JOURNALISTEN IM ALLTAG

Corona und die Medien

Wie die Branche mit den Folgen der Krise umgeht
8. April 2020, Corinna Blümel

Dass die Medien systemrelevant sind, war für den DJV und für die meisten Journalistinnen und Journalisten nie eine Frage. In der aktuellen Krise bekommen sie diesen Status offiziell zugesprochen. Weil Menschen verlässliche Informationen und Einschätzungen suchen, sind vertrauenswürdige Nachrichtenmedien wichtiger denn je. Viele Medienhäuser haben ihr Angebot zum Thema ausgebaut. Sie bieten News-Ticker, Newsletter und FAQs, Erklärstücke mit Grafiken, Hintergrundberichte und Dossiers, Sondersendungen und Brennpunkte, Skype-Interviews und Podcasts mit Expertinnen und Experten, Kurzclips und Kacheln für Social Media und mehr.

Leere Newsrooms und Homeoffice

Dabei befinden sie sich genauso im Ausnahmezustand wie andere Unternehmen. Redaktionen quer durch Deutschland haben ihre Arbeitsweise umgestellt: Wer kann, sitzt im Homeoffice. Die Glücklichen haben ein Arbeitszimmer, die anderen versuchen, sich am Wohnzimmer- oder Küchentisch zu konzentrieren, wo bei vielen gleichzeitig das Familienleben tobt. Die Newsrooms sind vielerorts fast leer, nur Kernteams halten den Betrieb aufrecht.

Trotzdem haben viele Medien ihre Berichterstattung intensiviert. Die redaktionellen Abläufe wurden im Raketentempo angepasst und funktionieren nach Anfangsholpereien weitgehend reibungslos. Dabei gab es hier und da nicht mal einheitliche Tools für alles: Bisher war eben nicht jede Redaktion bei der digitalen Vernetzung ganz vorne mit dabei. Aber nun heißt es: Planung morgens per Videokonferenz, die Absprachen per Telefon, Mail oder Messenger. Pressekonferenzen finden entweder digital statt oder mit weit auseinander stehenden Stühlen. Wer irgendwo vor Ort arbeitet, um zum Beispiel O-Töne einzufangen, hält gebührenden Abstand zu Gesprächspartnern, die Plastiktüte über dem Mikro ist längst Standard.

Nachrichtenmedien sind plötzlich nicht mehr langweilige Pflicht, sondern eine wichtige Quelle, wie die Quoten und Zugriffszahlen zeigen. So punkten Nachrichtensendungen und -magazine wie Tagesschau und Tagesthemen, heute und heute journal, RTL aktuell und RTL Nachtmagazin ebenso wie das Radio. Vom Lokalfunk bis zu den öffentlich-rechtlichen Wellen gewinnt das gesprochene Wort neues Gewicht. Bei den Tageszeitungen sind die digitalen Reichweiten seit dem Ausbruch der Krise sprunghaft angestiegen, und auch die Buchung digitaler Abos nimmt zu.

Allerdings rechnen Verlage mit Anzeigeneinbrüchen von bis zu 80 Prozent. Viele Verlage haben bereits Kurzarbeit beantragt oder erwägen es zumindest. Vorrangig betrifft dies bisher die Technik und kaufmännische Abteilungen, aber zumindest bei den Westfälischen Nachrichten wird in der letzten Märzwoche darüber verhandelt, ob das auch für die Redaktion gelten soll. Die Rechtsabteilung des DJV-NRW ist wegen dieses und weiterer Themen im engen Kontakt mit Betriebsräten aus den betroffenen Medienhäusern.

Auch bei den Anzeigenblättern schlagen die Stornos schmerzhaft zu. Schließlich leben die kostenlosen Wochenzeitungen gerade von kleinen Werbekunden wie lokalen Geschäften, die derzeit selbst nicht absehen können, ob sie die Krise überstehen werden. Gegenüber dem Branchendienst Meedia erklärte Jörg Eggers, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA), die Stornoquote liege bei 70 bis 90 Prozent. Kurzarbeit wird aufgrund der erheblichen Umsatzrückgänge wohl auch hier zum Tragen kommen. Zudem erwägen Verlage, Regionalausgaben zusammenzulegen oder die Erscheinungstage zu reduzieren, wie der BVDA auf seiner Seite schreibt. So hat der Westfälische Anzeiger DJV-Informationen zufolge bereits seine Mittwochsblätter eingestellt. Die Zeitschriftenbranche ist in Sachen Werbung wohl nicht ganz so hart betroffen – dort soll die Stornorate bei 30 bis 40 Prozent liegen. Auch hier verzeichnen die Verlage ein gestiegenes Interesse an Information, etwa bei Newsmagazinen. Zudem greifen Menschen jetzt offenbar gerne zu unterhaltenden Zeitschriften.

