MEDIENSZENE |

Mehr Respekt für die Presse

Rechtsaufsicht rüffelt örtliche IHK für Umgang mit Siegener Zeitung
28. September 2023, Carmen Molitor
Markus Vogt, Chefredakteur der Siegener Zeitung.
Kritisch berichten ist das Wesen des Journalismus, betont Markus Vogt, Chefredakteur der Siegener Zeitung. | Foto: Siegener Zeitng /Jan Krumnow

Eigentlich sollte eine Körperschaft öffentlichen Rechts so etwas nicht extra betonen müssen: „Zu keinem Zeitpunkt“ habe man beabsichtigt, die Freiheit der Presse einzuschränken, erklärt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen in einem Dossier auf ihrer Webseite. Sie respektiere „ausdrücklich den Auftrag der Presse und damit auch der Siegener Zeitung (SZ), über ihr Handeln und das Handeln ihrer Mitarbeiter zu berichten und es in Kommentaren kritisch zu bewerten“. Die Klarstellung war nötig, weil die Siegener IHK-Spitze genau diesen Respekt ein paar Wochen zuvor vermissen ließ. SZ-Chefredakteur Markus Vogt wurde daraufhin in einem Kommentar sehr deutlich: „Die Pressefreiheit“, so schrieb er, „muss auch in Siegen verteidigt werden.“

Familienstreit eskalierte

Ursprung des Konflikts waren ein Bericht und ein Kommentar über das offensichtliche Fehlverhalten eines Referatsleiters der IHK Siegen. Während eines gewalttätigen Streits mit seiner Lebenspartnerin und deren volljähriger Tochter hatte der Mann zum Telefon gegriffen, einen Geschäftspartner der IHK im Ausbildungsbetrieb der Tochter angerufen und diesen gedrängt, die Auszubildende zu entlassen. Die Tochter filmte das Gespräch mit ihrem Smartphone und setzte die IHK-Geschäftsführung in Siegen und andere IHK-Adressaten in NRW und Berlin über den Vorfall in Kenntnis.

Aber sie erhielt wochenlang keine Antwort aus Siegen. Der leitende Mitarbeiter blieb zunächst arbeitsrechtlich unbehelligt. Die Kammer erklärte das mit der Unschuldsvermutung. Zudem habe sie als Arbeitgeber die Fürsorgepflicht, sich vor ihren Mitarbeiter zu stellen, bis die Vorwürfe gegen ihn rechtssicher bewiesen seien. Gleichzeitig mutmaßte die IHK, dass es der Auszubildenden mit ihrer Beschwerde an einen größeren Verteiler nicht um ihren Ausbildungsplatz gegangen sei, sondern darum, den Mitarbeiter zu diskreditieren.

Die SZ stieg in die Berichterstattung ein, als der Referatsleiter vor dem Amtsgericht Siegen gegen die Tochter seiner Partnerin auf Unterlassung klagte. Damit wurde der Fall öffentlich: Bei der Verhandlung Anfang Juli wurde sein Unterlassungsbegehren abgewiesen – auch aufgrund des im Verfahren gezeigten Videos. Das Gericht befand, die junge Frau habe das Recht gehabt, die IHK über den Anruf des Referatsleiters zu informieren.

Die SZ war nicht bei der öffentlichen Verhandlung dabei, ein Redakteur recherchierte den Sachverhalt nachträglich und berichtete am 12. Juli ausführlich über den Fall. Er ergänzte seinen Artikel um einen Kommentar, in dem er kritisierte, dass die IHK der jungen Frau bis dato nicht geantwortet und auch keine Konsequenzen aus den Anschuldigungen gegen den Mitarbeiter gezogen hatte. Die Geschäftsführung handle feige und unaufrichtig, ein moralischer Kompass sei nicht zu erkennen.

