Auch für kollaborativen Journalismus gilt: Manchmal braucht es einfach nur ausreichend Mut, um den Sprung ins Wasser zu wagen. I Foto: Andrea Hansen
Auch für kollaborativen Journalismus gilt: Manchmal braucht es einfach nur ausreichend Mut, um den Sprung ins Wasser zu wagen. | Foto: Andrea Hansen
 
THEMA | Kollaborativer Journalismus

Einfach machen!

Durch Zusammenarbeit zu besserem Arbeitsalltag und -ergebnissen
10. April 2019, Andrea Hansen

Ein tagesaktueller Beitrag, und dann ist da plötzlich dieses Gefühl: Hinter der Sache könnte mehr stecken. Der gute Vorsatz ist da: Ich kümmere mich später darum! Doch dann kommt die erste Hürde oder der nächste Auftrag oder aber man ist weiter, aber keine überregionale Redaktion lässt sich für das Thema begeistern. Und schwups, verschwindet der gute Ansatz auf Nimmerwiedersehen in der Schublade. So enden etliche Geschichten nicht weniger Reporterinnen oder Redakteure im ­Lokalen.

Und nicht nur das. Auch wenn es darum geht, aus der eigenen Geschichte den besten Profit zu schlagen, sind Journalistinnen und Journalisten sich oft selbst im Weg. Da wird eine gute Story aufwendig recherchiert und dann nur der Stammredaktion angeboten. Vor allem wenn die Geschichte nicht in der Metropole spielt oder wenn der direkte Draht zur Zentralredak­tion fehlt, ärgern sich später alle Beteiligten, dass überregional jemand anders damit die Schlagzeilen bestimmt oder (bei Freien) das Geld mit der Mehrfachverwertung macht.

Transparenzhinweis

Die Idee zu einer JOURNAL-Geschichte über kollaborativen Journalismus ist mir vor einem guten Jahr gekommen. In der Zwischenzeit ist eine Menge passiert. Im Juni 2018 war ich beim Idea Sprint „Reinvent Local Media“ der Landesanstalt für Medien NRW (LFM NRW). Ganz spontan, weil es noch Tickets gab und ich Zeit hatte. Ebenso spontan habe ich dort mit einer Idee gepitcht: eine App, die Kollaboration zwischen Lokal- bzw. Regionaljournalisten ermöglicht. Ich habe vor Ort in Johannes Meyer einen Mitstreiter gefunden (unser Interview dazu unter
www.vor-ort.nrw/2018/06/27/idea-sprint-2018-kernkompetenzen-im-interview/)

Zunächst hieß das Projekt Kernkompetenzen, mittlerweile haben wir es in EGON umgetauft – weil altmodische Männernamen gerade in sind und es ja mal einen cleveren Reporter dieses ­Namens gab.

„EGON ist der Kollege, der fehlt“ ist unser Slogan. Derzeit recherchieren Johannes Meyer und ich mit Förderung der LFM, wie wir diese Idee weiterverfolgen können. Mehr dazu bald unter der unten angegebenen URL./Andrea Hansen

www.frag-egon.de

Das ginge besser

Zurück bleiben frustrierte Medienmacher, und auch die Nutzerinnen und Nutzer sind enttäuscht. Entweder weil „ihre“ Tageszeitung nicht diejenige war, die die ­Geschichte vor Ort auf­gedeckt hat oder weil die von weiter weg verbrannte Erde hinterlassen ­haben bei ihrer Stippvisite in der Provinz. So oder so: Für alle Akteure und für den Journalismus insgesamt wäre es besser, wenn es anders liefe. Immer mehr Journalistinnen und Journalisten glauben dafür an eine ­Lösung: Zusammenarbeit, die über Grenzen geht – über persönliche, Team- oder gar Ländergrenzen.

Brigitte Alfter arbeitet seit vielen Jahren in verschiedenen Netzwerken. | Foto: Thomas Tolstrup
Brigitte Alfter arbeitet seit vielen Jahren in verschiedenen Netzwerken. | Foto: Thomas Tolstrup

Das sieht Brigitte Alfter schon lange so. Die deutsche Journalistin hat nach dem Abitur in Wuppertal im dänischen Arhus zunächst Kfz-Mechanikerin gelernt und dann Journalismus studiert. Seit bald 25 Jahren arbeitet sie von ­Dänemark aus bzw. für den dänischen Medienmarkt. 2004 wird sie Brüssel-Korrespondentin und damit auch Verfechterin ­eines grenzüberschreitenden Journalismus. Denn in der belgischen Hauptstadt stellt die deutsch-dänische Journalistin fest: Die komplexe Aufgabe Europa ist für sie allein schwer zu bewältigen. Wissen, Quellen, Kontakte, Kontinuität, aber auch die Durchschlagskraft einer Geschichte fehlen, wenn ihre Beiträge nur im kleinen Dänemark erscheinen.

