Selten hat es solch ein Führungsversagen vor laufenden Kameras gegeben: Die Pressekonferenz des FC Bayern München am 19. Oktober zeigte einer breiten Öffentlichkeit, dass Anspruch und Wirklichkeit beim Führungspersonal des deutschen Rekordmeisters weit auseinander liegen. Eigentlich wollten sich Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß, der Vorstandsvorsitzende der FC Bayern AG und der Vereinspräsident, vor ihre Mitarbeiter stellen: „Wir werden uns diese herabwürdigende, hämische Berichterstattung nicht mehr bieten lassen“, erklärte Rummenigge den versammelten Medienvertretern. „Mit dem heutigen Tag werden wir unsere Spieler, Trainer und den Club schützen. Ich möchte in diesem Zusammenhang mal an Artikel 1 des Grundgesetzes erinnern: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wenige Minuten später zeigte Uli Hoeneß allerdings, wie weit es her war mit der ethischen Orientierung und Fürsorgekultur der Bayern-Führung: „Als wir in Sevilla gespielt haben, war Juan Bernat alleine dafür verantwortlich, dass wir fast ausgeschieden waren. Und an dem Tag ist entschieden worden, dass wir ihn abgeben.“ Zuschauer des Live-Streams und die anwesenden Journalistinnen und Journalisten werden sich in diesem Moment gedacht haben: Typisch FC Bayern München. Wie gut, dass bei uns so etwas nicht vorkommt und unsere Führungskultur so etwas nicht zulässt.
Fast alle kennen solche Fälle
Und während die Kolleginnen und Kollegen das in ihre Notizbücher und Laptops schrieben, werden einige sich bei dem ehrlichen Gedanken ertappt haben: Naja, wenn ich es so recht überlege, gibt es auch im Journalismus an der einen oder anderen Stelle noch Optimierungsbedarf in Sachen Führung … Genau genommen können fast alle Medienschaffenden – ob angestellt oder frei – auf Nachfrage Fälle von eklatantem Führungsversagen benennen. Entweder aus eigenem Erleben oder durch Erzählungen aus dem Umfeld, im Großen wie im Kleinen. Angefangen bei Chefs, die sich nach Durchlaufen eines Führungskräfte-Coachings berufen fühlen, im eigenen Hause selbst die Führungskräfte-Trainings zu übernehmen, als Dozenten aber krachend scheitern. Oder Fälle, in denen die Verlagsleitung Kollegen auf Posten hievt, die offensichtlich nicht dafür geeignet sind und im Ergebnis das ganze Team verprellen. Ganz zu schweigen von zahlreichen Erlebnissen bei Redaktionskonferenzen oder der täglichen Arbeit am Newsdesk, wenn der Vorgesetzte nicht nachvollziehbare redaktionelle Entscheidungen durchdrückt, ohne die Redaktion einzubeziehen.
Die Situation stellt sich also in vielen Medienbetrieben und Redaktionen ähnlich dar wie beim ewigen Fußballmeister in München: Das Führungspersonal ist sichtbar, dessen Führungsqualität aber höchst unterschiedlich. Bekannte Journalistinnen und Journalisten werden zur Redaktionsleiterin, zum Studiochef oder zur Korrespondentin gemacht oder sie nehmen andere Leitungsfunktionen wahr. Welche Qualifikationen und Kompetenzen ihnen aber den Weg in die Führungsetage ebnen, ist dabei nicht immer nachvollziehbar.
Gemeinhin sollte man zumindest in großen Verlagen und Sendern davon ausgehen können, dass journalistische Führungskräfte systematisch oder im Zuge laufender Personalentwicklungsmaßnahmen auf ihre neue Funktion an führender Stelle vorbereitet werden. Die Realität sieht oft anders aus. Eine strategische Personalentwicklung, die langfristig auf die Entwicklung von Führungskräften zielt, um Medienhaus und Redaktion in Zeiten des digitalen Wandels mit neuen Produkten, Tätigkeitsfeldern und Arbeitsprozessen wettbewerbs- und arbeitsfähig zu halten, ist bislang die Ausnahme.
