Für Frank Überall war es eine Reise in die Vergangenheit, für die jungen Zuhörer in der vollbesetzten Bibliothek des Lessing-Gymnasiums ein möglicher Pfad Richtung Zukunft: Im Rahmen der bundesweiten Aktion „Journalisten gehen in ihre Schulen“ besuchte der DJV-Vorsitzende sein einstiges Wirkungsfeld als Teenager und sprach mit den Abiturientinnen und Abiturienten 90 Minuten lang über seinen Werdegang, den Alltag eines Journalisten, die ethische Verantwortung und Gefahren, die mit dem Job einhergehen. Der Besuch fand im Rahmen der Kooperation mit der Reporterfabrik statt (siehe auch JOURNAL 3/19: „Reporter4you soll Medienkompetenz in Schulen tragen“). Ähnlich hatten Journalistenschulen und Zeitungsverleger anlässlich des Welttags der Pressefreiheit am 3. Mai dazu aufgerufen, dass Journalistinnen und Journalisten in „ihre“ alte Schule gehen.
Vom Schülerreporter zum Professor für Journalismus
Schulleiterin Andrea Meinecke unterstrich in ihrer Vorrede die Bedeutung des prominenten Besuchs: „In Zeiten von Rechtspopulismus, Fake-News und Journalisten, die in anderen Ländern verhaftet werden, ist die Pressefreiheit ein sehr wichtiges Thema.“
„Es ist ein bisschen, wie nach Hause zu kommen“, begrüßte der Journalist, Autor, Professor und Interessenvertreter die Zuhörerinnen und Zuhörer. Zum Amüsement der 17- bis 18-Jährigen offenbarte Überall leichte Wissenslücken, wann er seinen Abschluss gemacht hatte. „1990 oder 1991 muss es gewesen sein.“ Beim journalistischen und beruflichen Werdegang war er sich aber sicher, beginnend bei der Schülerzeitung an einer Schule in Chorweiler, über Stationen als freier Journalist beim Porzer und beim Kölner Wochenspiegel, bei taz und dpa bis zum WDR- Hörfunk. „Da bin ich mehr oder weniger hineingeschlittert.“
2007 promovierte er zum Thema „Klüngel in der politischen Kultur Kölns“, seit 2012 hat er eine Professur für Journalismus und Politik/Soziologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. 2015 wählte ihn der DJV zum Vorsitzenden auf Bundesebene. Überall versteht seine Rolle nicht nur als Lobbyist für die Belange der Journalistinnen und Journalisten, sondern auch für die Pressefreiheit im Allgemeinen.
Schutz vor Bedrohungen
Der Kölner Überall verbringt viel Zeit in Berlin, „denn dort werden die Gesetze gemacht“. Genau da müsse man „dran bleiben und für die Demokratie kämpfen, das ist nichts Selbstverständliches“, machte er deutlich. „Wir müssen den Politikerinnen und Politikern deutlich machen, wie unsere Arbeitsbedingungen aussehen. Wir brauchen Schutz, gerade in Zeiten, in denen wir durch rechts- oder linksextrem gerichtete Personen bedroht und an der Arbeit gehindert werden.“ Wehren müssten sich die Medienschaffenden aber auch gegen „Organisationen, die mit Unterlassungsklagen Veröffentlichungen vermeiden wollen“.
Überall wies auf wesentliche Veränderungen in der politischen Szene hin: „Mit Nazis hatten wir es schon immer zu tun, aber die typischen Glatzenträger mit Springerstiefeln waren nicht wirklich eine Bedrohung. Da blieb es zumeist bei Beschimpfungen. Durch Pegida und die AfD ist das anders geworden.“ Mittlerweile gebe es knallharte Gewalt, auch wenn nicht alle Sympathisanten der AfD dies guthießen. Überall verwies auf fingierte Todesanzeigen, um Medienschaffende einzuschüchtern, oder auf Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten ausspioniert, bedroht und verfolgt wurden (siehe auch aktuell zum Fall Georg Restle: „Immer wieder Hass und Drohungen“).
