Der Journalistentag 2023 neigte sich schon langsam dem Ende zu und in Raum 1.05 ging es noch einmal ums große Ganze: Die Macht der Recherche. Denn diese bilde „den Kern unseres Berufs“, erklärte Björn Staschen, Journalist und Medienwissenschaftler. Er saß neben der freien Journalistin Maria Wöfle auf dem Podium; gemeinsam mit Moderatorin Andrea Hansen sowie den Kolleginnen und Kollegen im Auditorium machten die beiden sich Gedanken darüber, „was der Journalismus braucht – und was nicht?“, wie es im Untertitel des Panels hieß. Und da kam ganz schön was zusammen. Es ging um Medienkompetenz und Finanzierungsmodelle, um Ausspielungskanäle und um Zugänge zum Beruf. Über allem aber stand etwas anderes.
„Es geht um den Faktor Zeit, und für mich als Freie damit auch um den Faktor Geld“, brachte es Reporterin Maria Wöfle auf den Punkt. Um ein Thema zu durchdringen, müsse man „nicht nur mit zwei Leuten reden, sondern mit zehn“, betonte sie, die für ihre Reportagen, unter anderem für öffentlich-rechtliche Sender, rausgeht zu den Menschen. Doch damit ist Wölfle mittlerweile eher die Ausnahmen, wie sich im Laufe der Diskussion herausstellen sollte.
Die Welt erleben
„Reporter müssen die Welt erleben, wir sitzen aber fast nur noch am Schreibtisch“, beklagte etwa ein Kollege. Das seien die Nachwehen der Pandemie, befand ein anderer. „Wir haben uns daran gewöhnt und sind noch nicht raus aus der Wohlfühlzone.“ Für Moderatorin Andrea Hansen hat das Phänomen allerdings auch mit den anhaltenden Sparzwängen in den Redaktionen zu tun. „Es landen immer mehr Aufgaben auf dem Schreibtisch“, merkte sie an. Was also tun, um der Geld- und damit der Zeitnot zu entfliehen.
Für Björn Staschen ist die Sache klar: Man müsse entweder neue Erlösmodelle finden, „oder manche Sachen nicht mehr machen, Stichwort: Chronistenpflicht“. Denn was der Medienwissenschaftler und Coach beobachtet hat: „Dass viele es nicht gelernt haben, für Medien Geld auszugeben – oder schlicht kein Geld haben“. Er plädiere daher für ein staatliches Medienbudget, das jedem zur Verfügung stehe, sagte er.
Effiziente Mehrfachverwertung
Leichter umzusetzen ist zweifellos der Ansatz, den Maria Wöfle jüngst mit zwei Kollegen vom RBB verfolgte: „Recherche crossmedial“, wie sie es nennt. Von Anfang an habe man alle möglichen Verwertungsformen mitgedacht, vom Einspieler für das ZDF-Mittagsmagazin bis zum Social-Media-Beitrag. Effizient sei diese Mehrfachverwertung obendrein, die Erweiterung der Zielgruppe komme noch dazu.
Eine Selbstverständlichkeit ist das für Björn Staschen beileibe nicht. „Warum erreichen wir mit manchen Themen die Menschen nicht mehr?“, fragte er sich – und glaubt, eine Antwort gefunden zu haben: „Wir sind alle so gleich. Wir müssen auch wieder Menschen ohne Studium in den Journalismus bekommen.“ Die Redaktionskultur müsse offener werden, findet er, erkennt in den Redaktionen „aber kein Konzept“. Das sah eine Kollegin aus dem Publikum ganz ähnlich: Die Diskussionen über Diversität, den Zugang von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildungshintergründe, werde geführt, aber auf einer theoretischen Ebene. „Wir müssen endlich ins Machen kommen“, forderte sie.
Um junge Leute außerhalb akademischer Kreise grundsätzlich für den Journalismus zu erreichen, wünscht sich Maria Wöfle das Schulfach „Medienkompetenz, von der ersten bis zur letzten Klasse“ – und erntete allgemeine Zustimmung im Raum 1.05. Genauso wichtig sei es jedoch, „in unserer Arbeit die Perspektive möglichst aller Bevölkerungsschichten zu beleuchten, auch die der Kassiererin“, ergänzte ein Kollege. Es war das nächste Plädoyer für den Gang nach draußen, weg vom Schreibtisch. Wenn denn die Zeit dafür bleibt.||
Ein Beitrag in Ergänzung zu JOURNAL 4/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2023.