Ihre Initialzündung war ein Datensatz zu Agrarsubventionen, der in Dänemark durch das ­Informationsfreiheitsgesetz (IFG) öffentlich geworden war. Brigitte Alfter wollte die gesamt­europäischen Daten ­haben, um zu sehen, ob in der ganzen EU dasselbe faul ist wie im Staate Dänemark. Doch ihrer Einzelanfrage erteilte die EU-Kommission eine glatte Absage: „Da habe ich angefangen, mich zu vernetzen und diese Zahlen über IFG-Anfragen gemeinsam mit ­Kollegen in den EU-Mitgliedsstaaten zusammengetragen. Mithilfe eines ­Datenjournalisten ­haben wir diese Sammlung ausgewertet.“ Plötzlich hatten sie den Gesamtüberblick und ­Geschichten für alle aus einer ­gemeinsamen ­Recherche: „Aus der konkreten Not, an bestimmte Informationen heranzukommen, ist das Netzwerk entstanden – und das ­haben wir dann weiterentwickelt.“

Ihre Storys werden dadurch größer. Etwas, das in einem kleinen Land ein Problem ist, muss für größere Nachbarn noch lange kein Thema sein. Läuft es aber in mehreren oder gar allen EU-Staaten schief, zeigt sich der Fehler im System und wird relevant für viele. Solche Recherchen sind aber oft zu aufwendig für einen ­allein.

Dafür muss es nicht mal um Europa gehen. Ein Thema in einer Kommune oder einem Bundesland kann ebenfalls singulär sein – oder eben systembedingt. Für einen Freien oder eine ­Redaktion stellen sich schnell viele Fragen: Wie organisiere ich das? Habe ich überhaupt Zeit und Kompetenzen dafür? Und wenn ich über Kooperation außerhalb des eigenen Büros oder Newsrooms nachdenke: Wie gut kann ich Kol­leginnen und Kollegen vertrauen, die ich nicht persönlich kenne?

Ein Thema für die Ausbildung

Brigitte Alfter kennt diese Sorgen und wünscht sich darum, dass kollaborativer Journalismus ­bereits in der Ausbildung vermittelt wird: „Die Wirtschaft ist uns Lichtjahre voraus. Da ist Netzwerken an Unis völlig selbstverständlich. Man fängt klein an mit einem gemeinsamen Seminarprojekt und setzt diese Kooperation später in anderen Zusammenhängen fort.“ Journalisten würden damit – wenn überhaupt – erst viel später anfangen und hätten dann oft große Vorbehalte und wenig Vertrauen in andere.

Denn die Verantwortung für die Richtigkeit bleibt beim Autor, auch wenn er im Team arbeitet: „Ich bin meinen Lesern gegenüber ver­pflichtet. Ich kann ethische und rechtliche Rahmen­bedingungen nicht parken, nur weil ich grenzüberschreitend arbeite.“ Brigitte Alfter rät, sich der kollaborativen Recherche mit einer kleineren Geschichte zu nähern, mit über­- schau­baren Hilfen untereinander. Für konzertierte IFG-Anfragen etwa brauche es nicht das ganz große Vertrauen (siehe auch Kasten „Kooperieren? Einfach mal ausprobieren“). So lerne man sich kennen, baue ­Beziehungen auf und könne dann gemeinsam intensivere ­Fragestellungen angehen.

Für Brigitte Alfter ist es vor allem eine Sache der Gewöhnung zu fragen, ob es hinter dem eigenen Tellerrand weitergeht, und dann Hilfe bei Dritten zu suchen: „Die ­Bereitschaft, uns gegenseitig zu helfen, ist die größte Ressource, die wir zur Verfügung haben und sofort aktivieren können – wenn wir wollen.“ Oft sei es so, dass sie selbst auf eine Idee komme, wenn sie jemand anderem bei seiner Story helfe.

