JOURNALISTENTAG 2022

„Das holt dich in den Träumen ein“

Kriegsberichterstattung zwischen Nähe und Distanz
19. Dezember 2022, Steffen Heinze

Die gespannte Ruhe im voll besetzten Forum hielt nicht lange an beim Branchentreff des DJV-Landesverbandes NRW: Während Moderator Horst Kläuser Katrin Eigendorf und Jan Jessen begrüßte, schaltete im Hintergrund Paul Ronzheimer einen Gang höher. Es schien ihm wohl wichtiger, mit dem Auto sein Ziel in der Ukraine anzusteuern, als gebannt der Diskussion zu folgen. Der stellvertretende Chefredakteur der BILD und rasender Reporter war live in Dortmund zugeschaltet, als es um die Frage ging: „Zwischen Nähe und Distanz: Wie elementar ist Kriegs- und Krisenberichterstattung?“

Die hochkarätig besetzte Runde ließ von Anfang an keinen Zweifel an der jeweils individuellen Kompetenz. Eine Stärke, weil die wohltuend sachlich-fundierte Diskussion das Publikum schnell in seinen Bann zog. ZDF-Repor

Panel Aktualität versus Hintergrund (v.l.): Moderator Horst Kläuser mit Katrin Eigendorf und Jens Jessen. Paul ronzheimer war aus der Ukraine zugeschaltet. | Foto: Alexander Schneider
Panel Aktualität versus Hintergrund (v.l.): Moderator Horst Kläuser mit Katrin Eigendorf und Jens Jessen. Paul ronzheimer war aus der Ukraine zugeschaltet. | Foto: Alexander Schneider

terin Katrin Eigendorf, die erst im September für ihre journalistischen Leistungen bei der Ukraine-Berichterstattung mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden war, sprach über „die Grenzen des Zumutbaren“. Die Gespräche mit traumatisierten Menschen „hinterlassen Spuren“, erzählte Eigendorf. „Das holt dich in den Träumen ein.“ Auch in Afghanistan, wo sie zuvor mehrere Jahre für das ZDF berichtete, habe sie schon mit ihren Kräften „haushalten müssen“.

Kontinuität nicht zu unterschätzen

Paul Ronzheimer pflichtete ihr bei. Es sei schwer, in manchen Situationen „neutral zu bleiben und Distanz zu wahren“. Umso wichtiger sei es für eine sorgfältige und möglichst objektive Berichterstattung, „auf Kontinuität und saubere Recherche zu achten. Eine örtliche Präsenz ist nicht ersetzbar.“ Dazu gehöre auch ein gutes Netzwerk, das er sich in der Ukraine aufgebaut habe und das dazu beitrage, falsche Darstellungen, etwa seitens offizieller Stellen und Ministerien, leichter zu erkennen. Jan Jessen, Krisenreporter und Redaktionsleiter Politik der Neuen Ruhr-Zeitung, betonte, „wir sind der Wahrheit verpflichtet“. Der zunehmende „Informationskrieg in der Ukraine“ sei da eine besondere Herausforderung.
Moderator Horst Kläuser, bis 2017 selbst mehrere Jahre in der Ukraine für den WDR unterwegs und zuvor unter anderem sechs Jahre Moskau-Korrespondent des Senders, griff das Stichwort auf und erinnerte sich an eigene Recherchen und hilfreiche Kontakte zu einheimischen Journalistinnen und Journalisten.

Katrin Eigendorf sind authentische Schilderungen wichtig. Dafür habe sie schon in Afghanistan auf ihr lokales Mitarbeitenden-Team gesetzt, darunter Producerinnen und Producer. „Ich spreche zum Glück Russisch“, das erleichtere das Aufspüren der Wahrheit jetzt in der Ukraine enorm. Wichtig sei, „immer wieder die Distanz aufrecht zu halten, zu erarbeiten, sie zu erkämpfen“. Dazu brauche sie Gleichgesinnte an ihrer Seite, zum Ausgleich des Erlebten. Paul Ronzheimer stimmte auf kurvenreicher Strecke zu. Das sei auch für ihn „eine der größten Herausforderungen, die Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden“. Auch er sei vor Albträumen nicht sicher und setze bei der persönlichen Aufarbeitung auf Gespräche mit Freunden und Kolleginnen und Kollegen.

