Konzentrationsschwäche, Blockaden Panikattacken, Herzrasen: Im schlimmsten Fall landet man beim Burnout auf der Nase. | Foto: Francesca Schellhaas
Konzentrationsschwäche, Blockaden Panikattacken, Herzrasen: Im schlimmsten Fall landet man beim Burnout auf der Nase. | Foto: Francesca Schellhaas
 
Freie

Hochseil ohne Netz

Finanzieller Druck, ein hohes Arbeitspensum und andere Faktoren können krank machen
14. Dezember 2017, Daniela Lukaßen-Held

Immer unter Stress arbeiten und mit den Ergebnissen vor einer kritischen Öffentlichkeit bestehen müssen: Kaum überraschend, dass Journalistinnen und Journalisten gefährdet sind „auszubrennen“, besonders auch Freie. Aber anders als oft vermutet, trifft das depressive Erschöpfungssyndrom – umgangssprachlich bekannt als Burnout – keineswegs nur Menschen fortgeschrittenen Alters.

Jens Brehl ist 28, als für ihn vor neun Jahren „das Licht ausging“. So beschreibt es der freie Journalist heute. „Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ich sollte einen Pressetext schreiben, reiner Standard. Doch auf einmal riss der Faden, ich konnte nicht mehr das tippen, was ich gedacht habe. Ich war mir sicher, ich sei verrückt geworden.“ Dass er unter Burnout leidet, weiß er zu dem Zeitpunkt noch nicht.

„Burnout ist ein Prozess, der oft bei Veränderungen des beruflichen oder des privaten Lebens einsetzt“, erklärt Matthias Burisch, Professor für Psychologie und Leiter des Burnout-Instituts Norddeutschland. Wie viele Menschen vom Burnout betroffen sind, das lasse sich nicht mit Gewissheit sagen. Denn, so erklärt Burisch, vielfach werden Zahlen anhand von Krankschreibungen berechnet, bei denen die Diagnose jedoch sehr allgemein „psychische Erkrankung“ lautet, oder am Gesamtumsatz von Antidepressiva ermittelt. Die Diagnose „Burnout“ gehört nicht zu den „kassenfähigen“. So wird das depressive Erschöpfungssyndrom als Zusatzangabe bei allgemein anerkannten Diagnosen wie etwa Depressionen genannt.

Psychische Erkrankungen mehren sich, wie der Fehlzeiten-Report 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, der in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld und der Beuth Hochschule für Technik in Berlin entstanden ist. Danach stieg die Zahl der Fehlzeiten von Arbeitnehmern infolge psychischer Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren um knapp 80 Prozent an. Insgesamt seien elf Prozent aller Fehltage auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.
Eine Erwerbstätigenbefragung aus dem Jahr 2012, die die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin alle sechs Jahre durchführt, zeigt: 29 Prozent der Selbstständigen aus der Berufsgruppe Werbung, Marketing, kaufmännische und redaktionelle Medienberufe leiden häufig unter emotionaler Erschöpfung.

Am besten alles gleichzeitig

Was diesen Zustand bedingt, lässt sich aus dieser Befragung auch ablesen: Stress. So gaben 73 Prozent der Selbstständigen an, dass sie „verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig“ betreuen müssen. 63 Prozent nannten zudem den starken Termin- und Leistungsdruck und 51 Prozent die Tatsache, sehr schnell arbeiten zu müssen.
Zugleich nimmt die Erhebung die Ressourcen in den Blick. 99 Prozent der Befragten gaben dort an, ihre Arbeit selbst planen und einteilen zu können. 86 Prozent nannten die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können, wann sie Pause machen. Sollte diese Form der Selbstbestimmung den Selbstständigen und damit auch freien Journalisten nicht bei der Stressvermeidung helfen? In der Realität liegen die Wahlmöglichkeiten bei vielen Freien allerdings höchstens in der Frage, wie sie das Zuviel an Arbeit verteilen. Oder das Zuwenig.