Allerdings fällt ihr auf, dass mit der schrumpfenden Medienvielfalt die konstruktive Konkurrenz durch Wettbewerb schwinde. Die Konkurrenz, die dann bleibe, sei die unproduktive. Brigitte Alfter findet das traurig: „Mir als Journalistin ist das Wichtigste der Erfolg einer Geschichte. Wenn ich in Kooperation einen besseren Beitrag hinbekomme, ist mir doch egal, ob ich die Autorenzeile teilen muss.“

Wenn sie erzählt, spürt man, wie sie durch die Jahre in Dänemark geprägt wurde: Schon während des Studiums in den 1990ern war Brigitte Alfter Mitglied in einem dänischen Verein für Recherchejournalismus: „Der war ­bewusst für Recherchejournalismus und nicht für Recherchejournalisten. Er sollte die Arbeitsweise fördern und kein exklusives Schaufenster sein.“ Man traf sich und tauschte sich aus, über spannende Themen und Methoden: „Da konnte ­jeder mitmachen, die Botschaft war: Das ist nicht nur was für die Stars der Szene.“ Aus dieser Haltung ist ihre eigene entstanden: „Die Arbeitsweise muss normal werden, wir müssen kollaborative Recherche entmysti­fizieren. Das kann ­jeder lernen. Wenn man einmal damit anfängt, verändert es das eigene ­Arbeiten dauerhaft!“

Kooperieren? Einfach mal ausprobieren

Wer bislang als Solitär unterwegs gewesen ist, braucht eventuell etwas Anlauf, denn Vertrauen muss wachsen. Darum klein an­fangen, etwa mit gemeinsamen oder stellvertretenden IFG-Anfragen für Kolleginnen oder Kollegen. Dabei geht es nicht um sensible Informationen, sondern um die Organisation der Beschaffung und eventuelle Unterstützung bei der Auswertung.

• Ganz wichtig: ein Stück Selbstlosigkeit. Nicht bei jedem Gefallen zuerst daran denken, was für einen selbst dabei herausspringt. Wer mit Wissen oder Kompetenzen bei einer Recherche hilft, hat was gut im Netzwerk. Manchmal entsteht aus dem einfachen Gefallen auch unvermutet etwas für einen selbst, etwa eine Themenidee. Gute Netzwerker glauben daran, dass die Rechnung am Ende des Arbeits­lebens aufgegangen sein wird.

• Online verknüpfen ist gut, sich im echten Leben treffen besser. Wer Kongresse, Workshops oder Podiumsdiskussion besucht, wird sichtbar und sieht andere. Durch zufällige Gespräche am Rande entstehen neue Ideen und neue Kontakte, aus denen belastbare Verbindungen werden können.

• Die Sichtbarkeit der eigenen Themenschwerpunkte zu erhöhen verleiht Expertenstatus. Das gilt gerade im investigativen Bereich: Potenzielle Informanten recherchieren häufig Journalistenlebensläufe, um den richtigen Ansprechpartner zu finden – das heißt kompetent und vertrauenswürdig. Sie geben ihre Geschichte lieber an jemandem, der nicht zum ersten Mal aufklärerisch zu diesem Thema arbeitet und dem sie zutrauen, vertrauliche Informationen auch vertraulich zu behandeln./AHa

Couchsurfing für Journalisten

Das sieht auch Tabea Grzeszyk so. Sie ist keine Investigativjournalistin, aber machte 2009 kurz nach Ende ihres Volontariats mit einer Freundin einen Couchsurfing-Trip durch den Libanon, die Türkei und Syrien. Kurze Zeit später begann der sogenannte Arabische Frühling: „Dadurch, dass ich kurz zuvor mit Couchsurfing zum Beispiel in Damaskus bei Leuten zu Hause übernachtet hatte, hatte ich ganz andere Kontakte – zu Künstlern, Dokumentarfilmern etwa. Ich konnte daher ganz andere Geschichten realisieren. Das war mein Aha-Moment.“ Eine Idee war geboren: Couchsurfing speziell für Journalisten. So entstanden die hostwriter, das Netzwerk, dessen Geschäftsführerin Tabea Grzeszyk heute ist.

Die Frauen hinter hostwriter: Geschäftsführerin Tabea Grzeszyk (M.) mit ihren Mitgründerinnen Tamara Anthony (l.) und Sandra Zistl. | Foto André Grzeszyk
Die Frauen hinter hostwriter: Geschäftsführerin Tabea Grzeszyk (M.) mit ihren Mitgründerinnen Tamara Anthony (l.) und Sandra Zistl. | Foto André Grzeszyk

Ihre Mitgründerin Tamara Anthony brachte die Idee des kollaborativen Arbeitens ein. Sie lernten Brigitte Alfter kennen, lasen ihr Buch (siehe Kasten „DerEinzelkämper ist tot“), und nach fünf Jahren mit den hostwritern ist sich Tabea Grzeszyk sicher: „Cross-Border-Journalismus ist einerseits die Arbeitsmethode, die Brigitte Alfter beschreibt und andererseits eine veränderte Geisteshaltung, method & mindset also.“

