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Wortbrücke zum Hindukusch

6. Juli 2023, Carmen Molitor

Die Kölner Journalistin Shikiba Babori hat ein deutsch-afghanisches Medienprojekt aufgebaut. Wie Kalima News funktioniert, erzählt sie im Interview.

JOURNAL: Frau Babori, Sie sind in Kabul geboren und in Bonn aufgewachsen. Wann sind Sie das erste Mal als Journalistin nach Afghanistan gereist?

Shikiba Babori: Das war 2003, nachdem die NATO die Taliban als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 aus den Städten vertrieben hatte. Damals konnte ich nach 25 Jahren erstmals wieder nach Afghanistan einreisen, mit ein paar Aufträgen vom WDR-Hörfunk im ­Gepäck. Das war ganz wichtig für mich, um nicht so ganz der emotionalen Ebene ausgeliefert zu sein, die diese Rückkehr für mich bedeutete. Afghanistan war bis dahin für mich immer nur eine wehmütige Kindheitserinnerung.

Shikiba Babori | Foto: Frank Rossbach
Shikiba Babori | Foto: Frank Rossbach
Shikiba Babori
ist freie Autorin, Hörfunkjournalistin und Ethnologin. Sie ist in Kabul geboren und lebt heute in Köln. Ende der 70er Jahre zog ihre Familie nach Bonn, weil der Vater dort an der afghanischen Botschaft arbeitete. Babori gründete das deutsch-afghanische Mediennetzwerk ­„Kalima News“, um eine neue Generation von Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan zu unterstützen und die deutsche Öffentlichkeit aus erster Hand über Kultur, Religion und Gesellschaft des Landes zu informieren. Sie engagiert sich seit Jahren für die Rechte der Frauen in Afghanistan. Ihr aktuelles Buch „Die Afghaninnen. Spielball der Politik“ ist 2022 im Campus­verlag erschienen./

 

JOURNAL: Es gab nach der ersten Taliban-Ära viele westliche Organisationen, die freie Medien aufbauen wollten. Wie gut ist das gelungen?

Babori:  Ob das wirklich gut gelungen ist, ist aus heutiger Sicht die Frage. Aber ja, damals war es so, dass man für alles, was mit den Themen Demokratie, Frauen- und vor allem Mädchenbildung zu tun hatte, leicht an Gelder rankam. Es gab also schnell viele Medienprojekte, aber die Qualität war schlecht, weil die journalistische Ausbildung und das Know-how über Redaktionsarbeit im Land komplett fehlten.

 

JOURNAL: Welche Rolle spielten Frauen damals in den Medien?

Babori:  Es gab einige neue Sender, die ausschließlich von Frauen gemacht wurden. Nicht nur in den Städten, was es vor der Taliban-Ära ja auch schon mal gegeben hatte. Sondern in den Provinzen. Das war definitiv neu. Ich hatte zu den Frauen Kontakt, weil ich zunächst in Afghanistan mit einer Organisation Journalistinnen ausgebildet habe. Seit 2011 machte ich das für die Deutsche Welle Akademie, die damals einen guten Teil der Journalistenausbildung in Afghanistan übernommen hatte. Die Kurse dauerten zwischen einer und vier Wochen. Ich war teilweise sechs, sieben Mal im Jahr zum Unterrichten vor Ort, zuletzt 2019.

 

JOURNAL: Welche Inhalte hatten diese Trainings?

Babori:  Alles Journalistische war von Interesse, man fing praktisch bei null an. Es gab unter den Teilnehmenden zwar auch die Generation, die unter den Sowjets in Afghanistan Jour­nalismus studiert hat. Aber diese Ausbildung war halt von vorgestern. Ihnen musste man sanft internationale Standards nahebringen. Seit 2002 konnte man in Afghanistan auch wieder Journalismus studieren, was viele Frauen gemacht haben. Diese Studentinnen waren ebenfalls an unseren Kursen interessiert. Denn es gab zwar den Studiengang, aber das heißt nicht, dass die Dozentinnen in der Lage waren, auf internationalem Niveau zu unterrichten. Mit der Zeit hat die Deutsche Welle Akademie dann auch Uni-Dozentinnen ausgebildet.

 

JOURNAL: Wann kam Ihnen die Idee, eine deutsch-afghanische Medienbrücke aufzubauen?

