„Was erlaube Struuunz?!?“ Fußballfan Harry brüllte plötzlich wie Trappatoni über den Stammtisch.
Wir zuckten zusammen. Natürlich ging es nicht um den Kicker, der gespielt hatte „wie Flasche leer“. Sondern um ein Boulevard-Schlachtross: um Claus Strunz. Der ist inzwischen Chef bei Euronews und hat dort kürzlich eine schier unglaubliche Entdeckung gemacht – man habe, sagte er tatsächlich, eine „Marktlücke im Journalismus“ gefunden: nämlich „Neutralität“.
Irre. Sollte Populist Strunz, der früher gern Rechtsaußen war, um die linke Seite des Gegners auszutricksen, dazugelernt haben? Dagegen spricht, dass seine Redaktion ihm schon kurz nach Amtsantritt einseitige Tweets zu Trump und zur Ampel („schlechteste Regierung“) vorwarf, die er sogar per Anweisung über den offiziellen Euronews-Account verbreiten ließ.
Man vermisse bei ihm Neutralität und Unparteilichkeit, klagten seine Leute. Grundsätze, die seit 30 Jahren für den Nachrichtenkanal gelten. Also, lieber Strunz: keineswegs ein neues Geschäftsmodell, sondern gelebter Journalismus. Wie fast überall. „Wolle Struuunz uns beleidige?“, schimpfte Stefan in die Runde.
„Dieses Bemühen um Objektivität und Richtigkeit gehört bei uns ja dazu“, bestätigte Laura, „ist Teil der DNA“. Sicher, wir wussten, dass es nicht ganz einfach war – bei all den Redaktionskürzungen, technischen Umbrüchen, drastischem Personalabbau und böswilligen Anfeindungen.
Christian schaute etwas unglücklich. „Kriegt ihr sie denn wenigstens zwischendurch nochmal hoch, die Latte?“ fragte er quer über den Stammtisch. Die Gespräche verstummten. Die Mundwinkel der Kolleginnen zuckten, die Kollegen schauten nachdenklich ins Bier.
„Bei mir klappt es nicht mehr täglich“, gab Christian zu. Sein Geständnis: Als junger Journalist habe er, noch völlig naiv, geglaubt, eine Redaktion sei etwas Besonderes. Ein Ort, wo freie Geister miteinander berieten, was die Welt da draußen unbedingt wissen sollte, um Stadt und Leben zu verstehen. „Heute“, stöhnte Christian, „wird mit viel Aufwand erkundet, was die Leserinnen- und Leserschaft wünscht. Und das kommt dann ins Blatt oder auf den Sender. Auch unnützer Quatsch.“ Er nahm einen tiefen Schluck. „Deshalb hängen unsere Latten, also unsere journalistischen Ansprüche, leider nicht immer allzu hoch.“
Da soll man nicht die Lust verlieren. „Aber immer noch decken wir Skandale auf, machen tolle Reportagen und Riesengeschichten“, strahlte Bernd. Wir stießen an: „Hoch die Latten! Voller Lust!“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/25 dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juli 2025.