Der Krise etwas entgegensetzen

Für die freie Journalistin ist es eine schöne Reaktion auf die Krise im Journalismus, gemeinsam mit anderen Menschen bessere Geschichten anzu­bieten. An die Stelle des verstärkten Konkurrenzkampfs träten gegenseitige Unterstützung, Vertrauen und wechselseitige Wertschätzung: „Es tut mir unglaublich gut und gibt Kraft, in anderen Journalisten nicht nur Mitbewerber zu sehen, sondern Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu beiderseitigem Nutzen zusammenarbeiten kann.“

Bei den Auftraggebern sieht sie noch Nachholbedarf: „Wir bieten flexibel solche Cross-Border-Recherchen an, mit besseren Interviewpartnern und authentischen Informationen. Es ist natürlich eine ganz andere Geschichte, die man zusam­men mit Leuten erzählen kann, die vor Ort leben und nicht nur den Blick von außen haben. Die Beiträge werden auch mit Kusshand genommen, aber die wenigsten Redaktionen sind ihrerseits so flexibel, darauf bei der Honorierung entsprechend zu reagieren.“ Fakt sei, dass sie bislang nicht mehr für solche Geschichten bekomme. Es gebe keine Töpfe für Autorenteams. Redaktionen seien auf Einzelkämpfer eingestellt, weil die meisten Aufträge von diesen erledigt würden: „Dann zahlst du das Co-Autorenhonorar aus deinem Topf.“ Die Nutznießer ihrer Geschichten müssten begreifen, dass sie profitieren und sollten das dann auch entsprechend honorieren: „Dass ich die Koopera­tion von meinem Geld ermögliche, ist ein Unding“, ärgert sie sich.

Wenn man sich dem Kern aus mehreren Richtungen nähere, werde die Geschichte runder, und das gelte nicht nur für Geschichten im Ausland: „Wir haben alle unseren Blick auf Dinge, unsere blinden Flecken und übersehen eventuell darum auch etwas, weil wir eben nicht dieselbe Sichtweise haben wie ein Journalist im Ausland oder einer von hier, aber mit Migrationshintergrund.“ Die Geschichte, die in Deutschland oder für Deutsche von Interesse ist, ist unter Umständen eine ganz andere: „Die Welt ist komp­lizierter geworden und lässt sich oft nicht mehr durch das einmalige Abarbeiten der fünf W-Fragen ­abbilden“, findet Tabea Grzeszyk.

Ihr Horizont für Themen habe sich durch das Netzwerk ungemein geweitet. Es helfe aber auch ganz praktisch: „Ich arbeite gerade an einem Feature und habe eine Expertin in Pittsburgh ­gefunden. Ich könnte die ARD-Infrastruktur nutzen oder in schlechter Qualität was per Skype machen.“ Stattdessen guckt sie im hostwriter-Netzwerk, ob es ein Mitglied in Pittsburgh gibt, das Zeit hat, vor Ort ein paar Fragen zu stellen: „Ein paar nette Museumsatmos und die persönlichen Eindrücke gibt es dann noch dazu“, freut sie sich.

So sehr sie sich selbst für diese Art zu arbeiten begeistert: Sie will niemanden dazu überreden. Jeder müsse seine eigene Motivation mitbringen. Mitglieder, die zuerst fragten „was habe ich davon“, brächten dem Netzwerk nichts: „Wir sind ­gemeinnützig. Es geht nicht darum, Mitgliedschaften zu verkaufen, die sind umsonst.“ Geben und Nehmen als Motivation seien den host­writer-Mitgliedern gleichermaßen wichtig, habe eine Nutzerumfrage ergeben. „Ich weiß, das klingt jetzt sehr nach Blümchenwiese, aber das ist echt nicht unser Blick auf die Welt. Wir sind Realisten.“

Netzwerke und Kooperationen

Recherche-Themen sind in den vergangenen Jahren komplexer geworden. Große internationale Projekte wie Panama Papers oder Offshore-Leaks binden personelle und finanzielle Ressourcen. Aber auch bei regional begrenzteren Recherchen sind oft Spezialisten erforderlich. Das schlägt sich schon länger in großen Recherchenetzwerken nieder. Das US-basierte International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) etwa ist ein globales Netzwerk mit mehr als 220 investigativen Reportern aus 83 Ländern. Seine Jahreskonferenz 2019 findet in Hamburg statt.

