Wie wichtig und gefragt Journalismus gerade in Krisenzeiten ist, hat die Pandemie hinlänglich bewiesen. Als Schlag ins Gesicht müssen deshalb die Redakteurinnen und Redakteure der Westfalen-Blatt-Gruppe die Ankündigung der Geschäftsleitung empfinden: Obwohl die Belegschaft sich mit voller Kraft den Herausforderungen der vergangenen Monate gestellt hat, will die Gruppe zum Jahresende aus dem Tarif aussteigen.
Die Westfalen-Blatt-Gruppe, zu der auch die Titel Westfälisches Volksblatt, Herforder Kreisblatt und das Anzeigenblatt Panorama gehören, wurde Anfang 2019 von der Unternehmensgruppe Aschendorff übernommen. Während das Westfalen-Blatt bisher dem Flächentarif unterlag, wurden für die anderen drei Titel in der Vergangenheit bereits Haustarifverträge ausgehandelt. Die WB-Mitgliedschaft im Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) soll nun zum 1. Januar als Mitgliedschaft ohne Tarifbindung fortgeführt werden. Auch die Haustarifverträge der anderen Titel sollen gekündigt werden.
Eine langfristige Strategie
In einer Hausmitteilung begründet die Verlagsspitze diese Entscheidung mit „wirtschaftlichem Druck“ durch die Coronakrise. Der DJV-NRW sieht dies allerdings als Vorwand. Die langfristige Strategie dahinter bewertet der Landesvorsitzende Frank Stach: „Aschendorff setzt in Ostwestfalen jetzt fort, was der Verlag in Münster schon 2015 begonnen hat, nämlich einen Sparkurs auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Coronakrise ist vielleicht der Anlass, sie ist aber nicht der Grund für die Tarifflucht. Sie ist ein Feigenblatt.“ Besonders kritikwürdig sei es, sich gerade in diesen Zeiten aus der Tarifpartnerschaft zu verabschieden und den Kolleginnen und Kollegen die Sicherheit zu entziehen.
„Das hat mit Krisenbewältigung nichts zu tun“, bestätigt auch DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah, „sondern ist die planvolle Umsetzung der Aschendorffschen Unternehmenspolitik, die ausschließlich zu Lasten der Beschäftigten geht, nun eben auch für die übernommene WB-Gruppe. Die segeln im Windschatten von Corona, um dauerhaft die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“
Tariflosigkeit als Programm
Gerade einmal eineinhalb Jahre liegen zwischen der Übernahme durch Aschendorff und der Kündigung der Tarifverträge beim WB. Die Tariflosigkeit scheint für Aschendorff Programm zu sein: Die Unternehmensgruppe ist auch Herausgeber der Westfälischen Nachrichten (Münster), die die Tarifbindung bei den Redakteurinnen und Redakteuren bereits 2015 verlassen hat. Damals setzte die Verlagsspitze die Beschäftigten unter Druck, neue, schlechtere Verträge zu unterschreiben, sodass die Vergütung dort seitdem deutlich unter Tarif liegt. Jetzt droht das gleiche Schicksal in Ostwestfalen. Schon bei Bekanntwerden der Übernahmepläne hatte der DJV-NRW nachdrücklich vor negativen Konsequenzen gewarnt.
Als „Krönung einer langen Kette von Weichenstellungen“ bezeichnet Kah den jetzigen Vorgang. Denn die angekündigte Tarifflucht reiht sich in eine Serie von bitteren Entscheidungen aus dem vergangenen Jahr ein. Nach der Fusion wurde im Herbst 2019 bekannt, dass das Westfalen-Blatt künftig große Teile der Mantelseiten nicht mehr selbst produziert. Zeitgleich sollten zehn der geschätzt 85 Redakteurinnen und Redakteure gehen. Ende November 2019 kam dann die Ankündigung, die Redaktion Gütersloh im März 2020 zu schließen.
Seinerzeit kritisierte Kah bereits, es sei „genau das eingetreten, was wir befürchtet haben, als die Unternehmensgruppe Aschendorff und das Westfalen-Blatt ihre gemeinsame Holding angekündigt haben“.
Enge Betreuung für die Betroffenen
Und nun setzt die Gruppe erneut den Rotstift bei den Beschäftigten an. Der DJV-NRW ist im engen Austausch mit dem Betriebsrat und den Betroffenen. Für August ist außerdem ein Gespräch mit der Verlagsleitung geplant.
Bei einer Veranstaltung Anfang Juli informierte der DJV-NRW die Beschäftigten bereits über ihre Rechte und Möglichkeiten. DJV-NRW-Justiziar Christian Weihe riet nachdrücklich, in dieser Situation nicht leichtfertig neue Regelungen zu unterschreiben, auch wenn Druck ausgeübt werde. Landesvorstandsmitglied Kristian van Bentem, der als freigestellter Betriebsrat bei den Westfälischen Nachrichten reichlich Erfahrung mit der Aschendorffschen Unternehmenspolitik sammeln konnte, gab wichtige Tipps.
Und der DJV-NRW machte deutlich, dass Beschäftigte die Tariflosigkeit nicht klaglos hinnehmen müssen. Landesvorstandsmitglied Stefan Lenz berichtete vom Tarifkampf bei der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft (RRG) im Kölner Umland. In der gemeinsamen, zunächst tariflosen Tochter hatten DuMont und Heinen-Verlag die Außenredaktionen von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnischer Rundschau zusammengelegt.
Obwohl die meisten RRG-Beschäftigten keine Nachteile gegenüber ihren alten, vorwiegend langjährigen Verträgen hatten, kündigte die arbeitskampferprobte Belegschaft direkt nach Übergang in die neue Gesellschaft an, nicht in der Tariflosigkeit verharren zu wollen. Nachdem beide Unternehmensteile sich zusammengefunden hatten, konnten sie dem Arbeitgeber in zähen Verhandlungen und mehreren Streiks mit hoher Beteiligung einen Haustarifvertrag abringen.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2020.