„Eine systematische Personalentwicklung, bei der Führungskräfte auf ihre Arbeit vorbereitet werden, habe ich erst erlebt, als ich schon Führungskraft war“, erinnert sich Volkmar Kah, heute Geschäftsführer des DJV-NRW und früher leitender Redakteur bei der Westfälischen Rundschau und beim baden-württembergischen Medienhaus SDZ Druck und Medien. Als Redakteur habe er sich noch selbst um Weiterbildung kümmern müssen, und dann waren es zumeist gewerkschaftliche Angebote. Und auch als journalistische Führungskraft waren Coaching und Supervision Fremdworte. „Erst als ich nach Baden-Württemberg ging, hat sich das geändert. Dort gab es einen Konzerngeschäftsführer, für den Coaching und berufsbegleitende Leadership-Seminare über anderthalb Jahre einfach dazu gehörten.“
Noch nicht die Regel
In den Medienhäusern, aber auch großen Rundfunkanstalten sei die gezielte und systematisch strukturierte Förderung von Journalisten für Führungsaufgaben oft immer noch nicht die Regel: „Das hängt viel zu häufig von der Verlegerpersönlichkeit oder der Professionalisierung der Personalabteilung ab – verankert ist das immer noch zu selten. Und zeitgemäße Instrumente wie zum Beispiel Assessment-Center zur Identifikation von Mitarbeitern mit passenden Kompetenzen und Softskills für Führungsaufgaben werden für journalistische Führungskräfte erst in der jüngeren Vergangenheit eingesetzt.“
Dabei ist gute Personalentwicklung etwas, von dem alle profitieren: Die Redaktion, weil sie Entscheiderinnen und Entscheider bekommt, die gleichermaßen über Handlungs- und Führungskompetenz sowie über journalistischen Background verfügen. Die angehenden Führungskräfte, weil sie die nötigen Instrumente und Methoden vermittelt bekommen, um Teams führen und mit gestärktem Selbstbewusstsein auch nötige Veränderungsprozesse anpacken zu können. Und die Kolleginnen und Kollegen, weil sie dann Vorgesetzte haben, die sie mitnehmen und motivieren.
Verankerte Prozesse
Wie die Köpfe an der Spitze ihre Mannschaft führen, hat nämlich viel damit zu tun, wie das Miteinander entwickelt wird, wie sie als Entscheiderinnen und Entscheider auf ihre Aufgabe vorbereitet werden und ob es verankerte Prozesse gibt, um aus guten Journalistinnen und Journalisten gute Chefs zu machen. Ohne solche Prozesse ist eine gute Führungskultur im Journalismus kein Selbstläufer.
Das zeigte jüngst ein Vorfall in der Lokalredaktion des Flensburger Tageblatts. Chefredakteur Stefan Hans Kläsner versetzte drei langgediente Redakteure gegen ihren erklärten Willen in die Redaktionen von Schwesterblättern der Verlagsmutter Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (sh:z) nach Husum, Schleswig und Leck (siehe dazu auch journalist 10/18). Den Lesern wurde die für die Außenwelt unerklärliche ad-hoc-Personalmaßnahme im Blatt mit einem lapidaren Dreizeiler mitgeteilt. Der dortige DJV-Landesvorsitzende Arnold Petersen zeigte sich „empört darüber, wie der sh:z mit bewährten Mitarbeitern nach jahrzehntelanger Loyalität zum Haus umspringt“. Die Eile und Härte, mit der Geschäftsführung und Chefredaktion diesen einschneidenden Personalaustausch betrieben, mute an wie eine Strafaktion.
Der Hintergrund – so zeigte Lars Radau im journalist – war die unliebsame Berichterstattung zu einem Wirtschaftsunternehmen in Flensburg. Ein Einknicken der Chefredaktion gegenüber potenziellen Anzeigenkunden, ausgetragen auf dem Rücken von verdienten Kollegen? Das zeugt von keiner guten Führungskultur.