Ein anderer Weg sind Medienkooperationen wie der 2014 gegründete Recherche­verbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ). Die Kooperation wurde gerade ­anfangs heftig kritisiert. Sie sei ein „Zitier-Kartell“ und bedeute für die SZ eine Quersubventionierung aus Beitragsmitteln. Der Privatsenderverband VPRT (heute vaunet) reichte 2015 vergeblich Rechtsaufsichtsbeschwerde bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung ein. Das WDR-Gesetz wurde 2016 um einen Passus ergänzt, nach dem der Sender bei Kooperationen mit anderen Öffentlich-Rechtlichen und mit Dritten seine Gremien stärker einbinden und jährlich Bericht erstatten muss./cbl

Kollaboration als Mindset lernen: Wer unsicher ist, kann die Zusammenarbeit in kleinen Nischen testen, ehe es an die großen Projekte geht. | Foto: txt
Kollaboration als Mindset lernen: Wer unsicher ist, kann die Zusammenarbeit in kleinen Nischen testen, ehe es an die großen Projekte geht. | Foto: txt

Nicht länger nur jammern

Realisten sind auch die Macher der RiffReporter, einer kollaborativen Genossenschaft zur Vermarktung. Ihre Geschichte beginnt damit, dass Tanja Krämer ihren heutigen Vorstandskollegen Christian Schwägerl auf einer Veranstaltung kennenlernt: „Es ging mal wieder um das Ende des Journalismus. Wir sollten beide Zeugnis ­ablegen, wie furchtbar alles ist. Wir hatten aber beide schon Ideen im Kopf und haben gesagt, wir wollen nicht länger nur jammern.“

Es war an der Zeit, etwas zu tun und zwar konkret für freie Journalistinnen und Journalisten: „Die freien Journalisten sind aus unserer Sicht das Rückgrat des Journalismus. Gleichzeitig sind sie das letzte Glied in der Verwertungskette, ­haben also den höchsten Druck und den geringsten Einfluss.“ Wenn man sich bei dieser Ausgangslage zusammentue, befanden die beiden, habe man die größte Chance etwas zu verändern: „Wenn wir es nicht tun, wird es niemand für uns tun.“

Sie feilten ein Jahr an ihrer Plattform für Mitglieder, mit der Artikel über Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur, Umwelt und Technologie direkt an den Leser verkauft werden. Als Organi­s­a­tionsform wählten Krämer und Schwägerl die ­Genossenschaft, weil sie transparent und demokratisch ist. Die beiden Gründer könnten also auch abgewählt werden.

Der Name RiffReporter leitet sich vom Vorbild eines Korallenriffs im Meer ab, das von Vielfalt und Zusammenarbeit geprägt ist und organisch immer neue Korallenäste ausbildet. Ein bis derzeit zwölf Journalistinnen und Journalisten ­arbeiten in ­einer solchen „Themenkoralle“. Über ein Tool kollaborieren die Mitglieder intern auch inhaltlich: „Sie redigieren sich wechsel­seitig, stellen und beantworten sich gegenseitig Fragen. Da ist eine schöne Stimmung im Netzwerk.“

Derzeit verhandelt der Vorstand über Zweitverwertungen als weiteren Bestandteil ihrer Riff­reporter-Nahrungskette. Aber: Riffreporter ist bewusst als ein Standbein gedacht, nicht als Haupteinnahmequelle.

Denn genau darin sieht Tanja Krämer eine der Fehlentwicklungen im Markt der Freien: Zu viele hätten sich nicht als Unternehmer gesehen und oft für einen Auftraggeber exklusiv gearbeitet. „Journalismus ist aber immer unternehmerisch gewesen, der Gedanke ist immanent. Wir haben lange nur den demokratierelevanten ­Aspekt fokussiert und das Geschäftemachen den Verlagen überlassen. Die haben Fehler gemacht, das baden wir jetzt alle gemeinsam aus.“

Ein spezielles Denken

Nach ihrer Wahrnehmung sind ihre Riff-Kollegen spezielle Typen, weil sie eben unternehmerisch denken. Dazu habe eine Vielzahl von Freien „keine große Lust, sondern will am liebsten in den alten Strukturen weiterarbeiten“. Bei denen, die ihre Arbeitsweise verändert haben, sieht Tanja Krämer als erwünschte Nebenwirkung, dass ihre unternehmerischen Fähigkeiten besser werden. Offenheit und Zusammenhalt wachsen, die Angst vor Themenklau schwindet und die Unsicherheit über das eigene Tun auch: „Mitglieder starten plötzlich Leserumfragen und suchen den kritischen Austausch. Die Gemeinschaft inspiriert und stärkt insgesamt.“

