HOW-TO - Umgang mit Populismus

Mit Populismus umgehen

Acht Tipps für den anstehenden Turbo-Wahlkampf
22. Dezember 2024, Marie Illner
Über die Köpfe der Zuhörenden hinweg sieht man ein Diskussionspanel aus drei Frauen nd einem Mann
Was sind geeignete journalistische Strategien, um mit populistischen Parolen umzugehen? Darüber sprachen auf dem Journalistentag 2024 in Dortmund (v.l.) ARD-Sprecherin Stefanie Germann, Shakuntala Banerjee, Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Politik und Zeit­geschehen und Politikwissenschaftlerin Hannah Hecker. Kay Bandermann moderierte. | Foto: Fabian Strauch

Ob Talkshow oder Interview: Es wird stets darauf hingewiesen, dass die AfD eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei ist und dass manche ihrer Landesverbände vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Reicht das aus? Kann man die AfD sonst behandeln wie jede andere Partei? Immerhin sitzt die Partei in 14 Landtagen und im Bundestag, triumphierte bei den Wahlen in Ostdeutschland als stärkste Kraft in Thüringen mit 32,8 Prozent der Stimmen.

Beim Journalistentag in Dortmund diskutierten Shakuntala Banerjee, Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen, Politikwissenschaftlerin Hannah Hecker und ARD-Sprecherin Stefanie Germann über die journalistischen Strategien, die es im Gespräch mit der AfD und in der Berichterstattung über die AfD braucht. Dabei stellten sie gleich zu Beginn klar: Vorbei kommen die Medien an der AfD nicht.

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss im Rahmen der abgestuften Chancengleichheit AfD-Vertreterinnen und -Vertreter einladen. Nur über die AfD zu berichten reicht nicht, sie muss ihre Standpunkte selbst darlegen dürfen – zumindest so lange, bis sie nicht als Ganzes verboten ist.

Im Laufe der Diskussion wurde aber auch deutlich, dass längst nicht nur die AfD mit Mitteln des Populismus arbeitet. Vor allem Banerjee betonte mehrfach, dass immer mehr Politikerinnen und Politiker sich dieser Rhetorik bedienen. Beim Umgang damit können folgende Tipps helfen:

1. Kein Agenda-Setting durch Populisten

Es fängt schon bei der Themensetzung an: Redaktionen haben die Wahl, ob sie auf Themen von Populistinnen und Populisten aufspringen und sich die Agenda von ihnen vorschreiben lassen. Nur, weil die AfD vermutlich gerne jede Talkshow zum Thema Migration abhalten würde, müssen Redaktionen diesen Schritt nicht mitgehen. Das gilt auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht oder Politikerinnen und Politiker anderer Parteien, die im Wahlkampf oft die Schwerpunktthemen der AfD übernehmen.

Redaktionen sollten kritisch hinterfragen, welche Relevanz ein Thema tatsächlich hat. Dazu gehört auch, der AfD Fragen außerhalb ihrer vermeintlichen „Kernkompetenz“ zu stellen: Wie will die Partei Armut bekämpfen, Steuern gerechter machen oder die Infrastruktur modernisieren? „Redaktionen müssen sich immer wieder den Raum und die Zeit nehmen, um ihre Entscheidungen hinsichtlich Themen und Personal zu reflektieren“, forderte Hannah Hecker.

2. Hängen die Themen wirklich zusammen?

Vorsicht ist nicht nur beim Agenda-Setting geboten, sondern auch bei Themen, die die AfD immer wieder miteinander verknüpft. Wenn sie etwa „die effektive Schaffung von Wohnraum durch Remigration“ fordert oder nach dem Anschlag in Solingen behauptet „Abschiebungen schützen Menschenleben“, dann verknüpft sie monokausal soziale Probleme und Migration sowie Kriminalität und Migration. Hier gilt es, diese Verknüpfungen aufzulösen, journalistisch zu hinterfragen und andere Erklärungsmuster anzubieten. Die Stichworte: Kontextualisierung und Einordnung.

3. Gut vorbereitet sein

Immer wieder stellen Populistinnen und Populisten falsche Behauptungen auf oder verkürzen Sachverhalte in unzulässiger Weise. Nur zwei Beispiele von vielen: Sachsen-Anhalts AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner behauptete mehrfach auf Demonstrationen, nahezu alle EU-Hilfen seien in der Ukraine gestohlen oder veruntreut worden. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel behauptete ohne wissenschaftliche Belege, zwei Drittel aller Geflüchteten hätten keine Schulausbildung.

Faktenchecks gehören zur journalistischen Sorgfaltspflicht – so zeigte ein Faktencheck im Nachgang des ARD-Sommerinterviews beispielsweise, dass AfD-Chef Tino Chrupalla mit falschen Zahlen argumentiert hatte und Forderungen aufstellte, die sich rechtlich nicht umsetzen ließen. Altbekannt ist aber auch, dass sich falsche Aussagen, sobald sie einmal in der Welt sind, schwer wieder einfangen lassen. Ein besonderes Augenmerk liegt daher auf der journalistischen Vorbereitung für Interviews, um in solchen Situationen ad hoc kontern zu können.