Bedrohlich für den Lokalfunk

Beim NRW-Lokalfunk ist es tatsächlich noch bedrohlicher als bei den Zeitungen: Den hohen Nutzerzahlen stehen massive Werbeeinbrüche entgegen. Hier könnten die fehlenden bzw. stornierten Werbebuchungen auch kurzfristig einige Sender in ernsthafte Bedrängnis bringen. Um das wichtige lokaljournalistische Angebot durch die Krise zu retten, hatte sich der DJV-NRW früh für einen runden Tisch mit Arbeitgebern und Gewerkschaften, der Landesanstalt für Medien NRW und der Politik eingesetzt.

Tatsächlich hat auch bereits Ende März eine erste Videokonferenz zum Thema Situation des privaten Rundfunks in NRW stattgefunden. Schwerpunkt dabei war natürlich der Lokalfunk. In dieser ersten Runde ging es zunächst darum, sich gemeinsam einen Überblick zu verschaffen und aktuelle Bedarfe zu ermitteln. Gemeinsam arbeiten DJV, Arbeitgeberverbände, LfM und Politik aber auch bereits an möglichen Maßnahmen auf allen Ebenen um die Existenz der 44 Lokalsender in NRW zu sichern.

DJV-NRW spricht mit Entscheidern

Die derzeit laufenden Gehaltstarifverhandlungen sind vor dem Hintergrund bis auf Weiteres ebenfalls im „Krisenmodus“ (siehe Stockende Verhaldungen). Der Lokalfunk und die Kurzarbeit sind nur einige der Themen, die die Geschäftsstelle des DJV-NRW – vorwiegend aus dem Homeoffice – mit hoher Konzentration abarbeitet. Hier ist noch nichts von der Entschleunigung zu spüren, die viele andere erleben. Statt dessen Telefonkonferenzen mit Ansprechpartnern bei der Staatskanzlei, den großen Sendern, den verschiedenen Arbeitgeberverbänden und anderen Entscheidern. Und natürlich viele Anfragen von Mitgliedern, angefangen bei denen, die jetzt schnell noch einen Presseausweis brauchen, bis zu denen, die verzweifelt den fundierten Rat der DJV-Juristinnen und -Juristen suchen.

In Bedrängnis geraten zum Beispiel Volontärinnen und Volontäre am Ende ihrer Ausbildungszeit sowie Kolleginnen und Kollegen, deren befristete Verträge jetzt ohne Aussicht auf Verlängerung auslaufen. Das Problem zieht sich durch alle Medienbereiche bis hin zu den Produktionsfirmen.

Betroffen sind auch viele der ca. 10.000 Freien in NRW (siehe auch Titelgeschichte Allein oder gemeinsam?). Bei etwa einem Viertel der Selbstständigen fällt der Umsatz nach Schätzung des DJV in der Krise auf Null. Das zweite Viertel verliert demnach die Hälfte, das dritte Viertel der Freien ein Drittel des Einkommens. Am sichersten dürfen sich noch diejenigen fühlen, die bei den öffentlich-rechtlichen Sendern tariflich abgesichert sind. Besonders betroffen sind dagegen Bildjournalistinnen und -journalisten, aber auch andere Freie. Denn der Terminjournalismus fällt genauso weg wie nette kleine Geschichten vor Ort im Lokalen. Interviews und Recherchereisen werden abgesagt, Dreharbeiten etwa zu Dokumentationen oder weniger aktuellen Magazinbeiträgen werden verschoben – oder ganz gecancelt.

Relevante Informationen für Mitglieder bietet die Corona-Sonderseite des DJV-NRW: djv-nrw.de/corona
Relevante Informationen für Mitglieder bietet die Corona-Sonderseite des DJV-NRW: djv-nrw.de/corona

Kompakte Informationen beim DJV

Um Informationen und Rat kompakt zur Verfügung zu stellen, haben Landes- und Bundesverband Seiten mit Informationen rund um Corona aufgesetzt. Die zwei großen Abteilungen: Was gilt für Angestellte? Was gilt für Freie? Michael Hirschler, Freienreferent des Bundesverbands, vermittelt wichtiges Wissen für Selbstständige zudem in aktuellen Webinaren – mit bisher nie erreichten Buchungszahlen.

Kurzarbeit, die Gefahr, dass der Arbeitsplatz verloren geht oder der Verlust von Aufträgen: Viele Journalistinnen und Journalisten, ob Angestellte oder Freie, stehen wirtschaftlich vor riesigen Herausforderungen. Und sie ahnen oder wissen bereits, dass sich nicht alles mit den Notprogrammen von Bundes- und Landesregierung auffangen lassen wird. In einer umfassenden Stellungnahme an die NRW-Landesregierung ist der DJV-NRW auf zahlreiche dieser Punkte eingegangen.