Tanja Krämer ist im Vorstand der Genossenschaft RiffReporter. | Foto: Raiffaisen-Gesellschaft/ Tina Merkau
Tanja Krämer ist im Vorstand der Genossenschaft RiffReporter. | Foto: Raiffaisen-Gesellschaft/ Tina Merkau

Journalismus mache so mehr Spaß, auch wegen des Gefühls „Ich bin nicht allein“. Tanja Krämer sieht derzeit viel Lebendigkeit und Motivation in der journalistischen Szene, coole Leute und Start-ups: „Das tut so gut, Teil dieser Bewegung zu sein und nicht mehr nur zu klagen.“ Vor dem Start der Riff­reporter spürte sie häufiger Frust und Verzweiflung und selten gute Schwingungen in der Branche. Das habe sich geändert, sei einer Aufbruchsstimmung gewichen. Viele versuchten, den Journalismus nach vorne zu bringen und seien begeistert, von anderen umgeben zu sein, die so tickten, und nicht von Bedenkenträgern und Untergangspropheten (vgl. dazu auch „Experimentierfreudig“, das Interview zum Pionier-Journalismus mit Prof. Dr. Wiebke Loosen, JOURNAL 6/18)

Diese Stimmung spürten auch die Leserinnen und Leser. Die Verbindung zwischen ihnen und den Machern werde intensiver, sagt sie. Die Abonnenten stellen Fragen und bringen The­men­ideen ins jeweilige Netzwerk ein. Ihre Zielgruppen sind sehr speziell. Die „Flugbegleiter“ berichten zum Beispiel ausschließlich über Vögel. Dadurch ist die Leserbindung aber auch intensiver.

Den Nutzen verdeutlichen

Tanja Krämer findet, auch das sei Aufgabe von Journalisten: ihre Arbeit zu erklären, ihren Nutzen zu verdeutlichen. Es bringe nichts, sich neutral hinter einer Medienmarke zu verstecken. Journalistinnen und Journalisten müssten wieder als Menschen hinter ihren Geschichten sichtbar werden: „Deswegen machen wir bei Riff­Reporter auch Veranstaltungen, Lesungen oder arbeiten zum Beispiel als ‚Journalist in residence‘ in Bibliotheken oder in unserem Presseclub, wo wir die Themen unserer Mitglieder mit den Menschen niedrigschwellig diskutieren.“ Medienkompetenz zu vermitteln sei auch Auf­gabe von Journalisten und stünde in ihrem ureigenen Interesse, meint Tanja Krämer.

Ihr Projekt versteht sie nicht als Konkurrenz zu Verlagen. Die sollten im Gegenteil froh sein, dass jemand etwas ausprobiere, das gute Kolleginnen und Kollegen im Journalismus halte. Denn bisher sei es so, dass sich viele Kolleginnen und Kollgen, die zum Beispiel in die Familienphase kommen, ­gegen den Journalismus entschieden. „Sie sagen, mir ist das zu anstrengend, ich schaffe das nicht. Wir ermöglichen ihnen, genuines journalistisches Zusatzeinkommen zu generieren. Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir dafür antreten, dass unsere Mitglieder auch gut bezahlt werden. Wenn wir also Zweitverwertungen der bei uns erschienenen Artikel verhandeln, verlangen wir auch anständige Hono­rare.“ So weit, dass sie gute Arbeit für schlechtes Geld ­anbieten, geht die Unterstützung der Verlage dann doch nicht.

„Das sind natürlich ­wahnsinnig viele Baustellen, an denen wir uns abarbeiten“, resümiert Tanja Krämer. „Wir sagen auch nicht, dass wir jetzt die Lösung haben. Aber wir versuchen mit unseren begrenzten Mitteln hier und da aktiv zu werden und gleichzeitig, hochwertigen Journalismus zu machen und davon zu leben.“

Unterstützung für Recherchen vor Ort

Justus von Daniels arbeitet sich vor allem an ­einer Baustelle ab. Er will bei correctiv die ­Recherche vor Ort unterstützen. Dieses Ziel verfolgt das gemeinnützige Recherchezentrum seit bald fünf Jahren. Das Ziel war immer, mit Lokalredaktionen zusammenzuarbeiten. Aber das war bislang oft eine Einbahnstraße: correctiv bot fertige Recherchen an, die wurden veröffentlicht: „Wir haben in den letzten Jahren eher das Ergebnis unserer Arbeit zur Verfügung gestellt und nicht wirklich kooperiert“, stellt er selbstkritisch fest. Darum verkündete man im Herbst 2018, aus England die Idee des Bureau Local zu übernehmen.

