GLOSSE |

Zwischen Spiegel und Spargel

19. Juli 2022, Eine Glosse von Martin Kaysh

Wie wertvoll ist Journalismus? Nicht so wertvoll wie ein kleines Steak, schätze ich. Sicher kann ich sagen: Er ist so teuer wie gute Butter, jetzt wo die so teuer geworden ist. Meine Heimatzeitung kostet im Einzelverkauf ziemlich genau so viel wie ein halbes Pfund Butter, zwei Euro dreißig, also die vom Discounter, soll aber auch gut sein, sagen Tests.

Martin Kaysh hängt immer wieder mit Journalistinnen und Journalisten rum. Eigentlich macht er Kabarett – selbe Baustelle, anderes Handwerk. | Foto: Christian Bohnenkamp
Martin Kaysh hängt immer wieder mit Journalistinnen und Journalisten rum. Eigentlich macht er Kabarett – selbe Baustelle, anderes Handwerk. | Foto: Christian Bohnenkamp

Für Journalismus gibt es keine Stiftung Lesetest. Für objektive Ergebnisse muss ich eigene Messungen vornehmen. Ausgewogen kann ich feststellen: Ein Kilo Spiegel kostete Anfang Juni 27,98 Euro, zwei Pfund Süddeutsche gab es für 22,27 Euro. Das Regionalblatt aus Essen (weitest­gehend baugleich mit einigen anderen) ist mit knapp 20,50 Euro pro Kilo ein Schnäppchen.

Journalismus ist ein atypisches Produkt. Verkauft sich etwa Spargel wie im Moment schlecht, sinkt der Preis. Oder er wird vom Bauern untergepflügt. Zumindest das wiederum kommt Journalistinnen und Journalisten bekannt vor, metaphorisch.

Zurück zum Schnelltest. Dabei wog der Spiegel 218 Gramm. Eine menschliche Seele bringt es angeblich im Schnitt auf 21 Gramm. Das Magazin entspräche somit zehn Seelen. Wobei viele daran zweifeln, dass Journalismus in diesem Bereich überhaupt beseelt ist.

Mir geht es beim Stichwort „Zeitung“ um dieses Blatt, das morgens im Briefkasten steckt. In ihm wiederum steckt die unglaubliche Leistung, für ein bestimmtes Datum, den anachronistischen Redaktionsschluss, festzulegen, was Stand der Dinge ist, zu bewerten und das im Layout sichtbar zu machen, und nicht im Minutenfluss in die Welt zu posten. Wobei gilt: Facebook ist das ZDF der Social Media.

Die Papierzeitung ist das Vinyl des Journalismus. Das ­sehen Verlage nicht immer so. Ich warte auf den Anruf, bei dem man mir Bitcoins, Spargelkocher oder Netflixabos bietet, wenn ich endlich vom Unfug des Physischen lasse. Ich raschele aber so gerne.

Manche Blattpolitik macht Treue schwer. Papierzeitungen bringen Hintergründe, wo oft keine nennenswerte sind, die aber unter vielen Gesichtspunkten. Artikel aus dem ­firmeneigenen Onlineportal nachgedruckt sind oft pure Qual. Auf dem Handy brüllt die Überschrift klickbettelnd ­Banalitäten in die Welt. Da weiß ich, dass ich quick zum Ende das Beitrags scrollen muss, um dort bei meiner täglichen Enttäuschung zu landen. Zwar war nix, aber ich war dafür eine Weile beschäftigt.

Im Blatt finde ich solche Beiträge leider auch auf Seite drei. Nach sieben, acht Sätzen geht es dann nur noch ums Durchhalten. Beim Radio, auch dem Öffentlich-Rechtlichen, ist das anders. Oft will ich das Gerät einschalten, merke dann aber, dass es schon seit einer halben Stunde läuft. Das freut die Programmmacherinnen und -macher. Durchhörbarkeit erreicht durch vollkommene Belanglosigkeit, Sound knapp über dem Kühlschrankbrummen.

Das bisschen Meinung habe ich oft selbst. Seit mehr als 250 Folgen dilettiere ich mich mit dem Correctiv-Chef David Schraven im Podcast „Wir und heute“ durch das, was anfällt. Ich simuliere dabei eher Journalismus, mache irgendwas in der Kette Blogger, Podcast, Influencer.

Dringende Bitte an alle Alltagsjournalistinnen und -journalisten: Überrascht und verwirrt mich öfter mal. Als würde das Papier von sich aus rascheln. Denn mittags schon wandert die Zeitung ins Altpapier. Das bringt derzeit etwa acht Cent pro Kilo, unabhängig vom Ausgangsprodukt. Seelen sollen nach einigen Überzeugungen auch recycelt werden, sind aber völlig gratis.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/22, dem Medien- und Mitgiedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2022.