Unter dem Motto: „Provokant. Unabhängig. Kostenfrei.“ bietet Gabor Steingart auf seiner Seite ein eigenes „MorningBriefing“ an. | screenshot
Unter dem Motto: „Provokant. Unabhängig. Kostenfrei.“ bietet Gabor Steingart auf seiner Seite ein eigenes „MorningBriefing“ an. | screenshot
 
MEDIENSZENE NRW

Ein Loch an der Spitze

Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart musste die Gruppe abrupt verlassen
4. April 2018, Corinna Blümel

Diese Personalie sorgte für Aufsehen: Gabor Steingarts Ära bei der Handelsblatt Media Group (vormals Verlagsgruppe Handelsblatt) endete nach annähernd acht Jahren abrupt mit der Abberufung und einem Hausverbot. Die Kündigung traf den bisherigen Handelsblatt-Herausgeber und Vorsitzenden der Geschäfts-führung wohl völlig unvorbereitet – als schriftliche Mitteilung auf dem Weg zu einem Termin. Dass der Rausschmiss ein Loch an der Spitze der Gruppe reißt, ist offensichtlich. Denn Steingart war in den vergangenen Jahren mehr als jeder andere deren Gesicht. Über eine Nachfolge ist noch nichts bekannt.

Entwicklungsschub Richtung Zukunft

Steingart hatte im April 2010 zunächst die Handelsblatt-Chefredaktion übernommen und war Anfang 2013 in die Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt (VHB) gewechselt, an der er nach eigenen Angaben fünf Prozent hält. Er forcierte neue Geschäftsfelder, etwa das Konzept des „Live-Journalismus“ mit Konferenzen, Events und dem hauseigenen Wirtschaftsclub. Oder die Handelsblatt Global Edition, mit der das internationale Geschäft über den deutschsprachigen Raum hinaus wachsen sollte.

Damit verpasste er dem eher betulichen Medienkonzern einen ordentlichen Entwicklungsschub in Richtung Digitalisierung und Zukunft. Um die Trends Innovation und Internationalisierung zu verdeutlichen, firmierte die VHB im vergangenen Sommer zur Handelsblatt Media Group um. Man sei kein traditionelles Verlagshaus mehr, sondern „eine Mediengruppe neuen Typs, digital und experimentierfreudig“, wie es in der Verlagsmitteilung hieß.

Ausdruck fand diese Entwicklung nicht zuletzt Anfang 2018 mit dem Umzug aus dem alten Verlagsgebäude in der Kasernenstraße 67 in ein neuentwickeltes Quartier in Düsseldorf-Pempelfort. Steingart sah das hochmoderne Hauptquartier nach eigenem Bekunden auch als Symbol für die Verwandlung der Gruppe.

Reichte eine falsche Formulierung?

Wenn der Dynamiker so vieles auf den Weg gebracht hatte, kann es sein, dass er allein wegen einer falschen Formulierung in seinem Morning Briefing geschasst wurde? Diese Vermutung war schnell bei der Hand, als der Spiegel die Kündigung in einer Vorabmeldung am 8. Februar bekannt machte. Der 55-Jährige müsse gehen, weil er SPD-Chef Martin Schulz in einer Newsletter-Ausgabe wenige Tage zuvor des „perfekten Mordes“ an Sigmar Gabriel bezichtigt hatte. So war es zunächst bei verschiedenen Medien und Branchendiensten zu lesen. Verleger Dieter von Holtzbrinck war über die Passage im Morning Briefing wohl tatsächlich so ungehalten, dass er sich bei dem SPD-Politiker entschuldigte.

Auch die Presseerklärung der Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH nannte „eine – nicht generelle, aber im Einzelfall – unterschiedliche Beurteilung journalistischer Standards“ als einen Grund für die Trennung. Schwerer dürften die ebenfalls aufgeführten „Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen“ gewogen haben. Wobei die eine wesentlich wirtschaftliche Komponente gehabt haben könnten. Dieses Bild ergibt sich jedenfalls aus den Recherchen verschiedener Kolleginnen und Kollegen, die mehrere Medien in den Folgetagen veröffentlichten. Danach soll Gabor Steingart gegenüber Holtzbrinck auf mehr Investitionen gedrängt haben. Die Rede sei „von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag“, schrieben fünf Kolleginnen und Kollegen des Spiegels, die wohl besonders nah dran waren. Nach ihrer Darstellung legte Steingart dem Verleger in einem Vieraugengespräch wenige Tage vor dem Rauswurf seine Pläne für die kommenden Jahre dar. In diesen drei Stunden habe er sich „selbst ins Aus“ geredet – „in einer Mischung aus Forschheit, Selbstüberschätzung, manche sagen gar: Größenwahn – und gewiss einem Gefühl der Unverwundbarkeit“.

