Wenn es schnell gehen soll, fehlt schon mal was. Fragt sich nur, wie der Fehler hinterher aufgearbeitet wird.
Wenn es schnell gehen soll, fehlt schon mal was. Fragt sich nur, wie der Fehler hinterher aufgearbeitet wird. Foto: time
 
Fehlerkultur

Sorry seems to be the hardest word

Journalisten machen Fehler: Wie können sie besser damit umgehen?
14. Juni 2017, Carmen Molitor

Ein gravierender Fehler – und alle stürzen in den Tod. In einem Cockpit ist das jedem klar. Logisch, dass Flugzeugbesatzungen deshalb nach Kräften versuchen, Fehler zu vermeiden. Trotzdem machen sie welche. Sogar andauernd. Alle vier Minuten läuft im Flugzeug etwas mehr oder minder schief. Meist sind es Kleinigkeiten, die erst bedrohlich werden, wenn keiner sie korrigiert und aus ihnen Fehlerketten entstehen. Wenn eins zum anderen führt, weil keiner einen Irrtum oder ein Versäumnis offen zugibt und schnell abstellt. Oder weil niemand sich traut, den Vorgesetzten auf eine Fehlentscheidung hinzuweisen.

Das Flugzeug ist das sicherste Verkehrsmittel geblieben, weil die Besatzungen mittlerweile in regelmäßigen Trainings üben, ohne Scheu über alle Hierarchieebenen hinweg Fehler anzusprechen und sie dadurch zu entschärfen. In der Luftfahrt hat man den größten Feind zu schätzen gelernt: Irrtümer werden offen kommuniziert, um ihre Wiederholung zu vermeiden. Mit ihnen klug umzugehen macht schlauer und kann Leben retten.

Auch im Journalismus passieren Fehler. Andauernd. Die enden zum Glück nicht tödlich, aber je nachdem, wie man mit ihnen umgeht, stürzt dadurch zumindest die Glaubwürdigkeit ab. Ein besonders schmerzhafter Crash geschah Mitte Januar bei der Berichterstattung über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum NPD-Verbot. „Karlsruhe verbietet NPD“, meldeten selbst News-Flagschiffe wie Spiegel Online (SpOn), ZEIT, NZZ, Das Erste und Phönix in Eilmeldungen, Tweets oder Bildschirm-Laufbändern gleich zu Beginn der Urteilsverkündung.

Mit aufgeregtem Tatütata

Doch im fieberhaften Wunsch, die Nachricht als Erste zu überbringen, und in offensichtlicher Unkenntnis der Gepflogenheiten des obersten Gerichts hatten viele irrtümlich die Verlesung des Verbotsantrags für den Urteilsspruch selbst gehalten. Das Urteil lautete im Gegenteil: Die NPD wird nicht verboten. Man rieb sich verwundert die Augen. Viele der renommiertesten deutschen Medien hatten nahezu zeitgleich denselben groben Fehler gemacht und ihn, versehen mit dem aufgeregten Tatütata einer Push-Meldung, auf die Smartphones und Bildschirme der Republik verschickt. Kurz darauf mussten sie sich kleinlaut korrigieren.

Die Panne war auf dem größten vorstellbaren Präsentierteller geschehen und so peinlich, dass viele Redaktionen sie prompter und offener aufarbeiteten als viele andere Fehler zuvor. „Wir entschuldigen uns für den Vorfall – und nehmen ihn zum Anlass, unsere Abläufe und Arbeitsweisen zu hinterfragen, damit sich ein solcher Fehler nicht wiederholt“, schrieb die SpOn-Redaktion in einer Erklärung zwei Stunden später. „Es wäre natürlich besser gewesen, lieber einen Moment abzuwarten, um sicherzugehen, dass wir unsere Leser richtig informieren“, bloggte Rieke Havertz, Chefin vom Dienst bei ZEIT Online, selbstkritisch. „Wir dürfen, wie unruhig die Zeiten auch sein mögen, dabei nicht in Hektik verfallen. ‚Be first, but first be right‘ wird weiterhin der Anspruch sein, an dem wir unsere Arbeit messen.“