Welche Probleme sich ergeben, wenn eine solche Führungskultur fehlt, wurde auch deutlich, als die ehemalige EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies als externe Gutachterin ihren Bericht zu den bekannt gewordenen Fällen von sexueller Belästigung im WDR vorstellte (siehe auch „Der WDR braucht einen Kulturwandel“, JOURNAL 5/18). Von einem Machtgefälle zwischen in der Regel männlichen Chefs und weiblichen Untergebenen war die Rede, das Raum für Grenzüberschreitungen lasse.
Dabei kritisierte Wulf-Mathies nicht nur, dass das Haus den Vorwürfen gegen Vorgesetzte nicht ausreichend nachgegangen sei. Sie stellte auch fest, dass es strukturelle Defizite vor allem bei den personellen Rahmenbedingungen gebe, sowohl zwischen Führungsebene und Beschäftigten wie zwischen angestellten und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und sie mahnte ein wertschätzendes und respektvolles Betriebsklima an, dessen Verbesserung WDR-Intendant Tom Buhrow, bei diesem Termin an ihrer Seite, „zur Chefsache“ machen solle. Per Gutachten gab sie Buhrow zudem Vorschläge für eine Reform des Personalmanagements mit auf den Weg: zur Verbesserung von Menschenführung und Mitarbeitermotivation.
Früher oft ein zäher Kampf
Mitarbeitermotivation und kluge Führung waren in früheren Jahren gerade nicht die Stichworte, bei denen man zuerst an die WAZ und ihre Schwesterblätter aus der Funke Mediengruppe dachte. Und auch Weiterbildung, eine wichtige Grundlage für gute Personalentwicklung, spielte in der Vergangenheit in den WAZ-Redaktionen wie in vielen Zeitungshäusern oft eine zu kleine Rolle. Es war ein zäher Kampf, das Thema Weiterbildung überhaupt durchzusetzen, erinnert sich Barbara Merten-Kemper. Die freigestellte Betriebsrätin bei der WAZ und stellvertretende Landesvorsitzende des DJV-NRW beobachtet die Entwicklung in ihrem Haus vor dem Hintergrund ihrer 40-jährigen Erfahrung im Journalismus.
Jetzt sieht sie einen Wandel bei ihrer Zeitung. Seit vor vier Jahren Andreas Tyrock als Chefredakteur gekommen ist, habe das Thema Personalentwicklung „einen spürbar anderen Stellenwert bekommen“, gerade in der Redaktion sei das wahrnehmbar: „Früher war das Thema Personalentwicklung bei uns im journalistischen Bereich so etwas wie ein Stiefkind und wurde eher bei den Kollegen in Vertrieb und Marketing gefördert. Heute achtet die Chefredaktion schon früher darauf, die Kollegen weiterzuentwickeln“, stellt Merten-Kemper fest.
Während man in der Vergangenheit Kollegen (und seltener Kolleginnen) zu Lokal- oder Ressortchefs machte, weil sie langjährige Mitarbeiter und gute Journalisten waren, prüfe man heute stärker, ob denn die betreffenden Redaktionsmitglieder zusätzlich die Voraussetzungen für das Führen von Teams und das Managen von Prozessen mitbringen. Ob diese persönliche Eignung neben der journalistischen Qualität und Erfahrung gegeben ist, lässt sich besser überprüfen, wenn Unternehmen den beruflichen Aufstieg und die Übertragung von Leitungsfunktionen systematisch entwickeln.
Barbara Merten-Kemper hält eine schrittweise Entwicklung dementsprechend für zielführend: „Die kontinuierliche und wiederholte Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen mit Potenzial durch Coachings und Seminare sollte Chefsache sein. Gibt man dem Nachwuchs die nötigen Instrumente an die Hand, kann man frühzeitig prüfen, ob jemand wirklich zum Vorgesetzten taugt. Wer im Team kooperativ agiert und zudem die Kollegen mitnehmen kann, sollte weiter gefördert werden“.
