Die Radioprogramme in NRW geraten durch Streamingdienste, Smartspeaker und andere Onlineangebote unter Druck. Der könnte wachsen, wenn die Landesanstalt für Medien (LfM) DAB+-Frequenzen ausschreibt, weil damit neue Wettbewerber in den Radiomarkt drängen. Die LfM hat am 1. Oktober eine Bedarfsabfrage gestartet, welche Anbieter eine Verbreitung über DAB+ nutzen möchten. Der NRW-Lokalfunk muss nun entscheiden, ob er dabei sein will oder nicht.
2015 hatte eine erste Abfrage der LfM kein großes Interesse an DAB+ ergeben. Deswegen gibt es in NRW bislang nur einen landesweiten Multiplex, auf dem der WDR und das Domradio Köln zu hören sind, sowie einen bundesweiten Multiplex. Inzwischen hat sich die Situation aber geändert: Die DAB+-Nutzung steigt bundes- und landesweit. Die LfM hat deswegen von der Firma Goldmedia untersuchen lassen, wie sich das Mediennutzungsverhalten in den nächsten fünf Jahren verändert und wie die Entwicklung bis 2028 weitergeht. Die Ergebnisse sind am 25. September bei der LfM vorgestellt worden.
Goldmedia hatte vier Szenarien geprüft, alle unter der Voraussetzung, dass UKW nicht abgeschaltet wird. Danach sinkt der Marktanteil der UKW-Sender deutlich von heute 88 Prozent auf bis zu 33 Prozent im Jahr 2028. DAB+ erreicht maximal 20 Prozent Marktanteil. Die Onlinenutzung steigt dagegen von heute 8 Prozent auf bis zu 56 Prozent. Schon ab 2022 werden die Werbeerlöse aus dem UKW-Markt deutlich sinken.
Die Zahlen haben die Verantwortlichen im NRW-Lokalfunksystem nicht besonders überrascht. Die Folgen, die die LfM daraus zieht, bringen sie aber in Zugzwang. LfM-Direktor Dr. Tobias Schmid stellte klar, dass es Aufgabe der LfM sei, „verfügbare Kapazitäten einer verfügbaren Technologie zu vergeben“, wenn Marktbedarf bestehe. Diesen soll nun besagte Bedarfsabfrage ermitteln, die bis Ende Oktober läuft. Schmid prognostizierte ein starkes Interesse an DAB+ in NRW. Bislang sei der Markt schwer zugänglich, das ändere sich mit dem neuen Verbreitungsweg.
Was ist…
• … DAB+?
DAB steht für „Digital Audio Broadcasting“, also für die digitale Verbreitung von Audiosignalen über Antenne. DAB+ ist eine Weiterentwicklung.
• … ein Multiplex?
Bei DAB+ werden die Radioprogramme zusammen mit Datendiensten oder Videoinhalten in Datenpaketen übertragen, und zwar mehrere Programme im selben Frequenzblock (Kanal). Dieses Verfahren nennt man im englischen „multiplexing“. Ein Multiplex ist also ein Bündel (oder auch „Ensemble“) von Programmen.
UKW ist „eine endliche Geschichte“
Ziel der LfM bleibe es, möglichst flächendeckenden, vielfältigen Hörfunk in NRW zu ermöglichen, bei dem lokale und regionale Inhalte „besonders willkommen“ seien. Schmid forderte die Lokalfunksender dringend auf zu entscheiden, ob sie sich an DAB+ beteiligen wollen oder nicht. Und er warnte: Ausschließlich auf UKW zu setzen sei „eine endliche Geschichte“.
Im Zwei-Säulen-Modell des NRW-Lokalfunks sind die Veranstaltergemeinschaften (VGen) für die Inhalte verantwortlich, die Betriebsgesellschaften (BGen) für die wirtschaftliche Seite. Letztere müssen nun – jeweils für sich – prüfen, ob sich die Investition in DAB+ lohnt. Carsten Dicks, Geschäftsführer des Verbands der Betriebsgesellschaften, erklärt, dass der gleichzeitige Betrieb auf UKW und DAB+ Kosten verursache, ohne signifikant mehr Hörer zu bringen. „Welchen Stellenwert DAB+ im Verbreitungsmix haben wird, ist heute sehr schwer zu prognostizieren, aktuell flacht das Wachstum bei den Nutzungszahlen eher ab. Aber selbstverständlich darf man die Entwicklung auch bei DAB+ nicht ignorieren.“
Der Verband Lokaler Rundfunk (VLR), der die Interessen der VGen vertritt, hat schon im März erklärt, unter welchen Voraussetzungen er den VGen empfehlen könnte, auf DAB+ zu setzen. So müssten etwa UKW-Radiosender bevorzugt Frequenzen zugeteilt bekommen, es dürfe keine Ballungsraum-Multiplexe geben, und der Staat müsse die technische Entwicklung finanziell unterstützen. Fördermittel sind allerdings von der LfM nicht vorgesehen, die Landesregierung hat sich bislang nicht dazu geäußert.
Investitionshilfen fordern neben dem VLR auch radio NRW und die Betriebsgesellschaften. Schon weil die Privatradios den 400 bis 600 Millionen Euro nichts entgegenzusetzen hätten, die der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk für die technische Entwicklung aufwenden könne. Zudem erfülle der Lokalfunk auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er sei in vielen Städten und Kreisen das einzige Medium, das noch lokal informiere, und lokale Berichterstattung sei wichtig für die Politik. „Public value ist nicht nur ein Thema des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, betont Sven Thölen, Geschäftsführer von radio NRW. Wenn die Politik die Vielfalt des Lokalfunks erhalten wolle, müsse sie ihn auch bei DAB+ finanziell unterstützen.
