetzen und die bilateralen Beziehungen an der Entwicklung der Pressefreiheit dort auszurichten. Entsprechend einem Antrag aus NRW wird der Bundesvorstand auf der Basis bestehender Erhebungen halbjährig über den Stand der Pressefreiheit in der Türkei informieren.
Ein weiterer Antrag aus NRW nahm die anstehenden Betriebsratswahlen 2018 in den Fokus. So wird der Bundesverband Betriebsräte in Medienunternehmen im Vorfeld wieder in bewährter Weise unterstützen. Unter anderem gilt es, bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen dafür zu werben, sich an der Wahl zu beteiligen oder sogar selbst zu kandidieren. Denn klar ist: In den Medienhäusern liegt die Basis für die gewerkschaftliche Arbeit des DJV.
Zwei weitere Anträge aus NRW befassten sich mit der Kosten-Nutzen-Prüfung der DJV-Datenbanken „Journalisten“ (Redakteure und Freie), „Bildjournalisten“ und „Freie Journalisten“ sowie mit dem Urheberrechtsgesetz. Vor allem gelte es, die Rechtsverbindlichkeit der Schiedssprüche im Gesetz zu verankern.
Alle Anträge aus NRW durchgebracht, das komplette Antragspaket durchgearbeitet und ein pünktliches Ende: Die 38 NRW-Delegierten konnten mit diesem Verbandstag zufrieden sein.
„Medienkrise und Medienkrieg“
Brauchen wir noch Journalismus? Die Podiumsdiskussion zu „Medienkrise und Medienkrieg“ antwortet darauf natürlich mit ja. Unter Moderation von Frank Überall befassten sich die freie Journalistin und Netzexpertin Ingrid Brodnig, Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg und der Leiter des Formatt-Instituts Horst Röper mit den Herausforderungen, denen sich Journalistinnen und Journalisten derzeit stellen müssen.
Kritik an Medien hat es immer gegeben, die heutigen Formen sind aber extremer, zeigte die Diskussion. Das hat natürlich auch mit dem Netz zu tun, das Geschäftsmodelle, Nutzungsgewohnheiten und auch den Journalismus selbst verändert hat. „Wütende Menschen klicken mehr“, darauf werde ein Teil der Inhalte ausgerichtet, erklärte Ingrid Brodnig. Das war nur ein Beispiel dafür, wie Medien selbst zum Glaubwürdigkeitsverlust beitragen. Interessengeleitete Auseinandersetzungen zwischen den Mediensparten, Ausdünnung oder Schließung von Redaktionen, Vereinheitlichung der Inhalte durch Kooperationen und Zukauf waren weitere Stichworte, die Weischenberg und Röper nannten. Auch das auf dem Verbandstag diskutierte Thema Diversity nahm das Panel in den Blick und machte deutlich: Es braucht einen breiteres Bild und mehr Perspektiven, um die Realtität abzubilden, um Gesellschaft und Demokratie zu dienen. /cbl