THEMA | Deep Journalism

Tiefer gehen

Deep Journalism bietet Chancen für Unternehmen und Medienschaffende
26. Juni 2024, Frank Sonnenberg
Eine Frau steht vor einer spiegelnden Scheibe. Sie lächelt und hält in der Hand ein rotes Heft.
Nina C. Zimmermann ist Teamleiterin Newsletter in der Handelsblatt-Redaktion. | Foto: Karsten Schöne

Nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern journalistisch immer tiefer eintauchen in die verschiedensten Aspekte eines Themas. Dabei hinabstoßen in die Dunkelheit des Unbekannten und Spotlights setzen, auf verborgene Fakten und Facetten. So entstehen durch intensives Erkunden oft weitere spannende Perspektiven auf den Kern eines Themas.

Das Problem: Es bleibt ein Wunschtraum für die meisten Journalistinnen und Journalisten, die in Redaktionen arbeiten, in denen es weder ausreichend Zeit noch entsprechende Ressourcen für eine umfangreiche und intensive Recherche gibt. Träumen darf man aber.

Eine Apnoetaucherin auf dem Weg in die dunkelblaue Tiefe. Neben ihr ist das Seil zu sehen, über ihr die helle Wasseroberfläche
Abtauchen in die Tiefe: Apnoetaucherin Jennifer Wendland aus Essen ist Welt­- rekordhalterin und Weltmeisterin. | Foto: Daan Verhoeven

Oder man arbeitet für Medienkonzerne oder Informationsanbieter, für die der sogenannte Deep Journalism zum wirtschaftlichen Erfolgsmodell werden soll. Deep Journalism bedeutet frei übersetzt so viel wie tiefgründiger Journalismus. Es geht darum, noch ein bisschen tiefer zu tauchen, um an Perlen zu kommen, die bei normalen Tauchgängen noch verborgen bleiben. Und sich diese Perlen dann angemessen bezahlen zu lassen.

Vor allem das Geschäftsmodell der Newsletter und Briefings wird derzeit gerne unter dem Stichwort Deep Journalism genannt. Sie zeigen, dass Medien nicht nur gesellschaftliche, technische oder wirtschaftliche Veränderungen begleiten, sondern auch selbst einer Transformation unterliegen.

Neue Medienformate

Dabei unterscheiden sich die Newsletter- und Medienformate, die derzeit entstehen, deutlich von älteren Versionen – von den frühen, eher marketingorientierten Aussendungen für einen Massenmarkt ebenso wie von den späteren Versuchen, für Printmedien einen Mehrwert durch Newsletter mit lokalen beziehungsweise redaktionellen Schwerpunkten wie Klima und Umwelt zu schaffen oder diese sogar zu ersetzen.

Beim aktuellen Trend geht es hin zu bezahlten Inhalten und teils hochpreisigen Abo-Modellen, und oft steckt kein traditionelles Medienhaus mehr dahinter. Das Alleinstellungsmerkmal der neuen Newsletter und Briefings ist es, Special-Interest-Informationen für spitze zahlungskräftige Zielgruppen aufzubereiten. Gerne fällt dabei der Begriff „Entscheider“ – nach dem Motto: Erfolgreich entscheiden durch Informationsvorsprung. Die Strategie, die weltweit hinter solchen Angeboten steckt: Qualitätsjournalismus auf Dauer finanzierbar machen und dessen Überleben langfristig sichern. Und damit Profite für das eigene Unternehmen einfahren.

Diese Entwicklung wird auch als „Vertikalisierung“ und „Rebundling“ bezeichnet: Man schränkt das redaktionelle Angebot auf ein Themenfeld beziehungsweise einen Themenkanal ein. Nicht Gemischtwarenladen mit vielen Angeboten, sondern Spezialistentum. Nicht schnorcheln, sondern tief in die Materie abtauchen. Deep Journalism beleuchtet das zielgruppenrelevante Thema aus den verschiedensten Perspektiven, sucht nach zusätzlichen Aspekten und Details, erlangt tiefgründigere Erkenntnisse und Wissen.