Mit Blick auf die angestellten Kolleginnen und Kollegen appelliert der DJV-NRW an die Landesregierung, sich beim Bund für eine Anhebung der staatlichen Unterstützungsleistungen bei Kurzarbeit einzusetzen: Während der aktuellen Krise sollten die Beschäftigten in Medienhäusern 90 Prozent des Gehalts als Kurzarbeitergeld bekommen, bislang sind es 60 bis 67 Prozent.

Für die Freien fordert der DJV die Übernahme des vollen Verdienstausfalls sowie der weiterlaufenden Betriebskosten. Viele Freie konnten wegen des niedrigen Honorarniveaus keine Rücklagen bilden, sodass es bei ihnen direkt ans Eingemachte geht und das Geld den nächsten Einkauf, die Miete, die Krankenkassenbeiträge fehlt. Sie benötigen umgehend monatliche Zuschüsse, um bereits vorliegende Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Da kommen die Rettungsschirme recht. Die NRW-Soforthilfe 2020 für Kleinbetriebe und Soloselbstständige greift für Journalistinnen und Journalisten, aber auch für Agenturen, Produktionsgesellschaften und ähnliche Unternehmen (bis max. 50 Beschäftigte). Gestaffelt nach Zahl der Mitarbeitenden gibt es 9.000, 15.000 oder 25.000 Euro.

Eine Ungerechtigkeit bleibt: Journalistinnen und Journalisten sind vom Programm des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft explizit ausgeschlossen, weil sie nach NRW-Recht nicht als Künstlerinnen und Künstler gelten. Die (ggf. zusätzliche) existenzsichernde Einmalzahlung von 2.000 Euro bleibt ihnen also verwehrt.

Ein lernendes System

Klar ist, dass Journalistinnen und Journalisten, egal ob fest oder frei, in diesen Wochen eine echte Anpassungsleistung vollbringen und einiges lernen müssen, um ihren neuen Arbeitsalltag zu meistern. Aber wie sieht es mit dem Lernen in anderer Hinsicht aus? Ende 2019 stellte das JOURNAL die Frage, ob der Journalismus selbst ein lernendes System ist. Im Text Alle Male wieder … ging es um die oft atemlose und sensationsheischende Berichterstattung über Katastrophen, Attentate und ähnliches. Wie gut schaffen die Medien aktuell die Aufgabe, zu informieren, ohne Panik zu schüren?

Den Spagat scheinen die meisten Nachrichtenmedien ganz gut hinzubekommen. Dazu mag beitragen, dass die besondere Lage sich diesmal nicht aus einem einzelnen Moment ergibt und Ad-hoc-Berichterstattung über Stunden erfordert. Diesmal entwickelte sich die Ausnahmesituation über Tage und Wochen. Natürlich gibt es Medien, die eher schrill und alarmistisch berichten, deren Überschriften bloßer Klickbait sind, um hinter eine Paywall zu locken.

Sachliche Einordnung

Aber insgesamt bleibt der Ton sachlich. Diesmal dominieren Expertinnen und Experten, die tatsächlich etwas zu sagen haben. Die Ticker schicken nicht kopflos Pseudo-Neuigkeiten in die Welt, sondern geben einen Überblick über die Entwicklungen der vergangenen Stunden oder Tage. Und die Redaktionen ordnen Zahlen und Sachverhalte sorgfältig ein und machen deutlich, was nicht gewiss ist, welche Fragen zum jeweiligen Zeitpunkt einfach nicht seriös beantwortet werden können.

Diskutiert wird dagegen die Frage, ob es den Nachrichtenmedien derzeit nicht an kritischer Distanz zu Bundes- und Landesregierungen mangele. Der Vorwurf einiger Kritiker: Staatliche Maßnahmen wie Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen würden unhinterfragt als alternativlos hingenommen, die Aufrufe und Appelle der Politik wohlwollend transportiert und mitgetragen.

Dabei laufen Interviews mit Politikerinnen und Politikern keieswegs grundsätzlich „flauschiger“ als in anderen Zeiten, und Kommentare formulieren Anmerkungen und Fragen. Wie die Medien bei der Coronakrise von 2020 unter dem Strich allerdings wirklich abschneiden, wird man wohl erst im Nachhinein beurteilen können, so wie es bei der Berichterstattung über die Finanz- und die Eurokrise ab 2008 oder über die Zuwanderung Geflüchteter 2015 der Fall war.||

djv-nrw.de/corona

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2020.