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Ein komplexes System

Wie Entscheidungen bei der VG Wort fallen
20. September 2025, Corinna Blümel

Die Mitgliederversammlung der VG Wort hat im Mai eine Reform der Ausschüttungen für Texte im Internet (METIS) beschlossen (siehe JOURNAL 2/25). Nach dem neuen Verteilungsplan werden einzelne künftig weniger bekommen, damit andere eine angemessene Ausschüttung erhalten können. Dies sorgte schon im Vorfeld bei einigen für Unmut und weckte auch Fragen: Was hatte es mit der Nutzungsstudie auf sich, die Teilen der Reform zugrunde liegt? Warum kann die Sonderausschüttung nicht bleiben? Und wie kommen Entscheidungen bei der VG Wort überhaupt zustande? Für das JOURNAL ein Anlass, sich das noch mal näher anzuschauen.

Mitglied werden!
Wer als Wahrnehmungsberechtiger Geld von der VG Wort erhält, ist nicht automatisch Mitglied. Die Mit-gliedschaft kann beantragt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (mindestens drei Jah-re wahrnehmungsberechtigt, insgesamt mindestens 1 200 Euro Ausschüttung in den vergangenen drei Kalenderjahren).
Der DJV wirbt dafür, dass alle, die dazu berechtigt sind, auch Mitglied werden. Das ist wichtig, um die eigenen Interessen zu vertreten. Denn die sind auch innerhalb der Berufsgruppe der Journalistin-nen/Journalisten, Autorinnen/Autoren und Übersetzerinnen/Übersetzer keineswegs immer identisch, wie sich ja auch aktuell gezeigt hat.

Gesetzliche Vorgaben

Laut Urheberrechtsgesetz (§ 54h UrhG) müssen die Hersteller von IT-Geräten, Handys und Speichermedien eine Abgabe auf Produkte zahlen, mit denen sich urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigen lassen. Dieses Geld fließt über neun Verwertungsgesellschaften – allen voran GEMA, VG Wort und VG Bild-Kunst – an die jeweiligen Wahrnehmungsberechtigten. Dazu zählen neben Urheberinnen und Urhebern auch Verlage.

Einen Anspruch auf Ausschüttung gibt es nur für Werke, bei denen zu vermuten ist, dass sie tatsächlich vervielfältigt werden. Zudem muss jede Verwertungsgesellschaft der Rechtsaufsicht, dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA), glaubhaft machen, dass sie das Geld nicht „willkürlich“ verteilt, sondern anhand überprüfbarer Kriterien auf solider empirischer Grundlage.

Deshalb geben die Verwertungsgesellschaften sporadisch Marktforschungsstudien in Auftrag, um zu prüfen, ob berechtigte Werke angemessen vergütet werden. Dazu werden Nutzende gefragt, in welchem Umfang sie die abgabepflichtigen Produkte verwenden, um geschützte Werke wie Videos, Musikstücke, Fotos oder „stehenden“ Text zu „vervielfältigen“ (also zu kopieren, auszudrucken oder zu speichern). Die METIS-Studie ergab Anfang 2024, dass auf wissenschaftliche Texte, Beiträge auf Websites öffentlich-rechtlicher Sender sowie belletristische Inhalte häufiger zugegriffen wird als bisher in der Ausschüttung abgebildet.

Fortlaufender Prozess

„Am Meldesystem wird immer wieder irgendetwas nachjustiert“, erklärt Ulf Froitzheim, Mitglied der DJV-Urheberrechtskommission. Der Kollege aus Bayern engagiert sich seit Jahrzehnten in der VG Wort, ist dort stellvertretender Sprecher der journalistischen Berufsgruppe und gehörte zum Gründungsteam der AG METIS. Nach einer mehrjährigen Auszeit kehrte er im Sommer 2024 in die Arbeitsgruppe zurück. In dieser Runde besprechen Mitglieder von Verwaltungsrat und Vorstand mit der für Betrieb und Entwicklung verantwortlichen Abteilung die Trends im Melde- und Nutzungsverhalten. Meist geht es um kleinere Kurskorrekturen, dieses Mal um den ersten großen Umbau.

„Noch nie hatte die AG so viele Sitzungen in so dichter Folge“, erzählt Froitzheim. Im Frühjahr 2024 habe die Verwaltung die Studienergebnisse präsentiert und erste Reformideen vorgelegt. Fast ein Jahr lang habe die Arbeitsgruppe über Modellrechnungen gebrütet und diskutiert, wie es sich auf die Angehörigen der sechs Berufsgruppen auswirkt, wenn man an welcher Stellschraube dreht.

