LOKALFUNK |

Senden, bis der Notstrom ausfällt

In der Flutkatastrophe zeigen NRW-Lokalradios, was sie können
24. August 2021, Sascha Fobbe
Als Flutkatastrophe im Juli ganze Landstriche in NRW und Rheinland-Pfalz zerstörte (hier Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen), waren die Lokalfunk-Redaktionen auch außerhalb ihrer normalen Sendestunden im Einsatz. | Foto: picture alliance / NurPhoto | Ying Tang
Als Flutkatastrophe im Juli ganze Landstriche in NRW und Rheinland-Pfalz zerstörte (hier Bad Münstereifel im Kreis Euskirchen), waren die Lokalfunk-Redaktionen auch außerhalb ihrer normalen Sendestunden im Einsatz. | Foto: picture alliance / NurPhoto | Ying Tang

Die Hochwasser-Katstrophe im Juli wird vielen Menschen in NRW und Rheinland-Pfalz in Erinnerung bleiben: Ganze Landstriche wurden überflutet, mehr als 180 Tote sind zu beklagen. Gerade in der Unwetternacht vom 14. auf den 15. Juli haben die Lokalradios in NRW gezeigt, wie wichtig sie sind, um auf Bedrohungslagen hinzuweisen und die Menschen vor Ort zu informieren.

Auf die verschärfte Lage sofort reagiert

Doch die engagiertesten Radiomacherinnen und Radiomacher können auch nur die Informationen weitergeben, die sie vorliegen haben. Im Fall der Unwetternacht waren die Warnungen der Krisenstäbe, so es denn welche gegeben hat, offenbar nicht eindringlich genug: So ging auch Georg Rose, Chefredakteur von Radio Wuppertal, am Abend des 14. Juli noch davon aus, dass die Wupper nicht wesentlich über die Ufer treten würde. Das Team hatte nach der letzten Nachrichtenausgabe um 19:30 Uhr Feierabend gemacht. Um 20:35 Uhr erreichte Rose ein Anruf aus dem Rathaus, dass es doch schlimmer werden würde. Er trommelte seine Beschäftigten zusammen und ging am Abend ab 21 Uhr wieder auf Sendung: mit Warnhinweisen, Informationen und Interviews.

Die erste Einschränkung gab es, als der Keller mit dem Server des Senders geflutet wurde und der Internetstream daraufhin ausfiel. Ein Mitarbeiter streamte dann zu Hause das UKW-Signal mit seinem privaten Handy und erreichte damit allein bis zu 500 Nutzer. Später in der Nacht schalteten die Stadtwerke aus Sicherheitsgründen den Strom in dem Stadtviertel ab, in dem die Redaktion von Radio Wuppertal sitzt. Das Team sendete trotzdem bis 5 Uhr weiter – dann fiel auch das eigene Notstromaggregat aus.

Durch seinen nächtlichen Einsatz wurde Radio Wuppertal bundesweit bekannt. Mediendienste wie dwdl.de und Meedia waren bereits in der Nacht darauf aufmerksam geworden, dass der Lokalsender laufend und umfassend informierte – im Gegensatz zum WDR (siehe auch „WDR: Heftige Kritik an Berichterstattung“). Aber auch andere Lokalstationen hielten ihre Hörerinnen und Hörer mit Dauer- und Sondersendungen auf dem Laufenden, selbst noch am Wochenende nach den Überschwemmungen.

Arbeitgeber müssen den Einsatz honorieren

Mit ihrem Einsatz in den Flutgebieten haben die Beschäftigten der NRW-Lokalradios wieder einmal gezeigt, dass sie für die Menschen vor Ort da sind. Und auch, wie sehr sie für „ihre“ Sender brennen. Was das für die Tarifverhandlungen im Lokalfunk heißt, kommentiert Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW (siehe „Enorme Einsatzbereitschaft muss honoriert werden“).

Hagen: Mit Schlafsack in die Redaktion

Radio Hagen ging bereits in der Nacht zum 14. Juli mit Live-Einblendungen on air, weil hier der Starkregen schon am Dienstagabend (13. Juli) einsetzte und für Überflutungen sorgte. Am Mittwoch ließ der Regen tagsüber nach, dann kam ein neues Starkregengebiet, sodass Radio Hagen ab dem Nachmittag bis um 2 Uhr nachts durchgängig eigenes Programm sendete. Normalerweise läuft von 18 Uhr bis 6 Uhr morgens (wie bei den meisten Lokalradios) das Programm des Mantelanbieters radio NRW.

Chefredakteurin Cordula Aßmann selbst konnte in der kritischen Nacht zu Donnerstag zwar nicht in die Redaktion kommen, weil die Straßen in ihrem Stadtteil nicht mehr passierbar waren, aber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rückten mit Schlafsäcken und Verpflegung an. Einer kam in Kanu-Bekleidung, damit er nach draußen konnte. „Ich habe dann von Zuhause aus im Dauerkontakt mit allen gestanden – wir sind ja Homeoffice-geprüft…“, erzählt Aßmann.

