Seit dem 4. April steht der WDR unter dem Stichwort #MeToo im Fokus der Medien. Wie Lava strömen stetig neue Details an die Oberfläche. Die Senderverantwortlichen reagieren zurückhaltend und wirkten manchmal geradezu unbeteiligt. Häufig muss die Standardantwort herhalten: Zu den Vorwürfen der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs im WDR in bislang sieben Fällen könne man nichts sagen, bis die interne Aufklärung abgeschlossen sei.
Immerhin in einem Fall folgten Ende Mai deutliche Konsequenzen: in dem, der den Vulkanausbruch ausgelöst hatte. Das Recherchenetzwerk Correctiv und die Illustrierte Stern hatten Anfang April erstmals über jahrzehntelange Fehlgriffe eines bildschirmbekannten WDR-Auslandskorrespondenten berichtet, der daraufhin freigestellt wurde. Nun, fast zwei Monate später, wurde ihm aufgrund neuer Hinweise verschiedener Betroffener fristlos gekündigt. Beide arbeitsrechtlichen Schritte waren zahlreichen Medien und Branchendiensten eine Berichterstattung wert.
Emotionale Debatte im Haus
Weniger öffentlich ist die emotionale Debatte, die im Sender mit Hauptsitz in Köln im Gange ist: über die Art, wie miteinander umgegangen und gesprochen wird. Welche Hierarchien gibt es, welche Abhängigkeiten? Wer übernimmt Verantwortung, wer nicht? Welche Unternehmenskultur herrscht hier? Eine „des Zulangens und Zulassens“ über Jahre hinweg, wie der Tagesspiegel am 21. April schrieb?
Nicht nur die Medien äußerten sich immer wieder kritisch über das Verhalten der Senderspitze. Auch der Personalrat des WDR und der Gewerkschaftstag des DJV-NRW forderten Aufklärung und Entschuldigungen. DJV-Landesvorsitzender Frank Stach mahnte beim Gewerkschaftstag in Köln eine öffentliche, unmissverständliche Entschuldigung von Intendant Tom Buhrow an die betroffenen Frauen an. Erst im Anfang Juni erschienenen journalist nahm Tom Buhrow in einem Interview ausführlich Stellung zu den Vorwürfen und der Frage, wie sein Sender mit dem Thema umgegangen ist. Dort räumte er Fehler ein und übernahm Verantwortung für Entscheidungen und Versäumnisse, die zum Teil vor seiner Zeit als Intendant liegen. Fehler räumt Buhrow unter anderem im Umgang mit dem Personalrat ein, der seine Hinweise und Einschätzungen übergangen gesehen hatte.
Für Martina Welchering, freigestellte WDR-Personalrätin und DJV-Mitglied, sind momentan zwei Dinge entscheidend: „Der WDR braucht zum einen ein standardisiertes Verfahren, so dass Betroffene immer verlässlich wissen, welche Schritte aufeinander folgen, wenn sie sich melden“, erklärt Welchering. „Außerdem muss man es schaffen, betroffene Frauen oder Zeuginnen und Zeugen so anzusprechen, dass sie ihr Wissen jetzt dem WDR mitteilen. Denn es geht hier um sehr private Inhalte, die keiner im Arbeitsumfeld gerne öffentlich macht. Hier sind Fingerspitzengefühl und Schutzzusagen nötig, um die Frauen zur Aussage zu bewegen.“
Tatsächlich liest man in den Medien und hört aus dem Haus, dass sich derzeit etliche Frauen melden. Sie wollen aber größtenteils nicht namentlich genannt werden. Weil die, die übergriffig wurden, und die, die es geduldet haben, immer noch da sind und teilweise trotz Bekanntwerden der Vorfälle Karriere gemacht haben. Wiederholt hätten Betroffene den Eindruck gehabt, dass „die Vorwürfe nicht richtig aufgearbeitet beziehungsweise die Belästigungen nicht adäquat geahndet wurden“, berichtet etwa die taz am 13. Mai.
So wurde bekannt, dass ein WDR-Korrespondent, der die Senderspitze bereits 2010 auf Missstände wegen sexueller Belästigung hingewiesen hatte, seinerzeit durch Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zum Schweigen gebracht wurde. Auch die heutige Haltung der Verantwortlichen verwundert: Beim internen Sonderdialog Mitte April taten sie den Einsatz des Kollegen für die Frauen mit den Worten ab, er „habe in allen Redaktionen Probleme gehabt“.
Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass Verantwortliche im WDR allzu leichtfertig Fettnäpfchen nach Fettnäpfchen mitnehmen. Die Süddeutsche Zeitung etwa bescheinigte der Rundfunkanstalt unter dem Titel „Klimawandel gewünscht“ am 20. April eine „bislang wenig glücklich anmutende Aufarbeitung der Belästigungsvorwürfe“.
Wenig geübt in Krisenkommunikation
Der WDR erlebt eine Krise und verhält sich ungeschickt. Das ist gerade bei Medienunternehmen leider nicht unüblich, wie etwa PR-Experte Günter Bentele im Gespräch mit dem Medienmagazin @mediasres beim Deutschlandfunk ausführte. Dabei sind die wichtigsten Empfehlungen zur Krisenkommunikation in manchem Lehrbuch nachzulesen: schnelle Reaktion, aktive und sachliche Information, Gesprächsbereitschaft und Empathie zeigen, Verantwortung übernehmen.
