Seit Beginn des Ukrainekrieges 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland, aber vor allem seit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar 2022 auf ukrainisches Staatsgebiet stehen Redaktionen vor einer besonderen Herausforderung: Im Rahmen der Kriegsberichterstattung wird das Wissen um Waffen und Waffensysteme wie Panzer oder Flugabwehrwaffen immer wichtiger. Das gilt insbesondere, seit westliche Länder entsprechende Güter an die Ukraine liefern oder über die Lieferung diskutieren – wie etwa beim Thema Kampfpanzer.
Wie militärische Expertise sicherzustellen ist, diskutierte ein Panel beim Journalistentag des DJV-NRW in Dortmund. Vor Ort war Sascha Stoltenow, Mitinhaber der Agentur SCRIPT Communications. Der ehemalige Bundeswehroffizier schreibt unter bendler-blog.de über Aspekte sicherheitspolitischer Kommunikation. Thomas Wiegold, freier Journalist und Co-Host des Podcasts „Sicherheitshalber“, war als zweiter Panelgast virtuell zugeschaltet.
Anfragen aus Redaktionen
Thomas Wiegold berichtete, dass er immer öfter Anfragen aus Redaktionen erhält, denen es an Fachwissen in der Krisen- und Kriegsberichterstattung mangelt. Das sei früher noch anders gewesen. Was in der Berichterstattung schief geht, erläuterte Wiegold am Beispiel der Waffenlieferungen an die Ukraine: Oft werde die Genehmigung der Bundesregierung zur Herstellung von Waffen mit der Genehmigung der Ausfuhr gleichgesetzt. Für Letztere müsse die Bundesregierung allerdings eine weitere Genehmigung erteilen. Wiegold: „Das Wissen über diese Vorgänge hilft, die einzelnen Aspekte eines so komplexen Themas richtig einzuordnen, damit auch die Debatte sachlich richtig läuft.“
Dem pflichtete Sascha Stoltenow bei, der viel Propaganda in der öffentlichen Debatte sieht. Mit gut recherchierten Artikeln könne man verhindern, selbst Propaganda zu verbreiten. Warum Präzision und Fachwissen in der Berichterstattung wichtig sind, erklärt er an einem Beispiel außerhalb des Kriegsgeschehens in der Ukraine: dem Polizeieinsatz in Dortmund, bei dem im August ein 16-Jähriger erschossen wurde. Das Detail, dass der Schuss aus einer Maschinenpistole und nicht aus einer einfachen Pistole abgegeben wurde, sei wichtig für die Berichterstattung und Einordnung, erklärte Stoltenow. Ein mit einer automatischen Waffe ausgestatteter Polizist habe ein ganz anderes Erscheinungsbild. Ein Zuhörer wies darauf hin, dass zudem die Gewalteinwirkung durch eine automatisch feuernde Waffe wesentlich größer sei.
Stoltenow verweis auf eine Regel in seiner Agentur: „Wir schreiben nichts, was wir nicht verstehen. Wenn es Unklarheiten gibt, dann muss man nachfragen. Dass das in den Redaktionen wieder möglich wird, dafür müssen die Verleger sorgen.“
Expertise muss honoriert werden
Thomas Wiegold sieht das genauso. Oft hänge es von einzelnen Kolleginnen und Kollegen ab, die sich zufällig aus Interesse mit einem Thema intensiver beschäftigen und ihre Expertise dann in den Beruf einbringen. Er kritisierte eine weitere Sache: Wenn er von Kolleginnen und Kollegen um Fachwissen gebeten werde, „dann erwarten die meisten diese Informationen umsonst. Als freier Journalist musste ich mir diese Expertise aber auch erst aneignen und das braucht Zeit – Arbeitszeit, die honoriert werden muss.“
Kritisch bewertet Wiegold auch, dass er bei der Kriegsberichterstattung immer häufiger Sympathien für eine der beiden Seiten mitschwingen sieht. Dass etwa Ereignisse wie der Raketeneinschlag in Polen ohne weitere Erkenntnisse einer bestimmten Kriegspartei zugeschrieben werde, ist aus seiner Sicht ein Spiel mit dem Feuer. Wiegold: „Wir müssen uns in solchen Situationen ohne gesicherte Erkenntnisse alle Möglichkeiten offenlassen. Ich habe bei tagesschau24 sofort die Vermutung geäußert, dass es sich auch um eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehrrakete handeln könnte.“||