Dass freie Journalisten erkranken, ist kein Zufall. „Alle Freiberufler eint eine Sorge: Wo kommt der nächste Auftrag her?“, sagt Burisch. „Wer nicht gerade Marktführer oder gar Monopolist ist, wird es sich also auch bei Belastungsspitzen dreimal überlegen, bevor er etwas ablehnt. Dann wollen aber auch Flautephasen ruhigen Gemüts überstanden werden. Dieser Wechsel zwischen Überlast und Leerlauf, auf Hochseil ohne Netz, dafür ist nicht jede oder jeder gemacht.“

Einen Auftrag ablehnen? Auch Jens Brehl nimmt an, was er kriegen kann. „Ich habe meinen Wert damals daran geknüpft, wie viel ich leisten kann, und mir so viel aufgehalst, dass ein Einzelner es gar nicht schaffen kann. Und genau das hat mir einen Kick gegeben.“ Der Freiberufler ist stark arbeitssüchtig, wie er später begreifen wird.
Neben der Sucht treibt ihn die finanzielle Not. In den Jahren vor der Gründung seines Medienbüros hat er kaum Geld verdient. Daher drücken Schulden, die dringend getilgt werden müssen. Als er die Chance bekommt, in der Pressearbeit für einen Großkonzern mitzuarbeiten, stimmt er zu. Endlich verdient er genug Geld.

Allerdings ist er im Konflikt mit seinen eigenen Werten und Überzeugungen. Obwohl er hinter den Themen des Konzerns nicht stehen kann, arbeitet er im Akkord, um abzuliefern. Soziale Kontakte pflegt er nur selten, zu sehr nimmt die Arbeit ihn ein. Er beginnt, sich zu verändern. Nachts schläft er schlecht, wacht auf, hat Panikattacken und Herzrasen, ist am Tag fahrig und hat Konzentrationsbeschwerden.

„Einmal habe ich mit einem Kunden telefoniert, aufgelegt und im nächsten Moment nicht mehr gewusst, über was wir überhaupt gesprochen haben.“ Irgendwie gelingt es ihm, die Fassade aufrechtzuhalten und weiterzumachen. Bis zu jenem Tag im Dezember 2008, an dem gar nichts mehr geht. Nach seinem Zusammenbruch fährt er zur Kollegin, mit der er den Großkonzern betreut, erklärt, er sei am Ende und bittet sie, seine Arbeit zu übernehmen. „Du hast einen Burnout“, mutmaßt die Kollegin. „Das ist normal in unserer Branche.“

Dass Burnout oder Burnoutsymptome bei freien Journalisten keine Seltenheit sind, hat auch Natalie Helka in ihrer Diplomarbeit herausgefunden. Die freie Journalistin, die heute für den MDR tätig ist, hat 14 ehemalige Journalisten aus dem NRW-Lokalfunk dazu befragt, warum sie aus dem Beruf ausgestiegen sind. „Auffällig ist, dass von diesen 14 Personen fünf als einen Grund Burnout oder Burnoutanzeichen genannt haben“, sagt sie. „Vier davon waren Freie.“

Jung, frei, gebildet, krank

Außerdem fand Natalie Helka heraus: Es gibt eine Gruppe gut ausgebildeter, junger Journalisten unter 40, die aus dem Journalismus aussteigt. „Natürlich kann man von dieser Personenzahl nicht auf die Masse schließen, zudem handelt es sich nicht um messbare Faktoren, sondern um subjektives Empfinden. Dennoch ist sichtbar geworden, dass es Journalisten gibt, die aussteigen, weil sie unter einem Burnout leiden oder erste Burnout-Anzeichen festgestellt haben.“

Auch Brehl wird schließlich klar, dass sich etwas ändern muss, möchte er jemals wieder in seinem Traumberuf arbeiten. Nach dem Gespräch mit seiner Kollegin geht er auf ihre Bitte hin zum Arzt. Der überweist ihn an einen Neurologen, welcher ihm augenblicklich einen Aufnahmetermin in einer psychosomatischen Klinik verschafft. Sechs Wochen später trifft Brehl in Bad Neustadt ein. Dort begreift er: Er muss sein Leben zu 100 Prozent ändern. Erstmals erkennt er auch seine Arbeitssucht. „Ich hatte ohnehin keine Kraft für faule Kompromisse“, sagt er. „Ich musste in erster Linie an mir selbst arbeiten.“
Eine Therapie im engeren Sinne hilft nach Überzeugung von Matthias Burisch nicht alleine bei einem Burnout: „Sie könnte ja höchstens an inneren Faktoren ansetzen, also zum Beispiel an übersteigertem Perfektionismus oder Idealismus, an mangelndem Selbstvertrauen oder Durchsetzungsvermögen. Aber nicht an den Marktbedingungen, wo ja jede Redaktion weiß, dass draußen eine Warteschlange steht.“