Erst dann zu berichten, wenn man sich sicher ist, dass alles genau stimmt, ist ein ehrenwerter Anspruch. Die Realität sieht jedoch oft anders aus, dafür muss man nicht nur auf einen krachenden Fehler wie in Sachen NPD schauen. Vor allem das Schwarzbrot der Berichterstattung lässt oft zu wünschen übrig, etwa wenn bei einfachen Fakten die Präzision fehlt: Namen werden falsch geschrieben, Zitate unsauber wiedergegeben, Gerüchte für bare Münze genommen, Zahlen unsinnig interpretiert, Statistiken missverstanden oder Überschriften so zugespitzt formuliert, dass sie sachlich falsch werden.

Untote im Google-Orbit

All das wurmt Redakteurinnen und Redakteure, seit es Journalismus gibt, und es ist angesichts des Zeitdrucks und der Hektik der Produktion menschlich und normal. Umso erstaunlicher ist es, dass viele Redaktionen noch immer keine souveräne und konstruktive Art des Umgangs mit ihren Fehlern gefunden haben, die dem in der Luftfahrt auch nur annähernd ähnelt. Dabei kommt man mit einer Vogel-Strauß-Mentalität und der Einstellung „Das versendet sich!“ in Zeiten des Internets nicht mehr weiter. Fehler „versenden“ sich nicht mehr, sie werden zu Untoten im Google-Orbit, die immer wieder neu aus dem Schlamm kriechen.

Das Publikum akzeptiert das wortlose Übergehen von Fehlern nicht mehr. Es sucht den Dialog mit den Redaktionen und will dabei mit Hinweisen auf Fehler und Beschwerden ernst genommen werden. Viel mehr als früher erwarten Leser und Zuschauer, dass Redaktionen Fehlentscheidungen und Irrtümer offen eingestehen, dass sie ihr Zustandekommen erklären und Wege finden, darüber mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen.

Einige Redaktionen haben das verstanden und sind dabei, neue Wege der Fehlerkultur auszuprobieren. Jüngstes Beispiel ist die ZEIT, die im Dezember ihren Blog „Glashaus“ startete, um redaktionsinterne Entscheidungen zu erklären und Transparenz darüber herzustellen, wie Fehler entstehen. „Dass es das Glashaus nicht schon längst gibt, hat deshalb vor allem einen Grund: Wir waren uns nicht sicher, ob Sie ein solches Redaktionsblog wirklich interessiert – oder ob die darin behandelten Themen höchstens unsere Kollegen in anderen Redaktionen bewegen“, schreibt Jochen Wegner, Chefredakteur von ZEIT Online zum Start des Blogs. „Mit der zunehmenden Kritik an der Arbeit von Journalisten hat, so merken wir, auch das aufrichtige Interesse daran zugenommen.“

Beginn einer Fehlerkultur

Den Kontakt über den Blog „Hinter den Nachrichten“ sucht die Redaktion der ARD-Tagesschau schon seit einigen Jahren. Hier schreiben mehrere Autoren. Aber wenn es ans Eingemachte geht, meldet sich in erster Linie der Erste Chefredakteur Kai Gniffke zu Wort. So zum Beispiel beim meistdiskutierten Post im Jahr 2016: Die Erklärung, warum es die Vergewaltigung und der mutmaßliche Mord an einer Freiburger Studentin, offenbar begangen durch einen jungen Geflüchteten, nicht in die Tagesschau geschafft hatten. Über 670 Kommentare bekam er auf seine Ausführungen darüber, was den Nachrichtenwert einer Meldung für die Redaktion ausmacht. Üblicherweise liegt die Zahl der Reaktionen eher im zweistelligen Bereich.

