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Neulich… Alles wegen Julia

26. September 2022, stan.

Miserable Stimmung am Verlagsmanager-Stammtisch! Alle waren immer noch stinksauer auf Julia. Die Funke-Verlegerin hatte in aller Öffentlichkeit eingestanden: Die drastischen Einsparungen bei den Lokalredaktionen waren falsch, ja sogar gefährlich. „Wie kann diese Frau so etwas sagen?“, ereiferte sich der Maßanzug mit der roten Krawatte: „Das untergräbt doch unsere Autorität!“ Der Jüngling im Konfirmandenanzug schnappte nach Luft: „Wie sollen wir noch Leute rauswerfen und Redaktionen schließen? Die werden uns fragen: Habt ihr selbst keine Ahnung? Seid ihr Künstliche Dummheit, die nur Einprogrammiertes ausführt?“

Der Blazer mit dem Strunztuch stöhnte: „Da hilft dann auch keine Drohung mehr, dass sonst der ganze Laden den Bach runter geht.“ Jeder kannte das Totschlag-Argument aus dem Handbuch für Medien-Manager („Feuern für Dummies“). Die ultimative Allzweckwaffe, um Proteste von Kostenstellen und diesen Gewerkschaften abzubügeln. Den Spruch hatten alle drauf, da konnte man sie nachts um 3 wecken.

„Und jetzt?“, fragte der Hosenanzug mit Handtäschchen. „Wenn der Kahlschlag im Lokalen so grottenfalsch war, müssen wir dann nicht wieder Leute einstellen? Und die Lokalredaktionen stärken?“ Man fragte sich auch: Wo sollen die Leute herkommen? Der Nachwuchs hat kaum noch Bock auf die Branche, Talente wandern ab.

Das versammelte Management schlug die Hände vor die Gesichter: Die zwar hochbezahlte, aber mühsame Abbau-Arbeit vieler Jahre – verloren? Und alles wegen Julia? Hoffnung keimte erst auf, als das Kostüm mit Stöckelschuhen einwarf: „Da lobe ich mir den Matthias.“ Der Verleger-Präsident hatte betont, dass man unbedingt auch die nächste Welle der digitalen Möglichkeiten nutzen müsse.

Die Mienen hellten sich auf: Ein Einfallstor zum Weiterso? Funke lässt ja jetzt die Leserinnen und Leser schon, live vom unterklassigen Fußballplatz, Tore und Schützen per Handy in ein Formular füllen – und in der Redaktion macht ein Automat daraus Lokalsportberichte. „Auch das Klickbaiting wird journalistischer“, strahlte der Nadelstreifen mit der blauen Krawatte. „Kürzlich stand bei ntv im Netz: Heidi Klum postet Foto mit kaum etwas am Leib. Da habe ich natürlich sofort hingeklickt.“

Klar. Und was stand im Text? Ganz wenig Heidi plus Link zum Foto – und dann ging es übergangslos so weiter: „Aber mal etwas anderes: In der Demokratischen Republik Kongo sind zuletzt 190.000 Menschen, die Hälfte davon Kinder, wegen der anhaltenden Gewalt dort vertrieben worden.“ Nachrichten unterjubeln, ist das die Zukunft journalistischer Berichterstattung in unserer klickgierigen Zeit?

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.