Die Arbeit für Journalistinnen und Journalisten sowie für andere Medienschaffende ändert sich. Sie sollen inzwischen alles können: Drehen, Schneiden und Texten. Und am besten sollen sie komplette Beiträge mit dem Smartphone produzieren, das längst zum Allrounder im Alltag der Medienschaffenden geworden ist, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Aber was heißt das für die Qualität? Was machen die Kameraleute in Zukunft, was die Cutter und was die Autoren? Treten sie gegeneinander an oder bilden sie neue Teams? Mit diesen Fragen hat sich die Betriebsgruppe des WDR Mitte Januar bei einer Abendveranstaltung in Köln auseinandergesetzt. Zu Gast waren die Kamerafrau Birgit Gudjonsdottir und der NRW-Reporter Björn Staschen. Nach der Begrüßung durch den DJV-Landesvorsitzenden Frank Stach beleuchteten sie das Thema unter Moderation von Stephanie Funk-Hajdamowicz aus verschiedenen Perspektiven.
Björn Staschen, der in der crossmedialen Nachrichtenredaktion des NDR arbeitet, sieht im Smartphone mit seinen technischen Möglichkeiten ein geeignetes Mittel, um journalistische Möglichkeiten zu erweitern und auch Beiträge fürs Aktuelle zu liefern – inklusive Tagesschau. Staschen kennt sich bestens mit dem Thema „mobiler Journalismus“ aus. Er leitet das „NextNewsLab“ des NDR, das zwei Jahre lang mit dem Smartphone experimentierte, um Möglichkeiten und Grenzen mobilen Arbeitens auszuloten.
Die Vorzüge nutzen
Natürlich sei das Smartphone nicht für alles geeignet, stellte Staschen zu Anfang klar. Er könne vor allem über den Einsatz im Aktuellen reden, und gerade da habe das „kleine Besteck“ oft seine Vorzüge. Dazu zählen für ihn die Schnelligkeit und Unkompliziertheit des Produzierens. So sei es möglich, auch ohne Team kurze Aufsager fürs Netz zu machen, wenn er zum Beispiel als Beobachter der üblichen Mai-Krawalle in Hamburg vor Ort sei. Die Qualität sei ausreichend, um bei Eskalation der Lage auch im Fernsehen übernommen zu werden.
Weil der komplette Workflow übers Handy erledigt werden kann, könnten Reporter zudem oft deutlich länger vor Ort bleiben als das übliche Team. So bekämen sie einen viel genaueren Eindruck vom Geschehen.
Einen weiteren Vorteil sieht Staschen darin, dass gerade in schwierigen Situationen eine größere Nähe möglich sei: „Wenn ein Videoreporter mit Kamera auf der Schulter anrückt oder sogar ein ganzes Team, machen Menschen schnell dicht. Wenn man dagegen erst mal einfach nur miteinander redet, sind viele dann auch bereit, sich filmen zu lassen.“ Den Vorteil der Kompaktheit opfere man aber, wenn zuviel technisches Zubehör ins Spiel komme.
Birgit Gudjonsdottir, die im vergangenen Jahr für ihr Lebenswerk mit dem deutschen Kamera-Ehrenpreis ausgezeichnet wurde, hat naturgemäß einen ganz anderen Blick auf das Thema. Gudjonsdottir hat die Kamera bei zahlreichen Dokumentar-, TV- und Kinofilmen geführt und arbeitet als Dozentin an der Filmakademie Baden-Württemberg sowie an der Filmuniversität Babelsberg. Für sie kommt das Drehen mit dem Smartphone aus verschiedenen Gründen nicht in Frage.
Das fängt damit an, dass sie beim Smartphone ständig auf das Gerät schauen müsse, statt wie bei einer Kamera alles blind bedienen zu können, erklärte Gudjonsdottir. Und natürlich sind die technischen Möglichkeiten aus ihrer Sicht eben im Vergleich zur Kamera doch beschränkt. Wenn es um die Größe eines Geräts gehe, ziehe sie immer noch eine kleine, „richtige“ Kamera vor. Und noch etwas würde ihr die Arbeit mit dem Smartphone verleiden: Sie empfindet es – trotz ihrer großen Erfahrung – als Überforderung, neben dem Drehen auf weitere Faktoren achten zu müssen. Sei es der Ton, sei es etwas Interessantes, das gerade außerhalb ihre Fokus‘ stattfinde. So erzählt sie, dass sie bei Imagefilmen, die sie schon mal als Einzelkämpferin drehe, hinterher oft feststelle, dass irgendwas nicht optimal war. „Ich arbeite einfach lieber im Team, weil vier oder sechs Augen mehr sehen.“
Entwertung des Bilds
Bei ihrer Tätigkeit als Dozentin an der Filmakademie Baden-Württemberg sowie an der Filmuniversität Babelsberg beobachtet Birgit Gudjonsdottir im Übrigen, dass auch der Nachwuchs die Kamera dem Smartphone vorziehe. Wie die jetzige Generation beim Filmemachen überhaupt wieder mehr dem Konventionellen zuneige als der Innovation.