Auch sagen, wenn man nichts weiß

Umso wichtiger ist es für Jan Jessen, bei der Kriegs- und Krisenberichterstattung positive Geschichten nicht zu vergessen, etwa dabei zu sein, „wenn Menschen Zeit finden, im kleinen Kreis zu heiraten“. Auch mal innehalten, durchatmen und andere Themen aufgreifen, an diesem Credo ließ niemand in der Runde den geringsten Zweifel aufkommen. Jessen verwies auf den Faktor Zeit:

„Denn was nützt es, mit einer am Ende aber falschen News als Erster auf dem Markt zu sein?“ Der NRZ-Journalist nannte als Beispiel die ukrainischen Luftabwehrraketen, die wenige Tage zuvor in Polen eingeschlagen waren. Sie seien eben nicht von russischem Militär abgeschossen worden, wie zunächst von vermeintlichen Experten voreilig vermutet. Jessens Ratschlag: „Wenn wir nichts Genaues wissen, müssen wir das auch bei der Berichterstattung sagen. Und deutlich machen, wenn die Fakten nur dürftig sind, wenn Eindrücke auf Beobachtungen, nicht auf Erkenntnissen beruhten.“

Ronzheimer wies darauf hin, dass „die Ukraine den Westen an ihrer Seite wissen und Druck ausüben will. Das musst du bei allen Informationen im Hinterkopf haben.“ Um zu gewichten und Erlebtes einzuschätzen, helfe ihm auch die eigene Erfahrung. Der Boulevard-Reporter verwies auf zunehmende Restriktionen der ukrainischen Seite gegenüber ausländischen Journalistinnen und Journalisten. „Da hilft es auch nicht, wenn du Regierungschef Selensky interviewt hast und dir wenig später von derselben Regierung mit dem Entzug der Akkreditierung gedroht wird.“ Das habe er selbst etwa in der Hafenstadt Cherson erlebt, die die Ukrainer im Südosten des Landes zurückerobert hatten.

Will man das zeigen?

Auf die Frage aus dem Publikum, ob westliche Journalistinnen und Journalisten nicht auch an russischen Stimmen interessiert seien, waren sich alle drei sofort einig: „Das Bedürfnis haben wir“, erklärte Jessen. Allerdings sei es wenig aufschlussreich, bei Recherchen von russischem Militär auf Schritt und Tritt begleitet zu werden – auf der Suche nach der Wahrheit. „Will man das zeigen?“ fragte Ronzheimer aus seinem Auto ins Publikum zurück.

Während er auf seinen Reisen „ein kleines mobiles Team“ bevorzuge und auf Begleitschutz verzichte, verwies Eigendorf auf das Sicherheitskonzept des ZDF. „Ich werde immer von zwei Leuten begleitet. Du rennst nicht ins Feuer, bleibst aber nah genug dran.“ Für sie als Frau sei das Risiko ungleich höher im Vergleich zu männlichen Kriegsreportern. „Die Gefahr, unterwegs vergewaltigt zu werden, wird bislang nicht hinreichend thematisiert.“ Dieses Defizit gelte es zu beheben, so ihre klare Forderung.

Eine wichtige Frage aus dem Publikum hätte den rasenden Ukraine-Reporter Ronzheimer möglicherweise doch noch zu einem ungeahnten Zwischenstopp verleitet. Auf die Frage, ob die BILD mit ihrer teilweise reißerischen Berichterstattung, etwa beim Zwischenfall in Polen, „nicht doch Öl ins Feuer gieße statt auf sachliche Berichte zu setzen“, blieb Ronzheimer die Antwort schuldig. Die Verbindung zwischen Auto und dem Publikum in Dortmund war abgebrochen. Moderator Horst Kläuser blieb ein Augenzwinkern und der Beifall des Publikums.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2022.