Der WDR hat sich erst einmal weggeduckt. 14 Tage nach den ersten Artikeln, am 18. April, verkündete der Sender dann ein „Paket an Sofortmaßnahmen“, das unter anderem die Schulung und Sensibilisierung von Führungskräften umfasste, Dialogveranstaltungen mit den Beschäftigten und mehr Information der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Thema sexuelle Belästigung in Aussicht stellte.
Mit der transparenten Kommunikation nach außen scheint es aber auch Wochen später weiterhin unrund zu laufen, wenn die @mediasres-Redaktion noch am 7. Mai schreibt, sie habe bislang kein Interview zu den Belästigungsvorwürfen erhalten.
Der Wille zur Aufklärung
Selbstverständlich sei der WDR als Arbeitgeber verpflichtet, „beiden Seiten gerecht zu werden“, merkte Buhrow am 8. Mai im öffentlichen Teil der Rundfunkratssitzung an und versprach, er werde „einen sehr korrekten und konsequenten Kurs der Aufklärung und auch der Ahndung verfolgen“. Doch das Signal, aufklären zu wollen und die Verantwortung zu übernehmen, hätte schneller gesetzt werden müssen, wie immer wieder nicht nur aus dem Haus zu hören ist. Und wie es die Fachleute empfehlen: Unternehmen, die bereit sind, Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen, gewinnen an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Nach den Regeln der Krisenkommunikation ist Vertrauen das höchste Gut. Der WDR sollte es nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Ungeschickt agierte der Sender zum Beispiel bei der Benennung der Anlaufstellen für betroffene Frauen: Die benannte Kölner Kanzlei hatte den Sender zuvor gegen Mitarbeiter vertreten. Ebenso, als er die Revisionsabteilung mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragte: Denn zu einem Mitarbeiter genau dieser Abteilung existieren belastende Aussagen. Uncharmant zumindest auch das Gebaren gegenüber Zapp: Medienberichten zufolge soll der WDR Druck auf das NDR-Medienmagazin ausgeübt haben, weil es die am Tag der Ausstrahlung eingehenden Stellungnahmen des WDR versehentlich nicht in den Bericht eingebaut hatte.
Die Sitzung des Rundfunkrats am 8. Mai verlief dennoch überaus harmonisch, so dass sie von manchem Beobachter als kaum aushaltbare Lobhudelei empfunden wurde. Was der Intendant berichtete, stieß auf breite Zustimmung. Nur einzelne Teilnehmer äußerten sich kritischer, etwa die stellvertretende Rundfunkrätin Karin Knöbelspies, die während ihres Volontariats beim WDR Ende der 80er Jahre bereits Gerüchte über Belästigungen gehört hatte und konstatierte, der Schaden sei vor allem nach innen groß: „Was ist das für ein Laden, der so angstbesetzt ist?“, fragte sie.
In der vorbereiteten schriftlichen Stellungnahme hatte der Rundfunkrat allerdings auch deutliche Forderungen an Buhrow aufgelistet: ein Meldeverfahren mit Schutz personenbezogener Daten zum Beispiel sowie ein Ethik- und Verhaltenskodex. In der Stellungnahme machte das Aufsichtsgremium deutlich: „Die Mitglieder des WDR-Rundfunkrats lehnen Machtmissbrauch und zwischenmenschliche Verfehlungen in Form von sexuellen Grenzverletzungen und deren Bagatellisierung entschieden ab.“
Im Rundfunkrat hatte Buhrow auch darauf verwiesen, dass er schon drei Jahre vor den jetzigen Vorwürfen einen Interventionsausschuss im Sender eingerichtet hatte, der genau für solche Missbrauchsfälle zuständig sein sollte. Ob er seine Wirkung überhaupt entfaltet hat, ist fraglich. Angesichts der #MeToo-Affäre ist der Personalratsvorsitzenden Christiane Seitz der Kragen geplatzt: Sie verließ den Ausschuss mit deutlicher Kritik, die die Öffentlichkeit erreichte. So zitierte unter anderem Meedia am 6. April aus einer internen Mail, Seitz habe immer wieder vergeblich gefordert, „im absolut hierarchisch geprägten WDR eine wirklich umfassende, strukturelle Kontrolle und Ahndung von Machtmissbrauch und Herabwürdigung gegenüber Schwächeren und Abhängigen zu gewährleisten“.
Externe Gutachterin beauftragt
Inzwischen hat Buhrow mehrfach betont, dass sexuelle Belästigung im WDR nicht geduldet und Fehlverhalten konsequent verfolgt werde. Aus seiner Zeit als Journalist dürfte er allerdings auch wissen, dass Journalisten nicht lockerlassen. Mit Spannung erwarten Beschäftigte und Medienjournalisten die erste Einschätzung der früheren EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies, die Ende April vom WDR als externe Gutachterin beauftragt wurde. Sie soll beurteilen, wie der Sender und vor allem die Senderspitze mit den Vorwürfen sexueller Belästigung umgegangen sind.
#MeToo im WDR. Wie man hört, verunsichert das auch manchen Mann im Funkhaus und den Studios. Vereinzelt fragen sich diese 45-plus-Kollegen, ob sie überhaupt noch Komplimente machen dürfen. Dazu befragt, hat Personalrätin Martina Welchering einen guten Tipp für die Männer: „Komplimente gerne – wenn sie sich auf die Arbeitsinhalte beziehen.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 3/18, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2018.