Die heute-Redaktion listet auf der Homepage – allerdings recht versteckt – in der Rubrik „In eigener Sache: Korrekturen“ fein säuberlich Richtigstellungen für verschiedene ZDF-Sendungen auf. Der Spiegel nutzt seit Georg Mascolos Zeiten eine Korrekturspalte. Chefredakteure von Lokalzeitungen melden sich in Newslettern über Hintergründe zu Wort. Viel öfter als früher liest man im Netz den Hinweis, dass in einer früheren Version eines Berichts ein Fehler war, den man korrigiert hat.

Und doch wirkt vieles im Vergleich mit der Fehlerkultur beispielsweise von US-Medien noch halbherzig. Es kommt zwar allmählich etwas in Bewegung, vor allem in finanzstarken Häusern, aber von einem allgemeinen Aufbruch der deutschen Medien in Sachen Fehlermanagement und Transparenz ist man weit entfernt.

Das sieht Arno Weyand vom Deutschen Presserat ähnlich. Am häufigsten bekommt der Referent der Beschwerdestelle Fälle auf den Tisch, die sich um eine Verletzung der Sorgfaltspflicht drehen, also Ziffer 2 des Pressekodex: 432 waren es allein von Januar bis Oktober 2016. Dagegen beziehen sich jährlich nur rund 20 Beschwerden darauf, dass Redaktionen ihrer Pflicht aus Ziffer 3 nicht nachgekommen sind, nämlich falsche Berichterstattung „unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen“.

Screenshot Zeit und ZDF
Die neue Transparenz: Einige Medien merken, dass Fehler offen kommuniziert werden müssen. V.l. Blog Glashaus bei der ZEIT, Korrekturseite für ZDF-Sendungen

Vieles ließe sich einfach klären

Daraus lässt sich für Weyand trotzdem nicht ableiten, dass die Medien ausreichend offen für Beschwerden ihrer Leserinnen und Leser sind: „Es gibt häufig Fälle, wo der Beschwerdeführer uns schreibt, dass er die Redaktion auf einen Fehler mehrfach per Mail und Telefon hingewiesen habe und trotzdem nichts passiert sei.“ So landet manches, das bei mehr Offenheit leicht lokal zu klären wäre, beim Presserat. „Manchmal denkt man: Warum hat die Redaktion nicht einfach den Onlineartikel entsprechend abgeändert oder in einem kleinen Fünfzeiler geschrieben, dass sie ein Leser auf einen Fehler hingewiesen hat und man sich dafür bedankt? Das liest man ja gelegentlich, aber es müsste noch häufiger stattfinden!“

Viele Häuser seien jedoch offenbar der Meinung, wenn sie Fehler eingestünden, beschädige das ihr Image, sagt Weyand. „Aber wo gearbeitet wird, werden Fehler gemacht. Davor sind auch Redaktionen nicht gefeit. Wenn sie wirklich einen Fehler gemacht haben, sollen sie ihn einfach zugeben. Auch um dem Leser zu signalisieren: Wir nehmen dich ernst!“

Nicht nur Leserinnen und Leser, auch Pressestellen stoßen oft auf taube Ohren, wenn sie Medien auf eine falsche Berichterstattung hinweisen. Barbara Löcherbach, Leiterin der Pressestelle des NRW-Schulministeriums und Mitglied im Vorstand des DJV NRW, ärgert sich über die doppelten Standards, die Journalistinnen und Journalisten an den Umgang mit Fehlern anlegen: „Wenn bei uns im Ministerium oder in der Politik etwas schief gelaufen ist, verlangen die Medien gerne auf der Stelle eine genaue Aufarbeitung dieser Fehler und absolute Transparenz. Man erwartet eine gute Krisenkommunikation von uns und ist teilweise gnadenlos in der Kritik, wenn manches etwas Zeit braucht“, sagt Barbara Löcherbach.

