THEMA | Der Wert des Lokalen

Boutiquen fürs Lokale

Sichern Lokalblogs die Vielfalt?
28. September 2023, Daniel Fiene
Hans Onkelbach, einer der Gründer des Lokalblogs VierNull in Düsseldorf, sitzt an seinem Schreibtisch.
Start-up statt Ruhestand: Der ehemalige Zeitungsredakteur Hans Onkelbach gehört zum vierköpfigen Gründungsteam von VierNull in Düsseldorf. | Foto: Frank Sonnenberg

Beim Gespräch am Telefon ist der Multi-Gastronom gerade vor allem eins: Papa“, schreibt Lokaljournalist Hans Onkelbach und feilt am Einstieg seiner neuen Geschichte. „Die vier Monate alten Zwillinge auf dem Schoß sind sauer, weil der Vater abgelenkt ist. Beim persönlichen Treffen lerne ich einen ausgebildeten Schauspieler kennen, der die Rolle seines Lebens gefunden hat: Wirt.“

Man ahnt, wie sehr ihn der Düsseldorfer „Altstadtkönig“ Walid El Sheikh fasziniert, den er für ein Porträt traf. Vielleicht auch, weil der gelernte Redakteur Parallelen zum eigenen beruflichen Werdegang sieht. Mit 25 Jahren startete er in den Journalismus. In diesem Jahr feiert er seinen 70-Jährigen. Statt für den Ruhestand hat er sich für einen späten Karrierewechsel entschieden. Er ist Mitgründer des digitalen Start-ups VierNull, das seit Frühjahr 2021 mit „besonderem Journalismus“ für mehr Vielfalt in der lokalen Berichterstattung sorgen will, wie es auf der Seite heißt. „Wir berichten unabhängig, konstruktiv und werbefrei über Politik, Umwelt, Wirtschaft – und die bunte Welt dazwischen.“

Wie andernorts in NRW hat sich auch in der Landeshauptstadt die traditionelle Zeitungslandschaft in den vergangenen Jahren ausgedünnt: BILD und Express Düsseldorf haben ihre lokale Berichterstattung stark zurückgefahren. Die NRZ und Westdeutsche Zeitung (WZ) werden inzwischen vom Marktführer Rheinische Post (RP) beliefert. Dass im Raum Düsseldorf nur noch die RP Lokaljournalismus machte, „ging mit einem Qualitätsverlust einher“, fand Onkelbach, der selbst zuvor lange als Zeitungsredakteur bei der RP gearbeitet hat, davon 15 Jahre als Chef der Lokalredaktion. Deswegen gründete er mit drei anderen VierNull. Mitstreiter sind Christian Herrendorf, der zuvor leitender Redakteur bei der WZ und der RP war, Boris Bartel, der sich ums Marketing kümmert, und Fotograf Andreas Endermann, der die Optik auf Viernull.de prägt.

Onkelbachs Vorteil: In Düsseldorf ist er gut vernetzt. Er gilt als Unikum. Doch beim Blick über die Stadtgrenze sieht man auch: Es gibt viele Onkelbachs. Quer durch Deutschland sind in den vergangenen Jahren zahlreiche journalistische Start-ups angetreten, um zur publizistischen Vielfalt im Lokalen beizutragen und im besten Fall im Digitalen näher dran zu sein, als die Lokalredaktionen es unter heutigen Bedingungen schaffen.

Sparrunden bei den Lokalzeitungen

Denn gerade Lokalzeitungen verlieren seit Jahren besonders stark an Auflage. Und wie der aktuelle BDZV-Branchenreport zeigt, tun sie sich am schwersten, die Verluste aus dem Printgeschäft im Digitalen zu kompensieren (siehe auch Kasten „Wachsende Digitalerlöse“ im Beitrag „Breite x Tiefe x Nähe“). Die Medienhäuser haben darauf bekanntermaßen vor allem mit Kosteneinsparungen reagiert: Redaktionen wurden ausgedünnt bzw. zusammengelegt, Umfänge verringert. Zunehmend werden Mantel-, aber auch lokale Inhalte zugekauft.