Als verletzend empfunden

Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen. | Foto: IHK Siegen
Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der
IHK Siegen. | Foto: IHK Siegen

Das habe man „als verletzend“ empfunden, schreibt ein Sprecher der IHK Siegen dem JOURNAL. Empört wandten sich Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener und Präsident Walter Viegener direkt an die für das wirtschaftliche Geschäft der Siegener Zeitung verantwortliche Verlegerin, Cornelie Rothmaler-Schön. Der Brief war geharnischt: Man frage sich, was die SZ zur Berichterstattung veranlasst habe, denn der Fall gehöre ihrer Ansicht nach nicht in die Öffentlichkeit. Es handle sich um eine Vorverurteilung des Mitarbeiters, da sein Verhalten nicht abschließend rechtlich geklärt sei. Die IHK stellte klar: Eine Fortsetzung ihrer jahrelangen Zusammenarbeit mit dem Verlag sei nur möglich, wenn die SZ ihre Berichterstattung ändere und zum „Qualitätsjournalismus“ zurückkehre. Sie sagte die Teilnahme an der Jubiläumsfeier der SZ ab und kündigte Anzeigenaufträge dafür.

So werde die Pressefreiheit im Lokalen bedroht, befand Chefredakteur Markus Vogt: „Die Botschaft ist klar: Wenn ihr nicht so berichtet, wie wir das wollen, strafen wir euch ab“, kommentierte er den IHK-Brief in der SZ. Dabei sei es gerade die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, den Finger in die Wunden zu legen. Man werde deshalb nicht vor „lokalen Eliten“ kuschen. „Wenn die Redaktion abhängig von Befehlsgebern, von Anzeigenkunden, von einseitigen Interessen wäre, dann wäre die Zeitung gedruckt und digital schon bald kein relevantes Medium mehr“, argumentierte Vogt. Die Verlegerin gab der Redaktion Rückhalt. Und für die klare Haltung gab es auch Rückenwind der Leserinnen und Leser: Mehr als 100 Zuschriften habe die Redaktion zu der Causa erhalten – mit dem Tenor, dass das Verhalten der IHK ein Skandal sei.

Neu ist der unverblümte Druck

Es sei zwar nichts Neues, dass jemand versuche, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen, erzählte der Chefredakteur im Gespräch mit dem JOURNAL im Juli. Neu sei hier der unverblümte wirtschaftliche Druck, um eine Forderung durchzusetzen und die Form der Verschriftlichung dieser Drohung: Zudem ging der Brief an die Verlegerin zur Kenntnis auch an alle Mitglieder der IHK-Vollversammlung.

Vogt sieht solche Angriffe mit Sorge: „Ich spüre im Alltag, dass solche Vorfälle Einfluss auf die Kolleginnen und Kollegen haben – vor allem auf die jungen.“ Sie hätten schneller eine Schere im Kopf und fragten sich, in welcher Form sie Kritik äußern könnten. „Das ist falsch!“, betonte der Chefredakteur. „Es ist ja das Wesen des Journalismus, über Dinge kritisch zu berichten.“ Dass diesmal ausgerechnet eine Körperschaft öffentlichen Rechts einer kritischen Berichterstattung entgegenstand, empörte Vogt besonders. Er vermisse ein Statement des Wirtschaftsministeriums, „dass man das nicht duldet“.

Das gewünschte Statement kam am 4. August: Im Rahmen der Rechtsaufsicht über die Kammern prüfte das NRW-Wirtschaftsministerium, ob es im Umgang mit der Berichterstattung der Siegener Zeitung zu einem „rechtlich relevanten Fehlverhalten“ der IHK Siegen gekommen ist. Man erteilte der örtlichen Kammer für ihren Brief an die Verlegerin einen Rüffel: Als Körperschaft öffentlichen Rechts sei klar, dass sie „die Rolle der Presse zu respektieren und sich jeglicher Bewertung journalistischer Arbeit sowie aller Aktivitäten zu enthalten hat, die als Versuch einer Einflussnahme auf die Berichterstattung ausgelegt werden könnten“, erklärt ein Ministeriumssprecher.

Die IHK reagierte prompt und entschuldigte sich bei der SZ für die „offenbar missverständlichen Aussagen“ im Brief an die Verlegerin. Man sei weiter darum bemüht, „die berechtigten Auskunftsersuchen der Siegener Zeitung angemessen zu bedienen“. Im Lokalen muss man auch nach solchen Konflikten Wege zur Zusammenarbeit suchen. Chefredakteur Vogt hat die Entschuldigung angenommen.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2023.