Noch zehn, vielleicht 15 Jahre bis zur Rente. Eigentlich ist man im Journalismus oder der PR ganz zufrieden. Sicher, es hat sich viel getan in der Branche. Aber muss man das alles können, um bis zum Ende des Berufslebens dabei bleiben zu können? Neben der Frage, wie man im Journalismus Fuß fasst, ist diese Phase eine besonders entscheidende.
Aber während es viele Ratgeber zum Berufseinstieg als Journalist oder Journalistin gibt, bekommen die mittleren und späteren Berufsjahre eher wenig Aufmerksamkeit. Da ist man doch etabliert, hat sich für eine Branche und einen Karriereweg entschieden und beschäftigt sich vielleicht gedanklich schon damit, was man „danach“ tun will.
Bloß nicht abhängen lassen
Andererseits können sich ein, anderthalb Jahrzehnte ganz schön hinziehen, wenn man das Gefühl hat, in der Entwicklung nicht mehr mitzukommen. Und nicht wenige Kolleginnen und Kollegen können sich den harten Ausstieg aus dem Beruf sowieso nicht vorstellen. Sie wollen mit mehr Muße weiter spannende journalistische Projekte verfolgen. Wie also dafür sorgen, dass man technisch den Anschluss nicht verliert?
Andrea Meier* beispielsweise arbeitet seit 25 Jahren als Journalistin. Als sie in einer Redaktion ihre ersten Meldungen bearbeitete, saß sie noch vor einer großen grauen Kiste mit kleinem Monitor und tippte in grüner Schrift. Heute benutzt sie für die Recherche und Berichterstattung natürlich auch das Smartphone. „Aber das fiel mir anfangs sicher nicht so leicht wie einer 30-Jährigen. Vielleicht auch, weil ich nicht so sorglos wegen der Sicherheit der Daten bin wie mancher im digitalen Zeitalter geborene sogenannte Digital Native“, sagt sie.
Andrea wird in diesem Jahr 50. Eine Zahl, die vielen Angst macht, wenn sie sie noch vor sich haben. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Schließlich sind zum Beispiel Zuschauermarktanteile im Fernsehen nur in der Altersgruppe von 14 bis 49 Jahren relevant, und als 50-Jähriger gilt man gemeinhin als Silversurfer, also als einer der älteren Internetnutzer.
Das muss jedoch nicht heißen, dass man im Job mit seinen vielen neuen technischen Anforderungen nicht mehr mithalten kann. Im Gegenteil: „Wer als Journalist arbeitet, braucht eine ordentliche Portion Neugier“, sagt Andrea. „Ich habe mir meine erhalten und bin stets neugierig darauf, wie ich neue Apps und digitale Recherchemöglichkeiten in meinem beruflichen Alltag nutzen kann.“
Ähnlich sieht es Maria Al-Mana: Die Kommunikationsfachfrau ist seit Anfang der 90er Jahre im Job und hat Erfahrungen als Autorencoach, Journalistin und Verlegerin, als Online-Redakteurin, Texterin und Lektorin. Als „Texthandwerkerin“ hat sie sich vor einem Jahr selbstständig gemacht.
Wer bildet sich weiter?
Der DJV-NRW hat im zweiten Halbjahr 2016 insgesamt elf eigene Seminare angeboten. 79 der insgsamt 115 Teilnehmenden haben Angaben zu ihrem Alter gemacht.
Die Verteilung ergibt:
- Bis 30 Jahre: 7 Personen = 8,7 Prozent
30 bis 40 Jahre: 14 Personen = 17,8 Prozent
40 bis 50 Jahre: 28 Personen = 35,4 Prozent
Über 50 Jahre: 30 Personen = 38 Prozent
Die Community nutzen
Mit 56 Jahren ist sie ein großer Freund der Onlinedenke: „Das ist wie eine große Community, man hilft sich dort in Foren gegenseitig“, sagt sie. Darum hat sie sich vieles, was sie heute kann und was sie zumindest von einigen Kollegen ihres Alter unterscheidet, selbst beigebracht: Twitter, Facebook, Bloggen – für sie Alltag.