Justus von Daniels leitet das Netzwerk correctiv.lokal. |Foto: Correctiv/Ivo Mayr
Justus von Daniels leitet das Netzwerk correctiv.lokal. |Foto: Correctiv/Ivo Mayr

Das britische Bureau Local wurde vor zwei Jahren gegründet. Die correctiv-Macher haben sich das Projekt gründlich angesehen und entschieden, es für Deutschland zu adaptieren: „Weil es genau das ist, was wir wollen: ein Netzwerk von Journalisten und Bloggern im Lokalen. Wir werden teils datengetriebene, teils klassische The­men­­ideen ins Netzwerk geben, aber im Idealfall wird es ein wechselseitiges Geben und Nehmen der Netzwerker.“

Es sei nicht so gedacht, dass jemand eine Idee für eine Recherche „ablädt“ und correctiv.lokal den Job erledigt. Spannend sei für die Mitglieder, wenn sie sähen, dass mehrere mit demselben Problem oder derselben Fragestellung kämen. Dann wird es interessant, weil es eine über einen Ort hinausreichende größere Bedeutung habe: „Wir können dann vor Ort helfen und gleich­zeitig zeigen, dass es sich um ein regionales, ­landes- oder bundesweites Problem handelt,“ erläutert Justus von Daniels den Ansatz.

Das britische Projekt Bureau Local ist ein Vorbild für correctiv.lokal | Screenshot
Das britische Projekt Bureau Local ist ein Vorbild für correctiv.lokal | Screenshot

Die Lücke schließen

Wenn Dinge falsch liefen in der Welt, werde dies meist auf einer abstrakten Ebene thematisiert. Das gehe aber an vielen Nutzern vorbei: „Die fragen sich, was das mit ihnen zu tun hat. Im ­Lokalen wird ihnen oft nur der Einzelfall präsentiert, sodass das strukturelle Moment zu kurz kommt.“ Dabei sei es doch eigentlich die Kernaufgabe des Lokaljournalismus, dem Bürger klarzumachen, wie ihn etwas betrifft: „Da sehen wir eine Lücke, und die wollen wir schließen.“ Vor Ort fehlten manchmal die Fähigkeiten, aber meist die Zeit, sich in einen Datensatz zu vertiefen: „Da haben wir als Netzwerk eine Stärke und können Vorarbeit leisten. Für uns ist es kein Drama, wenn nach drei ­Wochen Arbeit nichts dabei heraus kommt.“ Das sieht in Redaktionen oder bei Freien anders aus.

Wichtig ist correctiv der Aspekt der Wissens­vermittlung: „Zu einer von correctiv.lokal auf­gesetzten Datenrecherche gehört immer unser ­‚Rezept‘. Darin steht, was man mit den Daten anfangen kann, wie man sie lesen muss, wo das für den Betreffenden Spannende steht. Und wir liefern den Kontext, warum wir diese Recherche anbieten.“ Dabei sollen diejenigen, die klassische investigative Werkzeuge wie etwa strukturierte Abfragen bei Behörden noch nicht oder nicht so oft genutzt haben, an die Hand genommen werden, bis sie sagen könnten: „Prima, das kann ich jetzt auch!“

Wem gehört Düsseldorf? Das untersuchen correctiv.lokal und Rheinische Post gemeinsam – mit Hilfe der Mieterinnen und Mieter. | Screenshot
Wem gehört Düsseldorf? Das untersuchen correctiv.lokal und Rheinische Post gemeinsam – mit Hilfe der Mieterinnen und Mieter. | Screenshot

 

Das investigative Denken stärken

Das Ziel: „Wir möchten das investigative Denken stärken, aber wollen keine Profile verändern. Lokaljournalisten sollen keine Investigativrepor­ter werden, und wir wollen keine Lokalreporter werden. Jeder soll seine Stärken einbringen.“

Justus von Daniels räumt ein, dass es für manche Kolleginnen und Kollegen vor Ort ungewohnt sei, Institutionen oder Gesprächspartnern feste auf die Füße zu treten. Da hätten es die ­Investigativen aus den Zentralen mit ihrem ­Abstand leichter. Man könne aber auch hierfür das Netzwerk nutzen: „Dann stellen Kollegen stellvertretend deine IFG-Anfrage.“ So bekommt auch nicht gleich jeder mit, woher der Wind weht. Mit correctiv.lokal wollen sie „keine thematischen Heuschrecken“ sein. Im Gegenteil: „Wichtig ist uns, dass wir nicht nach Ende der Story sofort wieder weg sind. Wir wollen eine Debatte in Gang bringen und die auch begleiten.“ Denn hier ruhe ein enormer Schatz: „Wenn man Bürger anspricht, sprechen sie zurück. Sie haben Hinweise, Fragen, Anregungen.“

Nicht nur die Debatte ist correctiv.lokal wichtig, sondern auch die kollaborative Recherche mit den Bürgerinnen und Bürgern. Mit dem Projekt „Wem gehört…?“ hat correctiv.lokal zunächst zusammen mit dem Hamburger Abendblatt den Mietmarkt in Hamburg durchleuchtet, dann mit der Rheinischen Post und dem Tagesspiegel Düsseldorf und Berlin aufgerollt. Nun geht es zusammen mit dem Mindener Tageblatt erstmals in eine kleinere Stadt.