Über die Jahrzehnte stellt sie allerdings auch fest, dass Studierende immer weniger die Fähigkeit besitzen, Visuelles wirklich wahrzunehmen. „Die interpretieren sofort, aber sie können das Bild nicht lesen.“ Ähnliches beobachtet Staschen bei Volos: „Das Bild wird als Informationsträger entwertet.“
Die Bildgestaltung wird nach Gudjonsdottirs Überzeugung unwichtiger, weil „die Leute nicht dafür ausgebildet sind und auch kein Gefühl dafür haben“. Dem aktuellen Hype der Hochkant-Videos sagt sie trotzdem ein Ende voraus: Der Mensch sei einfach dafür gemacht, in die Breite zu gucken.
Staschen hält dagegen ein Nebeneinander von beiden Formaten (hochkant und quer) für plausibel, weil die Wahl situationsbezogen getroffen werden könne. Und er verweist auf Videos, die fürs Teilen im Netz erstellt werden, darunter viele, die hochprofessionell auf ihr Publikum zugeschnitten seien. „Die gehen oft besser mit ihren Nutzern um als wir, die noch zu sehr in den Erfordernissen des Fernsehens denken.“
Was Qualität ausmacht
Jenseits von Formaten und Technik sei die wichtigere Frage doch: „Schaffen wir es, Tiefe und Inhalt zu transportieren?“, findet Staschen. Auch für Gudjonsdottir hat Qualität bei Filmen und Videos nicht nur mit Bildsprache und technischen Aspekten zu tun. „Die Inhalte müssen stimmen. Es müssen gut recherchierte Geschichten oder Beiträge sein, die tiefer gehen, die mich berühren.“
Allerdings können viele Redakteurinnen und Redakteure Qualität gar nicht mehr erkennen und schielen eher auf leichte Konsumierbarkeit und auf Quoten, wie sie zum Beispiel bei der Abnahme von Filmen und Dokumentationen erlebt. Da fragt sich die erfahrene Kamerafrau: „Wo bleibt da eigentlich unser Bildungsauftrag?“ Auch Entscheidungen wollten die abnehmenden Redaktionen häufig nicht mehr treffen, so ihre Erfahrung aus den Sendeanstalten. Der Grund: Redakteurinnen und Redakteure hätten Angst vor ihren Vorgesetzten.
Entscheidungen sind aber an vielen Stellen nötig – nicht nur zum einzelnen Beitrag, sondern ingesamt. Denn es geht um den Weg, den der WDR und andere öffentlich-rechtlichen Sender einschlagen wollen, wie auch die Diskussion mit den Publikum zeigte: Welche Wellen und Ausspielkänale soll es künftig geben? Welche Inhalte fallen weg, um andere zu ermöglichen? Frank Stach wies darauf hin, dass der WDR diese wichtigen Entscheidungen gerade nicht treffe. „Er packt immer nur noch etwas oben drauf, ohne zusätzliche Mittel dafür bereitzustellen.“
Diesen Trend zum Sparen spürt auch Gudjonsdottir, ganz unabhängig vom Smartphone-Dreh: „Die Sender zahlen weniger Drehtage als früher und weichen davon nicht mal für besonders aufwendige Produktionen ab. Die Controler rücken dafür einfach nicht mehr Geld raus.“
Björn Staschen sieht im Einsatz der Smartphones unter anderem tatsächlich auch eine Kostenersparnis. „Das hilft uns, verantwortungsvoll mit Gebührengeldern umzugehen. Das Geld, das wir hier sparen, können wir für andere wichtige Sachen einsetzen.“ Und ja, erklärte er auf Nachfrage, es gehe auch um Arbeitsplätze. Aber: „Wenn alle sich weiterentwickeln, dann kommen wir da durch.“ Und er ergänzte: „So wie wir uns zutrauen, immer mehr technische Aufgaben zu übernehmen, müssen wir umgekehrt Kameraleute und andere ermuntern, auch inhaltlich zu arbeiten.“
Einig waren sich Podium und Publikum, dass gute Kameraleute und andere Produktionsmitarbeiter für viele Bereiche unersetzlich bleiben. Wie denn in den gegenwärtigen Umbrüchen das Gefühl von Konkurrenz und Verdrängung gerade in diesen Bereichen zu vermeiden sei, fragte Moderatorin Stephanie Funk-Hajdamowicz zum Schluss. Der NDR habe dafür auch keine Lösung, erklärte Staschen, warb aber noch mal dafür, im Team Aufgaben berufsübergreifend zu übernehmen und „den Produktionsleitern den Rücken zu stärken“.
Und was bleibt jenseits der Technik gerade die wichtigste Aufgabe? „Wir müssen uns darauf besinnen, dass wir Realität transportieren sollen. Und wir müssen näher am Menschen sein als bisher“, ist Staschen überzeugt. Und auch Gudjonsdottir findet: „Wir müssen mehr mit-einander reden und einander zuhören.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 1/19 – dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Februar 2019.