Dieses Gefühl der Unterwundbarkeit könnte ihn nach Ansicht der Spiegel-Autoren zu einem wesentlichen Fehler verleitet haben: Steingart soll den Aufsichtsrat als gestrig und nicht digital genug bezeichnet haben. Das habe auf seinen persönlichen Widersacher Michael Grabner gezielt, jahrelang Chef der Stuttgarter Holtzbrinck-Holding und engster Vertrauter von Dieter von Holtzbrinck.

Was auch immer den Ausschlag gab: Trotz der Differenzen fand man zum Abschied schöne Worte füreinander. Dieter von Holtzbrinck lobte das „Multitalent“ Steingart und sprach dem „preisgekrönten und breit gebildeten Publizisten“ höchsten Respekt und größten Dank für die Erneuerung der „altehrwürdigen“ Verlagsgruppe in eine „auf vielen Medienkanälen marktführende Handelsblatt Media Group“ aus. Steingart habe sich „als äußerst kreativer und dynamischer Unternehmensstratege gezeigt, als mutiger und charismatischer Führer“.

Das Handelsblatt bezog selbst Stellung zu Gabor Steingarts Weggang. | screenshot
Das Handelsblatt bezog selbst Stellung zu Gabor Steingarts Weggang. | screenshot

Gabor Steingart ließ sich in der Mitteilung wie folgt zitieren: „Dieter von Holtzbrinck ist ein wunderbarer Mensch und erfahrener Verleger, dessen Geduld ich über so viele Jahre nicht nur strapaziert, sondern oft genug auch überstrapaziert habe. Dass unsere dennoch – oder deshalb? – so erfolgreiche Zusammenarbeit jetzt abrupt endet, lässt uns beide nicht unberührt. Unsere Freundschaft und meine Wertschätzung ihm gegenüber bestehen unvermindert fort.“

Etwas anders der Zungenschlag in einer Mail Steingarts an die Beschäftigten der Gruppe, die der Branchendienst kress zwei Wochen später dokumentierte. Darin lobte Steingart den Verleger zwar erneut für die jahrelange gute Zusammenarbeit und die gebotenen Chancen, aber er schrieb, „im Schlussakkord“ habe es ihn von Holtzbrinck entfremdet, wie dieser die „Presse- und Meinungsfreiheit in Sachen Martin Schulz“ gehandhabt habe.

Einmischung in redaktionelle Belange

Die Einmischung in redaktionelle Belange hatten in einer ersten Reaktion auch die Chefredakteure und weitere Führungskräfte des Hauses kritisiert. In einem Brief an den Verleger sprachen sie von einem „verheerenden Zeichen für die publizistische Unabhängigkeit, die weitere wirtschaftliche Entwicklung und die Unternehmenskultur des Hauses“.

Über diese Haltung zeigte sich Steingart in seiner Abschiedsmail ausdrücklich erfreut. Er dankte unter anderem den Geschäftsführer-Kollegen, Chefredakteuren und Herausgebern für die gute Zusammenarbeit. Auch die Betriebsräte lobt er explizit als „kritische, aber sehr klar am Gemeinwohl orientierte Arbeitnehmervertreter“. „Die Transformation wäre ohne sie nicht denkbar gewesen.“ Schließlich mahnte Steingart in seiner Abschiedsmail, sein Abgang ändere „nichts an der Notwendigkeit einer kraftvollen Digitalstrategie für die beiden großen Titel“. Nostalgie sei kein Geschäftsmodell.

Auf seiner eigenen Seite gaborsteingart.de erklärt der Geschasste, dass er „bis zur rechtlichen Klärung von Arbeitsverhältnis und Beteiligungsbeziehung als freier Journalist, Buchautor und Redner“ arbeiten wolle. Dort ist zudem sein eigenes „MorningBriefing“ zu abonnieren. Auch das „Handelsblatt Morning Briefing“ erscheint weiter, der Kopf dahinter ist inzwischen Chefredakteur Sven Afhüppe.