Im Ausland ist dieser Trend bereits fest in der Medienwelt verankert. Vor allem in den USA, zum Beispiel durch Angebote wie Axios, Roll Call, Punchbowl News oder The Hill. Besonders bekannt ist Politico, 2007 als Tageszeitung in den USA gegründet und seit 2015 mit einer europäischen Ausgabe in Brüssel aktiv. Seit 2021 gehört das Unternehmen zu Axel Springer, im Februar startete das deutschsprachige kostenlose „Berlin Playbook“. Eine kostenpflichtige Ausgabe soll in Vorbereitung sein. Ob Berlin oder Brüssel, das Politico-Briefing wird als Infoangebot „zu den wichtigsten Ereignissen des Tages“ vermarktet. Hinzu kommen eine Reihe internationaler Newsletter.

Ein attraktiver Markt

Etabliert sind in Deutschland mittlerweile auch die Formate von Tagesspiegel und Table.Media. ThePioneer. Das Handelsblatt oder die F.A.Z. haben ähnliche Produkte oder bauen welche auf. Die Süddeutsche erweitert gerade ihr Angebot beim SZ Dossier, einem Fachnewsletterdienst – inklusive einer personellen Verstärkung. Anscheinend ein attraktiver Markt, der sich entwickelt.

Ein Mann im Blauen Jackett sitzt mit einer Tasse Kaffee an einem Tisch und guckt in die Kamera. Hinter ihm ist unscharf ein Schild mit dem Schriftzug Deep Journalism zu erennen.
Exklusive Inhalte, die unter anderem von anderen Medien genutzt werden: Sebastian Turner setzt mit Table.Media entschieden auf Deep Journalism. | Foto: Jan Zappner

Zu den Unternehmen, die die Botschaft von Deep Journalism auf dem deutschen Markt am lautesten vertreten, gehört Table.Media mit Sitz in Berlin. Mit journalistischen Produkten für Entscheiderinnen und Entscheider hinter einer Paywall soll die redaktionelle Qualität den wirtschaftlichen Erfolg und umgekehrt der wirtschaftliche Erfolg die redaktionelle Qualität langfristig sicherstellen. Nutzende sollen für gute Informationen – etwa aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzen und Handel, internationale Beziehungen und Gesellschaft bis hin zu Technologie und Wissenschaft – gutes Geld bezahlen.

Ist das gerade state of the art des Newsletter-Business? Eigentlich gibt es Fachinformationen für spitze Zielgruppen schon lange. Verschiedene Zeitschriftenverlage haben sich darauf spezialisiert, darunter Haufe, WEKA Media, Wolter Kluwer, Fachmedien Otto Schmidt und andere. Auch markt intern mit Sitz in Meerbusch gehört zu diesen Verlagen. Hier erscheinen zahlreiche Titel zu den Themenbereichen Steuern & Mittelstand, Technik & Lifestyle, Bauen & Wohnen sowie Gesundheit & Freizeit (siehe auch Interview mit Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold von markt intern).

Muss man Fachinformationen heutzutage also neu definieren und anders präsentieren, um deren Mehrwert hervorzuheben? Für Kuntze-Kaufhold sind Newsletter und Branchen-Informationen durchaus unterschiedliche Dinge. Gemeinsam sei den beiden Angeboten aber, dass man letztlich das bediene, was der Kundenerwartung entspreche.