Antennenausfall in Euskirchen

Der Kreis Euskirchen war besonders schwer vom Hochwasser betroffen – mehr als die Hälfte der Flutopfer in NRW gab es dort. Auf das drohende Hochwasser hatte Radio Euskirchen schon am Mittwoch hingewiesen. Da regnete es den ganzen Tag über so heftig, dass die Beschäftigten die Redaktion nicht verlassen konnten und die Nacht im Sender verbrachten. Trotzdem war die Redaktion bis zum nächsten Morgen nur noch eingeschränkt erreichbar, weil über Nacht viele Telefonleitungen und Handynetze zusammenbrachen. Informationen kamen so kaum bei ihr an.

Irgendwann gab es auch keine Informationen mehr für die Hörerinnen und Hörer: Die Redaktion hatte zwar Strom, jedoch erreichte das Sendesignal die Antennen nicht. Offenbar standen die Leitungen unter Wasser, erzählt Chefredakteur Norbert Jeub. Aber es gibt ja noch andere Wege, die Menschen zu erreichen: Die Frühmoderatorin informierte aus dem Wohnzimmer ihrer Mutter im Erftkreis über Facebook und Instagram, eine Redakteurin beantwortete von Zuhause in Düren aus Hörermails und WhatsApp-Anfragen. Erst ab Freitag konnte Radio Euskirchen wieder eingeschränkt lokal senden, die Telefone waren noch deutlich länger tot.

Anlaufstelle für Betroffene

Mit einem riesigen Loch an der örtlichen Kiesgrube fand sich Erftstadt-Blessem in den überregionalen Nachrichten wieder. Von den Erdrutschen in der Nacht zum Freitag (16. Juli) erfuhren die Kolleginnen und Kollegen von Radio Erft erst am Morgen gegen 5.45 Uhr. Schon am Vortag hatte die Redaktion die eigene Sendezeit wegen des Hochwassers deutlich ausgeweitet. Auch am Freitag machte Radio Erft den ganzen Tag Programm, ebenso zehn Stunden am Samstag und sieben Stunden am Sonntag. Chefredakteur Thomas Habke: „Wir Locals haben, denke ich, alle das Möglichste getan. Bis hin zu Sendeassistenz, die am Sonntag im Sender saß und für heulende Menschen so eine Art Telefonseelsorge war.“

Zur Anlaufstelle für Betroffene wurden auch andere Lokalradios – weil entweder die offiziellen Hotlines überlastet oder übers Wochenende nicht besetzt waren. In Wuppertal verwies die Feuerwehr Menschen sogar direkt ans Radio, berichtet Chefredakteur Georg Rose. Das kam für die dünnbesetzten Redaktionen noch oben drauf, die wegen der Überschwemmungen und Evakuierungen quer durchs Land im Dauereinsatz waren. So stemmten unter anderem Radio Berg, Radio Leverkusen, Radio Köln, Radio Bonn und Radio Rur zusätzlich Sondersendungen, verbreiteten aktuelle Informationen über die verschiedenen Social-Media-Kanäle und die Webauftritte ihrer Sender.

Im Katastrophenschutz nachbessern

Das Hochwasser im Juli hat gezeigt, dass im Katastrophenschutz dringend etwas getan werden muss. Georg Rose von Radio Wuppertal setzt sich dafür ein, die Kommunikation zwischen Krisenstäben, Katastrophenschutz und den Medien zu verbessern und Warnketten zu überarbeiten. Dazu hat er bereits Gespräche mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und dem Innenministerium geführt.

Außerdem will er den Medienhype nutzen und wirbt bei den zuständigen Behörden dafür, die Lokalradios in das bundesdeutsche Warnsystem aufzunehmen. Infos über Warn-Apps seien gut, reichten aber nicht aus, denn auch Mobilfunknetze können ausfallen, wie sich im Juli gezeigt hat.

Damit die Lokalradios Teil des Warnsystems werden können, müsste aber die Stromversorgung der Stationen gesichert sein – über Notstromaggregate hinaus. Das betrifft neben den Redaktionen auch die Übertragungswege der Sendesignale zum Sendemast sowie die Anlagen dort. Die Lokalstationen könnten das nicht selbst finanzieren – einer groben Schätzung zufolge kämen allein auf Radio Wuppertal Kosten in Höhe von 125.000 Euro zu, sagt Rose.

Vertrauen in Ausnahmesituationen

Ob der Einsatz sich nun auch in steigenden Hörerzahlen zeigen wird? Rose ist skeptisch: In der Flutnacht hätten zwar auch Menschen gezielt Radio Wuppertal eingeschaltet, die sonst kein Radio oder andere Sender hörten. Aber: „In der Corona-Situation im ersten Lockdown März/April 2020 hatten wir auch mit wahnsinnig vielen Menschen Kontakt, die einfach bei der städtischen Hotline nicht durchgekommen sind, die Vertrauen in uns hatten und dachten, dort bekomme ich Auskunft, was uns ja auch sehr ehrt. Unsere Quote ist nicht schlecht, aber sie ist während Corona nicht dramatisch gestiegen.“

Diese Erfahrung haben auch andere Lokalradios gemacht. Das hält die Chefredakteurinnen und -redakteure sowie ihre Beschäftigten nicht davon ab, in Notlagen ihren Job zu tun und ihre Hörerinnen und Hörer möglichst umfassend zu informieren.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.