4. Es konkret machen

Was bedeutet es, wenn die AfD an die Macht kommt? Was würde die Umsetzung ihres Wahlprogramms konkret bedeuten – für Alleinerziehende, für den Mindestlohn, für Menschen in der Landwirtschaft? Journalistinnen und Journalisten müssten die populistischen Forderungen und Lösungsvorschläge „durchdeklinieren – in allen ihren Facetten“, riet Stefanie Germann in Dortmund. Konkret machen kann man es etwa bei Vorstellungen der AfD zum Begriff „deutsch“. Was zählt für die Partei dazu, was nicht? Auf was müssten wir im Alltagsleben verzichten, würden wir alles streichen, was in den Augen der AfD nicht „deutsch“ ist?

5. Begriffe hinterfragen

Gerade die Sprache der AfD ist geprägt von einer extremen Polarisierung, einer „Wir-gegen-Die“-Erzählung sowie einem Blick auf etablierte journalistische Medien als „System- und Lügenpresse“. Journalistinnen und Journalisten sollten bestimmte Begriffe nicht ungefragt übernehmen. Mit Wörtern wie „Remigration“, „Frühsexualisierung“ und „völkisch“ und Narrativen wie „Flüchtlingswelle“ oder „Kopftuchmädchen“ und „Messermänner“ will die AfD den Diskurs immer weiter nach rechts verschieben. Mit Begriffen wie „Volksverräter“ aktualisiert die Partei alte Nazi-Begriffe, mit Begriffen wie „Asylanten“ pauschalisiert sie und mit Wörtern wie „Sprachverbot“ inszeniert sie einen vermeintlichen Tabubruch.

Auch die Emotionalisierung der Sprache spielt eine Rolle: „Wir dürfen uns in den Sog der dramatischen Inszenierung nicht hineinziehen lassen“, mahnte Shakuntala Banerjee in der Diskussionsrunde.

Sensibilität ist zudem bei Wörtern geboten, die auf den ersten Blick harmlos wirken. Dazu gehören (zum Beispiel antisemitische) Chiffren, die die AfD im Diskurs verwendet. Auch hier spiele die gute Vorbereitung der Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Rolle, um solche Chiffren in Interviews erkennen und entlarven zu können, erläuterte Hannah Hecker.

6. In dieselben Arenen gehen

Und die Wissenschaftlerin erinnerte: „Um ihre Inhalte zu vermitteln, muss die AfD nicht in Talkshows gehen, dafür hat sie längst eigene Kanäle.“ Vielmehr diene die Öffentlichkeit der AfD zur Legitimierung und zur Inszenierung ihres „Wir gegen Die“. Die AfD-Standpunkte erreichen gerade junge Menschen wohl auch weniger bei „Miosga“ oder „Maischberger“ als vielmehr in den sozialen Medien. „Wir müssen in dieselben Arenen reingehen“, forderte Banerjee. Heißt konkret: Auch präsent sein auf Plattformen wie TikTok. Dabei müsse man sich fragen: Was sind die Problemfelder, mit denen Populistinnen und Populisten arbeiten – und sich sachlich mit diesen Themen auseinandersetzen.

7. Nicht nur auf die AfD schauen

Die AfD unterscheidet sich von anderen Parteien, das bringt nicht zuletzt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zum Ausdruck. „Das ist oft, als würde man sich zum Fußballspielen verabreden und der Gegner kommt mit einer Rugbymannschaft.“ So beschrieb es Banerjee. Mit ihren populistischen Strategien sei die AfD aber nicht allein. In den Sommerinterviews hätten nahezu alle Parteienvertreterinnen und -vertreter „mal in diese Kiste gegriffen“. Der Blick solle sich deshalb nicht immer nur auf Themen richten, die Populistinnen und Populisten in den Diskurs bringen, sondern vielmehr auf die Themen, die im Alltag der Bürgerinnen und Bürger relevant sind. Diesen müsse man dann konstruktiv entgegentreten und nach neuen Antworten und Lösungen suchen.

8. Keine falschen Hoffnungen haben

„Wir müssen über die Welt berichten, wie sie ist, und nicht, wie wir sie gerne hätten“, resümierte Germann. Der realistische Blick zeige aber auch, dass es ein „romantischer Angang“ sei, in Interviews auf die Selbstentlarvung der AfD zu setzen, wie es bisher oft versucht werde. Gleichzeitig, so ergänzte Hecker, werde der journalistische Umgang mit der AfD den Erfolg der Partei nicht beenden. Dafür sei es bereits zu spät.

Schließlich wurde in den USA Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt – obwohl vielen Menschen bekannt ist, dass er verurteilter Straftäter ist und immer wieder Falschbehauptungen aufstellt. Journalistinnen und Journalisten müssen daher immer wieder aufs Neue versuchen, die Bürgerinnen und Bürger zu verstehen. Was sind ihre Motive, Rechtspopulisten zu wählen? So, wie es beim Umgang mit der AfD auch nicht „die eine“ Strategie gibt, wird es auch auf diese Frage nicht „die eine Antwort“ geben.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2024.