Wer sich selbst qualifizieren will, kann bei einschlägigen Weiterbildungseinrichtungen entsprechende Kurse für den Führungsnachwuchs buchen: zu weichen Skills, zu sozialen Kompetenzen und Persönlichkeitsbildung. Im aktuellen Programm der ARD/ZDF-Medienakademie finden sich zum Beispiel „Vom Kollegen zum Vorgesetzten“, „Erfolgreich delegieren – Mitarbeitende fördern und fordern“ oder „Agil führen – Stabilität vermitteln“. Die Akademie für Publizistik in Hamburg bietet Seminare wie „Change Management“, „Redaktionsteams kollegial führen“, „Redaktionsprojekte steuern“ und „Digital Leadership – Wandel erfolgreich gestalten“. Bei der Akademie der Deutschen Medien (hervorgegangen aus der Akademie des Deutschen Buchhandels) heißen die Angebote etwa „Führung kompakt“, „Führungsaufgaben in Verlagen und Medienunternehmen“ oder „Agil führen“.
Personalentwicklung by the book
Der Blick in die Fachliteratur zeigt, wozu Personalentwicklung dient und was man unter dem Begriff gemeinhin versteht:
• Personalentwicklung umfasst alle Maßnahmen der Bildung (auch die betriebliche Weiterbildung), der Förderung und Organisationsentwicklung, die zielgerichtet, systematisch und methodisch geplant, realisiert und evaluiert werden.
• Personalentwicklung zielt darauf, die Handlungskompetenz von Mitarbeitern und Organisation und damit die Verhaltensqualifikationen zu erhöhen.
• Zu einer systematischen Personalentwicklung gehören Strategie- und Innovationsorientierung.
• Strategische Personalentwicklung bezieht alle Mitarbeiter ein und setzt einen Schwerpunkt auf die Sicherung von Schlüsselpositionen.
• Top-Führungskräfte sind Motor für eine erfolgreiche Personalentwicklung.
• Gute Personalentwicklung ist Chefsache, langfristig angelegt und sollte eher auf Kompetenzentwicklung als auf pure Qualifikationsvermittlung zielen./KH
Am besten ans Haus gekoppelt
Medienhäuser können solche Angebote natürlich systematisch im Zuge ihrer Personalentwicklung nutzen. Ideal wäre aus der Sicht von Experten aber zumindest in großen Unternehmen ein Führungskräfte-Curriculum mit Inhouse-Seminaren. So kann das Konzept individuell auf die Anforderungen des Hauses und der Kolleginnen und Kollegen zugeschnitten werden. Zumal die Integration in den Redaktionsalltag und die zeitnahe Anwendung des Gelernten in der Praxis wichtig sind. Denn was nützt es, wenn der Chef oder die Chefin nach absolviertem Seminar zwar die richtigen Dinge zum Thema Teamarbeit und Motivation sagt, das Gesagte aber selbst nicht vorlebt und auch wirklich umsetzt? Spätestens, wenn die Untergebenen die Augen verdrehen und den Kurzvortrag des Vorgesetzten mit einem „Das hat er wieder in so einem Führungsseminar gelernt …“ quittieren, wissen alle Beteiligten: Da muss mehr passieren.
Neben den weichen Skills brauchen angehende Führungskräfte in Redaktionen auch das Know-how, um die anfallenden Management- und Organisationsaufgaben zu übernehmen, die neben der journalistischen Leitungsfunktion zunehmend ihr Alltagsgeschäft bestimmen. Der digitale Wandel beschleunigt Veränderungsprozesse und erweitert die Tätigkeitsfelder: immer mehr Ausspielplattformen und Social-Media-Kanäle, immer neue Tools und Apps, immer wieder angepasste redaktionelle Abläufe, immer neue Teams für neue Aufgaben. Führung in der Redaktion heißt heute, einen komplexer und schneller werdenden Journalismus zu steuern, der wenig Raum für Reflexion lässt.