Schon seit 15 Jahren gibt es lokale und hyperlokale Blogs – zunächst als Alternative zu den traditionellen Medien, aber später auch als bewusste Reaktion auf den Verlust an lokaljournalistischer Berichterstattung. Zu Hochzeiten zählte eine Sammlung 200 aktive Projekte. Mittlerweile sind viele Links nicht mehr erreichbar. Zahlreiche der rein ehrenamtlich betriebenen Seiten sind eingeschlafen, andere, eher erlösorientierte Projekte sind im Kampf um tragfähige Finanzierungsmodelle gescheitert.

Trotzdem gibt es in NRW Beispiele von Lokalblogs, die ihren Weg gemacht haben. Dazu gehören die Nordstadtblogger in Dortmund, gegründet 2013 von Alexander Völkel, ehemals Redakteur der Westfälischen Rundschau. Auch die Bonner Seite Bundesstadt.com, auf der verschiedene Autorinnen und Autoren über Bonn und die Region schreiben, ist 2013 entstanden. Chefredakteure sind Johannes Mirus und Sascha Förster von Bonn.Digital. In Mönchengladbach betreibt Harald Wendler die Seite MG-Heute.

Auch das Bürgerportal Bergisch Gladbach blickt auf eine längere Geschichte zurück. Der heutige Inhaber Georg Watzlawek hatte es 2010 zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Juristen Werner Schmitz-Dietsch gegründet. Letzterer hatte schon ab 1996 mit GL-online den ersten Internetdienst für den Rheinisch-Bergischen Kreis betrieben.

Ambitionierte Neugründungen

In den vergangenen Jahren kamen neue und oft ambitionierte Projekte für Lokaljournalismus hinzu. Eines der bekanntesten in NRW ist RUMS in Münster. Seit 2020 informiert ein kleines Team aus ehemaligen Lokalzeitungsredakteurinnen und -redakteuren zweimal wöchentlich per Newsletter über das aktuelle Geschehen in der Stadt. Mit den Westfälischen Nachrichten (WN) und der Münsterschen Zeitung (MZ) erscheinen hier zwar zwei Zeitungen, aber der Lokalteil stammt – wie inzwischen an vielen Orten in NRW – aus der gleichen Redaktion.

Redaktion des Münsteraner Projekts RUMS im Arbeitsraum.
Das Leben findet direkt vor den Fenstern der RUMS-Redaktion statt: Geschäfts­führer Marc-Stefan Andres (l.) mit den Redaktionsmitgliedern Svenja Stühmeier und Sebastian Fobbe. | Foto: Frank Sonnenberg

In Münster hat die Stadtgesellschaft einen kritischen Blick auf den Lokaljournalismus, seit im Januar 2007 der damalige MZ-Eigner, der Dortmunder Verleger Lambert Lensing-Wolff, die komplette Lokal- und Sportredaktion von einem Tag auf den anderen durch ein heimlich aufgebautes Team aus Jungredakteurinnen und -redakteuren ersetzt hatte. Entsprechend hoch waren die Erwartungen zum Start von RUMS.

Damals sagte Prof. Bernd Blöbaum vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Uni Münster: „Wir haben in Deutschland ja zunehmend das Problem, dass gerade im lokalen, regionalen Raum zu wenige Medien eigentlich noch vorhanden sind, weil immer mehr Konzentration auf diesen Medienmärkten stattfindet und deshalb ist jede Initiative, die mehr Vielfalt bietet, ob in Münster oder an anderen Stellen, hier begrüßenswert.“

Fast vier Jahre später fällt das akademische Urteil über die Wirkkraft solcher Projekte bescheidener aus: „Zum Start der lokalen Start-ups gab es große Versprechungen und große Hoffnung, was die Zukunft des Lokaljournalismus im Digitalen angeht. Doch mittlerweile ist der Blick auf die Projekte ernüchternd, wenn wir uns die Entwicklung der Leserschaft und die finanziellen Erfolge anschauen.“ So die Analyse von Junior-Professor Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar, der sich mit Innovation und Finanzierbarkeit im Zuge der digitalen Transformation des Journalismus beschäftigt.

2.100 Personen haben ein RUMS-Abo abgeschlossen. Buschow findet dies zu wenig. In Münster sieht er mit rund 320.000 Einwohnenden ein viel höheres Potenzial, gerade weil es ein hohes Bildungsniveau gebe und ein großes studentisches Milieu. Mit politischen Inhalten könne allerdings nur ein kleiner Teil der Zielgruppe abgeholt werden. Und was früher ein wichtiger Grund zum Zeitunglesen war, etwa Sportergebnisse, Kleinanzeigen oder Softnews, das liefern heute auch auf lokaler Ebene andere Onlinekanäle.

