THEMA | Existenzsorgn

Lebenskünstlerin sein hat ein Verfallsdatum

Warum man es nicht immer schafft, gute Ratschläge anzunehmen
6. Oktober 2025, Theodora Glossa* (Name geändert)
Eine gezeichnete Frauenfigur mit Brille und langen Haaren. Die hat ihren rechten Arm kämpferisch erhoben und halt in der Hand einen übergroßen Stift.
Theodora Glossa ist eine ehemals freie Journalistin, die lieber anonym bleibt.| Illustration: Karl-Hermann Hildebrandt

„Isn’t it ironic?“ Vor 30 Jahren hat die Sängerin Alanis Morissette einen Hit darüber geschrieben, wie das Leben dich immer wieder zu überraschen weiß. Oder, sagen wir es, wie es ist: dich gnadenlos zu veräppeln scheint. Sie singt darüber, wie du dich zum Heiraten mit allem Tamtam durchgerungen hast – und es prompt an diesem Tag aus Eimern regnet. Wie du dir einen Chardonnay gönnst, aber nach ein paar Minuten eine unansehnliche schwarze Fliege im Glas paddelt. Oder, wie du einen richtig guten Ratschlag bekommen hast, aber es nicht geschafft hast, ihn anzunehmen.

Letztes ist mir als freie Journalistin auch oft genug passiert, vor allem am Anfang des Berufslebens: Tipps und Tricks zum Karrierestart kannte ich wohl – allein mir fehlten wahlweise der Glaube, die Geduld, das Selbstbewusstsein oder das Geld, sie anzuwenden.

Die guten Tipps: Notfallreserve, Spezialisierung…

Auf einem der zahlreichen Seminare, die ich damals besuchte, hatte ich die Frage gestellt, welche Versicherungen man unbedingt zur sozialen Absicherung abschließen sollte. Ich bekam einige Informationen, vor allem aber den Ratschlag: „Versicherungen sind natürlich gut. Aber rechne dir erstmal aus, was du im Monat brauchst und lege ungefähr das Zwei- bis Dreifache des Betrags für den Notfall zurück. Damit du immer ein sicheres Polster hast.“ Das leuchtete mir ein. Ich eröffnete eifrig ein Tagesgeldkonto. Aber leider nur, um ab sofort das Geld zwischen diesem Konto und dem Girokonto ständig hin- und herzuschaufeln.

Es gelang mir nie lange, das, was als Ersparnisse vorgesehen war, einfach in Ruhe wachsen zu lassen, für einen fernen Notfall oder auch einfach für die bald zu zahlenden Steuern. Mein Budget war so auf Kante genäht, dass einfach immer der Alltag dazwischenkam. Das Auto machte schlapp, ich brauchte eine neue Brille oder wollte schlicht nicht immer nein sagen, wenn Freunde fragen, ob man mit in Urlaub fahren will. Oder ich hatte einen guten Monat voller Aufträge, aber dann überwiesen Kunden das Honorar nicht, weil sie entweder die Zahlungsfrist von vier Wochen bis zum letzten Tag ausnutzen wollten oder weil die Kollegin aus der Buchhaltung länger abwesend war und sich niemand für Überweisungen zuständig fühlte. Und schon greift man gezwungenermaßen auf sein bisschen Rücklage zurück und ist wieder hinten dran mit den vernünftigen Sparplänen.

„Spezialisiere Dich!“ war auch so ein oft gehörter, sinnvoller Rat. Und doch war mein journalistisches Angebot auch nach ein, zwei Jahren immer noch de facto ein Bauchladen. Manchmal musste einfach Geld her, um laufende Rechnungen zu begleichen – kluger Markenaufbau hin oder her. Ich kann schließlich im Journalismus grundsätzlich alles, dachte ich. Dass mich das aus Sicht der Redaktionen nicht zum Universalgenie, sondern zum sehr beliebigen Anbieter unter vielen, vielen anderen machte, war mir nicht klar.

Die eigene Grenze finden

Den Tiefpunkt hatte ich erreicht, als ich sogar anfing, für einige Yellow-Press-Titel aus Hamburg (Marke: „Frau im…Irgendwo“ oder „Das Goldene…Dings“) ein, zwei Geschichten zu schreiben. Etwas, das ich für mich lange genauso ausgeschlossen hatte, wie für Springer zu schreiben. Mein journalistischer Stolz meldete zum Glück schnell zurück, als ein Boulevardmagazin mich damit beauftragen wollte, für eine Geschichte eine Frau zu finden, die stark übergewichtig gewesen war und radikal abgenommen hatte. Tragischer Twist: Sie sollte nach der Vorstellung der Redakteurin deswegen von ihrem Partner verlassen worden sein, der es lieber füllig mag.