Gerade in dieser Atemlosigkeit ist Tempo nicht alles, weiß WAZ-Betriebsrätin Barbara Merten-Kemper: „Es besteht die Gefahr, dass vielversprechende Kandidaten zu früh und zu schnell auf die Karrierespur gesetzt werden.“ Das könne so manches Talent durch Überforderung „verbrennen“, beschreibt die Betriebsrätin die Risiken einer überhasteten Personalentwicklung. Sie sieht statt dessen den vielversprechendsten Ansatz in einer fortwährenden und flexiblen Personalarbeit, die den konkreten Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entspricht.
Ungewohnte Vorbildrolle
In die Führungsrolle zu wechseln ist ja nicht nur mit dem Vergnügen über den nächsten Karriereschritt verbunden, wie Christian Sauer deutlich macht. Der gelernte Tageszeitungsjournalist und ehemalige stellvertretende Chefredakteur des evangelischen Magazins Chrismon ist heute als Coach, Redaktionsberater und Buchautor tätig. „Führungskraft zu werden bedeutet immer, sich in eine zunächst ungewohnte Vorbildrolle zu wechseln. Es reicht eben nicht mehr, als Journalist zuverlässig und kontinuierlich gute redaktionelle Arbeit abzuliefern. In der neuen Funktion heißt es, Konzepte zu entwickeln und eher strategisch zu denken.“
Und noch etwas gehört plötzlich zu den Aufgaben der frischen Führungspersönlichkeit: Menschen überzeugen und mitnehmen. Sauers in langen Jahren als Coach gewachsene Überzeugung: Wenn jemand das für unnötig hält und meint, als Chef par ordre du mufti bestimmen zu können, wird er scheitern. Basta-Entscheidungen und Machtworte verbrauchen sich halt schnell.
Tipps für Aufstiegswillige
Was Sie einfordern sollten, wenn Sie auf dem Weg zur Führungskraft sind:
• Bitten Sie Ihre Entscheider um eine offene und faire Kommunikationskultur bei Personalentscheidungen, die sich auf die Zusammensetzung von Teams auswirken – und fordern Sie eine frühzeitige Information über solche Veränderungen ein.
• Bitten Sie Ihre Chefredaktion oder Geschäftsführung um regelmäßige Gesprächstermine, in denen Sie gemeinsam Ihre Entwicklung als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bzw. als Führungskraft besprechen oder definieren.
• Sprechen Sie bei Perspektiv- und Jahresgesprächen nicht nur über Gehalt und Vertragsmodalitäten. Fragen Sie gezielt nach systematisch angelegten Weiterbildungsangeboten im Zuge der Führungskräfteentwicklung.
• Achten Sie darauf, dass Ihnen nicht nur Angebote zum Ausbau fachlicher Qualifikationen unterbreitet werden, sondern dass auch Themen wie Softskills, Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation auf dem Programm stehen.
• Erkundigen Sie sich nach Möglichkeiten, ein sogenanntes Kompetenzprofil von sich erstellt zu bekommen. Mit den Ergebnissen zu Stärken und Optimierungsfeldern kann eine kontinuierliche Personalentwicklung individueller ausgerichtet werden./KH
Druck und Selbstzweifel
Da stellt sich auch die Frage: Wie sieht es überhaupt im Inneren der Chefs und Chefinnen aus? Denken sie über ihre Entwicklung, über die eigene Rolle nach? Darüber wird selten geredet. Eine Ausnahme ist Andreas Petzold, langjähriger Blattmacher in führender Position beim stern – von 1999 bis 2013 zusammen mit Thomas Osterkorn als Chefredakteur, zuletzt als Herausgeber. „Der Druck erzeugt natürlich permanente Selbstzweifel“, sagte er jüngst in einem Interview mit kress pro. „Wir haben eine Redaktion mit 200 Mitarbeitern geführt, und die haben klare Entscheidungen erwartet und Transparenz, warum wir so entschieden haben.“ Dabei macht er zugleich deutlich, dass die vor allem männlichen Chefs ihre Führungsposition früher in der Regel eben nicht als Ergebnis einer systematischen beruflichen Weiterentwicklung erreicht hatten: „Wir Kerle sind ja so, dass wir unterschreiben und dann erst darüber nachdenken, ob wir das eigentlich können.“
Die Haltung des „Wird-schon-irgendwie-klappen“ ist zunehmend überholt, auch wenn es diese Art der Karriere in den Medien noch geben mag. Aber inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass auch redaktionelle Führungspersönlichkeiten eine andere Art der Entwicklung und Heranführung brauchen.
