TITELTHEMA | Politische Kommunikation

„Es geht nur mit Aufklärung“

30. September 2024, Achim Graf

Wie verändert sich politische Kommunikation durch die Digitalisierung? Und welche Folgen hat das für Medien? Dazu forscht Professorin Dr. Isabelle Borucki.

Ein Frau mit halblangem dunklen Haar steht mit verschränkten Armen vor einer Hecke und schaut lächelnd in die Kamera.|
Prof. Dr. Isabelle Borucki. | Foto: Bea Roth Photographie

JOURNAL: Gibt es Anzeichen dafür, dass klassische Medien für politische Institutionen in der Kommunikation an Bedeutung verlieren?

Prof. Dr. Isabelle Borucki: Das ist eine Frage, die schwierig mit Ja oder Nein zu beantworten ist, vielleicht eher mit Ja und Nein. Wir sehen durch Social Media und das zunehmende Medienangebot auf Internetplattformen natürlich eine starke Differenzierung und Fragmentierung in der Medienlandschaft, dass etwa die Nutzung des linearen Fernsehens nachlässt. Was wir sagen können: Dass sie die 20-Uhr-Tagesschau-Öffentlichkeit so nicht mehr erreichen. Wobei man in der Medienwissenschaft durchaus darüber streitet, ob es diese in der Form jemals gegeben hat.

Isabelle Borucki
(43) ist Professorin für Politikwissenschaftliche Methoden und Demokratie im digitalen Wandel an der Philipps-Universität Marburg. Sie arbeitete zuvor als Vertretungsprofessorin an der Universität Siegen und forschte zu politischen Organisationen sowie zu Informationstechnologie und der Digitalisierung von Politik. Sie leitete zudem an der Uni Duisburg-Essen die Nachwuchsforschungsgruppe DIPART zu Wirkungen und Effekten der Digitalisierung auf Politik und Gesellschaft. Borucki ist zudem aktuell Sprecherin des Arbeitskreises Politik und Kommunikation in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW).

JOURNAL: Also alles beim Alten?

Borucki: Ich denke, dass die etablierten Medien für Parteien nach wie vor wichtig sind. Aber neue Medien, nennen wir sie mal so, müssen eben auch mitgedacht werden. Dadurch ist es unübersichtlicher geworden. Wir haben ja schon lange das Narrativ, dass Politik und Medien ein Stück weit miteinander verflochten sind. Und dies bricht die neue Differenzierung und Fragmentierung in gewisser Weise auf. Das kann ja auch was Gutes sein, dass da ein bisschen frischer Wind reinkommt. Dass man sich in Berlin und Düsseldorf fragen muss: Haben wir die Ohren überhaupt noch beim Volk und wissen wir, wo der Schuh drückt und was die Menschen bewegt?

 

JOURNAL: In welcher Form und Intensität nutzen Parteien überhaupt die Möglichkeiten des Digitalen?

Borucki: In einem Forschungsprojekt haben wir festgestellt, dass die etablierten Parteien tendenziell noch immer auf klassische Formate setzen, Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Hintergrundgespräche. Das konnte man vor allem an der Größe und der personellen Ausstattung der Social-Media-Abteilungen in den 2010er-Jahren ablesen. Sie haben den Trend lange Zeit nicht ernst genommen. Doch zunehmend sehen wir eine Schwerpunktverlagerung auf die sozialen Netzwerke, insbesondere bei den Grünen und bei der FDP.

Anders verhält es sich bei der AfD. Die ist im Prinzip bereits im Netz gestartet und groß geworden, hat den Umweg über die klassischen Medien erst gar nicht genommen. Das liegt aber auch an der Ideologie dieser Partei: „Wir glauben den etablierten Medien nicht, wir glauben anderen Parteien nicht, wir glauben Wissenschaft nicht.“ Da ist es geradezu logisch, dass die AfD auch eigene Medien, alternative Medien will. Der Ansatz: Wir machen alles über Instagram, Facebook und TikTok, weil wir damit ungefiltert die Leute erreichen, die wir mobilisieren wollen.

 

JOURNAL: Welche Herausforderungen entstehen dadurch für die politische Berichterstattung? Und wie sollten Medienschaffende darauf reagieren?

Borucki: Es ist in vielen Köpfen nicht drin, wie man gut gemachten, seriösen Journalismus von sogenannten alternativen Medien unterscheiden kann. Dass es für Qualitätsmedien Objektivitätskriterien gibt, dazu einen Pressekodex und Kontrollgremien wie den Presserat und die Rundfunkräte. Transparenz und Aufklärung sind zwei Punkte, die dabei helfen können, deutlich zu machen: Hey, es gibt hier aus Gründen – 1933 und folgende – eine wirklich gut aufgestellte Medienlandschaft in Deutschland, die auch eine gut aufgestellte Qualitätssicherungskontrolle hat. Warum, liebe Bürgerinnen und Bürger, vertraut ihr dem plötzlich nicht mehr?

 

JOURNAL: Haben Sie eine Erklärung?

Borucki: Was ganz zentral ist: Die Menschen haben einfach Angst. Wir befinden uns in einer Meta- oder Polykrise, wie immer man es nennen mag, und das verunsichert und überfordert die Menschen. Viele suchen in solchen Situationen nach mehr oder weniger einfachen Lösungen, sie wünschen sich Sicherheit.

Wir könnten nun stundenlang darüber reden, warum manche dabei ins Verschwörungsmythos-Lager abdriften und wirklich meinen, dass sie es mit der großen Weltverschwörung der Echsen-Menschen zu tun haben. Sicher ist: Ab einem gewissen Kipppunkt sind diese Leute einfach lost. Sie sind dann in ihre Bubble abgedriftet und kaum mehr zurückzuholen. Das ist das große Problem und zeigt, dass wir möglichst vorher gegensteuern müssen, bevor das passiert. Ich habe da aber leider auch kein Patentrezept. Es geht nur mit Aufklärung.

 

JOURNAL: Hatten wir während der Pandemie nicht eine Entwicklung in beide Richtungen? Einige, wenige suchten Erklärungen auf dubiosen Internetportalen, die anderen hingegen lernten die etablierten Medien als wertvolle, weil verlässliche Quelle, wieder neu schätzen.

Borucki: In der Tat. Und es stimmt ja optimistisch, dass die Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen festgestellt hatte, dass das Vertrauen in die etablierten Medien in der Pandemie wieder zugenommen hat, zumindest in der Breite. In diesem Sinne haben wir leider eine Splittergruppe verloren, kann man so sagen.

Die Frage ist: Halten wir das als Gesellschaft, halten wir das als Demokratie aus oder nicht? Das weiß ich nicht. Das müssen wir ehrlicherweise einfach abwarten. Es wäre zweifellos wünschenswert, wenn wir die Verlorengegangenen wieder integrieren könnten – aber dazu müssten diese Menschen ihrerseits eben auch bereit sein. ||

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.