Das ist auch Jens Brehl schnell klar. Er beginnt, sich intensiv mit sich und der eigenen Psyche auseinanderzusetzen. „Ich habe gemerkt, wenn ich nicht offen mit dem Burnout umgehe, komme ich nicht weiter.“ Also schreibt er einen Artikel über seine Erfahrungen, später ein Buch („Mein Weg aus dem Burnout: Der Stress-Falle entkommen, Lebenskunst entwickeln“, Pomaska-Brand Verlag). Und er krempelt sein Leben komplett um.

Marathon statt Sprint

Ein Aspekt, den auch Burisch hervorhebt. „Wenn der Journalismus nicht Sprint, sondern Marathon sein soll, muss man sich klarmachen, dass man selbst das wichtigste Arbeitsmittel ist.“ Und das müsse gepflegt werden.

Jens Brehl weiß heute, was ihm guttut, wann Pausen sinnvoll sind und welche Warnzeichen er ernst nehmen muss. Und er hat einige Grundregeln für sich aufgestellt: „Ich arbeite zum Beispiel nicht mehr gegen meine eigene Überzeugung.“ Auch ein zu hohes Arbeitspensum vermeidet er. „Heute mache ich in erster Linie Dinge, die mir am Herzen liegen“, erklärt er und räumt ein: „Ich bin jedoch auch in der Situation, dass ich keine Familie versorgen muss, dann würde es wahrscheinlich anders aussehen. Aber die Situation passt zu meinem aktuellen Lebensentwurf.“

Was kann ich selbst tun?
  • Die schwierigen Marktbedingungen können freie Journalistinnen und Journalisten nicht ändern. Aber auch unter diesen Bedingungen liegt es in der eigenen Hand, einer Überlastung bis hin zum Burnout gegenzusteuern.
  • Schalten Sie regelmäßig ab: Das Smartphone sorgt dafür, dass wir immer und überall erreichbar sind. Schalten Sie es darum ganz bewusst ab, wenn Sie Feierabend machen, Wochenende haben oder im Urlaub sind. So können Sie auch gedanklich herunterfahren.
  • Kommunizieren Sie Ihre Arbeitszeiten: Teilen Sie Ihren Auftraggebern feste Zeiten mit, in denen Sie erreichbar sind.
  • Suchen Sie sich ein Hobby: Wer den ganzen Tag denkt, benötigt einen Ausgleich zum stressigen Journalistenalltag. Gehen Sie joggen, treffen Sie Freunde oder gehen Sie ins Kino. Suchen Sie sich gezielt ein Hobby, bei dem Sie etwas anderes machen als in Ihrem Beruf.
  • Planen Sie Pausen ein: Nach rund 90 Minuten konzentrierter Arbeit benötigt der Geist eine kleine Pause. Arbeiten Sie darum auch in stressigen Zeiten nicht ohne Pausen durch. Gönnen Sie sich kleine Auszeiten, in denen Sie in Ruhe einen Tee trinken oder eine Runde spazieren gehen. Sie werden sehen: Im Anschluss sind Sie wieder leistungsfähiger.
  • Planen Sie vorausschauend: Nehmen Sie nur so viele Aufträge an, wie Sie schaffen können und erstellen Sie für jeden Tag eine To-Do-Liste, die Sie Punkt für Punkt abarbeiten. So vermeiden Sie, dass Sie in Arbeit versinken.
  • Bilden Sie Netzwerke: Sie stellen fest, dass Sie einen Auftrag nicht alleine stemmen können? Binden Sie Kolleginnen und Kollegen ein, die Kapazitäten haben. /DLH