Gradueller Verfall politischer Teilhabe

Christopher Buschow sorgt sich um diese Entwicklung, er verweist auf die Forschung rund um die großen Teile der USA, die mittlerweile ohne Lokaljournalismus auskommen müssen. „Hier sehen wir einen graduellen Verfallsprozess der politischen Teilhabe. Die Menschen sind schlechter informiert und können schlechter Entscheidungen treffen. Sie greifen auf andere Quellen zurück, die interessengeleitet sind“, sagt Buschow. „Das hat Einfluss auf das Wahlverhalten, wie Studien zeigen. So gehen weniger Menschen wählen, und die Abstimmungen sind polarisierend zwischen den rechten und linken Lagern.“

Deswegen hält Buschow die lokalen Start-ups für wichtig, auch wenn sie noch nicht eine ausreichend große Zahl der Menschen vor Ort erreichen, um ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen. „Müssen die Angebote anders werden? Liegt es am Marketing? Oder ist es ein Vertriebsproblem?“ Diese Fragen sind für den Kommunikationswissenschaftler noch offen.

Welchen Platz nehmen die Start-ups im Lokaljournalismus ein, nachdem die Anfangseuphorie verflogen ist? Um es mit einer weiteren Analogie aus der Welt des Handels zu verdeutlichen: Während die klassischen Tageszeitungsverlage wie Karstadt und Kaufhof feststellen, dass ihr Voll-Sortiment nicht mehr gefragt ist, lassen sich die Neugründungen mit Boutiquen vergleichen — qualitativ hochwertige Produkte, viele neugierige Augen vor den Schaufenstern, aber nur ein begrenzter Kundenkreis, der es sich leisten möchte, regelmäßig zu kaufen. Buschow stimmt diesem Vergleich zu und ergänzt: „Das Kaufhausprinzip funktioniert nicht mehr. Doch eine Boutique erreicht auch nur ein begrenztes Stammpublikum.“

Marc-Stefan Andres, Mitgünder von RUMS in Münster, steht auf einer Wendeltreppe.
„Wir machen uns viele Gedanken, wie wir noch mehr Menschen in Münster erreichen können“, sagt Marc-Stefan Andres, Geschäftsführer und Mitgründer von RUMS. | Foto: Frank Sonnenberg

Für Marc-Stefan Andres, Geschäftsführer und Mitgründer von RUMS, ist das kein Nachteil. Selbst als Medium für eine spitze Zielgruppe bereichere RUMS die publizistische Vielfalt in Münster und nehme auch die Aufgabe der vierten Gewalt wahr, sagt der ehemalige Lokalzeitungsredakteur. „Wir müssen für die Demokratiefähigkeit nicht unbedingt ein größeres Publikum erreichen.“ Nicht die Zahl der Abos sei entscheidend, sondern dass die Lenker der Stadtgeschicke – ob in der Politik oder in der Wirtschaft – um die Themen des kleinen Teams nicht herum kämen. Mit dieser Wirkung und dem Feedback aus der Leserschaft ist das RUMS-Team zufrieden. Die große Baustelle bleibt aber eine nachhaltige Finanzierung.

Es gäbe viel zu finanzieren

Der ursprüngliche Abo-Preis von 10 Euro im Monat ist jüngst gestiegen: Für 12 Euro (ermäßigt 6 Euro) sind Münster-Interessierte dabei. Der monatliche Umsatz aus Abos beläuft sich auf rund 20 000 Euro. „Wir sind damit noch nicht zufrieden“, sagt Andres. „Wir müssen ja unser Büro und unser Team finanzieren. Nicht nur die Redaktion, sondern auch Marketing, Social-Media und Technik.“ Trotzdem haben die RUMS-Gründer keinen zusätzlichen hochpreisigen Tarif für Entscheiderinnen und Entscheider, wie ihn beispielsweise der Tagesspiegel hat. Dessen Newsletter „Smart City und Verkehr“ kostet im Monatsabo 139 Euro. „Der Tagesspiegel macht mit den Backgrounds große Dossiers, weitergehende Recherchen und Materialsammlungen“, erläutert Andres. Das sei ein ganz anderes Produkt. „Da wir momentan nur unseren normalen Brief haben, gibt es kein interessanteres Angebot, das wir teurer verkaufen könnten.“