Babori:  Die Idee habe ich etwa 2005 gehabt. Ich fühlte mich in Deutschland immer unglaublich schlecht über Afghanistan informiert. Man hörte immer nur das Schlimme. Meine Idee war, dieses journalistische Netzwerk zu gründen, damit wir einerseits hier aus erster Hand besser über das Land informiert werden und anderseits die grade ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen Aufträge bekommen und arbeiten können. Deshalb gründete ich Kalima News. Kalima heißt übrigens Wort.

 

JOURNAL: Wen haben Sie in das Netzwerk geholt?

Babori:  Es gab in meinen Kursen immer Absolventinnen und Absolventen, die sehr gut abschlossen und freiberuflich gut bezahlte Aufträge von internationalen Medien bekommen konnten. Ich habe für Kalima News eher das „zweite Level“ angesprochen, also diejenigen, die zwar talentiert und gut waren, es aber als Freiberuflerinnen oder Freiberufler schwerer haben würden. Die Idee war, dass sie für deutsche Medien über vielfältige Themen aus ihren Heimatprovinzen berichten.

 

JOURNAL: Damit hatte Kalima News Korrespondentinnen und Korrespondenten aus allen afghanischen Provinzen?

Babori:  Ja, das war praktisch. Zu dem Netzwerk gehörten durchschnittlich 25 bis 30 Frauen und Männer. Die waren schon super verteilt, man musste nicht extra jemanden irgendwo hinschicken. Man konnte ihnen sagen: Wenn bei euch irgendwas passiert, sagt es mir, und dann stelle ich das hier in Deutschland Redaktionen vor.

 

JOURNAL: Und diese Vermittlung haben Sie übernommen?

Babori:  Genau. Kalima News soll nur vermitteln und die Themenvorschläge weitergeben. Wenn ein Sender das kaufen will, übersetze ich das und übertrage es in ein Format, das für den Sender passt. Das Honorar für den Beitrag teile ich mit den Kolleginnen und Kollegen in Afghanistan. Aber diese Arbeitszeit rund um die Vermittlung und die Organisation kostet mich als Freie ­natürlich auch Geld. Deshalb hatte ich beim Auswärtigen Amt Mittel für Kalima News beantragt. Seitdem gab es viel bürokratisches Hin und Her und ich warte seit Jahren vergeblich auf eine finale Entscheidung über einen Zuschuss. Deshalb mache ich das Projekt gerade eher in kleinem Rahmen.

 

JOURNAL: Gibt es nach der erneuten Machtübernahme der Taliban noch jemanden vor Ort, der für das Netzwerk arbeitet? Oder ist das zu gefährlich?

Babori:  Es ist definitiv schwieriger geworden. Einige sind untergetaucht oder verschleppt worden, und ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Manche sind auch nach Pakistan gegangen. Die deutsche Regierung hatte ja gesagt, geht erstmal in die Nachbarstaaten, wir holen euch da raus. Aber das ist nicht geschehen, sie warten dort immer noch auf ihre Evakuierung.

Das ist etwas, was mich beim Rückzug der NATO sehr getroffen hat: Wir haben den Menschen damals ja als Westen eine Zukunft versprochen. Jetzt einfach so wegzugehen und sie sich selber zu überlassen, das bereitet mir Alpträume. Außerdem ist die humanitäre Situation katastrophal. Über die Hälfte der Bevölkerung leidet unter Hunger und die Klimakatastrophe hat das Land schon längst erreicht. Sie zeigt sich in Fluten, extremer Trockenheit und Erdbeben. Es gab dort noch nie so viele Binnenflüchtlinge wie heute.

 

JOURNAL: Zurzeit ruht die Arbeit von Kalima News. Denken Sie, dass Sie das Projekt bald wiederaufnehmen können?

Babori: Das ist eine schwierige Frage. Ich stehe mit einigen der Journalistinnen und Journalisten aus dem Netzwerk über die sozialen Medien in Kontakt, aber ich halte im Moment die Füße still, weil ich niemanden noch mehr in Gefahr bringen will.

Aber langfristig sehe ich Kalima News immer noch als eine gute Gelegenheit, nicht nur in den afghanischen Städten, sondern auch in den Provinzen jemand zu haben, der vor Ort berichtet. Insofern sehe ich Kalima News weiterhin als eine gute Chance, über das Land umfassend informiert zu sein – was für beide Seiten gut ist, für sie dort und für uns hier.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2023.