Einen klaren Unterschied zwischen herkömmlichen Publikums- und Fachmedien sowie Deep-Journalism-Newslettern macht auch Medienforscher Dirk Engel (siehe Interview „Die Spreu vom Weizen trennen“): Er sieht diese Publikationen nicht in Konkurrenz zueinander, weil hochpreisige Spezial-Newsletter kein journalistisches Produkt seien. „Sie sind eher zu vergleichen mit einem Beratungsangebot, dem Besuch einer Konferenz oder eines Seminars.“

Etablierte Medien sind dabei

Egal wie man Ähnlichkeiten und Unterschiede definiert: Die attraktiven Geschäftsaussichten sind ein Grund, dass sich längst auch etablierte Medien im Geschäft mit den Newslettern tummeln, etwa das Handelsblatt. Als Teamleiterin Newsletter ist Nina C. Zimmermann für mehr als ein Dutzend Newsletter mit verschiedenen Zielgruppen zuständig. Neben Angeboten wie „Morning Briefing“ und „Evening Briefing“ für ein breites, allgemein wirtschaftlich interessiertes Publikum gibt es fachlich zugespitztere Newsletter zu Themen wie KI und Energie. Sehr klar definierte Special-Interest-Infos bieten Branchen-Newsletter etwa für Banken oder Automobil sowie die Premium-Business-Newsletter „Digital Health“ und „Energie & Immobilien“.

Die beiden letzteren fallen zusammen mit dem Newsletter „Geldanlage“ in den Bereich Deep Journalism. „Diese drei Vertical-Newsletter sind derzeit nur im Rahmen eines Handelsblatt-Abos erhältlich“, erläutert Zimmermann. Das Geldanlage-Team sitzt in Frankfurt und schreibt für Privatanleger und -anlegerinnen, die sich vertieft über die Aktienmärkte und Anlagestrategien informieren möchten. Die beiden Premium-Business-Newsletter mit jeweils mehreren exklusiven Stücken vorab richten sich vor allem an Führungskräfte und andere Entscheiderinnen und Entscheider in der Gesundheits- beziehungsweise der Immobilienwirtschaft.

Auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat den Markt für sich entdeckt. Im November 2023 hat sie Süddeutsche Zeitung Dossier gestartet, als digitalen spezialisierten Informationsdienst „für Menschen, die für die Politik oder von der Politik leben“, wie die SZ damals meldete. Das Angebot wende sich „an Menschen, die beruflich motiviert in einige Themenbereiche über das Angebot der SZ hinaus tiefer einsteigen wollen“, erklärt Florian Eder, Leiter von SZ Dossier. Die Leserinnen und Leser wollten über komplexe Zusammenhänge detailliert und klug informiert sein, suchten exklusive Einsichten in den Maschinenraum der Politik und wollten wissen, „was in ihrem Themenbereich heute wichtig wird“. SZ Dossier gehe „den drängenden Fragen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft detailliert und mit Verständnis für ihre politische Dimension nach. Der Bedarf nach hochwertiger Information ist da – und in der spezialisierten Nische fällt es uns leicht, uns vom Wettbewerb abzuheben.“

Schneller gewachsen als andere

Vom Wettbewerb abheben will sich auch Table.Media. „Wir verbinden die Tiefe von Fachinformation mit dem Anspruch von Leitmedien.“ Diese Kombination sei für Entscheiderinnen und Entscheider hochinteressant, erklärt Sebastian Turner. „Wir haben schneller als die uns bekannten Wettbewerber mehr als 1 000 Firmenkunden gewinnen können. Eine wichtige Gruppe sind dabei auch Redaktionen, die Table.Briefings intensiv nutzen.“

Das habe gute Gründe, meint Turner selbstbewusst: Man biete exklusive Inhalte, die von hoch qualifizierten, unabhängigen Journalistinnen und Journalisten für Table.Briefings recherchiert und eingeordnet wurden. „Wir sehen an den Zitaten anderer Medien, dass wir mehr exklusive Nachrichten haben als fast alle traditionsreichen Medien.“

Dabei liegt nicht alles hinter einer Paywall. „Wir haben sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Angebote. Bei den kostenpflichtigen Angeboten handelt es sich fast ausnahmslos um Inhalte, die für ein Laienpublikum nicht interessant sind, etwa um Details der EU-Regulierung in frühen Stadien der Gesetzgebung.“

Der spezielle Bedarf

Das scheint das zu sein, was Entscheiderinnen und Entscheider brauchen. Wer solche Fachnewsletter abonniert, verfügt zwar über eine besonders große Sachkenntnis, benötigt aber zusätzliche Informationen, um Entscheidungen treffen zu können. Das möchte man zur Verfügung stellen.