Ein Hebel ist Wachstum, doch Marc-Stefan Andres sieht mit Blick auf die Ressourcen des Teams diverse Herausforderungen. „Wir machen uns viele Gedanken, wie wir noch mehr Menschen in Münster erreichen können. Wie kommen wir in verschiedene Stadtteile rein? Wie kommen wir an unterschiedliche Alters- oder Sprachgruppen heran?“ Vermutlich müsse man diesen Menschen etwas ganz anderes anbieten: Statt der ausführlichen Erklärtexte für komplexe Zusammenhänge, mit denen RUMS gute Erfahrungen mache, bevorzugten bestimmte Zielgruppen andere Darstellungsformen.

Um sich breiter aufzustellen, experimentiert RUMS mit weiteren Einnahmequellen. Seit Mai gibt es auch Werbung. „Das läuft ganz okay an, aber noch nicht so, wie wir uns das vorstellen. Aber das Thema Werbung ist ja aktuell in der ganzen Branche schwierig“, erklärt Andres. Die Gefahr, durch die Werbung die journalistische Unabhängigkeit zu verlieren, sieht er nicht. Schließlich sei ein Werbekunde nur ein kleiner Bestandteil eines diversifizierten Geschäftsmodells.

Dabei wollen viele journalistische Neugründungen mit dem Narrativ der Unabhängigkeit durch Werbefreiheit bei ihrer Zielgruppe punkten. Doch eine Abhängigkeit entsteht ja auch, wenn es nur ein wirtschaftliches Standbein gibt. Entsprechend gibt es auch andere, experimentellere Ansätze für Erlösmodelle. VierNull in Düsseldorf setzt beispielsweise auf Stadtführungen.

Hans Onkelbach, einer der Gründer des Lokalblogs VierNull in Düsseldorf, steht am Rheinufer.
„Inzwischen werden wir als Alternative zur Rheinischen Post wahrgenommen“, sagt Hans Onkelbach, Mitgründer VierNull in Düsseldorf. | Foto: Frank Sonnenrberg

Hans Onkelbach bringt bei den Stadtführungen sein Wissen über die berühmtesten Kriminalfälle der Stadt ein: „Wir sind ganz überrascht, wie gut die Vermarktung der True-Crime-Stadtführungen funktioniert.“ Es gebe private Anfragen, aber auch von Unternehmen oder der Stadt. VierNull war mit dem Programm schon in der Partybahn der Rheinbahn unterwegs und hat im zakk, dem Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation in Düsseldorf, den großen Saal bespielt. Für Onkelbach gehört das zu den vielen neuen Erfahrungen, die er als Lokal-Chef nicht gemacht hat.

Schwieriger Start

Zu Beginn seines Gründerlebens hat Hans Onkelbach zwei Extreme durchlebt. Auf der einen Seite: die Bürokratie. „Ein Albtraum. Bis wir die Gewerbenummer hatten und angemeldet waren, hat das drei Monate gedauert. Ich hatte mit drei Amtsgerichten zu tun“, erinnert er sich. Beim Einrichten des Firmenkontos sei er sich „wie ein Bittsteller“ vorgekommen

Auf der anderen Seite stand die Crowdfunding-Kampagne, von der er noch zwei Jahre später begeistert erzählt: Das Ziel von 40 000 Euro für den Start von VierNull wurde übertroffen; 356 Unterstützende sorgten in knapp sechs Wochen für 45 020 Euro. Die Zahl der bezahlten Abos verrät VierNull nicht. Aber im Sommer habe man die Kundenrechnungsnummer 2 500 vergeben.

„Wir schreiben heute schwarze Zahlen“, sagt Onkelbach. „Aber auch nur, weil Christian Herrendorf und ich uns kein ordentliches Gehalt bezahlen. Würden wir dies wie zu Rheinische-Post-Zeiten machen, wären wir in drei Monaten pleite.“ Die Journalisten sehen ihre Arbeitskraft als Invest in die Zukunft. Die jetzigen finanziellen Mittel können den Betrieb mit den freien Mitarbeitenden und laufenden Kosten für ein Jahr decken. Außerdem sollen Aufträge auch gut entlohnt werden. 150 Euro bezahlt VierNull für einen Text an freie Journalistinnen und Journalisten.