„Umgekehrt gilt das aber nicht“, hat sie festgestellt: „Wenn wir Redaktionen auf klare Fehler in der Berichterstattung über unsere Themen hinweisen, kann es mitunter lange dauern, bis sie sich korrigieren – wenn sie es denn überhaupt tun. Dann sind falsch interpretierte Fakten oder in einen falschen Zusammenhang gesetzte Zahlen aber schon lange in der Welt. Ich würde mir wünschen, dass es erklärende Texte wie den von Spiegel Online, wie es zur Falschmeldung über das NPD-Verbot kommen konnte, öfter geben würde. Das trägt zur Glaubwürdigkeit bei.“

Ein professionelles Krisenmanagement, wie es in Pressestellen üblich sein sollte, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, finde sie auf der anderen Seite des Schreibtischs kaum. Sie erlebe in der Regel eine eher geringe Bereitschaft zur Selbstkritik, sagt Löcherbach. Natürlich wisse sie um die schwieriger werdenden Arbeitsbedingungen in personell ausgedünnten Redaktionen und um den Zeitdruck, dem Journalistinnen und Journalisten immer stärker ausgesetzt sind. Dennoch sei es höchste Zeit, den Umgang mit Fehlern in den Medien professioneller zu gestalten.

Erhitzte Debatte im Netz

Welche Wellen eine fehlerhafte Berichterstattung schlagen kann, zeigte sich einmal mehr Ende November: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte auf einer Veranstaltung der Rheinischen Post (RP) in Düsseldorf erstmals öffentlich gesagt, dass sie wisse, wer der SPD-Kanzlerkandidat wird. Nur: Wie genau hat sie das gesagt? „Ich weiß, wer es wird, aber ich sage es Ihnen nicht“, zitierte die RP Kraft. dpa übernahm das Zitat, es ging auf den Ticker und entfachte im Netz sofort eine erhitzte Debatte über die Überheblichkeit von Politikern.

Allerdings zog die RP ihre Darstellung kurz danach stillschweigend zurück. Kraft habe lediglich „Ja“ gesagt, als sie von Chefredakteur Michael Bröcker gefragt worden war, ob sie wisse, wer Kanzlerkandidat wird. Und: „Nein“, als Bröcker sie fragte, ob sie ihm sagen würde, wer es wird. So hieß es nun in der Zeitung. Die Berliner dpa-Redaktion zog das Zitat zurück, als sich die NRW-Landesregierung beschwerte und der RP-Chefredakteur drei Tage später bestätigte, dass der Satz so nicht gefallen war. Andere Medien, die das Zitat verwendet hatten – etwa der WDR und die Westdeutsche Zeitung –, brachten Korrekturhinweise, der Blog Übermedien berichtete ausführlich.

Doch da lag das Skandälchen um Krafts angebliche Hochnäsigkeit eine gute Woche oder länger zurück. Wen erreichte diese Information zu diesem Zeitpunkt noch? Nicht einmal das komplette Netzangebot der RP selbst: Neben der korrigierten Version ließen sich auch Wochen später Vorversionen des Textes finden, in denen das Zitat weiterhin in der falschen Form stand.

Im Netz oft unvollständig

Halbherzige Fehlerkorrektur im Netz ist ein weit verbreitetes Phänomen, das beispielsweise auch beim Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) zu sehen ist. Die Redaktion hatte, wie die halbe Republik, über eine Pistenraupe berichtet, die „aus Versehen“ nicht nach Seefeld in Österreich, sondern nach Seefeld in Schleswig-Holstein ausgeliefert worden war. Als sich das als inszenierter PR-Gag des Alpendorfs herausstellte, entschuldigte sich der KStA in seiner Printausgabe für den Fehler. In der Netzausgabe war mindestens bis Mitte Januar die falsche Story unkorrigiert zu lesen, zu finden über Google.

Halbgares später korrigieren?

Für viele Onlinejournalisten und Blogger ist es Ehrensache, Korrekturen sichtbar zu machen, die sie nach der Veröffentlichung eines Beitrags einfügen. Worte oder Textpassagen, die sich als falsch erweisen, entfernen sie nicht stillschweigend, sondern lassen sie durchgestrichen im Text stehen. So gewähren sie den Blick auf die Vorversionen. Sie sehen den Onlinebeitrag grundsätzlich nicht als fertiges Produkt, sondern als Prozess, an dem man immer weiter arbeitet.

