Oh Blätterwald, oh Blätterwald, wie kahl bist Du geworden. Der Stammtisch sang aus voller Kehle. Vor allem die Kolleginnen und Kollegen aus Aachen, die demnächst endgültig nur noch eine Zeitung haben. Unsere nächste Liedzeile widmeten wir deshalb der Pressevielfalt: Du blühst nicht mehr zur Sommerzeit, auch nicht im Winter, wenn es schneit…
Besinnlichkeit kommt da nicht auf. Uns beschäftigte zum Beispiel, dass Medien-Obere wie Springer-Chef Mathias Döpfner („Propaganda-Assistenten“, „Betet für Trump“) insgeheim anscheinend völlig anders denken als im Job. Oder wie WDR-Intendant Tom Buhrow (Fusion ARD und ZDF) sogar offizielle Auftritte zu Medienthemen ausdrücklich als Privatmann machen. Chefs mit gespaltener Zunge – unglaublich.
Wir diskutierten auch über den Streit der Verlage mit den Onlineseiten von Städten. Weil die über Amtskram hinaus eine Menge lokaler Themen behandeln. „Oft besser und schneller als die kaputtgesparte Lokalzeitung“, stichelte Manni. „Die Medienbosse stänkern aber nur, weil die Konkurrenz steuerfinanziert ist – der Staat darf nicht Presse machen.“ Von Werbung und Launen ihrer Besitzer gesteuerte Medien dagegen schon.
„Auf jeden Fall“, dozierte Christian, „dürfen öffentliche Onlineseiten nicht presseähnlich sein“. Nur: Was sieht der Presse ähnlich? „Mies bezahlte Feste und Freie“, startete Heiner unsere Liste. „Zu wenig Personal“, assistierte Carmen. „Und deshalb inhaltlich geschwächt“, ergänzte Christine. „Automaten-abhängig“, spielte Manfred auf die Mess- und Testtools an, an die die Chefs im digitalen Wandel inzwischen mehr glaubten als an Erfahrung und Bauchgefühl.
„Dazu passt klicksüchtig“, fügte Ellen hinzu. Aber bei ihr war wohl die Zeitenwende bei Funke noch nicht angekommen. Die früher berüchtigten Boulevard-Online-Seiten der Mediengruppe sollen seriöser werden. Sagt die Reichweiten-Chefredakteurin. Wichtig seien nicht mehr Klicks um jeden Preis, sondern Inhalte. „So so, der Funke-Boulevard will presseähnlicher werden“, grinste Nina.
„Ach ja“, meldete sich Barbara, „zur Presse gehört heute auch Tarifflucht“. Wir stöhnten auf. Immer mehr Medienunternehmen ließen ihre Leute schmählich im Stich, stellten tarifliche Mindestbedingungen zur Rendite-Disposition. „Viele wollen nur noch billig und willig. Kein Wunder, dass sich 60 Prozent der Redakteurinnen und Redakteure im Job nicht mehr wohlfühlen“, zitierte Jens eine neue Umfrage, „und viele Talente gar nicht erst mehr rein wollen.“
Auch die Funke Mediengruppe, wo sich die Belegschaft früher als Familie fühlte, will raus aus dem Tarif. „Und alles nur, weil sich die Funkes mit dem BDZV und Döpfner überworfen haben?“, fragte Anja. Wir glaubten das nicht. „Wir werden wohl um den Tarif kämpfen müssen“, ahnte Christian. Der Stammtisch stimmte spontan an: Alle Jahre wieder…||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2022.