Die Motivation hochhalten

Die zunehmend spürbare Wirkung der eigenen Arbeit beflügelt das Team. Onkelbach: „Am Anfang hatte niemand von uns gehört. Dann wurden wir belächelt und inzwischen werden wir als Alternative zur Rheinischen Post wahrgenommen.“

Ähnlich wie in Münster sind viele Entscheider und Entscheiderinnen in der zahlenden Leserschaft. „Die Masse haben wir noch nicht, aber wir sehen eine interessante Entwicklung. Erst kürzlich hat sich eine Neu-Abonnentin, die Verkäuferin im Einzelhandel ist, mit einem guten Themenvorschlag gemeldet.“ Bei den Menschen kommt nach Onkelbachs Einschätzung an, dass VierNull versuche, für mehr Medienvielfalt zu sorgen.

Der Boutique-Vergleich, was Kundschaft und Produkte angeht, passt auch zu VierNull, findet Onkelbach. Er selbst vergleicht das Angebot gerne mit einem Buffet: „Was die Lokalzeitungen machen, ist wie das riesige Buffet in einem Robinson Club. Es gibt wahnsinnig viel in mittelmäßiger Qualität. Wir beschränken uns auf eine kleine Auswahl und machen das richtig gut.“ Doch wer in einen Robinson Club reise, erwarte auch solch ein Buffet, und ähnlich sei das mit der Leserschaft einer Tageszeitung, sagt Onkelbach. „Das ist das Dilemma, in dem sich die Verlage befinden.“

Geschäftsmodell gefunden

Anders als RUMS und VierNull hat das längst etablierte Bürgerportal Bergisch Gladbach sein Geschäftsmodell in einer Mischung aus Werbung, Partnerunternehmen und zahlender Community gefunden. „Vereine und Initiativen können eigene Pressemitteilungen veröffentlichen“, erklärt Georg Watzlawek, der vorher als als Wirtschaftsredakteur beim Handelsblatt gearbeitet hat. „Aber wir kommen auch in den persönlichen Austausch, weil unsere Räumlichkeiten als Co-Working-Space oder von Vereinen für eigene Aktivitäten mitgenutzt werden können.“

Selbst im Geschäftsmodell stärkt das Portal die Bindung zu seinen Kunden. Sie kaufen kein digitales Abo, sondern werden für 8 Euro im Monat Mitglied im virtuellen Freundeskreis, für 15 Euro Förderer. Für 25 Euro können sie als Sponsoren einen Werbeartikel für ihr Unternehmen veröffentlichen, der ordentlich als solcher gekennzeichnet ist. 800 zahlende Unterstützer gibt es. Mit zusätzlichen Werbeeinnahmen kann ein festes Team aus vier Personen und einigen Freien finanziert werden.

Von so einem sicheren Stand kann VierNull zwei Jahre nach der Gründung vermutlich nur träumen. „Seit der Gründung arbeiten wir durchgehend – auch am Wochenende. Ein paar Tage frei, das wär‘ schon ganz schön“, sagt Onkelbach. Ein nächstes Ziel sei die Finanzierung einer Redakteursstelle. 60 000 bis 70 000 Euro seien dazu im Jahr nötig. Die Herausforderung: Gelder in dieser Größenordnung kann es für journalistische Start-ups zwar als Förderung geben – aber die sind in der Regel einmalig. Ein Problem für viele lokalen Neugründungen.

Das Team von VierNull hat an einem Fellowship des Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien teilgenommen. Neben Trainings zum Thema Gründen und Geschäftsmodelle in der digitalen Welt war damit auch eine Förderung verbunden. In vielen Bundesländern gibt es ähnliche Programme, die von den dortigen Landesmedienanstalten ausgehen.

Zudem gibt es Förderungen für lokale Start-ups von verschiedenen Stiftungen. Aber auch diese sind einmalig oder projektbezogen. Oft sehen es die Satzungen nicht vor, Journalismus direkt zu fördern. Einige Start-ups lösen das zum Beispiel, indem sie Workshops für Bürgerinnen und Bürger anbieten, die sich thematisch mit dem redaktionellen Fokus decken. Aber generell gilt: Der derzeitige Status der Förderlandschaft ist für journalistische Start-ups unbefriedigend.