„Wir haben auch eigene Vorschläge eingebracht und ausgelotet, was umsetzbar ist und wo die Schmerzgrenzen der anderen liegen.“ Nachdem sich die AG geeinigt hatte, musste die Bewertungskommission ihr Okay geben, dann das Plenum des Verwaltungsrats und am Ende die Mitgliederversammlung: „Unsere Satzung ist auf Konsens angelegt. Das heißt, wir können den Verteilungsplan nur ändern, wenn alle Berufsgruppen mitziehen.“ Letztlich laufe es wie in vielen anderen Gremien mit sachkundigen Ausschüssen: Eine kleine Runde erarbeite gewissenhaft eine gut austarierte Lösung, damit am Ende jede Gruppe mit großer Mehrheit zustimmen könne.

Den Vorwurf mangelnder Transparenz hält Froitzheim für unfair. Zum einen habe er früh in einem DJV-Webinar über die Pläne informiert. Zum anderen liege es in der Natur der Sache, „dass wir das nicht alles von vorne bis hinten coram publico ausdiskutieren können“. Über Jahrzehnte habe dieses Vorgehen auch niemanden gestört. Kritik habe es erst jetzt gegeben, wo die Reform der Sonderausschüttung für einige zu Einbußen führen könnte. Die von einigen Mitgliedern des DJV-NRW unterstützte Forderung, die METIS-Reform um mindestens ein Jahr zu
verschieben, empfand Froitzheim als durchaus unkollegial gegenüber denen, die nach dem bisherigen Verteilungsplan zu kurz gekommen seien.

Gewundert habe ihn die verbreitete Annahme, die eigene Gewerkschaft habe ein Mitspracherecht oder es gebe eine Art imperatives Mandat. Selbst unter Ehrenamtlichen halte sich der Irrglaube, Verwaltungsräte würden von ihrem jeweiligen Verband entsandt. „Wir vertreten nicht DJV, dju oder Freischreiber, sondern die Interessen aller Wahrnehmungsberechtigten unserer Berufsgruppe.“

Selbst bei Stimmübertragung für die MV gelte keine Verbandslinie, vielmehr sei ein Mitglied, das weitere Mitglieder vertritt, an deren etwaige individuelle Abstimmungswünsche gebunden. „Die pragmatische Zusammenarbeit der VG Wort mit Berufsverbänden wie dem DJV ist seit jeher freiwilliger Natur“, stellt Froitzheim klar.

Zwei getrennte Sachverhalte

In den Diskussionen über die METIS-Reform wurden zwei Sachverhalte in einen Zusammenhang gebracht, der laut Ulf Froitzheim nicht besteht. Die Abschaffung der Sonderausschüttung, bei der es möglich war, selbst älteste Archivtexte jährlich neu zu melden, habe mit der Nutzungsstudie nichts zu tun.

Konzipiert worden sei die Sonderausschüttung damals als Provisorium für die Zeit, bis sich das System mit den Zählmarken durchgesetzt hat. Anfangs sei das Geld schneller hereingekommen, als es verteilt werden konnte. „Um ungerechtfertigte Mitnahmeeffekte zu vermeiden, wurden Rückstellungen gebildet und peu à peu abgeschmolzen“, erklärt Froitzheim. „Auch alle später aufgelaufenen Rücklagen sind mittlerweile aufgebraucht. Die Sonderausschüttung speist sich nun vollständig aus laufenden Einnahmen.“

Hinzu komme, dass die Zahl der Meldungen so stark steige, dass die Quoten sehr schnell sehr stark abschmelzen. So sank die Ausschüttung in diesem Jahr von 12 Euro je Block (= bis zu 20 Texten auf einer Webseite) auf 9,50 Euro. Bei vielen dieser gemeldeten Texte lasse sich die gesetzlich vorgeschriebene Kopierwahrscheinlichkeit nicht belegen.

Künftig werden in den Topf der Verbreitungsausschüttung bis zu 20 Prozent der Einnahmen fließen – rund doppelt so viel wie bisher in die Sonderausschüttung. Zudem kann künftig jeder (aktuelle) Beitrag einzeln gemeldet werden (siehe auch hierzu JOURNAL 2/25). Nach Berechnungen von Berufsgruppensprecher Oliver Eberhardt wird die Ausschüttung für viele Kolleginnen und Kollegen, deren Texte auf Seiten mit Verbreitungsnachweis stehen, deutlich steigen.

Streitthema Kappungsgrenze

Bleibt das Streitthema Kappungsgrenze: Diese gab es bisher nur in der Sonderausschüttung, nun wird sie für alle Onlinetexte eingeführt, um Missbrauch zu bekämpfen. Denn bisher konnten einzelne mit „halbkriminellen Geschäftsmodellen“, wie Froitzheim es ausdrückt, hohe Summen abschöpfen.

Allerdings lässt der Deckel immer noch maximale Tantiemen von mehr als 25 000 Euro zu. Dies finden nicht wenige Mitglieder unangemessen. Dass jemand in der Verbreitungsausschüttung eine fünfstellige Summe erreicht, ist nach Froitzheims Einschätzung „zwar nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich“. Trotzdem stellt er klar: „Wenn sich eine Mehrheit für eine Senkung der Kappungsgrenze findet, ist dies mit dem formalen Antrag in der Mitgliederversammlung 2026 möglich.“||

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2025.