In Sachen Fehlerkultur kann diese Auffassung problematisch sein, warnt Kommunikationswissenschaftler Tobias Eberwein von der Alpen-Adria-Universität Wien. „Es ist dann gefährlich, wenn es als Einladung dazu verstanden wird, auch unabgeschlossene Recherchen zu veröffentlichen“, sagt er. „Man braucht vor einer Veröffentlichung eine Gewissheit über die Faktenlage!“

Als Beispiel nannte Eberwein die Echtzeit-Berichterstattung während laufender Anschläge und Attentate. Wer da ungeprüft Gerüchte und Falschinformationen verbreite, sorge unter Umständen für massive Verunsicherung. „Das ist ein eklatantes Qualitätsproblem“, betont Eberwein. Sich darauf zu berufen, eben „Prozessjournalismus“ zu machen und deshalb auch vorläufige Versionen der beobachteten Realität weiterzugeben, lasse er nicht gelten: „Gerüchte zu verbreiten ist nicht die Aufgabe von Journalisten!“

Allerdings lässt nicht mal eine konsequente Reaktion Fehler verschwinden: „Selbst wenn Medien schnell eine Falschinformation löschen und das in ihrem gesamten Portal tun, kann ihnen keiner garantieren, dass nicht außerhalb des eigenen Portals eine Kopie der Falschmeldung weiterverarbeitet wurde, auf die das Medienhaus selber keinen Zugriff mehr hat“, sagt Kommunikationswissenschaftler Dr. Thomas Eberwein von der Alpen-Adria-Universität Wien. „Dann ist das in der Welt und wird präsent bleiben. Das ist redaktionell nicht mehr in den Griff zu bekommen.“

Eberwein hatte im Auftrag des Dortmunder Erich-Brost-Instituts für internationalen Journalismus von 2010 bis 2013 an der kulturvergleichenden Analyse „Media Accountability and Transparency in Europe“ (MediaAcT) mitgearbeitet. Anders als der anglo-amerikanische Journalismus, der traditionell eine sehr transparente Fehlerkultur pflegt und beispielsweise über Ombudsleute oft den Kontakt mit Lesern sucht, habe der deutschsprachige Journalismus diese Haltung noch nicht, konstatiert Eberwein. „Grundsätzlich scheint in deutschsprachigen Redaktionen die Ansicht vorzuherrschen, dass man sich selber in Misskredit bringt, wenn man Fehler zugibt“, sagt der Wissenschaftler. „Dabei erreichen sie ganz im Gegenteil ein Mehr an Vertrauen, wenn sie Transparenz über Fehler herstellen und gezielt signalisieren, dass sie einen Diskurs mit den Akteuren suchen, die sich über sie beschweren.“

Solange alle schamvoll vertuschen, was schiefgelaufen ist, kann keine positive Fehlerkultur entstehen.
Kopf-Tisch: Solange alle nur peinlich berührt vertuschen, was schiefgelaufen ist, kann keine positive Fehlerkultur entstehen. Foto: bennice

Vorbilder gesucht

Es brauche in der Branche Vorbilder, die Transparenz mit neuen Ideen hoffähig machten. „Wenn man es alleine so macht, kommt man sich komisch dabei vor und befürchtet eher negative Wirkung“, vermutet Eberwein. „Aber wenn sich das langsam auf breiterer Basis durchsetzt, kann sich im Bewusstsein der Branche etwas verändern.“ Flächendeckende, von Redaktionsleitungen gesteuerte Modelle des Fehlermanagements könne er momentan nicht entdecken. „Selbst wenn hier und da einzelne Initiativen gestartet werden, einzelne Medienhäuser durchaus vorbildlich damit umgehen und wenigstens punktuell bestimmte Initiativen starten.“ Aber man könne auf keinen Fall sagen, „der Redaktionsleiter an sich hat das Problem erkannt und arbeitet daran“.

