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Diskussion um Nationalitätnennung

Sollen Polizei und Redaktionen die bisherige Praxis beibehalten?
18. Oktober 2024, Corinna Blümel

Das NRW-Innenministerium hat angekündigt, dass Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen bei Straftaten künftig grundsätzlich die Nationalität in Auskünften für Medien benennen sollen. Das soll Teil des Medienerlasses für die Polizei werde, an dem das Innenministerium bereits seit dem Frühjahr arbeitet.

Mit dem Anschlag in Solingen hat diese Überlegung also nichts zu tun. Allerdings fällt in dessen Folge ein helles Schlaglicht auf dieses Vorhaben. So wird erneut die Frage diskutiert, ob Medien die Nationalität Tatverdächtiger grundsätzlich nennen sollen.

Die Anweisung im geplanten Medienerlass für die Polizei soll prinzipiell für alle Delikte gelten, bei denen der oder die Tatverdächtige zweifelsfrei identifiziert sei. Eine Ausnahme solle es geben,
falls die zuständige Staatsanwaltschaft im Einzelfall zu dem Schluss komme, dass die Nationalität in den Informationen an die Medien nicht benannt werden sollte. Dem werde dann Folge geleistet.

Die Neuregelung solle Transparenz schaffen, erläuterte das Ministerium. Damit wolle man Spekulationen vorgreifen und dem Vorwurf entgegentreten, dass etwas verschwiegen werde.

Bisher am Pressekodex orientiert

In der bisher geltenden Fassung richtet sich der Erlass zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalens vorwiegend nach dem Pressekodex. Der formuliert in Ziffer 12 Diskriminierungen: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten (gültig seit 22. März 2017) präzisiert: „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Innenministerium: Überarbeitung notwendig

Aus Sicht des Innenmisterium ist nun eine Neufassung des Erlasses erforderlich, also eine Abweichung von der bisherigen Praxis. Der Grund: Die Zahl der journalistischen Nachfragen zur Nationalität steige.

Das legt den Fokus auf die Frage: Wie gehen eigentlich Journalistinnen und Journalisten mit dem Thema um? Wie stark spüren Redaktionen den Druck, der vor allem aus den sozialen Medien aufgebaut wird? Halten sie Ziffer 12 beziehungsweise Richtlinie 12.1 weiter hoch? Wägen sie dabei Schutzbedürfnis und öffentliches Interesse anders ab als früher? Und wie sollten sie das Dilemma
lösen? Zwei Meinungen zu diesem Thema.||

Ein Kommentar von Volkmar Kah

Der Pressekodex muss Bestand haben

Der Autor des Kommentars, ein mittelalter Mann mit Bart.
Volkmar Kah, ist ehemaliger Zeitungsjournalist und Geschäftsführer des DJV-NRW. | Foto: Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX

Transparenz ist wichtig. Gerade in diesen Zeiten und insbesondere mit Blick auf die Glaubwürdigkeit – auch die von Medien. Aber auch der Status Quo ist alles andere als intransparent. Redaktionen bekommen auf Nachfrage selbstverständlich von Polizei und Staatsanwaltschaft die Nationalität von Tatverdächtigen im Einzelfall genannt. Und die alljährliche Statistik weist auch die Herkunft von Täterinnen und Tätern sortiert nach Deliktgruppen aus. Aber natürlich machen diese Nachfragen Arbeit – bei den Behörden und in Redaktionen. Arbeit, die der Innenminister
seinen zugegeben bis an die Grenze belasteten Beamtinnen und Beamten ersparen möchte.
Aber kann das ein Argument sein, wenn es um die Abwägung von Rechtsgütern geht? Eindeutig nein! Es bleibt das Argument, mit Transparenz Vorurteile abbauen zu wollen. Im Ernst?
Die, die sich für Fakten interessieren, lesen die Statistik. Die, die nur ihre eigenen Vorurteile bestätigt finden wollen, werden sich die entsprechenden Einzelfälle raussuchen.

Und als Kollateralschaden bleiben entweder unsere Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch mehr unter Druck geraten, wenn sie richtigerweise das Rechtsgut öffentliches Interesse gegen das Recht auf Schutz vor Diskriminierung abwägen. Oder wir kippen den 12.1 des Pressekodex und schreiben das Recht vor Diskriminierung einfach in den Wind. Ich fände das gerade in diesen Zeiten ein fatales Signal.//

 

Ein Kommentar von Corinna Blümel

Der Geist ist aus der Flasche

Die Autorin des Kommentars, eine mittelalte blonde Frau mit Brille
Corinna Blümel betreut als feste Freie das JOURNAL.
Foto: WDR / Ben Knabe

Keine Frage, mit Richtlinie 12.1 zur Berichterstattung über Straftaten will der Pressekodex das Richtige: Dass Journalistinnen und Journalisten den Schutz von Minderheiten im Blick haben und in jedem Einzelfall sorgfältig abwägen, ob das öffentliche Interesse an der Nennung der Nationalität trotzdem überwiegt.

Nur sind die Medien schon lange nicht mehr die ersten, die über Straftaten berichten. Während Polizei und Medien noch Fakten ermitteln, wird in den sozialen Netzwerken schon über die Täterschaft spekuliert und das Ergebnis als gesicherte Wahrheit geteilt. Dahinter stecken nicht nur viele einzelne enthemmte Menschen. Das ist, wie wir heute wissen, Strategie: Die bekannten Parteien, Organisationen und „alternativen“ Medien, aber auch ausländische Trollfabriken arbeiten gezielt an der Destabilisierung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Wenn Behörden und Medien in oder nach dieser ersten wilden Phase der Spekulation keine oder die richtige Nationalität nennen, wird das als bewusstes und schuldhaftes Täuschen gelabelt. Dieses Denken hat sich ist leider längst auch in die Mitte der Gesellschaft geschlichen. Damit wird das medienethisch Richtige in der Hand der Demokratiefeinde zur scharfen Waffe, um die Glaubwürdigkeit von Medien und Staat zu zerstören. So gesehen ist der Geist aus der Flasche und lässt sich zumindest in der gegenwärtigen Situation kaum wieder einfangen.

Gibt es eine Lösung? Journalistinnen und Journalisten bemühen sich natürlich weiterhin (mit oder ohne Nationalitätennennung) um wahrhaftige und ausgewogene Berichterstattung. Aber es liegt nicht allein in ihrer Hand, ob sich das gesellschaftliche Klima wieder dreht. Das erfordert durchdachte Strategien und eine gemeinsame Anstrengung all derer, die die Demokratie lieben.//

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.