„Journalismus ist kein Verbrechen!“
Trotzdem sei die hiesige Situation kein Vergleich zu Ländern wie etwa der Türkei, wo Präsident Erdoğan seit dem Putschversuch Oppositionelle willkürlich verfolgen lässt. Journalisten wie Deniz Yücel wurden ins Gefängnis geworfen, weil sie ihren Job gemacht haben. Aber: „Journalismus ist kein Verbrechen! Wir müssen aufpassen, dass das nicht irgendwann auch hier kippt“, betonte der DJV-Vorsitzende den Stellenwert der Meinungs- und Pressefreiheit in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes.
Auch hier in Deutschland sei Journalismus „kein einfacher Weg“, sagte Überall. Oftmals gebe es keinen geregelten Tagesablauf. „Man weiß morgens nicht, was mittags passiert, und muss sich oft auch noch mit Finanzierungsproblemen rumschlagen. Dennoch ist der Beruf des Journalisten für mich immer noch der schönste Job der Welt“, stellte Überall fest.
In der abschließenden Fragerunde konnten die Schülerinnen und Schüler das Berufsfeld „Journalist/in“ näher ausleuchten. Zur Zensurdebatte im Anschluss an den Video-Aufreger des Youtubers Rezo zeigte Frank Überall eine klare Haltung: „Das Video von Rezo war Teil unserer Meinungsfreiheit.“ Gegen Versuche, diese Freiheit einzuschränken, wie dies das Statement der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ins Spiel gebracht habe, „müssen wir als Journalisten auf die Barrikaden gehen“.
Stressresistenz und Flexibilität
Auf die Frage nach der Qualität im Journalismus brachte Überall neben Medienkompetenz auch die Belastungsfähigkeit ins Spiel: „Wer nicht über eine gewisse Stressresistenz und Flexibilität verfügt, hat in diesem Job nichts verloren.“ Dabei weiß Frank Überall seinen niedrigen Blutdruck zu schätzen: „Ich bin nicht schnell aufgeregt.“ Aber es sei auch wichtig, die Dinge realistisch einzuschätzen und zu kommunizieren, was arbeitstechnisch nicht möglich ist. Allerdings geben Journalisten „nicht gerne zu, was wir nicht können“, wie Überall einräumte.
Interessiert waren die Gymnasiasten auch an den Veränderungen der Branche seit den Enthüllungen von WikiLeaks. Eine Beschäftigung mit diesen Inhalten und deren Publikation gehörten zum Job eines Reporters, erklärte Überall. Wie „brandgefährlich die Arbeit werden kann“, zeige sich beispielsweise, wenn US-Präsident Donald Trump den Redakteurinnen und Redakteuren der New York Times Volksverrat vorwerfe. Die Leaks unterstrichen aber auch, wie unsicher die elektronische Kommunikation sei. „Wenn Sie etwas im Netz schreiben, dann müssen Sie überzeugt davon sein, dass es auch als Wort ausgedruckt für jedermann lesbar sein kann“, mahnte Überall die Zuhörerinnen und Zuhörer.
Hoffnungen erfüllt
Als bekennender Journalist in spe zog Lars nach der Veranstaltung ein positives Resümee. „Das war genau, was ich mir erhofft hatte“, sagte der 17-Jährige. Nicht nur habe er erfahren, wie der Gast zum Journalismus gekommen sei und welche Entwicklungsmöglichkeiten der Beruf biete. „Ich habe heute noch mal gesehen, wie wichtig es ist, sich seine eigene Meinung zu bilden, aber auch über bestimmte Sachverhalte ausgewogen zu informieren“, erklärte der Schüler, der bereits ein Praktikum bei der RTL-Mediengruppe gemacht hat und nach dem Abi Sportjournalismus studieren möchte. „Ich glaube, das würde mir sehr viel Spaß machen.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.