THEMA | Der Wert des Lokalen

Breite x Tiefe x Nähe

Was der Lokaljournalismus braucht
28. September 2023, Corinna Blümel

Anfang September twitterte Jonathan Sachse, Leiter von Correctiv.Lokal, einen Aufruf mit dem Hashtag #nachrichtenwüsten: „Ich suche Menschen, die einen Missstand in der eigenen Stadt loswerden wollen. Aber vor Ort keinen Lokaljournalismus mehr gefunden ­haben, um einen Hinweis weiterzugeben. Seid Ihr betroffen? Kennt Ihr wen? Teilt eure Geschichte.“ Correctiv.Lokal greift Themen auf, die in vielen Kommunen relevant sind, um diese konkrete mit einzelnen Lokalzeitungen umzusetzen. Aktuell ­untersucht das Netzwerk zum Beispiel gemeinsam mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, wo Kinder auf dem Schulweg besonders gefährdet sind.

Mehrere Sparrunden

Ob Recherchen mit Tageszeitungen, Blogs oder anderen lokaljournalis­tischen Einheiten: Der 2018 gestartete Correctiv-Ableger will unterstützen ­beziehungsweise in die Lücke springen, wo (mehr) Lokaljournalismus gebraucht wird. Und das ist fast überall der Fall, seit die Lokalredaktionen der Tageszeitungen ­in mehreren Sparrunden ausgedünnt und zusammengelegt, teilweise auch ­geschlossen wurden. Auch den Anzeigenblättern ging es zuletzt an den Kragen: Sie erscheinen seltener und mit geringerem Umfang, Im Münsterland und in Ostwestfalen hat die Unternehmensgruppe Aschendorff Ende April sogar sämtliche Anzeigenblätter eingestellt (siehe JOURNAL 1/23).

In NRW müssen auch die Lokal­radios zunehmend darum kämpfen, vor Ort ausreichend berichten zu können (siehe „Wie lokal bleibt Lokalfunk?“). Und der WDR, der seine Marke ­Lokalzeit aus dem Fernsehen in den Hörfunk und ins Digitale verlängert hat, schaufelt die Ressourcen für Online frei, indem die ­Lokalzeiten im Fernsehen sogenannte Regiostücke über mehrere ­Lokalstudios ausspielen. So sehen Menschen etwa in Münster, Bielefeld und Siegen den gleichen Beitrag.­

Ob dünner Lokalteil, Call-In-Sendungen statt Lokalnachrichten im ­Lokalfunk oder Lokalzeit-Beiträge aus der „Großregion“: Geknapst wird allerorten am Lokalen. Und alternative ­Medien wie ­Lokalblogs können das noch nicht kompensieren. Ambitionierte Projekte wie RUMS oder VierNull (siehe „Boutiquen fürs Lokale“) sind vor allem in Städten zu finden. Dabei ist der Wert der vor Ort recherchierten News unbestritten, wie die beispielhaften Statements aus Redaktionen und Kommunen zeigen, die das JOURNAL eingesammelt hat (siehe „Tipps von Profis“).

Nachhaltige Förderung

Den rasanten Verlust von Presse- und Meinungsvielfalt insbesondere im Lokalen begleitet der DJV in NRW seit Jahren, fordert zukunftsfähige Modelle zur Sicherung von Medienvielfalt und zur Förderung von unabhängigem und kritischem Lokaljournalismus. Die ­Zustellförderung, die die Bundesregierung in Aussicht stellt, „entfaltet keine nachhaltige Wirkung, um vorhandene Strukturen im Lokaljournalismus langfristig zu erhalten. Zumal sie digitale ­lokaljournalistische Projekte ausnimmt“, sagt Kristian van Bentem, stellvertretender Landesvorsitzender des DJV-NRW.

„Fördermittel sollten – unabhängig vom Distributionsweg – in die personelle Ausstattung von Lokalredaktionen fließen, gestaffelt nach Größe der Redaktion. Also: je mehr Stellen, desto höher die Förderung.“ Damit Tarifflucht keinen wirtschaft­lichen Vorteil gegenüber tarif­treuen Medienhäusern bietet, fordert der DJV-NRW als weitere „Voraussetzung für die Förderung die Einhaltung von Tarifstandards für Redakteurinnen und Redakteure sowie Mindesthonorare für Freie“, erklärt van Bentem.  Mit einer solchen Förderung lasse sich die Qualität der journalistischen Angebote stärken, das erhöhe die Zahlungsbereitschaft von Leserinnen und Lesern und trage dazu bei, publizistische Vielfalt und die demokratierelevanten Funktionen des Journalismus im Lokalen zu sichern.