Politik und BGen in der Pflicht
DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah verweist ebenfalls auf die Verantwortung der Politik. Er sieht aber auch die BGen in der Pflicht, sich um neue Erlösmodelle zu bemühen: „Wenn Anbieter wie Spotify in der Lage sind, die Hälfte ihrer Hörer über kostenpflichtige Abos an sich zu binden, muss es doch auch den Radiobetreibern gelingen, zeitgemäße Erlösmodelle für die digitale Welt zu entwickeln.“ Kah kritisiert, dass die Goldmedia-Studie nicht die wirtschaftlichen Chancen aufzeige, die in neuen Technologien wie DAB+ und Streamingdiensten lägen.
Ein weiteres Problem für die 44 Lokalfunksender: Ihre Verbreitungsgebiete sind auf DAB+ praktisch nicht übertragbar. Vorgesehen sind neun Regionen, in denen mehrere Sender für die gleiche Fläche senden, sich also gegenseitig Konkurrenz machten. Bekäme jeder sein eigenes Gebiet, würde es gleich viel teurer.
Der VLR sieht in der regionalen Aufteilung aber auch Vorteile, um etwa als Lokalsender Pendlerströme abzudecken. Allerdings seien die vorgesehenen Zuschnitte nicht optimal. Um diese noch zu ändern, müssten die Lokalradios an der Bedarfsabfrage teilnehmen. Wenn die Ausschreibung der Frequenzen laufe, sei keine Änderung mehr möglich, heißt es bei der LfM.
Frage nach dem Zwei-Säulen-Modell
Sollten die Lokalsender auf DAB+ setzen, wäre noch zu klären, wie sich VGen und BGen künftig organisieren. Gesetzlich vorgeschrieben ist das Zwei-Säulen-Modell nämlich nur für UKW. Eine weitere Zusammenarbeit sei durchaus möglich, heißt es vom VLR. Das sei aber nur eins von vielen denkbaren Modellen. Man sei jedoch sicher, dass ohne die VGen der Schutz vor dem Durchgriff wirtschaftlicher Interessen auf Programm und Redaktion entfiele. In diesem Fall sieht der VLR bei Sendern, die nicht in Form von VG und BG organisiert sind, die Tarifbindung gefährdet. „Leidtragende wären in erster Linie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Der VLR sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, den Lokalfunk und das Zwei-Säulen-Modell zu schützen.
Ungewiss ist noch, ob es unter den möglichen DAB+-Anbietern Ballungsraum-Sender geben wird. In der Bedarfsabfrage der LfM sind sie nicht ausgeschlossen. Seit Ende Februar hat mit „Mehr! Radio“ ein Anwärter eine Lizenz für die Verbreitung eines Lokalradios im Großraum Düsseldorf. Es fehlt aber noch die Frequenz. Stefan Kleinrahm, einer der Gesellschafter, kritisiert dies als Hinhalten durch die LfM. Ein Ballungsraum-Multiplex könne auch starten, bevor klar sei, wie sich die Lokalradios entscheiden. Es sei nicht Aufgabe der LfM, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf bestehende Anbieter zu berücksichtigen. Kleinrahm betont: „Wir wollen die Lokalradios nicht verdrängen, das System soll in Gänze erhalten bleiben. Aber wir sind Wettbewerber, wollen auch Hörer erreichen. Wir sehen keinen Grund dafür, dass wir auf eine Parkposition gesetzt werden.“
Erlöse aus Onlineaktivitäten
Viel wichtiger als DAB+ dürfte die Onlineverbreitung der Lokalfunkangebote werden. Das haben sowohl radio NRW als auch BG-Verband und VLR gegenüber dem JOURNAL betont. Die Goldmedia-Studie hat diesen Punkt ausgelassen. Ob die Erlöse aus den Onlineaktivitäten der Lokalsender künftig die sinkenden UKW-Erlöse kompensieren könnten, müssen die BGen beantworten.
Im Netz hat der Lokalfunk bereits neue Erlösquellen geschaffen, die er ausbauen will. Dazu gehören etwa Webchannels, Mobilfunk-Apps und Alexa-Skills. radio-NRW-Geschäftsführer Thölen weist dabei auf einen wichtigen Punkt hin: Die Radiosender brauchen Daten über ihre Nutzer: „Nur so können Produkte und Werbebotschaften den Bedürfnissen der Nutzer angepasst werden, nur so können wir Werbung relevant halten und besser und wertschöpfender verkaufen.“
Also noch viel zu überlegen und zu bewerten bei den Lokalsendern. Bis zum 29. Oktober können Anbieter ihr Interesse an einer Übertragung über DAB+ bei der LfM anmelden. Im Anschluss ermittelt die Bundesnetzagentur die Übertragungskapazitäten, und die LfM schreibt die Frequenzen aus. Wer sie bekommt, entscheidet dann die Medienkommission der LfM. Dieser Prozess wird noch Monate dauern. Möglicherweise liegt bis dahin auch ein Referentenentwurf für das neue Landesmediengesetz vor. Dann zeigt sich, wohin die Reise für den Lokalfunk in NRW gehen kann.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/18 – dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2018.