Allerdings ist Maria Al-Mana auch schon früh in die Digitalisierung der Branche eingestiegen: „Desktop-Publishing habe ich von Anfang an mitgemacht“, erzählt sie. Die Webseite eines großen Verbandes betreute sie schon Ende des letzten Jahrtausends. Und so wuchs ihre Digitalkompetenz ständig weiter.
Genau diese digitalen Themen wollte sich die Printjournalistin Andrea Meier schon lange einmal ausführlicher ansehen: Sie griff sofort zu, als ihr ein mehrmoduliges Seminar mit staatlicher finanzieller Förderung zum digitalen und crossmedialen Journalismus auffiel. In Präsenzkursen und Onlineeinheiten lernte sie einiges, unter anderem über Suchmaschinenoptimierung, Wissensmanagement und Rechtsgrundlagen. Die Weiterbildung brachte für sie nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte, aber immerhin hat sie seither eine eigene Business Page bei Facebook.
Diese Weiterbildung war für Andrea Meier weder die erste noch die letzte. Im Gegenteil: Die Rheinländerin bildet sich ganz bewusst mindestens alle zwei Jahre fort. „Das ist alleine wichtig, um zu netzwerken“, sagt sie. Auf diese Art hat sie viele nette Kolleginnen und Kollegen kennengelernt – und auch schon einige Aufträge generiert.
Die Vorliebe für das Netzwerken bei Fortbildungen teilt Maria Al-Mana, denn ihr fehlen als Freiberuflerin die Kontakte zu Kollegen. Darum bildet auch sie sich regelmäßig fort. Bevorzugt auf Barcamps, „weil man dort Wissen in kleinen Häppchen serviert bekommt“, aber auch auf Kongressen.
Auch Birgit Weber*, seit einem guten Vierteljahrhundert in der Medienbranche, bevorzugt „analoge Seminare“, wie sie sie nennt: „Dort stelle ich immer wieder fest, dass auch andere nicht alles können, und das gibt mir ein gutes Gefühl. Außerdem machen mir Präsenzseminare mehr Spaß als Webinare.“ Eine Erfahrung, die Maria Al-Mana teilt: „Bei mir bleibt bei Webinaren oft nur wenig hängen. Ich brauche Blickkontakt. Vielleicht kommt da doch das Alter durch.“
Birgit Weber hat sich in einem ähnlichen Alter wie Maria Al-Mana selbstständig gemacht. „Dabei habe ich mit Entsetzen festgestellt, wie sehr sich die Medienwelt verändert hat. Und ich habe angefangen, das Versäumte nachzuholen: Grafikwissen, Fotobearbeitung, soziale Medien, Möglichkeiten, im Netz zu publizieren.“ Heute ist Birgit Weber 62 und besucht sehr viele Weiterbildungen im Jahr. Eine genaue Zahl kann sie gar nicht nennen.
Ihr Problem: „Ich bräuchte eigentlich immer ein bisschen mehr Zeit, um die Dinge zu verstehen, um ins Detail zu gehen, um zu üben“, sagt sie. Im Alltag fehlt ihr dann die Zeit, das Gelernte anzuwenden. Und darum besucht sie Seminare manchmal auch ein zweites Mal, um die Inhalte besser zu verstehen. „Weil sich die Onlinewelt gefühlt aber immer schneller dreht, kommen auch ständig neue Themen hinzu“, sagt sie.
An diesem Punkt hat die 62-Jährige den jungen Kolleginnen und Kollegen gegenüber vielleicht sogar einen Vorteil: Sie ist damit vertraut, dass sich Technik im stetigen Umbruch befindet, dass das Entwicklungstempo sich ständig beschleunigt. Wer dagegen in der digitalen Welt aufgewachsen ist, könnte sich im Gefühl wiegen, schon alles zu wissen. Und dadurch den richtigen Zeitpunkt verpassen, sich mit wichtigen Neuigkeiten auseinanderzusetzen.