„Bei solchen Recherchen informieren wir über die Entwicklung in einem Newsletter. Die Bürger werden an der Recherche nicht nur als Antwort- oder Stichwortgeber beteiligt, sondern bekommen Einblicke in alle Phasen, auch in die Schwierigkeiten, wenn eine Behörde zum Beispiel nicht antworten will.“ Das sei Mehr­aufwand und koste Zeit, aber es sei eben auch eine Form von Medienkompetenzschulung, die kein einmaliger Kurs liefern könne. Journalisten rücken mit ihrer Arbeit näher an die Nutzer und somit in deren Bewusstsein. Und zugleich gebe dieses Vorgehen den Journalisten Einblicke in die Denkweise ihrer Nutzer: „Das lohnt sich ­extrem! Bürger können Journalismus mitgestalten, er wird transparenter.“

Lernprozess auf beiden Seiten

Ein Lernprozess ist bei solchen Projekten oft ­sowohl für die Lokal­redaktionen als auch für die Pressestellen erforderlich. Journalistinnen und Journalisten, die ungeübt seien, von sich aus Anfragen zu formulieren, träten in der neuen Rolle dann manchmal zu forsch auf. Wichtig sei es, bei Widerständen beharrlich zu sein, aber fair und freundlich zu bleiben. Denn es gehe ja nicht darum, „Kommunikation zu zerstören, wir wollen an Infos kommen“. Journalisten müssten zudem bedenken, dass auch viele Pressestellen keine Übung mit der Informationsfreiheit hätten, sagt von Daniels: „Auch Behörden müssen IFG teilweise noch lernen!“

Der Einzelkämpfer ist tot

Warum die Antwort auf die Medienkrise nicht Ellenbogen ausfahren, sondern zusammenhalten heißt, zeigen die vorgestellten Projekte:
Lokalnetzwerk von Correctiv
• Ideengeber aus England: Bureau local
• Europa-Recherche-Konferenz: dataharvest.eu
• Grenzüberschreitendes Netzwerk: hostwriter
• Booklets zu „Cross-border-Journalism as a Method“ und „Cross-border-Journalism as a Mindset“
• Genossenschaft für freie Journalisten: RiffReporter
• Rechercheteam zu Europathemen: Investigate Europe
• Buch von Brigitte Alfter: Grenzüberschreitender Journalismus. Handbuch zum Cross-Border-Journlismus, Halem Verlag

Wer – soweit möglich – transparent macht, was er warum will, erreicht oft mehr. Behörden lernten so die Motivation des Journalisten kennen, manche entwickelten Verständnis. Justus von Daniels will investigativen Ansätzen den Schrecken nehmen und Journalisten ermutigen: „Da sind enorme Potenziale für ­gemeinsames Arbeiten. Im Idealfall bringt correctiv.lokal auf lange Sicht Lokaljournalisten über das Netzwerk ins Gespräch und in die direkte Kollaboration. Wenn sich einer erst selbst und dann den Kollegen drei Orte weiter fragt: „Wie machst du das?“, stärke das am Ende alle.

Justus von Daniels spürt nicht weniger als eine Zeitenwende, was die Kooperation angeht. Die anfängliche Skepsis sei gewichen. Man sehe jetzt erste Effekte, welche Geschichten gemeinsam möglich werden: „Wenn alle Seiten sehen, mit welchem Einsatz und Ergebnis gearbeitet wird, gibt es auch keine Vorbehalte mehr bei ­Kooperationen, alle Beteiligten offen und ehrlich zu nennen.“

Kollaboration und Kooperation in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen können also vieles sein: Qualitätstreiber, Alleinstellungs­merkmal, Spaß- und Selbstbewusstseinsbooster, quantitativer und qualitativer Nutzerkontakt, Medienkompetenzbildung. Und dass sich Jour­nalistinnen und Journalisten (wieder) verstärkt als Unternehmer verstehen – warum eigentlich nicht? Verlagsmanager haben es nicht geschafft, schlechter kriegen wir das zusammen auch nicht hin.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2019.