Untereinander Wissen vermitteln
Bei der WAZ probiert man das auch mit Angeboten außerhalb institutioneller Bildungseinrichtungen: Wenn man etwa digital-affine Kolleginnen und Kollegen freistellt, damit sie ihr Wissen in Workshops an andere in der Redaktion weitergeben, profitieren davon nicht nur die Lernenden. Es motiviert auch diejenigen mit dem Wissensvorsprung und gibt ihnen die Möglichkeit, sich in herausgehobener Funktion zu erproben. Der Gewinn an Anerkennung ergibt sich für sie unmittelbar. Zugleich ist diese flexible Form der Weiterbildung extrem kostengünstig – eine Win-Win-Situation für Mitarbeiter und Verlag gleichermaßen.
„So etwas kann man als gelebte Personalentwicklung im Alltag bezeichnen, und die ist natürlich zu begrüßen“, erklärt Merten-Kemper. „Das wirkt sich auf Teamfähigkeit und Teamgeist aus, stärkt das Selbstbewusstsein und bereitet den Nachwuchs schrittweise auf kommende Aufgaben vor“. Schließlich gelingen Maßnahmen zur Weiterbildung und Personalentwicklung am besten, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das nötige Wissen und die erforderlichen Instrumente aus eigener Motivation und mit Spaß erlernen.
Den Führungsstil kommender Entscheider auf diese Weise zu prägen ist seinerseits ein wirksames Instrument der Personalentwicklung. Denn Führungskräfte haben auch die Aufgabe, den Entscheidungsspielraum ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzulegen, und sie sollten dies nutzen, um Eigenverantwortung zu fordern und zu fördern. Wer frühzeitig und systematisch an Führung herangeführt wird, wird sich später selbst mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür einsetzen, dass es eine gezielte Personalentwicklung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt.
Transfer durch Kooperationen
Dabei gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass zeitgemäße Personalarbeit und Führungsmodelle auch in Verlagen ankommen: Durch Aufkäufe, Kooperationen oder Neugründungen stehen viele Medienhäuser im engeren Kontakt zu Start-ups und anderen Unternehmen, die flexiblere Kulturen der Personalentwicklung bereits praktizieren. So erproben die traditionellen Medienunternehmen, wie eine Zusammenarbeit funktionieren und was man voneinander lernen könnte.
In Münster hat beispielsweise der Aschendorff Verlag, mit den Westfälischen Nachrichten Mantelgeber für die Tageszeitungen vor allem im Münsterland, den Ableger Aschendorff Next gegründet. Durch Beteiligungen an Start-ups, deren Geschäftsideen auf digitale Prozesse setzen und in denen flexible Teams arbeiten, will man einen Kulturtransfer bewirken.
Die Madsack-Mediengruppe (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Leipziger Volkszeitung) hat in Leipzig bereits 2015 den Co-Working-Space „Basislager“ eingerichtet. Neben Investoreninteressen geht es auch hier um eine Öffnung in Richtung Start-up-Kultur. Die Idee: Gründerinnen und Gründer können in eigenen Räumen ihre Ideen verwirklichen und zugleich von der medialen Reichweite der Leipziger Volkszeitung profitieren. Und die Zeitungsmacher lernen, flexibel in Teams zu arbeiten und zeitgemäße digitale Geschäftsmodelle auch für journalistische Produkte zu adaptieren.
