MEDIENSZENE NRW |

Kraftanstrengung für unabhängige Information

Der Krieg gegen die Ukraine fordert auch die Heimatredaktionen von DW, WDR und RTL
4. Mai 2022, Corinna Blümel

Was seit dem 24. März in der Ukraine und in Russland passiert, stellt die berichterstattenden Sender vor riesige Herausforderungen. Das betrifft natürlich die Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, die unter schwierigsten Bedingungen arbeiten. Aber auch die Korrespondentinnen und Korrespondenten in Russland, die zeitweilig ihre Arbeit aussetzen oder Moskau sogar verlassen mussten, nachdem ein neues Mediengesetz Anfang März journalistische Berichterstattung kriminalisiert hatte: Seitdem drohen für die Verbreitung kritischer Informationen über den Krieg in der Ukraine hohe Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft.

Jenseits der Belastungsgrenze

Aber auch die Redaktionen in Deutschland sind vom Krieg weit mehr betroffen, als den meisten Menschen bewusst ist. Das betrifft im besonderen Maße die Deutsche Welle (DW) mit ihren Redaktionen für Russland, die Ukraine und Belarus. Nicht erst seit Kriegsbeginn arbeiten die Kolleginnen und Kollegen jenseits ihrer Belastungsgrenze, um die freie, unabhängige und kritische Berichterstattung aufrechtzuerhalten.

Hintergrund sind die Umstrukturierungen und der damit am Standort Bonn verbundene Abbau von Ressourcen. Den Aufbau des Kiew-Hubs hatten Personalrat und DJV-Betriebsgruppe scharf kritisiert (siehe JOURNAL 4/21). Wegen ihrer besonderen Rolle als Auslandssender sah sich die DW zudem gezwungen, nach Schließung ihres Studios in Moskau und des Entzugs der Presseakkreditierung der Mitarbeitenden durch die russische Regierung ihre dortigen Mitarbeitenden für die Berichterstattung nach Lettland zu verlegen (siehe Kasten).

Die besondere Situation der Deutschen Welle
Als Auslandssender hat die Deutsche Welle (DW) in Russland mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen als andere Medien, weil sie sich auch in Landessprache an die russische Bevölkerung wendet: Bereits Anfang Februar erteilte Russlands Regierung der DW ein Sendeverbot und ordnete die Schließung des DW-Korrespondentenbüros in Moskau sowie den Entzug der Akkreditierungen der DW-Journalistinnen und Journalisten an.
Nach Beginn der Ukraine-Kriegs am 24. Februar haben die russischen Behörden ihr Vorgehen gegen kritische Medien noch einmal deutlich verschärft, unter anderem durch das neue Mediengesetz, das die kritische Berichterstattung vor allem über den Krieg in der Ukraine kriminalisiert. Unter dem Vorwurf, Falschinformationen zu verbreiten, sperrte die russische Medien- und Telekommunikationsaufsicht Roskomnadsor die Internetseiten verschiedener internationaler Medien wie der DW und der BBC.
Viele Medien setzten ihre Arbeit in Russland zeitweise aus und kehrten dann in Arbeitsteilung zurück: Aus den Studios in Moskau wird vor allem über das Leben in Russland berichtet, aber nicht mehr über den Krieg in der Ukraine.
Die DW darf allerdings weiterhin nicht aus ihrem Moskauer Büro berichten. Der Auslandssender sah sich deshalb gezwungen, seine Berichterstattung nach Lettland zu verlagern. Die Redaktion in Riga produziert journalistische Inhalte auf Russisch und in weiteren Sendesprachen, die auch für das Zielpublikum der DW in Belarus von Interesse sind. Denn auch in Belarus wurde das Onlineangebot der DW zwischenzeitlich gesperrt und sogar das Logo der DW als „extremistisch“ eingestuft./

Federführend für die ARD

Auch bei anderen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern sind große Kraftanstrengungen erforderlich, wie sich schon aus der großen Zahl ausgestrahlter Sondersendungen ableiten lässt. Welcher logistische und personelle Aufwand damit verbunden ist, umriss WDR-Intendant Tom Buhrow im öffentlichen Teil der Sitzung des Rundfunkrats Ende März: Alle Programmbereiche und Direktionen seien eingebunden, die Mitarbeitenden seit Wochen unermüdlich im Dauereinsatz, die Schichten habe der Sender aufgestockt.

Da der WDR federführend für die beiden Auslandsstudios in Moskau und Warschau zuständig sei, laufe ein Großteil der Fernseh- und Hörfunkberichterstattung für die ARD-Anstalten über den Newsroom in Köln. Für die Zeit zwischen Kriegsbeginn und Ende März berichtete Buhrow von mehr als 200 Fernsehschalten zu Korrespondentinnen und Korrespondenten, zahlreichen Sondersendungen sowie Brennpunkten nach der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau. Hinzu kämen mehr als 300 Stunden Hintergrund-Dokumentationen und eine 24/7-Versorgung der ARD-Hörfunkwellen. Buhrow verwies zudem auf Phoenix: In den ersten Wochen habe der Ereigniskanal nahezu ununterbrochen vom Krieg berichtet. In Zusammenarbeit mit SWR und rbb hat der WDR den ARD-Podcast „Alles ist anders – Krieg in Europa“ aufgelegt, der sich dreimal in der Woche mit Hintergründen des Kriegs befasst.

Das Programm umgestellt

Auch RTL und ntv berichteten von Anfang an mit großem Aufwand aus der Ukraine und aus Russland. In den vier Wochen nach Kriegsbeginn schalteten sich die beiden Sender vormittags für die aktuelle Berichterstattung zusammen, zudem wurde die RTL-Mittagssendung Punkt 12 auf vier Stunden erweitert und es gab zahlreiche Sondersendungen am Abend.

Allein RTL Deutschland habe seit Kriegsbeginn mehr als 200 Stunden Sondersendungen ausgestrahlt, meldete Bertelsmann Anfang April. Der Sender habe dafür sein Programm umgestellt und im Fernsehen auf Werbeunterbrechungen verzichtet Insgesamt sei die Nachrichtenberichterstattung noch einmal deutlich ausgebaut worden.

Anfang März startete RTL den werktäglichen stern-Podcast „Ukraine – die Lage“ mit dem Militärexperten Carlo Masala. Auf den Seiten rtl.de/news/ und ntv.de sind (wie auch auf tagesschau.de) Ukraine-Ticker eingebunden.

Die hohe Zahl an Schalten und Sondersendungen war auch bei RTL und ntv mit entsprechender Zusatzarbeit in den Heimatredaktionen verbunden. Und auch mit seelischen Belastungen, wenn Teams jeden Tag Kriegsbilder sichten müssen, um sie zu verifizieren beziehungsweise sie in der Berichterstattung zu verarbeiten. Deswegen soll die Sendergruppe ihre Angebote ausgeweitet haben, um Betroffenen bei der Stressbewältigung zu helfen.||

Angebote auf Ukrainisch
Neben der aktuellen Berichterstattung aus der Ukraine und aus Russland haben die Sender spezielle Angebote für Geflüchtete in Deutschland gestartet. So gibt es auf RTL.news, ntv.de und auf YouTube von montags bis freitags das „Ukraine Update“, präsentiert von Karolina Ashion, einer renommierten Journalistin aus Kiew. Der WDR hat umfassende Informationen für ukrainische Geflüchtete auf seine Seiten gestellt und bietet zum Beispiel Die Sendung mit der Maus auf Ukrainisch an. Auch „Learn German“, das digitale Lernangebot der DW, steht Nutzenden in ­Ukrainisch zur Verfügung.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 1/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2022.