Den richtigen Zeitpunkt finden
Diese Gefahr sieht auch Oliver Sticht für jüngere Kollegen: Er ist Leiter der Marketingabteilung bei ISEKI-Maschinen in Meerbusch und versteht sich aufgrund seines Alters als sogenannten Digital Immigrant, also als jemanden, der vor dem Computerzeitalter geboren wurde,und sich in der digitalen Welt einfinden musste. „Die Entwicklung ist rasend geworden“, sagt er. „Wer nicht den richtigen Zeitpunkt findet, sich weiterzuentwickeln, wird abgehängt werden, auch wenn jetzt noch alles Neue aufregend ist und sich junge Leute vieles nebenbei beibringen.“
Allerdings müsse man auch für sich selbst erkennen, wo Schluss ist, erklärt Sticht: Kommunikationswege seien „längst nicht mehr mit gut einsehbaren Straßen oder Wegkreuzungen zu vergleichen“. Die Digitalisierung sorge dafür, dass sich diese Wege zum Beispiel über die verschiedenen sozialen Netzwerke immer weiter verästelten, so dass man eben nicht mehr jedem einzelnen folgen könne. „Und wer nicht aufpasst, wer nicht irgendwann abspringt, wird sich verschleißen oder verrennen“, warnt Oliver Sticht.
Lust- und Muss-Themen
Maria Al-Mana hat einen Tipp, um den richtigen Punkt für diesen Absprung zu finden: Sie entscheidet nach Lust- und nach Muss-Themen. „Was ich für den Job brauche, das muss ich mir anhören“, sagt sie. Dazu gehört beispielsweise Suchmaschinenoptimierung. Nicht gerade ihr Lieblingsthema, aber notwendig, um Geld zu verdienen. eBook-Publishing dagegen begeistert sie, und darum war klar, dass das für 2017 auf dem Programm stehen sollte.
Birgit Weber geht damit ganz ähnlich um: „Man muss nicht alles machen. Man kann auch nicht alles können. Aber zumindest sollte man wissen, was möglich ist.“ Das gilt auch jenseits des Journalismus: „Man läuft sonst Gefahr, sich manipulieren zu lassen“, sagt sie. „Und wenn schon wir als Journalisten diese Gefahren nicht erkennen, wie geht es dann erst Lieschen Schmitz?“
Oliver Sticht hat für sich den richtigen Weg gefunden. Auf diesem bewegt er sich, und er hat gute Gründe, sich mit 49 Jahren noch nicht auf den Wissenslorbeeren auszuruhen: In der Leitungsebene bei seinem Arbeitgeber hat es nämlich einen Generationenwechsel geben, und der neue Chef setzt auf junge Technologien und eine sogenannte holakratisch ausgerichtete, agile Unternehmensstruktur, bei der beispielsweise Transparenz und Partizipation eine wichtige Rolle spielen.
Mit dem neuen Chef gibt es jetzt zum Beispiel eine Facebook-Business-Seite im Business-to-Business-Bereich, um Einkaufsleitern das Thema Elektrofahrzeuge nahezubringen, es gibt eine Twitterkampagne oder vielleicht auch einmal die Zusammenarbeit mit sogenannten Influencern. Weil jetzt vieles ausprobiert wird, das bisher keine Rolle spielte, ist für ihn Lernen angesagt.
Davon abgesehen ist Sticht im besten Weiterbildungsalter, wie ein Blick auf die nicht-repräsentative Erhebung des DJV-NRW zeigt: Im zweiten Halbjahr 2016 mit elf Seminaren gaben 78 der insgeamt 115 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Alter an. 58 von ihnen waren jenseits der 40, das entspricht 73,4 Prozent.
Bei Oliver Stichts Arbeitgeber gibt es übrigens auch eine Vorgabe: Zwei Weiterbildungen im Jahr soll jeder Mitarbeiter machen. Für Sticht ist das kein Problem, weil er sich auch ohne diese Regelung schon immer regelmäßig weiterbildet: „Wir machen und bearbeiten unsere Fotos größtenteils in Eigenregie und schreiben unsere Pressemitteilungen selbst“, sagt er. „Wir haben einen großen Handlungsrahmen, und da muss man an den Entwicklungen dranbleiben.“
Eine Investition in sich selbst
Fortbildungen versteht Sticht darum in seinen gesteckten Grenzen als Investition in sich selbst. Erst wenn er sich mit einem neuen Thema ausführlich beschäftigt hat, kann er auch erkennen, ob es lohnt, sich damit weiter auseinanderzusetzen. Ein „Early Adopter“, also jemand, der alles sofort ausprobieren muss, ist Sticht jedoch nicht: „Manche Themen müssen in mir und für mich reifen“, sagt er. So habe er lange kein Interesse für Pinterest entwickeln können. Nachdem er dort aber Infografiken gefunden hat, auf denen das Zusammenspiel von Blende und Belichtungszeit erklärt wird, hat er sich diese als Merkhilfe an die eigene virtuelle Pinnwand geheftet. „Plötzlich ist ein Tool sinnvoll“, findet er.