Onlinemedien wollen was anderes als Verlage

Marc-Stefan Andres von RUMS ärgert sich, dass die Bundesregierung eine fortlaufende Förderung für Verlage plant, die Start-ups aber außen vor lässt: „Die Zustellförderung soll die Versäumnisse der Verlage kompensieren, ein nachhaltiges Geschäftsmodell im Digitalen aufgebaut zu haben. Wir könnten mit einem Bruchteil der Förderung einen viel größeren publizistischen Effekt erzielen, weil wir viel schlanker aufgestellt sind.“

Die Verlage sind gegen eine nachhaltige Förderstruktur von journalistischen Angeboten, die ausschließlich digital arbeiten. Sie befürchten ein weiteres öffentlich-rechtliches System im Netz. Auch wenn die Verlage nicht gerne potenzielle Konkurrenz gefördert sehen, führen sie vor allem die Gefahr von Abhängigkeit und Einflussnahme von öffentlichen Stellen an.

„Wer öffentlich gefördert wird, steht natürlich vor Problemen in der Berichterstattung“, sagt Andres. „Im Lokalen habe ich da aber nicht die Befürchtung. Wenn Gelder aus einem bundesweiten Topf nach einem bestimmten System vergeben werden, wüsste ich nicht, wie der Bund Einfluss auf uns nimmt, wenn wir kritisch über städtische Einrichtungen berichten.“ Wie viele andere ist er überzeugt: „Wir brauchen keine Zustellförderung, sondern eine Förderung von lokalen Angeboten auf einer breiten Front.“

Anschub für mehr Gründungen

Zu diesem Schluss kommt auch Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow. Das gelte gerade mit Blick auf die Bedeutung von Lokaljournalismus für die Demokratie. Das Ziel sei eine Infrastruktur zur Förderung von journalistischen Neugründungen. Diese würde laut Buschow solchen Projekten mehr Luft geben, sich zu etablieren. Nach seiner Einschätzung gäbe es dann sicherlich auch viel mehr solcher Gründungen, und die seien nötig.

„Die Hälfte aller Neugründungen scheitert“, weiß Buschow. „Das gilt aber auch für etablierte Branchen. Anders als etwa bei einem Friseur, für den sich der Erfolg über den Standort relativ sicher berechnen lässt, ist im Journalismus nichts kalkulierbar. Im Digitalen ist alles neu. Die Erfahrungen aus dem Analogen helfen nicht weiter.”

Damit ein nachhaltiges Geschäftsmodell für digitalen Lokaljournalismus gefunden werden kann, brauche es viel mehr Gründungen und Experimente, bekräftigt Buschow. Dann können auch Gebiete davon profitieren, bei denen es kaum noch oder inzwischen sogar gar keinen Lokaljournalismus gebe, wie etwa in Thüringen. Denn bisher konzentrieren sich die Neugründungen auf kommerzielle Ballungsräume.

Ein wichtiger Baustein wäre Gemeinnützigkeit

Als weiteren Baustein für die Förderung von digitalem Lokaljournalismus nennt Buschow die Gemeinnützigkeit, die bisher in Deutschland für Journalismus nicht vorgesehen ist. Zwar will die Bundesregierung dies ändern, doch Buschow ist skeptisch, ob das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch in dieser Legislaturperiode erledigt wird. „Dabei würde der Lokaljournalismus profitieren“, betont Buschow.

Das sieht auch Georg Watzlawek vom Bürgerportal Bergisch Gladbach so: Eine Gemeinnützigkeit für Journalismus würde es ermöglichen. „dass wir uns bei vielen Förderprogrammen bewerben, bei denen wir derzeit wegen unseres kommerziellen Unternehmensstatus sofort raus sind“. Er beobachtete auch, dass viele Menschen davon ausgehen, dass die Seite gemeinnützig ist: „Sie fragen uns häufig nach einer Spendenquittung.“

Dass Leserinnen und Leser ihre Beiträge im Falle der Gemeinnützigkeit als Spenden von der Steuer absetzen könnte, betont auch Buschow. „Das ist doch nach Fußball die beliebteste Sportart in Deutschland.”||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2023.