Was man bei jungen Unternehmen sieht und in Kooperation ausprobiert, muss dann allerdings auch als Prozess verankert werden und seinen Platz in der strategischen Personalentwicklung des Medienhauses finden. In welcher „Dosierung“ sollte der Wissenstransfer erfolgen? „Bei meinen Coachings für angehende Führungskräfte bevorzuge ich ein Modulsystem, das über einen Zeitraum von etwa einem Jahr belegt werden kann“, beschreibt Christian Sauer seinen Ansatz. Gute Erfahrungen habe er dabei mit einer Kombination aus Seminaren und Coaching gemacht. Erfolgversprechend sei zudem die Verschränkung von redaktionellem Alltag und Seminarphasen: „Wenn die Praxis nach dem Seminar wieder zuschlägt, kann sich der Führungsneuling auf diese Weise Unterstützung holen.“
DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah bestätigt mit Blick auf seine eigene Entwicklung, dass ein kontinuierliche Vorgehen mit wechselnden Angeboten funktioniert: „Ich habe während meines berufsbegleitenden Führungskräfte-Trainings spannende Seminare mit interessanten Dozenten erlebt, die auch aus anderen Bereichen als dem Journalismus stammten. Diese regelmäßigen Impulse ‚von außen‘ haben die Perspektive erweitert und wichtige Kenntnisse für die Führung von Teams in Redaktion und Verlag vermittelt.“
Tipps für Führungskräfte
Worauf Sie achten sollten, um Teams und Mitarbeiter erfolgreich zu motivieren:
• Etablieren Sie eine offene Gesprächs- und Diskussionskultur, um Vertrauen zum Kern Ihres Führungsstils zu machen. So werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sie (noch) mehr unterstützen.
• Definieren Sie nachvollziehbare und verständliche Ziele für die Entwicklung der von Ihnen geleiteten Teams oder Mitarbeitergruppen und kommunizieren Sie sie in einem echten Dialog. Wer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit deren nachvollziehbaren Interessen mitnimmt, stärkt den Teamgeist.
• Probieren Sie unterschiedliche, offene und modulare Formate der Personalentwicklung aus und fördern Sie individuelle und interne Initiativen zum Wissensaustausch. „Lunch Learning“ kann zum Beispiel effektiver und motivierender sein als verordnete Wochenend-Seminare.
• Nehmen Sie selbst Coachings und kontinuierliche Maßnahmen zur Personalentwicklung wahr, in denen Techniken zur Mitarbeitermotivation, Kommunikationskultur und Instrumente zur Förderung der Selbstverantwortung praxisnah trainiert werden. Führungsoptimierung ist etwas anderes als Powerpoint-Folien mit Managementwissen wiedergeben zu können.
• Lernen Sie, sich als Führungskraft in einer neuen Rolle zu sehen und zu akzeptieren: Seien Sie weniger Macherin oder Macher als vielmehr Ermöglicher. Drücken Sie Entscheidungen nicht willensstark durch, sondern kommunizieren Sie Veränderungs- und Entwicklungsprozesse in der Redaktion oder im Verlag als Moderatorin oder Moderator./ KH
Enges Zeitbudget
Aber auch Seminare und Coachings wollen im schnell getakteten Arbeitsalltag untergebracht werden. Zudem ist in der Arbeitswelt heute viel von Agilität die Rede: Menschen sollen flexibel auf den schnellen Wandel der Anforderungen reagieren können. „Weil das Zeitbudget von Entscheidern eng ist, kommen auch individuelle Coachings für Führungskräfte oft an ihre Grenze“, weiß Volker Casper, der viele Jahre für die Spitzen- und Führungskräfteentwicklung bei der Fraport AG zuständig war. Heute ist er Geschäftsführer von oddity evolve, einem Anbieter einer digitalen Personalentwicklungsplattform.
Er ist nicht nur deswegen von den Vorteilen einer „digitalen“ Personalentwicklung überzeugt, die „im betrieblichen Alltag auch für Führungskräfte die fachliche und persönliche, agile Weiterentwicklung“ ermöglicht. Die Idee: Kleine Lerneinheiten, die individuellen Bedürfnissen passgenau entsprechen, sollten jederzeit und überall abrufbar sein. Dabei könne man das Wissen über die ohnehin verfügbaren digitalen Zugänge und Endgeräte vermitteln und das Können genau dort erweitern, wo es gerade benötigt werde. Bildungsexperten sprechen hier von „granularem Lernen“.
