Global betrachtet befinden wir uns in einer gruseligen Welle der Autokratisierung. Laut Democracy Report des Varieties-of-Democracy-Instituts leben in den 90 Autokratien 70 Prozent der Weltbevölkerung. Das heißt, nur 30 Prozent aller Menschen werden demokratisch regiert.
Wenn die Zeiten unruhig und unübersichtlich werden, leidet die Strahlkraft der Demokratie offenkundig stärker als die von Führungskräften mit einfachen Antworten und vorgeblich simplen Lösungen. Auch in westlichen Demokratien neigen Menschen seit ein paar Jahren dazu, populistischen Führungsfiguren den Vorzug zu geben. Boris Johnson, Donald Trump, Javier Milei und zuletzt Geert Wilders: Vielen fallen da nur noch Entlastungsgags über die Frisuren dieser Herren ein. Aber Witze werden die Demokratie nicht retten, auch wenn sie eventuell kurz über den Moment der Sprachlosigkeit hinwegtrösten. Lachen entlastet, keine Frage. Mehr aber auch nicht.
Wir in den Demokratien sind zu lange der Fehleinschätzung erlegen, dass unser Gesellschaftsmodell alternativlos gut ist und dass alle danach streben werden, genauso zu leben wie wir. Wir sehen jetzt: Ist nicht so. Selbst viele derjenigen, die in Demokratien leben, wissen diese nicht mehr wirklich zu schätzen.
Dabei wäre aus meiner Sicht die Sache recht einfach: Wir sollten uns auf ein paar Eckpfeiler, ein paar Prinzipien verständigen und die Unterschiede an anderer Stelle pflegen. Diese Grundsätze oder -werte müssen wir dann aber brutal ernst nehmen. Sie gelten immer, nicht nur, wenn es gerade passt.
Aus meiner Sicht ist es unsere wichtigste und wahrlich nicht leichte Aufgabe, immer wieder in den Diskurs zu gehen und ihn lebendig zu halten, ohne ihn populistisch anzuheizen: Egal, ob es dieses große Missverständnis um die Meinungsfreiheit ist, das oft eher Widerspruchsfreiheit meint und Diskussionen aggressiver und argumentbefreit werden lässt, oder ob jemand Sprachverbote vermutet und darauf mit Gesetzen reagieren will, die dann anderen Vorschriften zur Wortwahl machen wollen.
Viele meinen, „die Medien“ wären heute weniger relevant, man brauche sie nicht mehr. Und trotzdem gehören auch in Zeiten von Social Media Journalistinnen und Journalisten zu den ersten, die angegangen werden, wenn die Töne in einer Gesellschaft rauer werden. So irrelevant kann ihre Arbeit also doch nicht sein, sonst könnte man sie ja ignorieren, anstatt sie zu attackieren. Oder wie es der Schriftsteller Gustav Freytag formulierte, der 1852 ein Lustspiel in vier Akten mit Namen „Die Journalisten“ veröffentlichte: „Alle Welt klagt über den Journalismus, aber jedermann möchte ihn für sich benutzen.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2023.