Dabei können gerade Themen abseits des großen medialen Interesses für die Briefing-Abonnentinnen und -Abonnenten interessant sein. Mit dem speziellen Fokus lassen sie oft größere Zusammenhänge erkennen. So gibt es bei Table.Media unter anderem Briefings zu den Themen Afrika, Bildung, Forschung, internationale Klimapolitik, zu Nachhaltigkeit oder Environmental-Social-Governance (ESG), zu Landwirtschaft/Ernährung sowie zur Außen- und Sicherheitspolitik. Nicht zu vergessen den Newsletter Berlin.Table sowie den kostenlosen Nachrichtenüberblick 100 Headlines mit einem Überblick über die tagesaktuellen Headlines unterschiedlicher Medien.

Wie entscheidet das Unternehmen, welche Themen bearbeitet werden sollen? „Wir entwickeln unsere Briefings für den nicht abgedeckten Informationsbedarf von Fachleuten. Das sind naheliegenderweise neue Themen und Zukunftsthemen, deren Bedeutung zunehmen wird“, erklärt der Medienmacher.

Und welche Zielgruppe hat man zum Beispiel bei den ESG- und Umweltthemen im Blick? Jene Menschen, die beispielsweise die Berichtspflicht nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der grünen Transformation in der EU umsetzen müssen? Oder möchte man eine wirtschaftsjournalistische Stimme für diejenigen sein oder werden, die nachhaltiges Wirtschaften mit neuem Mindset als einzige Zukunftswirtschaftsoption sehen? „Wir haben beide Gruppen im Blick. Wir lernen, dass die sachlich-analytische Vorgehensweise beide Gruppen in einem Forum vereint.“

Lieferkettengesetz

Im Deep Journalism geht es nicht um Schwarz-Weiß-Denken. Hier hat eine differenziertere Betrachtung des jeweiligen Themas Platz, um Hintergründe und größere Zusammenhänge zu beleuchten. So sah das zum Beispiel beim europäischen Lieferkettengesetz aus, das in den vergangenen Monaten für spannende Beiträge gesorgt hat:

Neben den Entscheidungsprozessen auf EU-Ebene lag der Fokus der Berichterstattung auf dem Unternehmensalltag und der Umsetzung. Nach dem Veto durch die FDP war zeitweilig nicht klar, was vom Gesetz übrig bleiben würde. Alles zurück auf Anfang? Oder doch nicht?

Als dann ein reduziertes europäisches Lieferkettengesetz als Ergebnis vorlag, wurde im Detail hinterfragt: Was bedeutet das für das deutsche Lieferkettengesetz? Wo liegen die Unterschiede zur ursprünglichen Lösung? Wer muss jetzt was zur Umsetzung beitragen? Was bedeutet das vor allem für viele kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe, die mit großen Unternehmen zusammenarbeiten und in den kommenden Jahren nach der ebenfalls neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) berichtspflichtig werden? Nicht einfach zu beantworten.

Was ist etwa im Zusammenhang mit Biokunststoffen, die in irgendwelchen Lieferketten auftauchen? Oft sollen diese Werkstoffe solche ersetzen, die noch auf erdölbasierten Grundstoffen beruhen. Dringt man tiefer ins Thema ein, entsteht ein neues Bild von Kreislaufwirtschaft: Kunststoffe ersetzen oder recyclen? Hinterfragt man den Herstellungsprozess, dringt die Berichterstattung unter Umständen bis zur Anpflanzung vor. Dann geht es um Monokulturen, die Düngemittelabhängigkeiten oder um soziale Ungerechtigkeiten./