Erkennbarer Kontext
Im Kern gehe es laut Volker Casper bei der digital gestützten Personalentwicklung aber nicht um Technologie: Von zentraler Bedeutung sei „ein agiles Mindset“, also das Bewusstsein, „dass man nie fertig ist mit der eigenen beruflichen Entwicklung und dass man hierfür beweglich sein muss.“ Dieses Mindset sollte auf Vertrauen basieren, erläutert der Personalentwickler. Allen Beteiligten müsse von Beginn an klar sein, wozu eine Entwicklungsmaßnahme dient. „Der Kontext muss erkennbar und spürbar sein.“ Für Casper sollte das Ziel ein „Ökosystem der Personalentwicklung“ sein, in dem zeitgemäße Führungsansätze und einfach verfügbare, bedarfsorientierte Lernangebote schnell an Mann und Frau gebracht werden können.
Auch wenn die zeitgemäßen Instrumente für eine nachhaltige Personalentwicklung prinzipiell auch in der Medienbranche verfügbar sind, stoßen Journalistinnen und Journalisten in ihrem Berufsumfeld vielfach noch auf überholte Strukturen in der Personalentwicklung und der Führung. Dabei wissen Fachleute: Je länger die erforderliche Modernisierung ausbleibt, desto bedrohlicher wird es – für die Redaktionen, Verlage, Sender und auch das System Journalismus. Nicht nur, weil die Unternehmen den Anschluss verpassen. Mittlerweile schaut auch der potenzielle Nachwuchs bei der Wahl des Arbeitgebers darauf, welche Angebote es zur beruflichen und fachlichen Entwicklung gibt. Persönliche Entwicklungsperspektiven und eine strategisch ausgerichtete Personalpolitik werden so zum Wettbewerbsfaktor.
Das bestätigt Führungskräfte-Coach Sauer: „Der Führungsnachwuchs ist mit anderen Angebotsformen und Lerninstrumenten aufgewachsen und hat hier andere Erwartungen.“ „Lunch Learning“ oder „After-Work-Learning“, also kleine Einheiten am Mittag oder nach der Arbeit, seien „für die jungen Entscheider nicht nur Buzzwords, sondern tatsächlich flexible Formate für den Wissenstransfer. Und E-Learning und Webinare als Elemente integrierter Weiterbildungsangebote kennen sie auch eher als ihre älteren Kollegen.“ Caspers Idee der „granularen“ Aufbereitung von Weiterbildungsangeboten findet Sauer spannend, passen sie doch zu seinem modularen Ansatz. Entscheidend sei aber immer noch das persönliche Erleben von Seminaren und der Austausch mit dem Coach und den Mitlernenden: „Das ist letztlich durch nichts zu ersetzen.“
Selbstgesteuertes Lernen
Für Sauer liegt die Zukunft der Personalentwicklung im Ausgestalten einer Selbstlernkultur – im berufsbegleitenden, selbstgesteuerten Lernen, das dann stattfinden kann und darf, wenn der Bedarf konkret wird (zum lebenlangen Lernen siehe auch „Neugier und Gelasssenheit“, JOURNAL 2/17). „Die Selbstlernkultur kommt nicht von selbst“, weiß der Coach, „aber es führt nichts an ihr vorbei“. Nach Sauers Einschätzung werden fünf bis zehn Jahre ins Land gehen, bis diese Erkenntnis sich in der Personalentwicklung durchgesetzt hat.
Qualitätsjournalismus braucht eben nicht nur Edelfedern oder krisenerprobte Reporter. Er braucht gut aus- und weitergebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und Entscheiderinnen und Entschieder in Redaktionen und Medienhäusern, die das verstanden und verinnerlicht haben. In anderen Wirtschaftsbereichen gibt es umfassende Programme für Führungsexzellenz, weil der Zusammenhang von guter Führung und gutem Betriebsergebnis klarer gesehen wird. Eine „Qualitätsinitiative Personalentwicklung“ stünde dem Journalismus gut zu Gesicht.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 6/18 – dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2018.