Vielleicht wird es ihm auch mit Snapchat eines Tages so gehen. Auch wenn er sich derzeit noch nicht vorstellen kann, das video- und bildlastige Netzwerk für überwiegend junge Leute beruflich einzusetzen.
Die Vorbehalte gegenüber Snapchat teilt Maria Al-Mana: Sie findet das Netzwerk nicht sympathisch, weil Inhalte sich einfach auflösen – wenn man sie vorher nicht abgespeichert hat. Darum will sie sich derzeit nicht damit auseinandersetzen. „Da kommt sicherlich auch die Historikerin in mir durch“, sagt sie. Sie setzt lieber auf Formate, die „eine längere Halbwertzeit haben“. Video- und Bildplattformen sind jedoch grundsätzlich nicht auf der Prioritätenliste der Texthandwerkerin: „Ich verdiene mein Geld mit Schreiben“, sagt sie. „Darum bündle ich meine Kräfte lieber auf Twitter, in Facebook-Texten und im Blog. Ich kann nicht überall präsent sein.“
Passende Weiterbildungen finden
Webinare, Präsenzworkshops, Barcamps – und so viele Themen! Die Wahl des passenden Seminars ist bei dieser Fülle nicht immer einfach. Al-Mana rät dazu, zunächst herauszufinden, auf welchem Weg man selbst am besten lernt. Das schränkt die Möglichkeiten schon einmal ein. Andrea Meier selektiert nach eigenen Kriterien: „Ich hatte leider schon viele Seminare mit schlechten Dozenten“, sagt sie. Didaktik sei nicht jedermanns Sache, weiß sie aus Erfahrung. Und gerade die jüngeren Dozenten hätten manchmal Probleme damit, Seminarteilnehmer wieder einzufangen, die sich allzu sehr aufplustern. Ihr Tipp: „Ich schaue mir den Dozenten an, bevor ich ein Seminar buche.“ Eine kurze Internetrecherche zeige oft schnell, was der oder die Betreffende kann und ob er im angebotenen Thema wirklich kompetent ist.
Auch Birgit Weber weiß, wonach sie guckt: „Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass teurere Seminare nicht automatisch besser sind. Dort gehen zwar viele jüngere Kollegen oft lieber hin, weil das renommiertere Adressen sind und weil sich deren Zertifikate im Lebenslauf besser machen. Aber ich brauche nur das Wissen, nicht die Zertifikate. Ich gehe darum nur noch zu günstigen Anbietern.“
Seine Stärken kennen und weiterentwickeln, eigene Entscheidungsmuster finden, technischen Entwicklungen mit Neugier, aber auch Gelassenheit begegnen: Lebenserfahrung kann also zum Pfund werden, mit dem Kolleginnen und Kollegen über 50 wuchern können. Dass man diese Gelassenheit des etwas höheren Alters auch nach außen tragen kann, zeigt die Seite Blogs50plus.de, auf der Maria Al-Mana als Mitbetreiberin eine aktive Rolle spielt.
Die Idee: eine Anlaufstation für Bloggerinnen und Blogger zu schaffen, die „gemeinsam die ganze Bandbreite aller Aspekte des Älterwerdens in der Öffentlichkeit sichtbar machen wollen“. Derzeit versammeln sich hier knapp 190 Blogs, deren Macher über 50, über 60, über 70 sind. Von „Achtsame Lebenskunst“ und „Aktive Rentner“ bis „ZeitWert-Blog“ und „Zypresse unterwegs“.
Aber die Sammlung soll kein Selbstzweck sein. Gedacht ist die Seite für alle Neugierigen, die sich vernetzen wollen, vielleicht auch ganz bewusst mit nicht gleichaltrigen Menschen. Journalisten können sie auf der Suche nach Themen oder Ansprechpartnern nutzen. Und als Anregung, über den Lebensabschnitt jenseits der 50 nachzudenken. Egal, wie alt sie gerade sind.