Auch in der Handelsblatt-Newsletter-Familie spielen Themen wie ESG und Nachhaltigkeit, Klima und Umwelt eine wichtige Rolle, etwa beim kostenfreien „Energie Briefing“, vertieft wird das mit speziellerem Blick auf die Immobilienbranche im Newsletter „Energie & Immobilien“, der nur mit einem Handelsblatt-Abo erhältlich ist. Dabei ist die grüne Transformation der Wirtschaft für das Handelsblatt „ein Kernthema unserer Berichterstattung – und kein kurzfristiger Trend“, erklärt Zimmermann. „Uns ist es wichtig, hier ausgewogene und neutrale Informationen bereitzustellen, damit unsere Leserinnen und Leser eigene Entscheidungen treffen können. Unsere sehr hohen Nutzungszahlen bei diesen Themen seit mehreren Jahren bestätigen uns darin, dass das Thema eine ungebrochene Relevanz hat.“

Blick auf zwei Stockwerke eines großzügigen Treppenauses. Im oberen Stockwerk stehen zwei Männer im Gespräch.
Blick in die Tiefe des Raums: Wo Table.Media gemacht wird. | Foto: Jan Zappner

Ein kritischer Blick auf den Deep Journalism besagt, dass es ein journalistischer Widerspruch sei, wenn hochkarätige Informationen nur gegen viel Geld zu bekommen seien. Aber wie journalistisch sind Themen- oder Branchen-Newsletter als Informationsträger für spitze Zielgruppen überhaupt? Für Sebastian Turner eine klare Angelegenheit: „Genau so journalistisch wie alle anderen Leitmedien auch.“

Das sieht auch Florian Eder so: „Wir sind im besten Sinne altmodisch, was unsere journalistischen Standards angeht. Wir bemühen uns um eine wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit, um unverfälschte und möglichst vollständige Information über Themen von hohem Interesse für Politik und Gesellschaft.“

Deep-Dives für spitze Zielgruppen werden in Zeiten von KI sogar an Relevanz gewinnen, ist Nina C. Zimmermann überzeugt. „Wir sehen bereits jetzt, wie das Netz mit generischen News-Inhalten überschwemmt wird, darunter auch viele Fake News. Die gute Nachricht dabei: Journalistische Recherche, das Suchen nach exklusiven Geschichten und Hintergrundinformationen, vermittelt durch vertrauenswürdige Medien, wird dabei wieder zum USP. Kanäle sind dabei zweitrangig – ein guter Newsletter ist genauso journalistisch wie eine gute Reportage in der Zeitung.“

Auch Medienberater Dirk Engels, der die Formate ja eher als Beratungsangebot einordnet, sieht in der journalistischen Aufbereitung einen wichtigen Faktor. Nur gehe es eben nicht um den schönen Text, sondern um reinen Nutzwert.

Spezialwissen ist gefragt

Beobachtet man Stellengesuche in Jobbörsen oder Ankündigungen von neuen Stellenbesetzungen in Mediendiensten, lässt sich eine gewisse Dynamik im Newsletter-Markt ablesen. Denn für den langfristigen Erfolg von Deep Journalism sind die Kompetenzfelder in den Special-Interest-Redaktionen ein entscheidender Faktor. Für die Spezialgebiete, welche die Säulen für das jeweilige publizistische Konzept darstellen, braucht es Expertise. Eine Chance für Kolleginnen und Kollegen mit fundiertem Spezialwissen.

Entsprechend ringen die betreffenden Unternehmen und Medienhäuser um die besten Köpfe. Der Wettbewerb ist in vollem Gange. So setzt sich die Table.Media-Redaktion aus ehemaligen Mitarbeitenden von dpa, F.A.Z., Financial Times, Frankfurter Rundschau, Handelsblatt, NZZ, SZ, Tagesanzeiger, Tagesspiegel, WELT, Wirtschaftswoche und ZEIT zusammen.