Nikolaus Förster kann Eberwein mit dieser Aussage nicht meinen. Der Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Impulse und Geschäftsführende Gesellschafter der Impulse Medien GmbH hat kein Problem damit, über Fehler zu sprechen. Er verdient sogar Geld damit. Als er 2009 den Impulse-Chefsessel übernahm, setzte er eine neue Kolumne auf, in der Unternehmerinnen und Unternehmer ihren größten Fehler gestehen. Seit drei Jahren veranstaltet Impulse sogar eine jährliche Konferenz mit rund 250 Teilnehmenden darüber, wie Unternehmen aus Fehlern lernen können, und hat jüngst auch noch ein Buch zum Thema herausgegeben.

„Journalistische Führungskräfte sollten selbstkritisch sein“, rät Förster. Das würde den Weg für eine bessere Fehlerkultur in den Redaktionen ebnen. „So lange der Chef sakrosankt ist und nie einen Fehler einräumt, wird er niemals eine positive Fehlerkultur aufbauen.“ Außerdem sollten die Redaktionen nicht danach fragen, wer schuld an dem Fehler ist, sondern wie man dafür sorgen kann, dass sich so was nicht wiederholt.

„Man muss erstmal Schadensbegrenzung machen“, sagt Förster. „Wenn ein Fehler passiert, muss man sich überlegen, wie man ihn ausbügeln kann und ob man sich dafür öffentlich entschuldigt und ein Erratum druckt. Aber noch viel entscheidender ist, dass man jeden Fehler als eine Chance begreift, fehleranfällige Strukturen so zu verändern, dass er so nicht mehr geschehen kann.“ Das sei zwar im Alltag mühsam, aber auf diese Weise könne ein Fehler dazu führen, dass man besser wird.

Diese Erkenntnis versucht Ursula Wienken auch ihrer Kundschaft in Medienhäusern zu vermitteln. Die Geschäftsführerin der MQ Gesellschaft für MehrQualität in Köln war früher Rundfunkjournalistin, zuletzt bei radio NRW, und arbeitete an der Deutschen Hörfunkakademie. Ihr Credo als selbstständige Beraterin und Trainerin: Medien könnten stark davon profitieren, wenn sie Qualitätsmanagement einsetzen würden. Lange sei sie sich damit vorgekommen wie die Ruferin in der Wüste, aber allmählich erwärmten sich Redaktionen für diese Idee und fragten nach Beratung.

Die Abläufe überprüfen

„Wir sind in den Medien aber immer noch so geprägt, dass Fehler als persönliches Versagen gesehen werden und nicht als Fehler im System, in den Abläufen“, sagt Wienken. „Man fragt: Wer hat etwas falsch gemacht? Wer hat etwas vergessen? Besser wäre es, sich zu fragen: Was funktioniert im Ablauf nicht? Wo fehlen vielleicht Ressourcen? Wo sind Übergaben ungeklärt und wie kann ich die Abläufe entsprechend sicherer gestalten?“ Auf diese Weise könne die Redaktion Sollbruchstellen im System erkennen und neuen Pannen vorbeugen. „Dieser Schritt wird aber – nicht nur in Medien – häufig nicht gemacht. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass der gleiche Fehler wieder passiert, ist hoch, weil ich nur die Auswirkung, aber nicht die Ursache bearbeitet habe.“

Dass traditionelle Methoden der Qualitätsüberprüfung wie Blattkritik oder Aircheck häufig zahnlos sind, wundert Ursula Wienken nicht. Auch dabei läge meist keine Systematik zugrunde, vieles werde aus dem Bauch heraus kritisiert. „Fehlen vereinbarte Bewertungskriterien, wird Kritik als Angriff auf die Person empfunden, statt als konstruktiv entwicklungsfördernd. Da Menschen das einander häufig ersparen wollen, bleibt die Kritik an der Oberfläche und verhalten. In den meisten Redaktionen fehlt darüber hinaus eine faire Feedbackkultur.“

Transparenter werden

Die eigene Arbeit transparent zu machen sei für viele Journalistinnen und Journalisten nicht geübt und deswegen beängstigend. „Vielleicht hat das etwas mit dem Selbstverständnis als Journalist oder als Medienorganisation zu tun.“ Wer offen legt, wie er arbeitet, kann schnell das Gefühl bekommen, kontrollierbar und durchschaubar zu werden.