Geldmangel hin oder her, so einen Mist wollte ich nicht mal in einem vielfältigen Bauchladen anbieten. Die Yellow-Press-Karriere habe ich so schnell wieder aufgegeben, wie sie begonnen hatte.

Der Spatz in der Hand

Ähnlich war es bei dem Rat: „Nicht für jedes Honorar arbeiten, lieber einen Job absagen und in der Zeit lieber über die richtige Art der Akquise nachdenken“ oder „Auftraggeber, die stark verzögert oder zu wenig bezahlen, aussortieren“. Auch das fand ich zwar schlüssig, als beginnende Solo-Selbständige habe ich mich aber doch oft nicht daran gehalten. Irgendwie fand man selbst immer wieder Entschuldigungen für die mauen Honorare und dachte sich: Lieber für ganz wenig Geld arbeiten als gar kein Geld verdienen, ein Hoch auf den Spatz in der Hand.

Und dann gab es noch den besonders dringenden Ratschlag, laufende Sparverträge oder gar Verträge der Altersvorsorge bloß nicht vorzeitig zu kündigen, weil sonst die Verluste einfach enorm hoch sind. „Natürlich nicht!“ war mir immer klar. „Wie blöd kann man sein?“

Bis es im Auf und Ab der Auftragslage oder wegen einer Steuernachzahlung dann doch einen Punkt gab, wo auf die Schnelle ein paar Tausender nötig waren. Man kann dafür einen Kredit aufnehmen oder vielleicht Freunde oder Familie um Unterstützung bitten. Oder man ist zu stolz und es ist einem zu peinlich, darüber zu reden, dass man schon wieder in einem finanziellen Engpass steckt. Und man kündigt dann doch einen kleineren Vertrag zur Altersvorsorge – mit den prophezeiten krassen Verlusten. Egal, denkt sich der Lebenskünstler. Hauptsache, man ist wieder flüssig und man hat es allein geschafft. Die Rente ist ja noch weit weg.

Ein Jurist hat mir neulich erzählt, dass er es schon immer merkwürdig gefunden hat, wie viele freie Journalistinnen und Journalisten vor allem für Print unter Wert arbeiten und einfach immer weiter machen, obwohl sich ihr Geschäftsmodell erkennbar nicht trägt. „Das gibt es doch in keinem anderen Beruf!“ rief er aus. Kann schon sein. Ich habe das auch lange so gemacht und es „Mischkalkulation“ genannt. Spitzere Rechner als ich sagen wohl eher „Selbstbetrug“ dazu.

Zum Glück klappte – nach der ersten Phase dämlicher Missachtung guter Ratschläge – die Spezialisierung mit der Zeit immer besser. Ich schrieb nicht mehr einzelne Texte, sondern übernahm ganze Projekte und konnte mit einigen fest-freien Aufträgen die Fix-Kosten zuverlässig decken. Ironischerweise war ausgerechnet der Monat der finanziell beste of all times, als ich vom Journalismus in eine Festanstellung in der PR wechselte.

Ich traute dem Braten nicht mehr, dass der sehr geliebte Journalismus mich bis zur Rente – und vor allem darüber hinaus – finanzieren würde. Um es mit dem melancholischen Kevin Johnson zu halten: „Rock&Roll, I gave you the best years of my life“. Irgendwann ist es auch mal gut mit dem Life als Lebenskünstler, fand auch er. Und die Rente rückt ja doch immer näher.

Sucht Euch Unterstützung!

Jetzt könnte ich natürlich jeder und jedem, der im Journalismus arbeitet und immer wieder in finanzieller Not ist, raten: Sprecht über Eure finanziellen Sorgen und Pannen. Lieber früher als später. Sucht Euch Unterstützung, denn überraschenderweise gibt es sie. Lasst Euch zu Eurem Geschäftsmodell coachen, vor allem auch in finanziellen Fragen.

Versucht alles, um Euren Traum im freien Journalismus zu leben – aber prüft auch immer wieder, ob Ihr Euch wirklich, wirklich, wirklich dauerhaft von Eurer Arbeit ernähren könnt. Und wenn das Jahr für Jahr nur ganz knapp der Fall ist, macht Euch lieber ehrlich – und sucht Euch einen anderen Job.

Ich sehe Euch eifrig nicken? Klar, hätte ich auch gemacht. Und es manchmal doch anders gemacht. Zumindest im Notfall. Isn’t it ironic?||

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2025.