Auch beim Handelsblatt kommt ein Teil der Mitarbeitenden der beiden Vertical-Teams für die Premium-Business-Newsletter von Fach- oder Branchenmedien, erklärt Nina C. Zimmermann, während andere sich über Jahre hinweg ihre Expertise gründlich erarbeitet hätten. Alle seien „selbstverständlich Teil unserer Kernredaktion mit der Besonderheit, dass sie für eine noch spitzere Zielgruppe arbeiten“.

Dabei seien die Mitarbeitenden mit ihren Fähigkeiten und Qualifikationen natürlich das wichtigste Gut einer jeden Redaktion, betont Zimmermann. Und das Handelsblatt sei als Wirtschaftsmedium auf die besonders hohe Expertise seiner Redakteurinnen und Redakteure angewiesen: Als sogenannte Beat-Reporterinnen und -Reporter berichteten die Mitarbeitenden oft jahrelang über ein Unternehmen oder eine spezielle Branche.

Zugleich sei der Austausch untereinander sehr wichtig. „So haben wir beim Handelsblatt verschiedene spezialisierte Themen-Teams, in denen (Fach-)Redakteure und Redakteurinnen zum Teil ressortübergreifend zusammenarbeiten.“ Als Beispiel nennt sie das Energie-Team, wo Reporterinnen und Reporter aus verschiedenen Ressorts das „Energie Briefing“ schreiben – neben ihrer Tätigkeit für die anderen Känale wie Website, Zeitung und Podcast.

Ein Mann an einem Schreibtisch schaut in die Kamera.
Florian Eder leitet das relativ junge Angebot SZ Dossier. | Foto: Jana Islinger

„Talent ist unsere wichtigste Ressource“, sagt auch Florian Eder, der selbst von Politico zur SZ gekommen ist. „Wir sind ein Team von politischen Journalistinnen und Journalisten, die sich jeden Tag wieder eingehend mit ihrem Spezialgebiet auseinandersetzen können – das sorgt dafür, dass alle mit Autorität darüber sprechen und schreiben können.“ Neben dem „enormen Expertisepool in der Redaktion“ bedeute das auch „rasche Erfolge bei denen, die noch frisch im Job sind“.

Doch nicht nur hoch qualifizierte redaktionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind gefragt, sondern auch technische Hilfsmittel. Der Einsatz von KI-Software gehört zum Redaktionsalltag, sei allerdings nicht relevanter als bei anderen Medien, erklärt Turner. Das eingesetzte System Delphai soll beispielsweise über eine KI verfügen, die sehr viele fremdsprachige Quellen auswerten und so auch eine Art Marktbeobachtung durchführen kann. Die Redaktion kann dann die gewonnenen Daten in den richtigen Kontext setzen beziehungsweise die Software trainieren.

Nur lesen, was wichtig ist

Aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer ist das Angebot tatsächlich verlockend. Nur das zu lesen, was für einen wichtig ist, was den eigenen Horizont erweitert und das aufgrund von spezifischen Informationen hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Thematisch kuratiert von redaktionellen Expertenteams.

Also weg mit dem ganzen restlichen Ballast? Eher nicht. Sebastian Turner geht keinesfalls davon aus, dass mediale Spezialangebote die General-Interest-Titel ablösen werden, wie er bereits vor mehr als einem Jahr im Medienmagazin Horizont erklärte. Man brauche General Interest dringend, um den Gesamtüberblick zu liefern.

Für Table.Media selbst ist das allerdings kein Thema: Hier bleibt Special Interest das Alleinstellungsmerkmal. So soll das Themenspektrum weiter ausgebaut und kuratiert an weitere Zielgruppen gebracht werden. Bei der Suche nach neuen Themenfeldern bezieht die Redaktion die Leserinnen und Leser mit ein. Sie können derzeit Anregungen und Wünsche äußern. Für weitere Briefings, die dann irgendwann umgesetzt werden. Das Ziel heißt Wachstum – und Deep Journalism in Deutschland fest in der Medienwelt zu verankern.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2024.