Der Metablick

Medienjournalismus ist eine Möglichkeit, die Auswüchse und Nachlässigkeiten der Branche im Auge zu behalten. Den Metablick pflegen im Printbereich heute vorwiegend überregionale Zeitungen und Fachzeitschriften wie journalist und JOURNAL. Hinzu kommen wenige Angebote im Fernsehen (ZAPP) und im Hörfunk (u.a. Töne, Texte, Bilder im WDR, Markt und Medien im Deutschlandfunk). Neben renommierten Fachdiensten wie epd Medien und Medienkorrespondenz sind mehrere Onlineportale (Meedia, DWDL, turi2) mit Branchennews entstanden. Das unabhängige Portal Übermedien feierte jüngst seinen ersten Geburtstag./cbl

Ein Mea Culpa trifft auch nicht unbedingt auf wohlwollendes Verständnis – weder bei den Kolleginnen und Kollegen noch in der Öffentlichkeit. Man muss damit rechnen, dafür abgewatscht zu werden oder einen hysterischen Shitstorm zu entfachen. „Als sich zum Beispiel Elmar Theveßen, der Leiter der ZDF-Hauptredaktion „Aktuelles“, dafür entschuldigt hat, dass das ZDF so spät auf die Berichterstattung über die Silvesternacht 2015 in Köln eingestiegen ist, wurde das von Horst Seehofer und Alexander Dobrindt prompt politisch instrumentalisiert“, erinnert sich Diemut Roether, verantwortliche Redakteurin beim Branchendienst epd Medien in Frankfurt/Main.

Die Medienjournalistin erlebt bei ihrer Arbeit oft, wie intransparent und verschlossen Medienunternehmen sind, wenn es um sie selbst geht. „Das grenzt manchmal fast an Obskurantismus“, sagt sie. Was aber die Fehlerkultur der einzelnen Redaktionen gegenüber dem Publikum angeht, sieht sie in jüngster Zeit positive Signale. „Es ist gut, dass Redaktionen sich damit einen pro-fessionellen Umgang angewöhnen.“ Kommuni- kation sei zwar ihr Kerngeschäft, aber eine Kommunikationskultur zu entwickeln, das wäre etwas, woran die meisten Redaktionen weiter arbeiten müssten.

Klar ist aber auch: Dass Redaktionen ihre Haltung gegenüber Fehlerkorrekturen und ihre Reaktionen auf Leserhinweise überdenken, wird allein nicht ausreichen. Um dem Bedürfnis ihrer Kundschaft nach mehr Transparenz entsprechen zu können, brauchen sie schlicht mehr Personal. Ein schöner Wunsch.

Im Alltagsgeschäft müssen die meisten Journalisten weiter die sprichwörtlichen eierlegenden Wollmilchsäue sein. Neben Planung, Recherche, Produktion von Beiträgen und Eigenmarketing in sozialen Netzwerken sollen sie obendrein auf einem Finger mit der anspruchsvollen Kommunikation mit dem Publikum jonglieren. Immer mit irgendwas eigentlich zu spät dran, immer noch eine endlose To-Do-Liste vor der Brust.

An irgendeiner dieser Aufgaben scheitern die ausgedünnten Teams zwangsläufig von Zeit zu Zeit. Selbst in einem Cockpit der Lufthansa ließe die Qualität der Fehlerkultur rapide nach, wenn die Piloten neben dem Fliegen auch noch den Bordservice und das Kaffeekochen übernehmen müssten.