Erschütterte Glaubwürdigkeit

Zwar stellen die großflächigen Nachrichtenwüsten in den USA eine ganz andere Herausforderung dar. Aber auch in Deutschland bietet die Entwicklung Anlass zur Besorgnis: Die Zahl der Einzeitungs-Kreise wächst, auch in NRW. Hinzu kommen Kooperationen zwischen Verlagen, die Inhalte teilen oder komplett zukaufen. Auf die Spitze getrieben wurde dies vor zehn Jahren mit der Entlassung der Redaktion der Westfälischen Rundschau in Dortmund. „Erfunden“ war die Zombie-Zeitung ohne eigene Redaktion.

Dieses Vortäuschen publizistischer Vielfalt trägt dazu bei, Glaubwürdigkeit und Vertrauen des Publikums in Nachrichten zu erschüttern. Was der DJV seit langem betont, wurde wissenschaftlich bestätigt (siehe Interview „Zombie-Zeitungen sind eine Gefahr“): Die ehemalige Journalistin Katrin Assmann, die heute als Assistant Professor am Grady College of Journalism and Mass Communication der University of Georgia lehrt, hat dort in ländlichen Kommunen ohne lokale Medien unter anderem untersucht, „welche Informa­tionen die Menschen wirklich wollen bzw. brauchen“. Das sei bei weitem nicht so einheitlich, wie oft angenommen werde. Ganz wichtig seien „elementare Fragen: Brennt es? Schneit es? Schaffe ich es morgen zur Arbeit? Und am liebsten erfahren die Menschen das im Gespräch. Sie vertrauen denen, die sie kennen. Das gilt auch für ­Lokalreporterinnen und -reporter, die wirklich vor Ort sind. Das heißt: Im Zeitalter der Digitalisierung spielt der persönliche Bezug weiterhin eine wichtige Rolle.“

Auch die Journalistin Dörthe Ziemer hat untersucht, was Menschen im ländlichen Raum vom Lokaljournalismus erwarten und wie das mit schwindenden Ressourcen umzusetzen wäre. Ihre Erkenntnisse aus einem Landkreis in Brandenburg (nachzu­lesen im Greenhouse Report Nr. 1 von Netzwerk Recherche), bieten grundsätzliche Anregungen fürs Lokale – nicht nur in ländlichen Gebieten: Die Wünsche des Publikums hat Ziemer in der Faustformel „Breite×Tiefe×Nähe“ zusammengefasst. Gemeint ist die Breite der Informa­tionen aus der Nachbarschaft, die tiefgründige Analyse und Recherche sowie die räumliche Nähe der Journalistinnen und Journalisten zu den Menschen vor Ort.

Wo die Strukturen nicht reichen, um durch ­traditionelle oder neue digitale, auch spenden­finanzierte Lokalmedien ausreichende Informationen bereitzustellen, schlägt der Greenhouse ­Report gemeinwohlorientierte Plattformen vor, die Informationen aus verschiedenen Quellen bündeln, also Nachrichten etablierter Lokalmedien, aber auch Informationen von Vereinen, Initiativen und ähnlichem.

Gemeinnützigkeit als Ziel

Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen gehört zu den Zielen der Ampelparteien. So wollen sie Medienvielfalt sichern, die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus stärken und so die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie zu beleben. Eine entsprechende Gesetzesänderung könnte gerade auch für das Lokale viel bewirken, sagt Kristian van Bentem: „Wo Medienvielfalt durch die Zusammenlegung von einst konkurrierenden Lokalmedien abnimmt und Qualität und Quantität der Berichterstattung zurück­gehen, können gemeinnützige journalistische Projekte einen wichtigen Beitrag leisten, um ein Mindestmaß an Meinungs- und Themenvielfalt in der lokalen Berichterstattung zu ­gewährleisten.“

Der DJV gehört zu denen, die sich schon länger dafür einsetzen, den gemeinwohl­orientierten, nicht kommerziellen Journalismus (nicht nur fürs Lokale) im deutschen Mediensystem zu verankern. Er hat sich mit zahlreichen anderen Verbänden und Akteuren, darunter dju, Netzwerk Recherche, Correctiv und Schöpflin-Stiftung zum „Forum gemeinnütziger Journalismus“ zusammengeschlossen.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2023.