Unter Uns

Umsicht und Leidenschaft

Hans Leyendecker zu Gast beim Presseverein Ruhr
12. April 2019, Theo Körner
Ein spannender Gast war Hans Leyendecker (r.). Neben ihm Kay Bandermann, Vorsitzender des Pressevereins Ruhr. | Foto: Pal Delia
Ein spannender Gast war Hans Leyendecker (r.). Neben ihm Kay Bandermann, Vorsitzender des Pressevereins Ruhr. | Foto: Pal Delia

Journalistinnen und Journalisten sollen sich „mit Leidenschaft“ für die in der Verfassung verankerten Grundrechte und Grundwerte einsetzen. Das hat Hans Leyendecker bei der Jahreshauptversammlung des Pressevereins Ruhr gefordert. Und ihnen „sollte auch klar sein“, dass überhaupt erst die Verfassung Pressefreiheit ermögliche. Für die journalistische Arbeit empfahl der langjährige Leiter des Investigativ-Ressorts der Süddeutschen Zeitung (SZ), mehr Zurückhaltung zu üben, weniger zuzuspitzen und Eilmeldungen nur dann zu verbreiten, wenn es auch wirklich Wichtiges zu berichten gebe.

Interessante eineinhalb Stunden

Rund eineinhalb Stunden sprach Leyendecker und erzählte dabei auch die eine oder andere Episode aus seinem Berufsleben, unter anderem über seine Jahre beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das Publikum hörte ihm gern zu. Leyen­decker sprach sich für einen umsichtigen Journalismus aus, der von Sachkunde, Ausdauer und Aufklärungsinteresse geprägt sei angesichts ­einer digitalen Zeit, in der häufig die Frage gestellt werde, „wem man noch vertrauen könne“.

Damit zog Leyendecker die Verbindung zum Motto des kommenden Deutschen Evangelischen Kirchentags – es lautet: „Was für ein Vertrauen“. Leyendecker ist in diesem Jahr Präsident der Großveranstaltung, die vom19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet. Diese Losung, so erklärte er, biete sich an, um über den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu diskutieren und sich vor allem damit zu befassen, wie man die grassierende Vertrauenskrise überwinden könne.

Dass die Arbeit in den Zeitungshäusern schwieriger geworden ist, beschrieb Leyendecker, der selbst mal Redakteur der Westfälischen Rundschau war, mit prägnanten Sätzen: „Auflagen sinken ins Bodenlose, das Anzeigengeschäft ist kaputt, und das Digitale fängt das alles nicht auf.“ Als wichtiges strategisches Ziel formulierte er, neue Digital-Abonnementen zu gewinnen. ­Zudem werde es notwendig sein, Print und ­Online zu integrieren. Zuversichtlich erklärte Leyendecker: „Das wird uns Journalisten schon gelingen.“ Und doch tat er sich mit dem Ausdruck „wir Journalisten“ auch ein wenig schwer. So distanzierte er sich von Kolleginnen und Kollegen, „die Fotos von toten Kindern nach einem Unfall oder ­einem Anschlag für ein Boulevardblatt besorgen“.

Wie Medien mit „journalistischen Katastrophen“ umgehen, warf Leyendecker als Frage auf und ging sehr differenziert auf den ehemaligen Spiegel-Reporter Claas Relotius ein. Der Fall biete überhaupt keinen Anlass, von einer Krise des Journalismus zu sprechen, betonte Leyendecker. Ebenso falsch sei ein Vergleich mit den Hitler-Tagebüchern. Sicherlich sei der Schaden immens, aber man solle auch die Wirkweisen bedenken, mit denen es Relotius („ein begnadeter Schreiber“) gelungen sei, zum Trophäenjäger zu werden. Er habe eben genau die Reportagen geliefert, die man sich wünschte, sie „waren unsere Echo­kammern“. Als Beispiel nannte der Mitbegründer der Vereinigung Netzwerk Recherche den Artikel „Jaegers Grenze“ über eine bewaffnete Bürgerwehr in den USA.

In der Verantwortung

Dass vermeintlich seriöser Journalismus auch zu „Exzessen“ fähig ist, hat sich nach Leyendeckers Einschätzung im Fall von Christian Wulff ­gezeigt. Hier seien rund um die Uhr Wahrheiten, Teilwahrheiten, Gerüchte und Lügen unter die Leute gebracht worden. „Journalisten haben noch auf ihn getreten“, als Wulff schon am ­Boden gelegen habe. Der Gast appellierte an die Verantwortung von Journalisten und zeigte die Gefahr auf, dass solche Vorgehensweisen dazu beitragen können, dem Vertrauen in die Demokratie zu schaden.

Noch nie so gut wie heute

Trotz solcher Hinweise befand Leyendecker an diesem Abend, dass „wir noch nie einen so guten Journalismus gehabt“ haben. Als Beweis und Beispiel zugleich nannte er die Panama-Papers. An den Recherchen wirkten Journalisten aus 76 Ländern mit. Als Chef des SZ-Ressorts, das die Geschichte ausgegraben hatte, sei er erst spät zur Auswertung des Materials dazugestoßen. „Aber es gehörte mit zu den größten Ereignissen in meinem Berufsleben“.

 Presseverein ruhr

Vorsitzender: Kay Bandermann
Tel. 0 2 31/975  23  93
Kay.Bandermann@t-online.de
www.djv-ruhr.de

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2019.